Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 08.10.2020 – W 8 S 20.1371
Titel:

Definition von Lebensmitteln in Abgrenzung zu Scherzartikeln

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5
LFGB § 39 Abs. 2, § 40
Lebensmittel-Basis-VO Art. 2
VO (EG) 2017/625 Art. 138
LMIV Art. 7, Art. 18 Abs. 1
NemV § 4 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei dem Produkt "L-Arginin + L-Citrullin für Weih­nachtsmänner" handelt es sich um ein Lebensmittel nach Art. 2 I VO (EG) 178/2002. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Produkt, das sowohl als Lebensmittel als auch als Scherzartikel verwendet werden kann, unterfällt den le­bensmittelrechtlichen Vorschriften, um dem höheren Schutzniveau des Lebensmittelrechts gerecht zu werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine Lebensmittel spricht auch die ausdrückliche Nennung des Inhaltsstoffes "L-Arginin + L-Citrullint", die bei einem Scherzartikel für den Weihnachtsmann keinen Sinn machen würde, sondern weiterhin auf einen menschlichen Konsumenten abzielt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortverfahren, ausreichende Begründung des Sofortvollzugs, Nahrungsergänzungsmittel, „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“, Untersagung des Inverkehrbringens, Information an Wiederverkäufer, Definition von Lebensmitteln in Abgrenzung zu Scherzartikeln, Doppelfunktion eines Produkts als Lebensmittel und Scherzartikel, krankheitsbezogene Angaben, fehlende Kennzeichnungselemente, Ermessen, Verhältnismäßigkeit, Lebensmittel
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.09.2021 – 20 CS 20.2344
Fundstellen:
BeckRS 2020, 26883
LMuR 2021, 55
LSK 2020, 26883

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners (vertreten durch das Landratsamt W.) vom 16. September 2020 in dem ihr das Inverkehrbringen des Produkts „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“ untersagt, die Information der Wiederverkäufer angeordnet und ein Zwangsgeld angedroht wird.
2
Die Antragstellerin vertreibt unter anderem Nahrungsergänzungsmittel und auch das streitgegenständliche Produkt „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“.
3
Dem Antragsgegner wurde ein Prüfbericht/Befund zusammen mit einem Gutachten des Instituts für Lebensmittelsicherheit Wien (AGES - Österreichische Agentur für Gesundheit- und Ernährungssicherheit GmbH) vom 18. August 2020 übermittelt. In dem von der AGES vorgelegten Unterlagen ist ausgeführt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein Nahrungsergänzungsmittel und damit um ein Lebensmittel handele. Arzneimittelwirkstoffe seien nicht festgestellt worden. Der Aufdruck „Bei Bluthochdruck und erektiler Dysfunktion“ enthalte entgegen Art. 7 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV) in unzulässiger Weise krankheitsbezogene Angaben. Außerdem fehle gemäß Art. 18 Abs. 1 LMIV das Wort „Zutaten“. Darüber hinaus fehlten noch weitere Kennzeichnungselemente.
4
Die Antragstellerin brachte mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15. September 2020 im Wesentlichen vor, dass mangels Zuständigkeit des Landratsamtes die Voraussetzungen für ein Verkaufsverbot nicht vorlägen, da es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt nicht um ein Lebensmittel, sondern um einen Scherzartikel handele.
5
Mit Bescheid vom 16. September 2020 untersagte das Landratsamt für den Antragsgegner der Antragstellerin das Inverkehrbringen des Produkts „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“, unverzüglich nach Erhalt des Bescheides (Nr. 1.1). Weiter forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf vorzulegen: den aktuellen Warenbestand, Schreiben an die Wiederverkäufer mit der Information über den Verkaufsstop sowie die Liste aller mit dem Produkt belieferten Wiederverkäufer mit Kontaktdaten, bis 21. September 2020, 08:00 Uhr (Nr. 1.2). Für den Fall eines Verstoßes gegen die in Nr. 1 genannten Anordnungen wurde ein Zwangsgeld angedroht: Für Nr. 1.1 2.000,00 EUR, für die Nrn. 1.2.1, 1.2.2, 1.2.3 je 500,00 EUR (Nr. 2). Der Sofortvollzug für Nr. 1 wurde angeordnet. Die Nrn. 2, 4 und 5 seien kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Nr. 3). Die Antragstellerin wurde als Verursacherin zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet (Nr. 4). Für den Bescheid wurde eine Gebühr von 164,00 EUR festgesetzt. Die Gesamtkosten seien innerhalb von vier Wochen zu begleichen (Nr. 5). In den Gründen des Bescheides ist im Wesentlichen ausgeführt: Das Landratsamt W. sei zuständig. Die Anordnung unter Nr. 2 des Bescheides beruhe auf Art. 138 Abs. 1 und 2 Buchst. d) der Verordnung (EU) 2017/625 (Kontrollverordnung) in Verbindung mit § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB. Hiernach ergreife die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beende und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindere. Die mit Gutachten vom 18. August 2020 durch die AGES festgestellten Beanstandungen verstießen gegen die Kontrollverordnung und die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV). Der Aufdruck auf der Banderole „Bei Bluthochdruck und erektiler Dysfunktion“ sei eine unzulässige krankheitsbezogene Angabe. Auf dem Etikett fehle weiter die verpflichtende Bezeichnung „Zutaten“. Die vorliegende Probe entspreche aus gutachterlicher Sicht daher in ihrer Kennzeichnung und Gesamtaufmachung nicht den Vorschriften der LMIV. Weiterhin fehlten Kennzeichnungselemente gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 NemV. Aufgrund von Art und Ausmaß der einzelnen Mängel und Beanstandungen sei aufgrund der unter Nr. 1 des Bescheides der angegebenen Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung pflichtgemäßen Ermessens der Erlass der dort getroffenen Anordnungen geboten. Sie seien ferner notwendig, um den Betrieb zur Schaffung und Aufrechterhaltung gesetzmäßiger Zustände beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu veranlassen. Die geforderten Unterlagen seien für die Rückverfolgbarkeit des Produkts und der Überprüfung und der Übermittlung der Anordnung an die Wiederverkäufer erforderlich. Die Anordnungen seien zumutbar und angemessen. Auch die Fristen seien angemessen. Das Landratsamt mache von den ihm eingeräumten Ermessensspielraum pflichtgemäß Gebrauch. Es bestehe kein Entschließungsermessen, aber ein Auswahlermessen. Die Maßnahmen seien erforderlich. Mildere Mittel kämen nicht in Betracht. Das an der Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschriften zum Schutz der Verbraucher bestehende öffentliche Interesse überwiege das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin. Es handele sich nicht um einen Scherzartikel. Nach der Gesamtaufmachung sei das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel zu beurteilen. Aufgrund der bestimmungsgemäßen, oralen Aufnahme des Produkts handele es sich bei der Ware um ein Lebensmittel. Die Androhung des Zwangsgelds stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR bzw. 2.000,00 EUR sei nach pflichtgemäßen Ermessen dazu geeignet, dem Betrieb einen Anreiz zu schaffen, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Angesichts der Tatsache, dass der Betrieb das beanstandete Produkt nicht freiwillig vom Markt genommen habe, sei die Höhe der Zwangsgelder verhältnismäßig. Die sofortige Vollziehung sei im öffentlichen Interesse angeordnet worden. Es liege im öffentlichen Interesse, die Vorschriften zum Verbraucherschutz ohne Verzögerung durchzusetzen. Durch die mangelhafte Kennzeichnung sei der Schutz von Verbrauchern vor Täuschung nicht ausreichend gewährleistet. Außerdem liege ein Verstoß gegen das Abgabeverbot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 der Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung und Verstöße gegen die Kennzeichnungsvorgaben der Nahrungsergänzungsmittelverordnung vor. Die zur Beseitigung dieser Mängel erforderlichen Maßnahmen müssten im Interesse des Schutzes der Verbraucher ohne zeitliche Verzögerung durchgesetzt werden können. Dem stünden keine gleichwertigen oder gar überwiegenden Interessen der Antragstellerin gegenüber, die im Falle einer mit aufschiebender Wirkung versehenen Anfechtungsklage ein Zuwarten bis zum zeitlichen noch nicht absehbaren Eintritt der Unanfechtbarkeit rechtfertigen könnten. Die Kostenentscheidung stütze sich auf Art. 138 Abs. 4 Kontrollverordnung in Verbindung mit dem Bayerischen Kostengesetz.
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2. Am 21. September 2020 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 8 K 20.1370 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu Ziffer 1 des Bescheides wird aufgehoben.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage wird wiederhergestellt, soweit sich diese gegen die Androhung eines Zwangsgeldes, die Kostentragung des Verfahrens und die Gebühr des Bescheides richtet.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Das Landratsamt W. sei nicht zuständig zum Erlass des Anordnungsbescheides. Bei dem Produkt handle es sich nicht um ein Lebensmittel, sondern um einen Scherzartikel. Das Produkt sei auch entsprechend als Scherzartikel gekennzeichnet. Insoweit werde der aktuelle Screenshot übermittelt. Daraus lasse sich erkennen, dass das Produkt nunmehr explizit als Scherzartikel gekennzeichnet sei und dass ein deutlicher Hinweis darauf erfolge, dass der Inhalt nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sei. Zudem genügten die Ausführungen im Bescheid nicht den formellen Begründungsanforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Aus der Begründung gehe nicht nachvollziehbar hervor, aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräume. Insoweit erfolge lediglich der Hinweis, dass ein möglicher Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften vorliege. Es handle sich um formelhafte, also für beliebige Fallgestaltungen passende Wendungen. Eine ordnungsgemäße Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG sei nicht erfolgt. Die Frist sei zu kurz gewesen. Das Landratsamt habe außerdem die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Im vorliegenden Fall wäre eine Vorgehensweise nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 9 LFGB in Verbindung mit § 40 LFGB milder gewesen. Der Antragsgegner hätte den Verbraucher öffentlich auf eine vermeintliche Irreführung/Täuschung der Antragstellerin hinweisen können. Eine Untersagung des Inverkehrbringens wäre im vorliegenden Fall nur dann angezeigt gewesen, sofern tatsächlich eine unmittelbar drohende Gefahr für die Gesundheit für den Verbraucher abzuwehren gewesen wäre. Im Streit stehe lediglich, ob das Produkt überhaupt lebensmittelrechtlichen Vorschriften unterfalle und ob Kennzeichnungsvorschriften eingehalten seien. Aus den gleichen Erwägungen sei auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsgelds begründet.
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3. Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2020:
Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Das Landratsamt sei für den Erlass des Anordnungsbescheides zuständig. Die AGES habe in ihrem Gutachten festgestellt, dass es sich vorliegend um ein Nahrungsergänzungsmittel handele. Ergänzend werde auf die Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 29. September 2020 (Anlage) verwiesen. Trotz Umdeklarierung als Scherzartikel sei das Produkt aufgrund der vorliegenden Informationen und in der Gesamtschau von Zweckbestimmung, Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung weiterhin als Lebensmittel im Sinne von Art. 2 VO (EG) 178/2002 zu beurteilen. Die Definition stelle alternativ auch darauf ab, ob die Aufnahme durch den Menschen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden könne. Entgegen der Darstellung der Antragstellerin sei das besondere Interesse gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden. Es sei ausdrücklich darauf eingegangen worden, dass der Schutz von Verbrauchern vor Täuschung nicht ausreichend gewährleistet sei, ein Verstoß gegen das Abgabeverbot und Verstöße gegen die Kennzeichnungsvorgaben vorlägen. In den Erwägungsgründen Nr. 23 der Verordnung (EU) 1169/2011 heiße es, um auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes der Verbraucher ein hohes Niveau zu erreichen und das Recht der Verbraucher auf Informationen zu gewährleisten, solle sichergestellt sein, dass der Verbraucher in Bezug auf Lebensmittel, die sie verzehrten, in geeigneter Weise informiert würden. Das Lebensmittelinformationsrecht solle die Verwendung von Informationen verbieten, die die Verbraucher irreführen würden. Ohne Anordnung des Sofortvollzugs würde das Produkt weiter in Verkehr gebracht werden. Im Interesse der Verbraucher könne nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden, zumal das Produkt nach einer Anpassung des Etiketts - entsprechend der rechtlichen Vorgaben - wieder in Verkehr gebracht werden dürfte. Den Anforderungen an eine Anhörung sei genügt. Die Antragstellerin habe keine Fristverlängerung beantragt. Die von der Antragstellerin vorgeschlagene Veröffentlichung nach § 40 LFBG scheide aus, weil kein Risiko für die Gesundheit bestehe (§ 40 Abs. 1 LFBG). Gleiches gelte im Ergebnis für die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFBG, da kein Bußgeld von mindestens 350,00 EUR zu erwarten sei. Es sei vorgesehen, den Vorgang an die Staatsanwaltschaft abzugeben. § 39 Abs. 2 LFBG setze demgegenüber eine Gesundheitsgefahr nicht voraus. Die Antragstellerin habe sich geweigert, das Produkt freiwillig vom Markt zu nehmen. Bei anderen Maßnahmen würde das beanstandete Produkt trotzdem weiterhin ungehindert in den Verkehr gebracht und somit den Zielen des Verbraucherschutzes zuwiderlaufen.
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In der beigefügten Stellungnahme des LGL vom 29. September 2020 ist im Wesentlichen ausgeführt: Das streitgegenständliche Produkt sei zunächst nach seiner allgemeinen Zweckbestimmung als Lebensmittel einzustufen, da es der Gattung der Nahrungsergänzungsmittel angehöre. Verwendungszweck von Nahrungsergänzungsmitteln sei die Aufnahme durch die Menschen. Dem stünde nicht die Zweckbestimmung als Scherzartikel entgegen. Eine Änderung der allgemeinen Zweckbestimmung sei nur dann möglich, wenn für den Verbraucher eindeutig erkennbar und zweifelsfrei feststehe, dass der Stoff nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt sei. Der Aufkleber, dass der Inhalt nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sei, könne zwar dahin verstanden werden, dass die Verwendung zum menschlichen Verzehr ausgeschlossen worden sei. Auch sei die Verwendung zum Scherzartikel nicht vollkommen ungeeignet. Das Produkt sei aber trotzdem als Lebensmittel zu betrachten, da für den Verbraucher gerade nicht eindeutig erkennbar und zweifelsfrei feststehe, dass der Stoff nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt sei. Der neu angebrachte Aufkleber verdecke die ursprüngliche Kennzeichnung als Lebensmittel nur zu einem kleinen Teil, insbesondere die krankheitsbezogene Angabe („Bei Bluthochdruck und erektiler Dysfunktion“). Zum großen Teil erscheine das Produkt aufgrund seiner Kennzeichnung und Aufmachung für den Verbraucher jedoch nach wie vor als Lebensmittel. Es enthalte insbesondere auch eine Verzehrempfehlung (wenn auch für Weihnachtsmänner), was im Widerspruch dazu stehe, dass das Produkt ausweislich der angebrachten Aufkleber für den menschlichen Verzehr ungeeignet sei. Zudem werde das Produkt weiterhin als Nahrungsergänzungsmittel deklariert und sei im Onlineshop auch unter der Kategorie „Nahrungsergänzungsmittel“ zu finden. Für eine Zweckbestimmung als Lebensmittel spreche schließlich noch, dass die Antragstellerin in einem Video das Produkt mit den Sätzen anpreise wie: „Lest mal darüber, was Arginin im menschlichen Körper bewirkt - weil die Weihnachtsmänner, die wissen es schon lange“. Gerade auch die Kommentierung der Kunden des Lebensmittelunternehmers verdeutlichten, dass diese die Produkte weiterhin als Lebensmittel ansähen. In Betracht käme allenfalls, das Produkt neben einer Verwendung als Lebensmittel auch als Scherzartikel zu verwenden. Gerade wegen des höheren Schutzniveaus der lebensmittelrechtlichen Vorschriften sei dann eine weite Auslegung des Lebensmittelbegriffs geboten. Lediglich ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV dürfte nicht mehr gegeben sein. Ob das Etikett hier gegebenenfalls offensichtlich abziehbar sei und sich darunter gegebenenfalls die ursprüngliche Deklarierung befinde, bedürfe einer Tatsachenfeststellung und sei zunächst eine fachlich zu bewertende Fragestellung.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 20.1370) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
13
Der Sofortantrag ist bei verständiger Würdigung des von der Antragstellerin offenbarten Begehrens unter Berücksichtigung ihres Interesses gemäß § 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO dahingehend auszulegen, dass sie die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Nr. 1 des Bescheides vom 16. September 2020 sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nrn. 2, 4 und 5 des Bescheides gemäß § 80 Abs. 5 VwGO begehrt.
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Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides entfällt im vorliegenden Fall, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Die Nrn. 2, 4 und 5 sind gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 i.V.m. Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind und trifft im Übrigen eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im ausreichenden Maße schriftlich begründet. Ausreichend ist jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Je nach Fallgestaltung können die Gründe für die sofortige Vollziehung auch ganz oder teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein. Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid unter Bezug auf verschiedene lebensmittelrechtliche Vorschriften ausgeführt, dass die zur Beseitigung der Mängel erforderlichen Maßnahmen im Interesse des Schutzes der Verbraucher ohne zeitliche Verzögerung durchgesetzt werden müssen. Er hat dem auch die Interessen der Antragstellerin gegenübergestellt. Daraus wird deutlich, dass sich der Antragsgegner die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit des Sofortvollzugs bewusstgemacht hat. Damit ist der Forderung, die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs anzugeben, auch mit Blick darauf, dass die hier zur Begründung des Verwaltungsakts angestellten Erwägungen zugleich für die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, Rechnung getragen. Denn bei lebensmittelrechtlichen Anordnungen im Interesse des Verbraucherschutzes fällt das besondere öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug (Vollzugsinteresse) regelmäßig mit dem Erlassinteresse zusammen. Die weitere Frage, ob die vom Antragsgegner angeführte Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs in der Sache trägt, ist eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit und damit des materiellen Rechts (OVG Bln-Bbg, B.v. 21.8.2020 - OVG 5 S 39.19 - juris; OVG NRW, B.v. 11.8.202019 - 13 B 717/20- juris; BayVGH, B.v. 27.17.2017 - 20 CS 17.1609 - juris).
18
Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die getroffene Regelung ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Unabhängig davon ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung zu erkennen. Dass die Voraussetzungen der Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“ sowie der Begleitmaßnahmen im vorliegenden Fall gegeben sind, hat der Antragsgegner in seinem Anordnungsbescheid vom 16. September 2020, auf dessen Gründe, die sich das Gericht zu eigen macht, zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO analog), zutreffend begründet. Das Vorbringen der Antragstellerin führt zu keiner anderen Beurteilung.
19
Soweit die Antragstellerseite einen Anhörungsmangel geltend macht, ist festzuhalten, dass eine Anhörung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und damit zum Abschluss des gegenwärtig noch anhängigen Hauptsacheverfahrens nachgeholt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 - 23 S 20.383 - juris). Abgesehen davon hatte die Antragstellerseite trotz der kurz gesetzten Frist schon im Behördenverfahren Stellung genommen und hatte weiter die Möglichkeit, ihr Vorbringen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO zu vertiefen. Die Antragsgegnerseite hat zum Vorbringen der Antragstellerin sowohl in dem streitgegenständlichen Bescheid als auch in der Antragserwiderung jeweils ausführlich Stellung genommen.
20
Vorliegend handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“ um ein Lebensmittel nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002. Danach sind Lebensmittel alle Stoffe, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeiteten, teilweise verarbeiteten oder unverarbeiteten Zustand von Menschen aufgenommen werden. Der Begriff des Lebensmittels ist dem Schutzzweck des Gesetzes entsprechend weit auszulegen. Erfasst werden alle Stoffe, die dazu bestimmt sind, verzehrt zu werden, auch wenn daneben noch ein anderer Verwendungszweck möglich ist. Ein generell zum Verzehr bestimmter Stoff hört erst dann auf Lebensmittel zu sein, wenn ein anderer Verwendungszweck eindeutig feststeht und erkennbar ist. Eine bloß abweichende Bezeichnung genügt dafür nicht (vgl. Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 231. EL Juli 2020, § 2 LFBG Rn. 7 ff.). Die primär subjektive Zweckbestimmung durch den verantwortlichen Lebensmittelunternehmer wird durch die nach objektiver Auffassung zu bestimmende Frage, ob die Aufnahme des betroffenen Stoffes vernünftigerweise erwartet werden kann, korrigiert (vgl. Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 4 Rn. 5). An die Erkennbarkeit einer Zweckänderung sind strenge Anforderungen zu stellen. Zwar sind Spielwaren sowie Scherzartikel zunächst keine Lebensmittel (vgl. § 2 Abs. 6 Nr. 5 LFGB). Etwas anderes gilt, wenn ihre Verzehrbestimmung nicht aufgehoben ist, wie etwa bei Scherzpralinen (mit Essig gefüllt), mit Senf gefüllte Krapfen an Fasching, Schokoladenzigaretten sowie Schokoladentäfelchen, Zuckerwaren, Backwaren, Süßigkeiten in Wein- und Spirituosenfläschchen, die für den Spielzeugkaufladen vertrieben werden. Derartige Produkte haben neben ihrer Funktion als Scherzartikel oder Spielwaren gleichzeitig die Lebensmitteleigenschaft (vgl. zum Ganzen Rathke in Zipfe/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand 176. EL März 2020, § 2 EG-Lebensmittel-Basisverordnung Rn. 23 f., 26 f., Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch 8. Onlineauflage 2019, § 2 LFGB Rn. 3 f.).
21
In der vom Antragsgegner vorgelegten Stellungnahme des LGL vom 29. September 2020 ist plausibel und zutreffend ausgeführt, dass ein Produkt, das sowohl als Lebensmittel als auch als Scherzartikel verwendet werden kann, jedenfalls den lebensmittelrechtlichen Vorschriften unterfällt, um dem höheren Schutzniveau des Lebensmittelrechts gerecht zu werden. Hinzu kommt vorliegend, dass nach Überzeugung des Gerichts entsprechend der Definition des Lebensmittels weiter davon auszugehen ist, dass das streitgegenständliche Produkt nach vernünftigem Ermessen erwartungsgemäß von Menschen aufgenommen wird und dass der Verzehr und die Aufnahme durch andere Menschen auch weiterhin von der Antragstellerin intendiert sind. Dem Gericht drängt sich der Eindruck auf, dass die Antragstellerin durch den Aufdruck „nicht zum menschlichen Verzehr“ geeignet bzw. „Scherzartikel“ primär die lebensmittelrechtlichen Vorschriften umgehen will. Denn ausweislich des von der Antragstellerseite vorgelegten Ausdrucks wird das Produkt weiterhin unter der Rubrik „Nahrungsergänzungsmittel“ also bei den Lebensmitteln vertrieben, die Verzehrempfehlung richtet sich offenkundig auch an Menschen, selbst wenn sie äußerlich auf einen Weihnachtsmann Bezug nimmt. Für eine Lebensmittel spricht auch die ausdrückliche Nennung des Inhaltsstoffes „L-Arginin + L-Citrullin“, die bei einem Scherzartikel für den Weihnachtsmann keinen Sinn machen würde, sondern weiterhin auf einen menschlichen Konsumenten abzielt. Des Weiteren ist die krankheitsbezogene Angabe „Bei Bluthochdruck und erektiler Dysfunktion“ offenbar nicht endgültig und dauerhaft überklebt. Vielmehr scheint es möglich, dass sich das entsprechende Etikett bei der Öffnung des Produkts ablösen lässt. Des Weiteren hat das LGL in seiner Stellungnahme vom 19. September 2020 auf ein Video und die Resonanz darauf hingewiesen, das gerade Menschen anspricht und auf die Wirkung des Produkts im menschlichen Körper hinweist. So, wie das Produkt angepriesen und beworben wird, spricht gesamtbetrachtet weiterhin alles für ein Lebensmittel. Die formal gegenläufigen Aufdrucke sind offensichtlich nur zum Schein angefügt.
22
Unter der Gesamtbetrachtung der Zweckbestimmung der Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung und auch der Intention der Antragstellerin soll das Produkt wohl weiterhin von Menschen erworben und aufgenommen werden, so dass die Lebensmitteleigenschaft weiterhin zu bejahen ist.
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Selbst wenn man anderer Auffassung sein wollte, wäre der Bescheid trotzdem rechtmäßig, weil das Produkt, das von der AGES begutachtet worden ist, augenscheinlich die Hinweise zum Scherzartikel und zur Ungeeignetheit für den menschlichen Verzehr nicht enthalten hat und das streitgegenständliche Produkt darüber hinaus im Internet weiterhin auch ohne diese beschränkenden Hinweise angeboten wird, und zwar konkret mit Bezugnahme auf die Antragstellerin. Um auch dagegen vorzugehen, hat der Anordnungsbescheid gerade unter Nr. 1.2 Maßnahmen angeordnet, um sicherzustellen, dass auch die Wiederverkäufer über den Verkaufsstopp informiert sind und dass dies im Sinne einer Rückverfolgbarkeit auch kontrolliert werden kann.
24
Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass bei entsprechender Anpassung der Etikettierung die Kennzeichnungsmängel behoben werden könnten und das Produkt weiterhin als Lebensmittel vorschriftsmäßig verkauft werden könnte. Gleichermaßen ist umgekehrt nicht ausgeschlossen, dass bei entsprechender weiterer Veränderung der Aufmachung des Produkts die Lebensmitteleigenschaft verloren geht. So könnte etwa eindeutig sichergestellt werden, dass es keinesfalls verzehrt werden soll und wird, etwa durch Weglassen der Bezeichnung des konkreten Inhaltsstoffes des Pulvers und durch Weglassen krankheitsbezogener Angaben und der Verzehrempfehlung für Menschen sowie weiterer Angaben, die im Zusammenhang mit einem menschlichen Verzehr stehen könnten. Vorliegend braucht aber nicht abschließend entschieden zu werden, wann dieser Punkt erreicht wird.
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Vorliegend hat das Gericht jedenfalls bei summarischer Prüfung keine Zweifel, dass es sich bei dem von der Antragstellerin vertriebenen Produkt in der Vergangenheit eindeutig um Lebensmittel gehandelt hat und auch bei den noch im Verkehr befindlichen Teilen eindeutig um Lebensmittel handelt und dass weiter auch die nunmehr als Scherzartikel bezeichneten Produkte trotz der Umdeklarierung weiter als Lebensmittel zu behandeln sind.
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Das Gericht hat des Weiteren keine rechtlichen Bedenken, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 und 2 Buchst. d der Kontrollverordnung sowie des § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB erfüllt sind, wobei die europarechtliche Vorschrift des Art. 138 Kontrollverordnung in ihrem Anwendungsbereich Vorrang genießt (vgl. zur Vorgängerregelung schon VG Würzburg, B.v. 27.7.2018 - W 8 S 18.904 - LMuR 2018, 261, mwN).
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Wie im streitgegenständlichen Bescheid unter Bezugnahme auf das Gutachten des AGES vom 18. August 2020 zutreffend ausgeführt, liegt weiter ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 und 4 der LMIV vor. Infolge des Aufdrucks „Bei Bluthochdruck und erektiler Dysfunktion“ macht die Antragstellerin eine unzulässige krankheitsbezogene Angabe. Denn nach Art. 7 Abs. 3 LMIV i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB sind Informationen verboten, die sich auf menschliche Krankheiten beziehen. Erfasst werden alle möglichen Informationen, mit denen die menschliche Krankheit angesprochen werden kann. Es reicht, wenn durch die Informationen Assoziationen mit Krankheiten entstehen (Rathke in Zipfe/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand 176. EL März 2020, Art. 7 LMIV Rn. 410 ff.; OLG Karlsruhe, U.v. 11.10.2017 - 6 U 59/16 - Magazindienst 2018, 133). Von besonderer Bedeutung ist auch, ob die Angaben schlagwortartig herausgestellt werden oder den Blickfang bilden (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand 176 EL März 2020, Art. 7 LMIV Rn. 479). Mit dieser Regelung soll der Gefahr begegnet werden, dass Lebensmittel als Arzneimittelersatz angesehen und ohne unzureichende Aufklärung zur Selbstbehandlung eingesetzt werden. Eine Aussage ist demnach krankheitsbezogen, wenn sie dem angesprochenen Verbraucher direkt oder indirekt suggeriert, das Lebensmittel, für das geworben wird, könnte zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beitragen (OLG Frankfurt, U.v. 12.9.2019 - 6 U 114/18 - LMuR 2020, 26; Brandenburgisches OLG, U.v. 26.2.2019 - 6 U 84/18 - LMuR 2019, 111; Grube in Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 7 Rn. 291 u. 297). Mit dem schlagwortartigen Bezug auf Bluthochdruck und erektile Dysfunktion werden offenkundig gerade solche krankheitsbezogenen Angaben gemacht.
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Bei der Gelegenheit wird noch darauf hingewiesen, dass es sich vorliegend nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Lebensmittel handelt. In den aktenkundigen Informationen, gerade im Gutachten des Österreichischen Bundesamtes für Sicherheit und Gesundheitswesen (BASG), ist festgehalten, dass keine Arzneimittelwirkstoffe festgestellt werden konnten. Das streitgegenständliche Produkt hat damit keine pharmakologischen Eigenschaften bzw. keine pharmakologische Wirkung. Ein Erzeugnis ist jedenfalls dann nicht als Arzneimittel einzustufen, wenn die durch die empfohlene oder wahrscheinliche Dosierung erzielten Wirkungen nicht über Wirkungen hinausgehen, die auch durch den normalen Verzehr eines Lebensmittels erzielt werden können. Eine Einstufung als Arzneimittel erfordert hingegen stets den positiven wissenschaftlichen Beleg einer darüberhinausgehenden Wirkung, einer pharmakologischen Wirkung (vgl. Hagenmeyer/Teufer, in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand 50. EL März 2020 C. IV. Lebensmittelrecht Rn. 103).
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Ergänzend wird noch angemerkt, dass ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 und 4 LMIV (erst) dann entfiele, wenn die entsprechende krankheitsbezogene Angabe künftig vollständig und zuverlässig verdeckt würde oder der entsprechende Aufdruck bei einem anders gestalteten Etikett ganz unterbliebe.
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Weiter hat das österreichische Gutachten der AGES eindeutig festgestellt, dass mit dem Fehlen des Wortes „Zutaten“ ein Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 LMIV vorliegt. Darüber hinaus fehlen Kennzeichnungselemente gemäß § 4 Abs. 2 Nrn. 3 bis 5 NemV. Auch insoweit kann auf das Gutachten der AGES vom 18. August 2020 sowie den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden.
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In der Sache hat die Antragstellerseite gegen die gutachtlich monierten Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, insbesondere unzulässige Angaben und Kennzeichnungsverstöße, nichts eingewendet; Rechtsfehler sind auch sonst nicht ersichtlich.
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Die streitgegenständlichen Anordnungen sind des Weiteren nicht ermessensfehlerhaft. Sie sind insbesondere nicht unverhältnismäßig. Konkret sind keine milderen Mittel ersichtlich.
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Soweit die Antragstellerseite § 40 LFGB als milderes Mittel angesprochen hat, hat der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 2. Oktober 2020 plausibel und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1 LFGB bzw. § 40 Abs. 1a LFGB überhaupt nicht vorliegen, weil zum einen kein Risiko für die Gesundheit festgestellt wurde und zum anderen keine Bußgelderwartung von 350,00 EUR im Raum steht, sondern eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft geplant ist.
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Abgesehen davon leuchtet es dem Gericht nicht ein, inwiefern eine Information der Öffentlichkeit nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 9 i.V.m. § 40 LFGB ein milderes und für die Antragstellerin weniger einschneidendes Mittel sein sollte. Denn dann würden nicht nur die Abnehmer und Wiederverkäufer informiert, sondern die Öffentlichkeit einschließlich der Endverbraucher würde über die lebensmittelrechtlichen Verstöße der Antragstellerin in Kenntnis gesetzt, was nach Auffassung des Gerichts größere und nachhaltigere Nachteile für die Antragstellerin mit sich brächte. Zudem hat es die Antragstellerin selbst in der Hand, durch die Anpassung und Modifizierung des Etiketts eine regelgerechte Kennzeichnung des streitgegenständlichen Produkts herzustellen.
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Letztlich hat das Gericht gegen die unter Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheides getroffenen Regelungen bei summarischen Prüfung keine rechtlichen Bedenken. Das Gleiche gilt im Ergebnis hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen und der Bescheidskosten. Insofern hat die Antragstellerseite nichts Konkretes vorgebracht, so dass auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden kann.
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Schließlich spricht auch eine Interessenabwägung für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Denn die sofortige Vollziehung der im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Maßnahmen für den Schutz der Verbraucher sind im überwiegenden öffentlichen Interesse geboten. Im Rahmen der zu treffenden Güterabwägung ist der nicht zu verkennende Nachteil, den die getroffenen Anordnungen der Antragstellerin auferlegen, nicht schwerer zu gewichten als das entgegenstehende öffentliche Interesse. Denn der Schutzzweck der lebensmittelrechtlichen Vorschriften greift nicht erst bei einer Gesundheitsgefahr, sondern auch bei einer Verbrauchertäuschung oder Irreführung. Zudem ist es nicht hinnehmbar, unzulässige krankheitsbezogene Angaben bis zu einer möglichen Entscheidung in der Hauptsache in der Welt zu lassen. Denn mit der Regelung des Art. 7 LMIV soll gerade - wie ausgeführt - der Gefahr begegnet werden, dass ein Lebensmittel, hier konkret ein Nahrungsergänzungsmittel, als Arzneimittelersatz angesehen und ohne zureichende Aufklärung zur Selbstbehandlung eingesetzt wird. Soweit die Antragstellerseite dagegen einwendet, das Produkt „L-Arginin + L-Citrullin für Weihnachtsmänner“ solle neuerdings ein Scherzartikel sein, ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass die Antragstellerin ihr Produkt weiter vertreiben will, ohne die einschlägigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften einhalten zu wollen, obwohl - wie ausgeführt - nach den Gesamtumständen realitätsnah zu erwarten ist, dass das streitgegenständliche Produkt weiterhin als Lebensmittel (Nahrungsergänzungsmittel) angesehen und als solches vom Menschen aufgenommen wird. Sollte die Antragstellerin durch Scheindeklarierungen bewusst die lebensrechtlichen Vorgaben umgehen wollen, würde sich - ohne dass es hier darauf streiterheblich ankommt - ohnehin die Frage stellen, ob sie generell noch die Gewähr bietet, ihr Lebensmittelunternehmen ordnungsgemäß zu führen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs. Nach Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs richtet sich der Streitwert nach dem Auffangwert, weil sich die wirtschaftlichen Auswirkungen des streitgegenständlichen Anordnungsbescheids nicht im Einzelnen beziffern lassen. Der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.