Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 28.09.2020 – Au 1 E 20.1740
Titel:

Stempelung des Fahrtenbuchs zur Durchführung eines Tiertransports

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
Tiertransport-VO Art. 14 Abs. 1
GKG § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Vorschrift der Nr. 1.8 Kapitel V Anhang I Tiertransport-VO gilt nicht nur bei unerwarteten Transportverzögerungen wie einem Stau oder Unfall, sondern kann bereits bei den Planungen des Tiertransports herangezogen werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausnahmeregelung Nr. 1.8 Kapitel V Anhang I Tiertransport-VO ist an das Interesse der transportierten Tiere geknüpft, das sich nicht zwingend nur aus der geringen Entfernung zum Zielort ergibt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Kälbertransport nach Spanien, Genehmigung, Fahrtenbuch, einstweilige Anordnung, Antragsgegner, Anordnung, Zeitpunkt, Wasserversorgung, Tiertransport, Kälbertransport, Spanien, VO (EG) Nr. 1/2005
Fundstelle:
BeckRS 2020, 25079

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die (einstweilige) Stempelung ihres Fahrtenbuchs zur Durchführung eines Tiertransports von ... nach ... in Sp..
2
Die Antragstellerin betreibt einen Handel mit Rindern und Kälbern, in dessen Rahmen sie Tiere exportiert. Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit beauftragt sie ein in der Europäischen Union zugelassenes Transportunternehmen mit dem Export und beantragt sodann die erforderliche Genehmigung.
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Nachdem bereits im Vorfeld mehrmals die Stempelung eines Fahrtenbuchs für einen geplanten Kälbertransport nach Sp. abgelehnt worden war, legte die Antragstellerin zuletzt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. September 2020 dem Antragsgegner ein korrigiertes Fahrtenbuch für einen am 29. September 2020 geplanten Transport von 120 nicht abgesetzten Kälbern nach Sp. vor. Nach der aktuellen Fassung soll der Transport am 29. September 2020 in ... um 13.00 Uhr beginnen. Nach 8,5 Stunden ist ein zweistündiger Aufenthalt in ... (... - Fr.) geplant. Für den Transport der Tiere von dort nach ... in Sp. wurden 10 Stunden veranschlagt. Am 30. September 2020 um 9.30 Uhr soll der Transport beendet sein. Dem Antrag auf Stempelung des Fahrtenbuchs beigefügt war u.a. ein in P. ausgestellter Zulassungsnachweis für das verwendete Transportmittel. Aus ihm geht hervor, dass das Fahrzeug unter anderem für den Transport von Rindern zugelassen ist.
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Mit Schreiben vom 24. September 2020 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, die Planung der vorgesehenen langen Beförderung so zu ändern, dass die Vorschriften der Verordnung (EG) 1/2005 (EU-Tiertransport-VO) eingehalten werden. Als Mängel wurden - wie bereits bei den vorhergehenden Transportplanungen - die Überschreitung der zulässigen Gesamtbeförderungsdauer sowie die unzureichende Versorgungssituation für die Kälber genannt.
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Mit Schriftsatz vom 22. September 2020 ließ die Antragstellerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen. Am 9. September 2020 habe sie fernmündlich mit einem spanischen Unternehmen einen Vertrag über die Lieferung von 120 nicht abgesetzten Kälbern geschlossen. Ursprünglich sei für die Lieferung der 18. September 2020 vereinbart worden. Die Antragstellerin habe beim Antragsgegner jedoch nicht die rechtzeitige Abstempelung des Fahrtenbuchs erreichen können. Der nunmehr avisierte Transport müsse am 29. September 2020 beginnen, da die ersten Kälber bereits ab dem 1. Oktober 2020 wegen der dann überschrittenen Altersgrenze nicht mehr zur Verwendung in der Kälbermast verkauft werden könnten. Nach einem Ausbruch der Blauzungenkrankheit hätten ab Dezember 2018 zunächst keine Kälbertransporte mehr stattgefunden. Im Mai 2019 hätten Sp. und Deutschland ihr ausdrückliches Einvernehmen erklärt, dass Kälber, die jünger als 70 Tage seien, auf direktem Weg von Deutschland nach Sp. verbracht werden dürften. Zahlreiche Bundesländer hätten den Export von Kälbern daraufhin Ende 2019 wiederaufgenommen. Der Antragsgegner lehne die Abfertigung von Kälbertransporten weiterhin ab. Die Antragstellerin habe sich umfangreich bemüht, den Anforderungen des Antragsgegners bei der Transportplanung zu entsprechen. Dies sei jedoch nicht gelungen. Bereits im März 2020 habe die Antragstellerin dem Antragsgegner eine genehmigte Transportplanung eines Konkurrenzunternehmens aus Baden-Württemberg vorgelegt, nach der die Kälber nach einem ersten Beförderungsabschnitt von etwa fünf Stunden zunächst eine 24-stündige Versorgungspause eingelegt hätten, bevor sie dann erneut neun Stunden und nach einer einstündigen Pause sieben Stunden lang befördert worden seien. Diese Planung sei vom Antragsgegner abgelehnt worden, da die Beförderung so kurz wie möglich zu halten sei. Es sei eine Route über das Elsass als Alternative genannt worden. Die Einplanung einer geringfügigen Überschreitung der zulässigen Beförderungsdauer auf der kürzeren Route sei vom Antragsgegner allerdings mit dem Argument zurückgewiesen worden, dass nur unvorhersehbare Verzögerungen eine längere Beförderungsdauer rechtfertigten. Der Antragsgegner weigere sich generell, Kälbertransporte nach Sp. abzufertigen. Ein Anordnungsgrund liege vor, da erhebliche Nachteile für die Antragstellerin drohten. In Deutschland bestünden keine ausreichenden Marktkapazitäten, um die hier geborenen Kälber wirtschaftlich innerhalb des Landes zu vermarkten. Der Antragstellerin entstünden bei Nichteinhaltung des geplanten Exporttermins erhebliche wirtschaftliche Schäden. Sie sei auf einen umgehenden Transport angewiesen, da es eine Altersgrenze von 42 Tagen für Mastkälber gebe. Der Antragstellerin drohten ein Reputationsverlust sowie Schadensersatzansprüche der spanischen Vertragspartner. Die Weigerung der Erteilung einer Transportgenehmigung stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin dar. Angesichts der schweren wirtschaftlichen Konsequenzen sei die Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des Eilverfahrens gerechtfertigt. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus Art. 14 der EU-Tiertransport-VO. Die dort aufgeführten Voraussetzungen für die Stempelung des Fahrtenbuchs seien gegeben. Die von der Verordnung geforderten Beförderungszeiten würden nur geringfügig überschritten. In Anbetracht der Nähe des Zielorts und der verbleibenden Fahrzeit von etwa einer halben Stunde sei dies hinzunehmen und das Ermessen vorliegend auf Null reduziert. Eine 24-stündige Versorgungspause sei eine Belastung für die Tiere. Eine Verlängerung der Gesamtbeförderungsdauer im Interesse der Tiere sei bereits bei der Planung des Transports möglich und nicht nur auf die Notwendigkeit einer spontanen Verlängerung der Transportzeiten begrenzt. Soweit der Antragsgegner sich zudem darauf berufe, dass die Vorschriften zur Versorgung der Tiere mit Wasser nicht erfüllt seien, sei dies unzutreffend. Die Wasserversorgung der Kälber werde zu jeder Zeit sichergestellt und sämtliche Vorgaben der EU-Tiertransport-VO eingehalten. Die Transportmittel seien mit einem Wasserversorgungssystem ausgestattet, das voll funktionsfähig und den Tieren jederzeit zugänglich sei. Zudem stünden den Kälbern Selbsttränken zur Verfügung. Darüber hinaus solle gerade durch die überobligatorisch lange Pause sichergestellt werden, dass die Tiere ausreichend getränkt würden. Das vom Antragsgegner herangezogene Handbuch Tiertransporte sei nicht rechtsverbindlich. Soweit ein anderer EU-Mitgliedsstaat die Zulassung eines Verkehrsmittels erteilt habe, dürfe der Antragsgegner nicht mehr überprüfen, ob die Voraussetzungen der Zulassung erfüllt seien. Lange Kälbertransporte seien grundsätzlich genehmigungsfähig. Sowohl die Vorgaben für die Wasserversorgung als auch für die Transportzeiten würden eingehalten. Jedes Kalb würde auf den Versorgungsstationen einzeln und systematisch getränkt und über einen Milchaustauscher gefüttert. Die beantragte verlängerte Ruhepause diene gerade auch der Nahrungsaufnahme.
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In einem weiteren Schriftsatz vom 27. September 2020 verweist die Bevollmächtigte der Antragstellerin auf die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestehende Möglichkeit einer Verlängerung der maximalen Beförderungsdauer durch längere Ruhepausen. Die Verlängerung des zweiten Beförderungsabschnitts liege im Interesse der Tiere, da sie die Beförderungsdauer auf ein Mindestmaß begrenze. Wäre die Verlängerung in der vorliegenden Konstellation nicht möglich, würde sich die Gesamtbeförderungsdauer mehr als verdoppeln und den Tieren müsste das Anfahren einer Kontrollstelle mit Entladen und 24stündiger Pause zugemutet werden. Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Wasserversorgung und der Beschaffenheit der entsprechenden Tränkevorrichtungen würden erfüllt. Darüber hinaus könnten keine weiteren Anforderungen gestellt werden. Das „Handbuch Tiertransporte“ stelle zu hohe Anforderungen, habe Qualitätsmängel und sei nicht bindend. Lange Kälbertransporte seien nach geltendem Recht weiterhin zulässig.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, das Fahrtenbuch des für den 29. September 2020 beantragten Transports von 120 nicht abgesetzten Kälbern nach Sp. abzustempeln.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 24. September 2020,
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den Antrag abzuweisen.
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Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 der Tiertransport-VO seien nicht erfüllt. Es werde die zulässige Transportzeit überschritten. Nach dieser sei Kälbern nach einer Beförderungsdauer von neun Stunden eine mindestens einstündige Pause zu gewähren. Danach könne der Transport für weitere neun Stunden fortgesetzt werden. Die zulässige Beförderungsdauer dürfe 19 Stunden nicht überschreiten. Eine ausnahmsweise Verlängerung der Beförderungsdauer um zwei Stunden dürfe nur erfolgen, wenn durch unvorhersehbare Verzögerungen die zulässige Gesamtbeförderungsdauer überschritten werde, aber der Bestimmungsort innerhalb von weiteren zwei Stunden Fahrt erreicht werden könne. Damit solle den Tieren im Interesse des Tierschutzes das sonst erforderliche Anfahren einer Kontrollstelle mit Entladen und 24-stündiger Pause kurz vor dem Erreichen des Ziels erspart bleiben. Diese Möglichkeit, den Transport um zwei Stunden zu verlängern, dürfe nicht dazu dienen, im Interesse des Organisators den Tieren von vorneherein eine längere Transportdauer zuzumuten. Wenn der Zeitpuffer von zwei Stunden schon bei der Transportplanung angetastet werden dürfe, stelle sich die Frage, wie der Transport überhaupt im Einklang mit der EU-Tiertransport-VO fortgesetzt werden könne, wenn es zu unvorhersehbaren Verzögerungen auf der Fahrstrecke komme. Nachdem die Maximalbeförderungsdauer nicht einmal durch längere Ruhepausen verlängert werden dürfe, sei dies auch nicht durch längere Fahrzeiten möglich. So führe auch das Handbuch Tiertransporte aus, dass die Verlängerungsmöglichkeit nicht grundsätzlich für die Planung der Transporte herangezogen werden dürfe, sondern nur unter den in der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen in Anspruch genommen werden könne. Zudem würden bei dem von der Antragstellerin geplanten Transport die transportierten Tiere nicht adäquat versorgt. Die Antragstellerin trage zwar vor, dass ein Wasserversorgungssystem installiert sei. Dies sei eine Grundvoraussetzung für die Zulassung von Transportmitteln für lange Beförderungen. Darüber hinaus müssten aber gemäß Anhang I Kapitel VI Nr. 1.4 der EU-Tiertransport-VO besondere Vorrichtungen mitgeführt werden, wenn diese für die Fütterung der transportierten Tiere erforderlich seien. Nicht abgesetzte Kälber benötigten geeignete Tränkevorrichtungen mit verformbaren Saugern, die einen zweiphasigen Saugakt ermöglichten. Eine reine Wassertränke werde den Ansprüchen von Kälbern auf langen Transporten nicht gerecht. Es drohe die Gefahr der Wasserintoxikation. Ein Tränken mit Elektrolytlösung könne nicht als Fütterung gewertet werden. Nur wenige Wochen alte Kälber verfügten nicht über entsprechende Körperreserven für längere Phasen ohne Nahrung. Es fehlten Angaben seitens der Antragstellerin darüber, welche Vorrichtungen im Transportmittel mitgeführt würden oder eingebaut seien, die für die Fütterung der transportierten Tiere geeignet seien. Die Voraussetzungen für eine Stempelung des Fahrtenbuchs seien damit nicht erfüllt. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben. Die Antragstellerin führe lediglich wirtschaftliche Nachteile ins Feld. Es sei jedoch zu befürchten, dass mit der Abstempelung irreversible tierschutzwidrige Bedingungen zugelassen würden. Zudem liege eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Der pauschale Vortrag schwerer wirtschaftlicher Konsequenzen genüge nicht.
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Zur weiteren Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
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1. Gegenstand des Antrags ist die von der Antragstellerin begehrte Verpflichtung des Antragsgegners, das Fahrtenbuch für den am 29. September 2020 geplanten Transport von 120 nicht abgesetzten Kälbern von ... nach Sp. mit einem Stempel zu versehen.
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2. Der Antrag ist zulässig.
Im vorliegenden Fall begehrt die Antragstellerin die Abstempelung des vorgelegten Fahrtenbuchs, d.h., sie begehrt die Vorwegnahme der Hauptsache, was grundsätzlich dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widerspricht. Das Gericht kann im Rahmen einer einstweiligen Anordnung im Regelfall nur vorläufige Anordnungen treffen und der Antragstellerin nicht bereits die Rechtsposition gewähren, die sie nur in einem Hauptsacheverfahren erhalten könnte. Allerdings kann eine Regelung ausnahmsweise im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich sein, wenn die ansonsten zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerseite unzumutbar wären. Sind diese engen Voraussetzungen, unter denen die Vorwegnahme der Hauptsache im Eilrechtsschutzverfahren ausnahmsweise zulässig ist, gegeben, setzt der Erlass der einstweiligen Anordnung zusätzlich voraus, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache besteht (vgl. z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 13). Die Antragstellerin hat plausibel dargelegt, dass beachtliche Gründe ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung als unzumutbar erscheinen lassen. Hinzu kommt, dass die Planung eines Tiertransportes gewöhnlich nach Abschluss des entsprechenden Kaufvertrags einen derart knappen zeitlichen Vorlauf hat, dass sehr enge zeitliche Grenzen für die Durchführung eines Klageverfahrens bestünden. Damit liefe die Antragstellerin Gefahr, bei Verweigerung des Eilrechtsschutzes ihre Rechte nicht gerichtlich durchsetzen zu können.
3. Der Antrag ist nicht begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, v.a. bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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a) Ein Anordnungsgrund liegt vor. Die Antragstellerin hat den Tiertransport für den 29. September 2020 vorgesehen. Ein späterer Zeitpunkt würde nach ihrem Vorbringen dazu führen, dass zumindest ein Teil der Kälber nicht mehr für die Tiermast verkauft werden könnten.
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b) Der Antragstellerin steht hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Abstempelung des Fahrtenbuchs jedoch kein Anordnungsanspruch zur Seite. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kann sie nicht beanspruchen, dass der Antragsgegner das Fahrtenbuch für den am 29. September 2020 avisierten Transport von 120 Kälbern von ... nach ... abstempelt.
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aa) Nach Art. 14 Abs. 1 Buchstabe a) der EU-Tiertransport-VO kontrolliert die Behörde vor langen Beförderungen, ob die im Fahrtenbuch angegebenen Transportunternehmer über die entsprechenden gültigen Zulassungen, die gültigen Zulassungsnachweise für Transportmittel, die für lange Beförderungen eingesetzt werden und gültige Befähigungsnachweise für Fahrer und Betreuer verfügen. Zudem prüft sie, ob das vom Organisator vorgelegte Fahrtenbuch wirklichkeitsnahe Angaben enthält und darauf schließen lässt, dass die Beförderung den Vorschriften dieser Verordnung entspricht. Nach Art. 14 Abs. 1 Buchstabe c) der Verordnung ist das Fahrtenbuch mit einem Stempel zu versehen, wenn das Ergebnis der Kontrollen gemäß Buchstabe a) zufriedenstellend ist. Erweist sich das Ergebnis der Kontrolle jedoch nicht als zufriedenstellend, hat die Behörde den Organisator zu verpflichten, die Planung der vorgesehenen langen Beförderung so zu ändern, dass die Vorschriften dieser Verordnung eingehalten werden.
Gemäß Anhang I Kapitel V Nr. 1.4 der EU-Tiertransport-VO müssen Kälber, die noch nicht abgesetzt sind und mit Milch ernährt werden, nach einer Beförderungsdauer von neun Stunden eine ausreichende, mindestens einstündige Ruhepause erhalten, insbesondere damit sie getränkt und nötigenfalls gefüttert werden können. Nach dieser Ruhepause kann die Beförderung für weitere neun Stunden fortgesetzt werden. Nach der festgesetzten Beförderungsdauer müssen die Tiere entladen, gefüttert und getränkt werden und eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden erhalten (Nr. 1.5.). Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die zulässigen Beförderungszeiten nach Anhang I Kapitel V Nr. 1.4 der EU-Tiertransport-VO im vorliegenden Fall sowohl hinsichtlich der Gesamtbeförderungsdauer als auch im Hinblick auf den zweiten Beförderungsabschnitt von Fr. nach Sp. überschritten werden. Denn die Gesamtbeförderungsdauer inklusive der Ruhephase beträgt 20,5 Stunden statt der zugelassenen 19 Stunden. Der letzte Beförderungsabschnitt beläuft sich auf 10 Stunden anstelle der in der Verordnung festgesetzten 9 Stunden. Allerdings sieht die Verordnung in ihrem Anhang I Kapitel V Nr. 1.8 vor, dass die Beförderungsdauer gemäß Nr. 1.4 - insbesondere unter Berücksichtigung der Nähe des Bestimmungsortes - im Interesse der Tiere um zwei Stunden verlängert werden darf.
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bb) Das Gericht geht zunächst davon aus, dass die Vorschrift des Anhangs I Kapitels V Nr. 1.8 der EU-Tiertransport-VO bereits bei den Planungen des Tiertransports herangezogen werden kann. Sie gilt nicht nur bei unerwarteten Transportverzögerungen wie einem Stau oder Unfall, deren zeitliche Auswirkungen grundsätzlich ohnehin nicht auf zwei Stunden begrenzt werden können. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, den Belangen der Tiere bei den Transporten weitestgehend entgegenkommen zu können, ergibt sich vielmehr die umfassendere Anwendbarkeit der Regelung. Die Vorschrift stellt maßgeblich auf die Interessen der Tiere ab. Sie ermöglicht eine Abwägung zwischen den Folgen für das Tierwohl bei einer 24stündigen Unterbrechung des Transports mit Anfahren einer Kontrollstelle sowie Entladen einerseits und der Beeinträchtigung der Tiere durch eine absehbar kurze Weiterfahrt zum Zielort und damit verbundener zeitnaher endgültiger Beendigung des Tiertransports andererseits. Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Gesichtspunkte nicht auch schon bei der Planung des Transports im Interesse der Tiere berücksichtigt werden können. Denn die Anwendung der Vorschrift hat nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein den Interessen der Tiere zu dienen, ohne dass andere, insbesondere wirtschaftliche Gesichtspunkte in die Wertung einfließen dürfen. Weshalb diese Flexibilität hinsichtlich der größtmöglichen Berücksichtigung des Tierwohls nicht bereits im Vorfeld des Transports bei dessen Planung bestehen sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Prüfung der Interessen der Tiere eine primäre Aufgabe der Veterinärbehörden ist, welche durch das Abstempeln des Fahrtenbuches die Planungen zu prüfen haben und die Frage des Tierwohls fachkundig einschätzen können.
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cc) Allerdings wurde das Vorliegen der Voraussetzungen des Anhangs I Kapitel V Nr. 1.8 der EU-Tiertransport-VO nicht glaubhaft gemacht. Es kann nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die geplante Überschreitung der Fahrtzeit im vorliegenden Fall im Interesse der Tiere liegt. Die Anwendbarkeit dieser Ausnahmeregelung wird von der Antragstellerin allein damit begründet, dass die durch die EU-Tiertransport-VO vorgesehene Beförderungsdauer nur geringfügig überschritten und den Tieren durch die verlängerte Beförderungsdauer der Stress des Ab- und Aufladens erspart werde. Soweit die Verlängerung nicht zugelassen werde, würde sich die Gesamtbeförderungsdauer mehr als verdoppeln. Der Gesetzgeber hat allerdings nicht abstrakt generell zugelassen, dass zur Vermeidung einer weiteren Ruhezeit stets die Verlängerung der Beförderungsdauer bis zu zwei Stunden zulässig ist. Vielmehr hat er diese Option als Ausnahmeregelung gestaltet und sie an das Interesse der transportierten Tiere geknüpft, das sich nicht zwingend nur aus der geringen Entfernung zum Zielort ergibt. Vielmehr muss das Interesse der Tiere anhand aller Umstände des Einzelfalles gewichtet werden.
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dd) Zunächst ist bei der Wertung zu berücksichtigen, dass unter Anwendung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Summe der Beförderungsdauer und Ruhezeiten bei nicht abgesetzten Kälbern die Dauer von 19 Stunden nicht überschreiten darf, auch wenn die Überschreitung der Gesamtdauer auf eine verlängerte Ruhephase zurückzuführen ist (vgl. für den Transport von Rindern: EuGH, U.v.28.7.2016 - C-469/14 - juris Rn. 43). Im vorliegenden Fall überschreitet die Antragstellerin bei ihrer Transportplanung die nach Anhang I Kapitel V Nr.1.4 Buchstabe a) der EU-Tiertransport-VO zulässige Gesamtbeförderungsdauer nicht nur wegen der auf zwei Stunden verlängerten Ruhepause, sondern auch wegen längerer Fahrzeiten, was eine höhere Belastung der Tiere darstellt.
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ee) Zudem ist in die Wertung einzubeziehen, dass nicht abgesetzte Kälber transportiert werden, deren Ernährung während der Beförderungsintervalle problematisch ist. Ausweislich der vom Gericht eingeholten Stellungnahme einer Amtsveterinärin vom 25. September 2020 saugen Kälber im Alter der für den Transport vorgesehenen Tiere unter natürlichen Bedingungen im Schnitt sechsmal, mindestens aber dreimal pro Tag am Euter der Mutter. Unter den Bedingungen der landwirtschaftlichen Tierhaltung würden sie in der Regel zweimal täglich getränkt. Würden Kälber alle 12 Stunden getränkt, so zeigten sie schon deutlich vor dem Fütterungszeitpunkt unspezifische Anzeichen von Hunger. Bei Verzögerungen verstärke sich diese Beeinträchtigung des Wohlbefindens zunehmend. Sukzessive komme es zu einem erheblichen Leiden. Wenn sie nur während der Ruhepause, nicht aber nach Abladung am deklarierten Bestimmungsort mit Milchaustauscher versorgt würden, betrage die Futterkarenz deutlich mehr als 10 Stunden. Beim Bestimmungsort handele es sich im Regelfall nur um ein Verteilerzentrum für Vertragshöfe, wo die Kälber häufig nur Elektrolyte erhielten. Damit sei zu befürchten, dass die Verlängerung der Transportdauer zu einem erheblichen Leiden der transportierten Kälber führe.
Beamteten Tierärzten kommt in Tierschutzfragen eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu (BayVGH, B.v. 31.7.2020 - 23 ZB 20.1254 - juris Rn. 37 m.w.N.). Es erscheint dem Gericht auch plausibel, das die für den Transport vorgesehenen, nicht milchentwöhnten Kälber angesichts ihres geringen Alters äußerst vulnerabel sind und besondere Anforderungen an die Art des Futters und die Regelmäßigkeit der Futtergabe stellen. Damit kann auch eine relativ geringe Überschreitung der Beförderungszeiten sie an die Grenze zu erheblichen Leiden durch Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel führen. Die einstündige Verlängerung der zulässigen Beförderungsdauer auf der Strecke von Fr. nach Sp. ist unter diesem Aspekt problematisch. Hinzu kommt, dass die in den Transportmitteln gemäß Anhang I Kapitel VI Nr. 2.1 der EU-Tiertransport-VO vorgeschriebenen Wasserversorgungssysteme nach den Ausführungen des Antragsgegners den besonderen Anforderungen an das Futter und die Saugvorrichtungen für noch nicht milchentwöhnte Kälber nicht entsprechen und die Antragstellerin den Nachweis besonderer Vorrichtungen zur Fütterung gemäß Anhang I Kapitel VI Nr. 1.4 der EU-Tiertransport-VO nicht erbracht hat. Damit sind die Kälber für die Nahrungsaufnahme in besonderem Maße auf die Einhaltung der Ruhepausen angewiesen, in denen sie ihren Bedürfnissen entsprechend ernährt werden können. Angesichts dessen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass die eingeplante Verlängerung der Beförderungsdauer selbst unter Berücksichtigung der Belastungen einer 24stündigen Unterbrechung des Transports im Interesse der Tiere liegt, die Transportplanung sich damit innerhalb der zulässigen Beförderungsdauer hält und die Voraussetzungen für die Stempelung des Fahrtenbuchs vorliegen.
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ff) Da dem konkret geplanten Transport bereits eine unzulässige Überschreitung der Gesamtbeförderungsdauer zugrunde liegt, kommt es auf die Frage, ob die Antragstellerin die Vorgaben des Anhangs I Kapitel VI Nr. 1.4 der EU-Tiertransport-VO einhält, nicht an. Hiernach sind besondere Vorrichtungen im Transportmittel mitzuführen, soweit sie für die Fütterung von Tieren erforderlich sind. Der Antragsgegner hat umfassend vorgetragen, dass die Kälber geeignete Tränkevorrichtungen mit verformbaren Saugern, die einen zweiphasigen Saugakt ermöglichen, benötigen. Eine reine Wassertränke werde den Ansprüchen von Kälbern auf langen Transporten nicht gerecht. Demgegenüber verweist die Antragstellerin auf den gültigen Zulassungsnachweis für das geplante Transportmittel, der innerhalb der Tiergattung der Rinder keine Einschränkungen enthalte, so dass von der Zulassung auch für nicht abgesetzte Kälber auszugehen sei. Im vorliegenden Verfahren kann die Klärung dieser grundsätzlichen Frage dahingestellt bleiben, da auch unter Zugrundelegung einer Einhaltung sämtlicher Anforderungen des Anhangs I Kapitel VI der EU-Tiertransport-VO der geplante Transport nicht zulässig ist. Denn er verstößt nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls gegen die Vorgaben des Anhangs I Kapitel V der EU-Tiertransport-VO.
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4. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Antragstellerin hat als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt den Vorgaben der §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache wurde keine Halbierung des Streitwerts vorgenommen (Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).