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VG München, Urteil v. 15.09.2020 – M 5 K 18.4598
Titel:

Wegeunfall, hier: Schadensersatz verneint mangels Gefährdung des Beamten

Normenketten:
BayBG Art. 98 Abs. 2
VV-BeamtR Abschn. 13 Nr. 1.3
RDGEG § 3, § 5
VwGO § 113 Abs. 5, § 124, § 124a Abs. 4, § 154 Abs. 1
Leitsätze:
1. Nach dem rechtssystematischen Zusammenhang zwischen der Regelung des Sachschadensersatzes und der den Schadensersatz bei einem Dienstunfall regelnden Vorschriften soll die Gewährung von Sachschadensersatz in Fällen, in denen der Beamte keinen Körperschaden erlitten hat, auf Ereignisse beschränkt werden, bei denen bis auf den Körperschaden alle Merkmale eines Dienstunfalls vorgelegen haben und eine unmittelbare körperliche Gefährdung des Beamten bestanden hat; maßgeblich dafür ist im Straßenverkehr die konkret gegebene Verkehrssituation zum Unfallzeitpunkt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im hier zu entscheidenden Fall ist bei realistischer Betrachtung durch den Steinschlag eine Gefährdung des Beamten, einen Körperschaden zu erleiden, nicht bewirkt worden, denn der Aufprall des Steins auf die Frontscheibe des Kraftfahrzeugs des Beamten war nicht kräftig genug, um einen unmittelbaren Personenschaden herbeizuführen, dazu hätte der Stein die Scheibe nämlich durchschlagen müssen, was nicht geschehen ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamter (Lehrer), Wegeunfall, Sachschadensersatz, Durch Steinschlag beschädigte Windschutzscheibe des privaten Kraftfahrzeugs, Körperliche Gefährdung (verneint), Dienstunfall, Beamter, Lehrer, Wohnung der Lebenspartnerin, Familienwohnung, körperliche Gefährdung (verneint), Selbstbeteiligung, Steinschlag, Windschutzscheibe
Fundstelle:
BeckRS 2020, 26152

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger steht als verbeamteter Lehrer in Diensten des Beklagten.
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Mittels der Formulare „Antrag auf Anerkennung eines Dienstunfalls“ und „Antrag auf Sachschadensersatz“ machte der Kläger jeweils unter dem … Juni 2018 einen Schaden in Höhe von 150 EUR Selbstbeteiligung an der Teilkaskoversicherung wegen einer am … April 2018 durch Steinschlag erfolgten Beschädigung der Windschutzscheibe seines privaten Kraftfahrzeugs geltend. Der Schaden sei auf dem Weg von der Wohnung seiner Lebenspartnerin in A zur Grundschule in B entstanden. Als „Familienwohnung“ benannte der Kläger jeweils seine Wohnung in C.
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Die Reparatur hatte laut Rechnung vom 23. Mai 2018 740,18 EUR gekostet.
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Das Landesamt für Finanzen (Landesamt) lehnte die Leistung von Sachschadensersatz mit Bescheid vom ... Juli 2018 ab, weil der Kläger den Weg zum Dienstort nicht an seiner Familienwohnung in C begonnen habe, sondern an der Wohnung seiner Lebenspartnerin in A. Der Schadensfall habe sich somit auf einer dienstunfallrechtlich nicht geschützten Wegestrecke ereignet.
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Die Bevollmächtigte des Klägers legte dagegen mit Schreiben vom ... August 2018 Widerspruch ein. Der Ansicht des Landesamtes könne nicht gefolgt werden, da sie nicht mehr der heutigen gesellschaftlichen Realität entspreche. Der Kläger nächtige regelmäßig bei seiner Lebenspartnerin, so dass der Begriff der Familienwohnung zu seinen Gunsten auszulegen sei und damit auch die Wohnung seiner Lebenspartnerin umfasse. Ein unangemessener Entfernungsunterschied bestehe nicht. Der Kläger habe einen Anspruch auf Ersatz des Schadens an seiner Windschutzscheibe in Höhe von 740,18 EUR.
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Diesen Widerspruch wies das Landesamt mit Widerspruchsbescheid vom … August 2018 zurück. Als Familienwohnung sei die Wohnung anzusehen, wo der Beamte seinen Lebensmittelpunkt habe. In Zweifelsfällen sei eine Meldebescheinigung anzufordern. Das Gesetz gehe davon aus, dass der Beamte nur eine ständige Familienwohnung habe. Unterhalte der Beamte ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnungen, die als ständige Familienwohnungen in Betracht kommen könnten und räumlich nicht mehr als Einheit betrachtet werden könnten, so sei nur diejenige ständige Familienwohnung im dienstunfallrechtlichen Sinne, die dem Dienstort am nächsten liege. Der Ersatz bei Beschädigung eines Kraftfahrzeugs, das aus schwerwiegenden Gründen auf dem Weg zwischen Familienwohnung und Dienststelle benutzt werde, beschränke sich im Einzelfall auf höchstens 300 EUR der nicht gedeckten Kosten. Nach den Angaben des Klägers befinde sich seine Familienwohnung in C, auch wenn er sich regelmäßig in der Wohnung der Lebenspartnerin in A aufhalte. Die Wohnung in C liege auch dem Dienstort am nächsten. Eine Ausweitung der Dienstunfallfürsorge auf abweichende Streckenführungen bleibe dem Gesetzgeber vorbehalten.
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Am 14. September 2018 hat die Bevollmächtigte des Klägers für diesen Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben und mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2018 zunächst Gewährung von Sachschadensersatz in Höhe von 740,18 EUR, hilfsweise von 300 EUR begehrt. Mit Schriftsatz vom 21. November 2018 hat sie - „nach Rücksprache mit dem Kläger“ - beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom … Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom … August 2018 zu verurteilen, an den Kläger Sachschadensersatz in Höhe von 150 EUR zu gewähren.
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Der Weg zur Dienststelle werde vom Kläger zum überwiegenden Teil von A aus angetreten und eben nicht von seiner gemeldeten Familienwohnung in C. Hieraus ergebe sich ein offensichtliches Ungleichverhältnis der Wertung von Wohnsitz zum tatsächlichen Aufenthaltsort. Die Annahme, dass Fahrten von der Wohnung der Lebenspartnerin nicht geschützt seien, weil eine andere Adresse als Familienwohnung hinterlegt sei, sei nicht mehr zeitgemäß. Die finale Handlungsabsicht des Klägers sei eindeutig auf das Erreichen des Dienstortes gerichtet gewesen.
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Das Landesamt hat für den Beklagten mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2018 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es sei nicht richtig, dass zwischen den verschiedenen Strecken kein erheblicher Entfernungsunterschied bestehe. Der kürzeste Weg von der Familienwohnung zur Dienststelle betrage 10,0 km, von der Wohnung der Lebenspartnerin 20,4 km, also nahezu das Doppelte. Die Erweiterung des Dienstunfallschutzes auf Wege von mehreren Wohnsitzen, weil die Beschränkung auf eine Familienwohnung nicht mehr zeitgemäß sei, finde im Gesetz keine Grundlage. Es wäre Sache des Gesetzgebers, dies zu ändern. Die Fürsorgepflicht gebiete dies nicht. Ihr sei durch den Unfallschutz für den Weg zur Familienwohnung und zusätzlich einer weiteren, näher bei der Dienststelle gelegenen Unterkunft genüge getan. Würde der Kläger die Wohnung in A zu seiner Familienwohnung machen, weil es seinen Lebensgewohnheiten entspreche, so stehe es ihm frei, seinen Wohnsitz dorthin zu verlegen. Solange er dies nicht tue, handele es sich bei Fahrten von dort um solche im persönlichen Interesse und er habe das entstehenden zusätzliche Risiko selbst zu tragen.
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Die Klagepartei verzichtete mit Schriftsatz vom 5. April 2019 auf mündliche Verhandlung, die Beklagtenpartei mit Schriftsatz vom 29. März 2019.
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Mit Beschluss vom 10. April 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vom Landesamt vorgelegte Behördenakte veriwesen.

Entscheidungsgründe

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1. Zunächst geht das Gericht davon aus, dass es sich bei den anfangs mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2018 geltend gemachten 740,18 EUR bzw. hilfsweise 300 EUR Sachschadensersatz um ein Versehen aufgrund eines Missverständnisses zwischen dem Kläger und seiner Bevollmächtigten gehandelt hat. Der Kläger selbst hat in seinen ursprünglichen Anträgen vom ... Juni 2018 jeweils nur die Selbstbeteiligung in Höhe von 150 EUR geltend gemacht. In der Reduzierung auf eben diese 150 EUR im Schriftsatz vom 21. November 2018 ist nur eine Richtigstellung zu sehen, nicht hingegen eine konkludent erklärte teilweise Klagerücknahme.
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2. Die so verstandene Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Bescheide des Landesamtes vom ... Juli 2018 und … August 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Sachschadensersatz (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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a) Werden in Ausübung oder infolge des Dienstes eines Beamten Kleidungsstücke oder sonstige Gegenstände, die üblicherweise oder aus dienstlichem Grund im Dienst mitgeführt werden, durch einen Unfall beschädigt oder verloren, so kann der Dienstherr nach Art. 98 Abs. 2 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) dafür Ersatz leisten, sofern der Beamte oder die Beamtin den Schaden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.
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Nach dem vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften (VV-BeamtR) vom 13. Juli 2009 kann Sachschadensersatz für die Beschädigung eines mitgeführten Kraftfahrzeugs der Beamtin oder des Beamten unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden; für dessen Benutzung müssen allerdings schwerwiegende Gründe vorgelegen haben. Der Sachschadensersatz ist in solchen Fällen auf einen Betrag von höchstens 300,00 EUR der nicht gedeckten Kosten beschränkt (Abschnitt 13, Nrn. 2.1, 2.4, 2.5 VV-BeamtR).
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Abschnitt 13 Nr. 1.3 VV-BeamtR bestimmt allerdings einen Leistungsausschluss über den Fall der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls durch die Beamtin oder den Beamten (Satz 1) hinaus dahingehend, dass Sachschadensersatz auch dann nicht gewährt wird, wenn mit dem Unfall keine körperliche Gefährdung verbunden war, es sei denn, der Schaden ist an einem Arbeitsmittel entstanden (Satz 2).
22
Nach dem rechtssystematischen Zusammenhang zwischen der Regelung des Sachschadensersatzes und der den Schadensersatz bei einem Dienstunfall regelnden Vorschriften soll die Gewährung von Sachschadensersatz in Fällen, in denen der Beamte keinen Körperschaden erlitten hat, auf Ereignisse beschränkt werden, bei denen bis auf den Körperschaden alle Merkmale eines Dienstunfalls vorgelegen haben und eine unmittelbare körperliche Gefährdung des Beamten bestanden hat. Ob eine solche unmittelbare körperliche Gefahr bestanden hat, beurteilt sich nach dem Ereignis, so wie es sich abgespielt hat. Entscheidend ist daher bei Ereignissen im Straßenverkehr die konkret gegebene Verkehrssituation zum Unfallzeitpunkt. Nicht relevant ist hingegen, wie sich das Ereignis hätte abspielen können (vgl. VG Regensburg, U.v. 15.2.2013 - RO 1 K 11.2172 - juris Rn. 30 ff. und VG Augsburg, U.v. 20.6.2012 - Au 2 K 10.1634 - juris Rn. 16 f. jeweils unter Verweis auf BayVGH, U.v. 2.4.2001 - 3 B 98.2694 - juris Rn. 12 f. und BVerwG, U.v. 25.8.1977 - II C 27.74 - juris Rn. 25 ff, 33).
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b) Im hier zu entscheidenden Fall ist bei realistischer Betrachtung eine Gefährdung des Klägers, einen Körperschaden zu erleiden, durch den Steinschlag nicht bewirkt worden. Denn der Aufprall des Steins auf die Frontscheibe des Kraftfahrzeugs des Klägers war nicht kräftig genug, um einen unmittelbaren Personenschaden herbeizuführen. Dazu hätte der Stein die Scheibe nämlich durchschlagen müssen, was nicht geschehen ist. Bei diesem Sachverhalt war die körperliche Integrität des Klägers zu keinem Zeitpunkt während des Unfalls gefährdet. Auf einen hypothetischen Geschehensablauf, den der Kläger auch gar nicht geltend macht, kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist vielmehr nur die konkret gegebene Verkehrssituation. Es ist daher nicht von Bedeutung, dass es Fälle geben mag, in denen der Fahrer, vom Geräusch des Steinschlags erschreckt, fehlerhaft reagiert und das Fahrzeug dadurch aus der Spur gerät; dies war hier nämlich nach den Angaben des Klägers zum Unfallereignis in seinen Anträgen vom ... Juni 2018 nicht der Fall. Es war nicht die Rede davon, dass der Kläger sein Fahrzeug wegen des Steinschlags nicht mehr sicher beherrscht hätte (zu einem vergleichbaren Fall einer durch Steinschlag beschädigten Windschutzscheibe: VG Augsburg, U.v. 20.6.2012, a.a.O.).
24
c) Ob überhaupt ein schwerwiegender Grund im Sinne Abschnitt 13 Nrn. 2.1, 2.4 VV-BeamtR für die Benutzung seines privaten Kraftfahrzeugs bei der Fahrt zur Dienststelle am 19. April 2018 bei Kläger vorgelegen hat, kann ebenso offen bleiben wie die Frage, ob im konkreten Einzelfall des Klägers die Wohnung seiner Lebenspartnerin in A als (weitere) Familienwohnung angesehen werden kann. Die Angaben des Klägers zum Umfang der Nutzung der Wohnung in C, die der Kläger in seinen Anträgen als Familienwohnung bezeichnet hat, im Verhältnis zur Nutzung der Wohnung seiner Lebenspartnerin in A sind insgesamt jedoch sehr vage.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).