Titel:
Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit
Normenkette:
ZPO § 41, § 42, § 406 Abs. 2 S. 1, § 411 Abs. 4
Leitsätze:
1. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 IV ZPO ab. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist für die Frage der Befangenheit eines Sachverständiger ist entscheidend, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Sachverständigen zu zweifeln; rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befangenheit, Ablehnung, Sachverständiger, Antragsfrist, Unvoreingenommenheit
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 27.10.2020 – 20 W 1420/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 28139
Tenor
Die Ablehnung des Sachverständigen SV durch die Antragsgegnerin zu 1) wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
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Der Antragsteller beantragte im Wege des selbständigen Beweisverfahrens die Feststellung diverser Mängel an der von der Antragsgegnerin zu 1) an den Antragsteller gelieferten und von dem Antragsgegner zu 2) dort eingebauten Swimmingpools.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 21.02.2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu angeordnet. Als Sachverständiger wurde SV bestimmt.
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Das Gutachten des Sachverständigen vom 09.07.2020 ging am 14.07.2020 bei Gericht ein, woraufhin den Beteiligten eine Stellungnahmefrist bis zum 05.08.2020 gesetzt wurde. Mit Schriftsatz vom 22.07.2020 stellte die Antragsgegnerin zu 1) Befangenheitsantrag. Als Gründe führte die Antragsgegnerin zu 1) an, dass der Sachverständige sich in seinem Gutachten insbesondere hinsichtlich der Frage der Bodenbeschaffenheit einseitig auf Aussagen des Antragstellers gestützt und diese ungeprüft übernommen habe. Zudem fehle dem Sachverständigen der bodentechnische Sachverstand. Eine Aufwölbung des Schwimmbadbodens habe der Sachverständige nicht selbst wahrgenommen, sondern sich darauf gestützt, dass er bereits mehrfach bei anderen Schwimmbecken ähnliche Schadensbilder festgestellt habe. Mängelbeseitigunsmaßnahmen und -kosten sowie Verursachungsanteile seien ohne Begründung lediglich postuliert worden.
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Zum Ablehnungsantrag hat der Sachverständige mit Schriftsätzen vom 17.08.2020 und 22.08.2020 Stellung genommen.
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Der zulässige Ablehnungsantrag ist unbegründet.
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1. Der Ablehnungsantrag vom 22.07.2020 ist zulässig und insbesondere nicht nach § 406 Abs. 2 ZPO verfristet. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinander setzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 IV ZPO ab (BGH, Beschluss vom 15. 3. 2005 - VI ZB 74/04). Die Frist endete vorliegend erst am 05.08.2020.
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2. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen allerdings gegenüber dem Sachverständigen die Annahme der Befangenheit nicht. Nach den §§ 406 Abs. 1 S. 1, 41, 42 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen.
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a) Eine persönliche Beziehung zu einer Partei gemäß § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 41 ZPO wurde nicht vorgetragen.
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b) Es liegt auch keine Besorgnis der Befangenheit gemäß § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 42 ZPO vor. Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muss sich jedoch auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, IBR 2009, 53). Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Sachverständigen zu zweifeln; rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (BVerfG, NJW 1993, 2230; BHG, Beschluss vom 02.10.2003, Az.: VI ZB 2/03).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt eine Besorgnis der Befangenheit nicht in Betracht.
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aa) Der Ablehnungsantrag wird zum einen darauf gestützt, dass der Sachverständige sich hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit ausschließlich auf die im Ortstermin getätigten Äußerungen des Antragstellers verlassen und sich kein eigenes Bild gemacht habe.
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Diese Argumentation greift jedoch nicht durch, da der Sachverständige aus Sicht eines objektiven Dritten nicht den Eindruck erweckte, eine streitige Behauptung zulasten einer Partei für bewiesen zu halten. An den Sachverständigen dürfen nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für prozessgewandte Anwälte oder Richter angemessen wären, insbesondere wenn ihm der Sachverhalt, von dem er auszugehen hat, nicht eindeutig vorgegeben ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 16.09.2010 - 1 W 2046/10). Ob die Frage der Bodenbeschaffenheit streitig war oder nicht, war für den Sachverständigen nicht zweifelsfrei zu beantworten. Der Beweisbeschluss enthält hierzu keine Ausführungen. Zudem war der Antragsgegner zu 2) bei dem Ortstermin zugegen ohne die Angaben des Antragstellers zu bestreiten. Der Eindruck der Voreingenommenheit des Sachverständigen entstand daher durch sein Verhalten nicht. Die Frage, ob das Gutachten hinsichtlich der Thematik der Bodenbeschaffenheit unvollständig ist und weiterer Klärungsbedarf besteht, ist kein Fall der Befangenheit des Sachverständigen. Diesbezüglich besteht die Möglichkeit der mündlichen Anhörung des Sachverständigen bzw. der Einholung eines Ergänzungsgutachtens.
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bb) Im Übrigen wird der Ablehnungsantrag ausschließlich auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen haben. Hierzu wird ausgeführt, dass der Sachverständige die Aufwölbung des Schwimmbadbodens nicht selbst am konkreten Fall geprüft, sondern auf von ihm bereits festgestellte vergleichbare Sachverhalte Bezug genommen habe. Die erforderlichen Mängelbeseitigungsmaßnahmen und -kosten habe er lediglich postuliert und nicht näher begründet. Zudem seien diese unklar formuliert und damit missverständlich.
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Auch diese Rügen greifen nicht durch. Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (BGH, Beschluss vom 15. 3. 2005 - VI ZB 74/04 m.w.N.). Dem Sachverständigen wird mit den vorgetragenen Rügen mangelnde Sorgfalt im Rahmen der Erstellung des Gutachtens vorgeworfen. Dieser Vorwurf begründet aber nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft. Der mangelnden Sorgfalt eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt. Das Prozessrecht gibt in den §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichende Mittel an die Hand, solche Mängel zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist (BGH, Beschluss vom 15. 3. 2005 - VI ZB 74/04).
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Der Ablehnungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.