Titel:
Baueinstellung gegen Aufschüttung
Normenkette:
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 9, Art. 75 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Für eine Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO genügt die formelle Rechtswidrigkeit; auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Maßnahmen kommt es nicht an. Die Einstellung von Arbeiten kann bereits dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Aufschüttung ist eine künstliche auf Dauer angelegte Veränderung der natürlichen (oder ihr gleichstehenden) Geländeoberfläche durch Erhöhung des Bodenniveaus; auf das Material der Aufschüttung kommt es nicht an. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat eine Person eine andere zu einer Verrichtung bestellt und verursacht der Verrichtungsgehilfe eine Gefahr oder Störung in Ausführung der Verrichtung, so kann eine Maßnahme auch gegen den Auftraggeber gerichtet werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baueinstellung, Aufschüttungen, formelle Illegalität, Adressat, Zurechnung des Verhaltens, Dritter, Ermessen, Verrichtungsgehilfe
Fundstelle:
BeckRS 2020, 25211
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Baueinstellung.
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Der Kläger ist Pächter der Grundstücke Fl.Nrn., ... und ... der Gemarkung .... Die Grundstücke liegen im Außenbereich und werden als Kleinprivatwald genutzt.
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Ausweislich eines hierüber gefertigten Aktenvermerks vom 1. Juli 2019 ist der Beklagte telefonisch darüber unterrichtet worden, dass beobachtet worden sei, wie mehrere LKWs Material auf einem vorhandenen Waldweg aufgebracht hätten. Nach einer Telefonnotiz vom 1. Juli 2019 habe der Kläger gegenüber dem Beklagten erklärt, dass er einer Baufirma zur Vornahme der Auffüllungen zugestimmt habe. Es handele sich dabei um eine Art „Wegebau“. Das Material stamme von Leitungsbauarbeiten der Telekom.
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Nach der Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ... - AELF - vom 2. Juli 2019 verfüge der Waldbestand von etwa 1,2 ha Größe über eine ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz und stocke teilweise auf einem feuchten Niedermoor (Fl.Nr. ...) bzw. auf frischen kiesigem Lehm (Fl.Nr. ...). Die unbefestigten Rückegassen reichten für die Erschließung zur ordnungsgemäßen Waldbewirtschaftung. Die festgestellten etwa 100 m langen und zwischen 4 und 6 m breiten Auffüllungen bestünden aus einem Gemisch aus Lehm, Steinen und Asphaltfräsgut und seien in einer Höhe von 50 bis 80 cm nur abgekippt worden. Dabei seien Randbäume teilweise stark beschädigt worden. Zur sachgemäßen Bewirtschaftung würde eine Erschließung mit Rückegassen auf einer Breite von 3 m genügen. Im Niedermoorbereich solle ohnehin keine Befestigung, sondern die Holznutzung mit bodenschonenden Breitreifen erfolgen.
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Aus der Bilddokumentation des Beklagten vom 2. Juli 2019 geht hervor, dass bei der Auffüllung u.a. Asphaltbruch und sonstiger Bauschutt mit Beton- und Fliesensteinen, Mauerwerksziegelbruch vorgefunden wurde. Beim Einbau seien mehrere Bäume beschädigt worden. Gerundet ergebe sich eine Gesamtauffüllfläche von ca. 650 m².
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Nach Auffassung des Wasserwirtschaftsamts ... vom 8. Juli 2019 handele es sich nicht um einen fachgerechten Waldwegebau, weil Fremdmaterialien und Störstoffe aufgeschüttet worden seien. Ausgehend von der Menge und der Art und Weise des Einbaus entstehe der Eindruck, dass hier vorrangig Aushubmaterial aus Kanal- oder Straßenbauarbeiten entsorgt worden sei. Es bestehe die Besorgnis der schädlichen Bodenveränderung und Grundwassergefährdung.
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Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2019, dem Kläger zugestellt am 9. Juli 2019, alle Bau- und Auffüllarbeiten auf den Grundstücken Fl.Nrn., ... und ... der Gemarkung ... ab sofort bis auf weiteres ein (Ziff. 1.), erklärte Ziffer 1. des Bescheids für sofort vollziehbar (Ziff. 2) und drohte für den Fall einer Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,- EUR an (Ziff. 3). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die für eine Baueinstellung erforderliche formelle Illegalität der Bauarbeiten gegeben sei. Nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO seien Aufschüttungen von mehr als 500 m² und höher als 2 m genehmigungspflichtig. Der Ausspruch der Baueinstellung liege im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, wobei grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Unterbindung formell unzulässiger Bauarbeiten bestehe. Vorliegend sei nichts dafür ersichtlich, weshalb eine Einstellung ausnahmsweise unterbleiben könne. Ein Bauantrag werde nicht gefordert, da aufgrund der unsachgemäßen Ausführung und des verwendeten Materials die Auffüllung komplett beseitigt werden müsse.
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Hiergegen ließ der Kläger am 6. August 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für ihn ist beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 8. Juli 2019 aufzuheben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger mit einem Dritten abgesprochen habe, dass dieser wenige LKWs mit Aushubmaterial von Baggerarbeiten im Rahmen von Breitbandausbaumaßnahmen auf dem Grundstück Fl.Nr. ... aufbringen könne. Dass absprachewidrig zu viel Aushubmaterial und darüber hinaus auch auf die Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... ausgebracht worden sei, habe der Kläger erst im streitgegenständlichen Bescheid erfahren. Er sei demnach nicht Veranlasser der Maßnahme.
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Der Beklagte trat der Klage unter dem 19. September 2019 entgegen. Für ihn ist beantragt,
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Anlässlich von Baukontrollen seien Auffüllungen auf den Grundstücken Fl.Nrn., ... und ... festgestellt worden, die nicht mehr verfahrensfrei seien. Im daraufhin geführten Telefonat mit dem Kläger habe dieser bestätigt, dass er Pächter der Grundstücke sei und einer Baufirma die Erlaubnis zur Durchführung der Auffüllungen erteilt habe. Zur Verantwortlichkeit des Adressaten der Baueinstellung reiche es aus, wenn dieser für die sofortige Einstellung der Bauarbeiten sorgen könne. Dies sei im Fall einer baurechtswidrigen Auffüllung auch der unmittelbare Nutzer wie der Mieter oder Pächter.
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Am 23. Juli 2019 erklärte der Beklagte das im Bescheid vom 8. Juli 2019 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 3.000,- EUR für fällig, weil anlässlich einer Ortseinsicht am 23. Juli 2019 festgestellt worden sei, dass die Bau- und Auffüllarbeiten fortgeführt und mit weiteren Auffüllungen und Wegverzweigungen fortgesetzt worden seien. Die hiergegen ebenfalls am 6. August 2019 erhobene Klage wird unter dem Az. Au 4 K 19.1148 geführt.
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Mit Schriftsätzen vom 21. April 2020 erklärten der Kläger und der Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Unter dem 23. April 2020 legte der Kläger einen Prüfbericht des Instituts ... vom 9. Januar 2020 über die Untersuchung des aufgeschütteten Materials vor. Ergänzend führte er aus, dass die Materialauffüllung naturschonend und bedarfsgerecht erfolgt sei und eine Fläche von 500 m² nicht überschreite.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden.
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Nach allgemeiner Auffassung ist für eine Baueinstellungsverfügung aufgrund Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO die formelle Rechtswidrigkeit ausreichend; auf die Frage der Genehmigungsfähigkeit der beanstandeten Maßnahmen kommt es nicht an (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 - 15 ZB 16.672 - juris Rn 8 f. und 14 m.w.N.). Dabei kann die Einstellung von Arbeiten bereits dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Arbeiten gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen (BayVGH, a.a.O., Rn. 10). Ein Verstoß gegen formelles (oder materielles) Baurecht muss nicht verwirklicht sein; vielmehr reichen schon objektive, konkrete Anhaltspunkte dafür aus, dass ein solcher Zustand geschaffen werden kann (BayVGH, B.v. 5.10.2006 - 14 ZB 06.1133 - juris Rn. 2).
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Vorliegend sind solche objektiven konkreten Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht formell widersprechender Zustand geschaffen wird, gegeben. Diese Verdachtsmomente reichen dafür aus, zu bezweifeln, dass der Kläger nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO verfahrensfreie Aufschüttungen vornimmt.
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Ausweislich der Baukontrolle vom 2. Juli 2019 und den im Zusammenhang damit eingeholten fachlichen Stellungnahmen und Informationen sowie der Einlassung des Klägers wurden auf den Grundstücken Fl.Nrn., ... und ... Aufschüttungen vorgenommen. Eine Aufschüttung ist eine künstliche auf Dauer angelegte Veränderung der natürlichen (oder ihr gleichstehenden) Geländeoberfläche durch Erhöhung des Bodenniveaus; auf das Material der Aufschüttung kommt es nicht an (Lechner/Busse in Simon/Busse, BayBO, Stand Dez. 2019, Art. 57 Rn. 249). Bei Überschreiten der Freigrenze von 500 m² Gesamtfläche ist die Aufschüttung genehmigungspflichtig (Lechner/Busse in Simon/Busse, BayBO, Stand Dez. 2019, Art. 57 Rn. 250).
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Der Beklagte hat im Aktenvermerk vom 3. Juli 2019 nachvollziehbar und schlüssig ausgehend von der gemessenen Breite und Länge vierer Teilflächen eine Gesamtfläche von rund 650 m² errechnet (Behördenakte Bl. 49 f.). Daraus folgt, dass jedenfalls konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die begonnenen Aufschüttungen nicht verfahrensfrei erfolgen können. Dieser Annahme wird durch den pauschalen Vortrag des Klägers, wonach die Aufschüttung eine Fläche von 500 m² unterschreite, nicht substantiiert entgegengetreten.
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Die Baueinstellung richtete sich auch gegen den richtigen Adressaten. Die Baueinstellungsverfügung ist an eine Person zu richten, die öffentlich-rechtlich für die beanstandeten Maßnahmen nach den allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätzen verantwortlich ist. Zur Verantwortlichkeit des Adressaten reicht es aus, dass er für die sofortige Einstellung der (Bau-)Arbeiten sorgen sowie entschieden und nachhaltig auf die Unterlassung weiterer (Bau-)Arbeiten dringen kann. Es ist nicht Aufgabe der Baubehörde, schwierige und zeitraubende Untersuchungen tatsächlicher sowie rechtlicher Art im Zusammenhang mit der Ermittlung aller in Frage kommender Störer durchzuführen. Die Handlungs- und Zustandsverantwortlichkeit ist dabei verschuldensunabhängig (vgl. VG Augsburg, U.v. 17.10.2014 - Au 4 K 13.42 u.a. - juris Rn. 96 m.w.N.). Hat eine Person - wie hier - eine andere zu einer Verrichtung bestellt und verursacht dieser Verrichtungsgehilfe eine Gefahr oder Störung in Ausführung dieser Verrichtung, so kann die Maßnahme auch gegen den Auftraggeber gerichtet werden. Ihm wird das Fehlverhalten des zur Bauausführung eingesetzten Bauarbeiters zugerechnet (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2001 - 26 ZB 99.2680 - juris Rn. 15 f.). Diese Zurechnung gilt nur dann nicht, wenn der Verrichtungsgehilfe bei Gelegenheit der Verrichtung gehandelt hat, wenn also kein innerer Zusammenhang mit dem erteilten Auftrag mehr bestand (Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Dez. 2019, Art. 76 Rn. 162 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat insofern selbst eingeräumt, einem Dritten erlaubt zu haben, Aushubmaterial auszubringen.
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Die Baueinstellung erfolgte auch ermessensgerecht. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann und soll bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen regelmäßig eine Baueinstellungsverfügung ergehen (intendiertes oder Regelermessen; BayVGH, B.v. 2.8.2000 - 1 ZB 97.2669 - juris Rn. 5; B.v. 14.10.2013 - 9 CS 13.1407 - juris Rn. 15). An die Ermessensausübung sind in solchen Fällen nur geringe Anforderungen zu stellen. Mit diesen Vorgaben steht die Begründung der streitgegenständlichen Anordnung in Einklang. Insbesondere sind vorliegend Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben (vgl. B.v. 14.10.2013 - 9 CS 13.1407 - juris Rn. 15; B.v. 24.1.2002 - 2 ZS 01.2346 - juris Rn. 2).
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Auch hinsichtlich des in Ziff. 3. des Bescheides angedrohten Zwangsgelds bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Androhung ist auch hinreichend bestimmt und angemessen. Sie bezieht sich ausdrücklich auf den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Baueinstellungsverfügung gemäß Ziff. 1. des Bescheides und damit auf die Fortsetzung von Aufschüttungen auf den Fl.Nr., ... und ... Gemarkung ....
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.