Inhalt

VG München, Urteil v. 17.07.2020 – M 27 K 17.46775
Titel:

Unbegründeter Antrag auf Asylanerkennung

Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 81
GG Art. 16a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 92 Abs. 2
Leitsatz:
Ein Anspruch auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes besteht nicht, wenn keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage entnehmen lässt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, Unbegründeter Antrag auf Asylanerkennung, Vorliegen von Abschiebungsverboten (verneint), Anlasslose Betreibensaufforderung, Asylverfahren, Jordanien, kein asylrechtlich relevanter Vortrag, keine Verfolgungslage, keine Bedrohungslage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.09.2020 – 15 ZB 20.31784
Fundstelle:
BeckRS 2020, 26744

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der 1992 geborene Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger mit palästinensischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 25. April 2016 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte dort am 10. Juni 2016 einen Asylantrag.
2
In einer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 19. Dezember 2016 trug der Kläger im Wesentlichen zur Begründung seines Asylantrags vor, er habe in Jordanien 12 Jahre die Schule besucht, jedoch keinen Abschluss gemacht, und dann in Jordanien als Friseur in einem eigenen Geschäft gearbeitet. Der Hauptgrund für das Verlassen Jordaniens sei seine schlechte Finanzsituation gewesen, er habe für die gesamte Familie sorgen müssen. Vor seinem Verlassen Jordaniens im April 2016 habe er zusammen mit seinem Vater, seinen drei Brüdern und seinen fünf Schwestern in dem Ort … gelebt. Bei einer Rückkehr nach Jordanien fürchte er, aufgrund seines hier gestellten Asylantrags dort mit staatlichen Stellen Probleme zu bekommen, insbesondere mit dem jordanischen Geheimdienst, weil er Palästinenser sei. Palästinenser und Jordanier würden in Jordanien nicht gleichbehandelt werden. Der jordanische Geheimdienst würde in der jordanischen Botschaft von seinem Asylantrag Kenntnis erhalten. Er fürchte, bei einer Rückkehr nach Jordanien noch am Flughafen festgenommen, unter Druck gesetzt und geschlagen zu werden.
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Mit Bescheid vom 31. Juli 2017, mit Postzustellungsurkunde am 2. August 2017 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dessen Asylantrag sowie dessen Antrag auf subsidiären Schutz als unbegründet ab (Nr. 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Jordanien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keine begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden glaubhaft machen können. Insbesondere habe er keine Verfolgungshandlung im flüchtlingsrechtlichen Sinn vorgetragen. Seine pauschale Behauptung, dass jordanische Palästinenser in Jordanien benachteiligt würden, reiche nicht aus. Seine Annahme, dass er bei der Rückkehr nach Jordanien vom jordanischen Geheimdienst bereits am Flughafen festgenommen und misshandelt werden würde, sei rein spekulativ, hierzu gebe es keine Erkenntnisse. Auch gebe es keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Der Kläger erhob am 9. August 2017 unter der Adresse „… *“ in … zur Niederschrift Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt sinngemäß,
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unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 31. Juli 2017 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, den subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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Zur Begründung seiner Klage nimmt der Kläger Bezug auf sein mündliches Vorbringen gegenüber dem Bundesamt. Er fürchte sich vor Misshandlung und Unterdrucksetzung bei der Rückkehr nach Jordanien.
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Die Beklagte legte am 22. August 2017 die Behördenakten vor. Mit Schriftsatz vom 23. November 2018 beantragt sie,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Gründe im angefochtenen Bescheid und weist ergänzend darauf hin, dass es sich nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde beim Kläger um einen mehrfach straffällig gewordenen Asylbewerber handele. Deshalb werde angeregt, das vorstehende Gerichtsverfahren priorisiert zu behandeln. Das Gericht forderte daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 28. November 2018 auf, innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung dieses Schreibens seine derzeitige Anschrift mitzuteilen. Sollte er dieser Aufforderung nicht fristgemäß nachkommen, gelte die Klage gemäß § 92 Abs. 2 VwGO als zurückgenommen. Auf dieses an die Adresse „… … *“ in … mit Postzustellungsurkunde am 4. Dezember 2018 dem Kläger zugestellte Schreiben erfolgte keine Reaktion.
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Mit Beschluss vom 28. Oktober 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2020 führte der Kläger auf Frage des Gerichts nach dem Hauptgrund für sein Verlassen Jordaniens im April 2016 im Wesentlichen aus, er sei nach dem Tod seines Bruders und seiner Mutter, die jeweils 2014 gestorben seien, nervlich sehr stark angespannt gewesen. Obwohl er es in der Zeit von 2014 bis 2016 versucht habe, habe er nicht mehr normal leben können. Deshalb habe er das Land verlassen. Bei einer Rückkehr nach Jordanien habe er Sorge, als Palästinenser vom jordanischen Geheimdienst misshandelt zu werden und wegen seiner hiesigen Asylbeantragung Schwierigkeiten zu bekommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig. Sie gilt insbesondere nicht deshalb als zurückgenommen, weil der Kläger nach Aktenlage nicht auf das gerichtliche Schreiben vom 28. November 2018 zur Mitteilung seiner derzeitigen Anschrift innerhalb von zwei Monaten reagiert hat. Unabhängig davon, dass eine Betreibensaufforderung nach der spezielleren Vorschrift des § 81 Satz 1 AsylG im Gegensatz zu § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO eine Reaktion des Asylbewerbers bereits binnen eines Monats verlangt, gab es für diese Betreibensaufforderung des Gerichts zum damaligen Zeitpunkt keinen Anlass. Insbesondere war die Wohnanschrift des Klägers, die er bereits bei seiner Antragstellung zur Niederschrift bei Gericht am 9. August 2017 angegeben hatte („… *“ in …*) nicht zweifelhaft geworden. Auch die Beklagte hatte gegenüber dem Gericht vor Erlass dieses Schreibens keine Zweifel daran geäußert, dass diese Wohnanschrift nicht (mehr) zutreffend sein könnte. Da deshalb begründete Zweifel an einem Interesse des Klägers am Fortführen seines Klageverfahrens nicht begründet waren, war die gerichtliche Aufforderung vom 28. November 2018 zu Unrecht ergangen, sodass sich hieraus auch nicht die Fiktion einer Klagerücknahme nach § 81 Satz 1 AsylG bzw. nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO ableiten lässt (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 5.7.2000 - 8 B 119.00 - NVwZ 2000, 1297; B.v. 12.4.2001 - 8 B 2.01 - NVwZ 2001, 918; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 16).
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Die Klage ist jedoch unbegründet, da der angegriffene Bescheid auch bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, der auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die von ihm zur Begründung seines Asylantrags genannten Gründe sind ohne flüchtlings- bzw. asylrechtliche Relevanz. Wegen der näheren Begründung wird insoweit unter Absehen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angegriffenen Bescheids des Bundesamts, der das Gericht folgt, Bezug genommen.
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Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage entnehmen lässt, und dass er auch hiernach weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und auch nicht auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG hat. Das gilt auch für die von ihm vorgetragene nervliche Anspannung zwischen 2014 und 2016 aufgrund des vorangegangenen Todes zweier Familienangehörige. Aus denselben Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Auch insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts Bezug genommen.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.