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VG München, Urteil v. 17.07.2020 – M 27 K 17.70226
Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Die begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden muss glaubhaft gemacht werden. Pauschale und detailarme Angaben sprechen für einen unglaubwürdigen Sachvortrag. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, „ipsofacto“-Flüchtling (verneint), Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten (verneint), Palästinensische Volkszugehörigkeit, Jordanische Staatsangehörigkeit, Abschiebungsandrohung mit Zielstaat Jordanien, Asylverfahren, Jordanien, unglaubwürdiger Sachvortrag
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.10.2020 – 15 ZB 20.31851
Fundstelle:
BeckRS 2020, 26741

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der 1980 in Damaskus/Syrien geborene Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger, Sunnit und Inhaber eines jordanischen Passes mit der Nationalnummer … (Bl. 55 d. Behördenakte - BA). Er war am 23. April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und stellte dort am 9. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2
In einer Anhörung durch das Bundesamt für ... (Bundesamt) am 11. Oktober 2016 trug der Kläger im Wesentlichen zur Begründung seines Asylantrags vor, er sei syrischer Staatsangehöriger, habe Syrien im November 2014 verlassen und sei über Jordanien, wo er sich drei Monate aufgehalten habe, nach Deutschland gekommen. Von seiner Ehefrau in Syrien habe er sich mittlerweile getrennt, es bestehe kein Kontakt mehr. In Jordanien habe er noch einen Onkel, aber auch zu diesem keinen Kontakt. Er sei neun Jahre lang zur Schule gegangen habe, dann den Beruf des Hotelfachmanns gelernt und in der väterlichen Autowerkstatt als Automechaniker gearbeitet. Er sei wegen des Krieges aus Syrien geflohen und wolle Frieden und Sicherheit. In arabischen Ländern habe er keine Zukunft, als Palästinenser seien nicht überall willkommen. Nachdem er Syrien verlassen habe, habe er sich für drei Monate in Jordanien aufgehalten, um eine Nachzugsregelung seiner Ehefrau herbeizuführen, was jedoch abgelehnt worden sei. Ein Sachbearbeiter in Jordanien habe dann die Sache an die Polizei weiterleiten wollen. Bei einer Rückkehr nach Jordanien habe er Angst, sofort verhaftet zu werden. Die Polizei suche ihn, weil auch sein Vater, der im Jahr 2012 gestorben sei, damals von ihr gesucht worden sei.
3
Mit Bescheid vom 16. November 2017, am 21. November 2017 dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt, lehnte das Bundesamt dessen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf subsidiären Schutz als unbegründet ab (Nr. 1 und 2) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Jordanien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keine begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden glaubhaft machen können. Hinweise auf eine staatliche Verfolgung von Palästinensern in Jordanien gebe es nicht. Seine Angaben seien pauschal und detailarm. Stempeleintragungen in seinem Reisepass zufolge sei er zwischen 2013 und 2015 mehrfach nach Jordanien gereist und habe sich dort wiederholt aufgehalten, was seinen Sachvortrag insgesamt unglaubwürdig erscheinen lasse. Es gebe auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
4
Der Kläger erhob am 4. Dezember 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt sinngemäß,
5
unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 16. November 2017 die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
6
Zur Begründung seiner Klage lässt der Kläger unter Bezugnahme auf sein Vorbringen gegenüber dem Bundesamt im Übrigen vortragen, in Syrien sei er bei einem ihm Schutz gewährenden Hilfswerk der Vereinten Nationen registriert gewesen. Nachdem er aus Syrien ausgereist sei, habe er nunmehr keine solche Schutzgewährung mehr. Deshalb müsse er bei richtlinienkonforme Auslegung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG als „ipsofacto“-Flüchtling anerkannt werden. Auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 21. Juli 2017 (M 19 K 16.34514) werde hingewiesen.
7
Die Beklagte legte am 20. Dezember 2017 die Behördenakten vor, stellte jedoch keinen Antrag.
8
Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
9
In der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2020 führte der Kläger ergänzend aus, er sei in Jordanien gewesen und dort habe man ihm gesagt, dass er als Palästinenser mit seiner Familie nicht offiziell in Jordanien leben dürfe. Wenn er nach Jordanien zurückkehren müsse, würde er wahrscheinlich sofort verhaftet. Sein Vater sei von jordanischen Sicherheitsbehörden gesucht worden, dieser seit 2012 in Syrien gestorben. Sein Pass unterscheide sich von anderen jordanischen Pässen, er habe keine Nationalnummer. Dieser Pass, den er aus Gründen der Arbeitsaufnahme beantragt habe, werde nicht in allen arabischen Staaten anerkannt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12
Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid auch bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, der auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die vom Kläger zur Begründung seines Asylantrags genannten Gründe sind ohne flüchtlingsrechtliche Relevanz. Wegen der näheren Begründung wird insoweit unter Absehen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angegriffenen Bescheids des Bundesamts, der das Gericht folgt, Bezug genommen.
13
Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage entnehmen lässt, und dass er auch hiernach weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG hat. Aus denselben Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
14
Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger insbesondere nicht deutlich machen können, aus welchem Grund ihm bei einer Rückkehr nach Jordanien Verfolgung oder ernsthafte Gefahr im flüchtlingsrechtlichen Sinn drohen solle. Das Gericht geht hierbei davon aus, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitzt. Für ihn wurde ein jordanischer Pass mit der Nationalnummer … ausgestellt, der von 2013 bis 2018 gültig war. Warum dieser Pass bei Verlängerung der Gültigkeit von Jordanien oder von anderen arabischen Staaten nicht akzeptiert werden sollte, ist nicht erkennbar und auch nicht plausibel vorgetragen. Auch § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG führt nicht zur Begründetheit des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf internationalen Schutz. Aufgrund seiner Registrierung bei dem UN-Hilfswerk UNRWA in Syrien ist der Kläger als Palästinenser schon aufgrund der Sperrwirkung des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG offensichtlich nicht Flüchtling gewesen. Ihm wurde aber nach seinem Verlassen Syriens dieser Schutz dieses Hilfswerks nicht „nicht länger gewährt“ im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG, vielmehr hat sich der Kläger aufgrund seiner jordanischen Staatsangehörigkeit und seines jordanischen Reisepasses seit 2013 wiederholt aus eigenem Entschluss nach Jordanien begeben. Nach den Stempeleintragungen in seinem Pass ist er offensichtlich bereits zwischen 2013 und 2015 mehrfach zwischen Syrien und Jordanien hin und her gereist und hatte sich in Jordanien wiederholt aufgehalten. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 21. Juli 2017 (M 19 K 16.34514) zur Asylklage einer Syrerin ist der Fall des Klägers deshalb nicht zu vergleichen, da dem dortigen Fall die Flucht diese Syrerin aus Syrien zugrunde lag, der diese Möglichkeit des Klägers, nach Jordanien auszuweichen, aufgrund fehlender entsprechender Staatsangehörigkeit versagt geblieben war (vgl. S. 4 d. Urteilsumdr.). Dass der Vater des Klägers vor seinem Tod von der jordanischen Polizei angeblich gesucht worden sei, ist ebenfalls kein Hinweis auf eine persönliche Verfolgung des Klägers in Jordanien im flüchtlingsrechtlichen Sinn.
15
Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in das Land Jordanien sind rechtlich nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die dortige Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Auch insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts Bezug genommen.
16
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
17
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.