Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 26.05.2020 – Au 1 K 19.943
Titel:

Zuständigkeit bei einem länderübergreifenden Wohnsitzwechsel nach Abschluss eines Asylverfahrens

Normenketten:
AufenthG § 61 Abs. 1d S. 3, § 72 Abs. 3 S. 1
AsylG § 51, § 56, § 59a Abs. 1
VwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a
GG Art. 6
Leitsätze:
1. Nach Abschluss des Asylverfahrens richtet sich die Umverteilung nach den allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsätzen, die asylrechtliche Zuweisungsentscheidung steht dem nicht entgegen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verpflichtung nach § 61 Abs. 1b Satz 1 und 2 AufenthG, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, entsteht kraft Gesetzes, sobald der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist und seinen Lebensunterhalt nicht sichern kann (BayVGH BeckRS 2016, 54883). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geduldeter abgelehnter Asylbewerber, Fehlende Sicherung des Lebensunterhalts, Änderung einer Wohnsitzauflage, Länderübergreifender Wohnsitzwechsel, Zuständigkeitsregelung, örtlich zuständige Ausländerbehörde, Verbandskompetenz, Umverteilung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.09.2020 – 10 ZB 20.1593
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24622

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2019 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Änderung der Wohnsitzauflage in seiner Duldung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen Kläger und Beklagte je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der am ... 1989 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkssowie yezidischer Religionszugehörigkeit und stammt aus der Provinz ... im autonomen Kurdengebiet im Nordirak. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Wohnsitzauflage in seiner Duldung aufzuheben bzw. abzuändern.
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Er reiste am 5. August 2008 in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. September 2008 einen förmlichen Asylantrag. Mit Bescheid vom 12. Januar 2009 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. In der Folgezeit erhielt er jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse.
3
Mit förmlichem Antrag vom 7. Oktober 2014 stellte der Kläger einen asylrechtlichen Folgeantrag, den er auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte. Mit Bescheid vom 4. November 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheids). Zudem wurde dem Kläger die Abschiebung in den Irak angedroht (Ziffer 3 des Bescheids). Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 22. Januar 2018 ab (Az. Au 5 K 16.32380).
4
Seit dem 6. April 2017 ist der Kläger im Besitz von Duldungen. Er ist nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In dem Feld „Nebenbestimmungen“ enthalten die Duldungen folgenden Hinweis: „Es besteht weiterhin die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der durch die Regierung von ... zugewiesenen Unterkunft.“
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Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf diesen Hinweis in der Duldung die „Aufhebung der Wohnsitznahme“. Zur Begründung verwies er auf die Geburt der Tochter des Klägers in ... (...) am ... 2017. Der Kläger solle dem Wohnort des Kindes und der leiblichen Mutter zugewiesen werden. Der Bevollmächtigte des Klägers legte die Vaterschaftsanerkennung, die Sorgerechtserklärung, die Geburtsurkunde des Kindes und die Meldebescheinigung von Mutter und Kind vor. Im weiteren Verlauf des Verfahrens teilte er mit, dass das zweite gemeinsame Kind am ... 2019 geboren worden sei. Die Kindsmutter sei dringend auf die Unterstützung des Klägers angewiesen. Zudem legte er eine Heiratsurkunde vor, wonach der Kläger und die Kindsmutter am 25. März 2019 im Irak in beiderseitiger Abwesenheit geheiratet hätten. Ausweislich der Urkunde wurden die Eheleute jeweils durch Bevollmächtigte vertreten.
6
Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 18. Juli 2018 den Antrag des Klägers an den Landkreis ... mit der Bitte um Entscheidung gemäß § 61 Abs. 1d AufenthG in eigener Zuständigkeit. Zudem erteilte sie ihr Einvernehmen gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Daraufhin teilte das Ordnungsamt des Landkreises ... der Beklagten mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 mit, dass kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gesehen werde und eine Änderung der Wohnsitzauflage nicht angezeigt sei. Es könne dem Kläger zugemutet werden, die Familienzusammenführung im Wege der Einreise mit einem entsprechenden Visum zu betreiben.
7
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 ließ der Kläger Untätigkeitsklage erheben mit dem Ziel, die Beklagte zur Entscheidung über seinen Antrag vom 6. Juli 2018 zu verpflichten. Mit Beschluss vom 10. Mai 2019 bewilligte das Verwaltungsgericht Augsburg Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für dieses Verfahren (Az. Au 1 K 18.2004).
8
Mit Bescheid vom 18. Juni 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Aufhebung der Wohnsitzauflage bzw. Änderung der Wohnsitzauflage ab. Zunächst sei eine ersatzlose Aufhebung der Wohnsitzauflage nicht möglich, da kraft Gesetzes für den Kläger eine Wohnsitzauflage vorgesehen sei. Allenfalls könne sie auf eine niedersächsische Adresse geändert werden. Die Beklagte habe jedoch keine Änderungskompetenz, da diese allenfalls bei der Ausländerbehörde in ... liegen könne. Das Bundesstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG sehe vor, dass ein Bundesland in seiner Verwaltungshoheit auf sein eigenes Gebiet beschränkt sei. Zwar werde mit dem Aufenthaltsgesetz Bundesrecht vollzogen und ... müsse daher eine Durchbrechung des Territorialprinzips hinnehmen. Das Aufenthaltsgesetz enthalte aber keine entsprechende Befugnisnorm, auf deren Grundlage die Behörde des einen Bundeslandes in die Verwaltungshoheit eines anderen Bundeslandes eingreifen könne. In diesem Licht sei § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG zu lesen. Die Vorschrift schreibe gerade nicht der aktuell zuständigen Ausländerbehörde, sondern nur einer Ausländerbehörde die Änderungskompetenz zu. Zudem sei die Beklagte auch nach Landesrecht nicht die innerhalb Bayerns zuständige Ausländerbehörde. Zuständig für den Vollzug des § 61 Abs. 1d AufenthG seien in Bayern die Bezirksregierungen und nicht die Kreisverwaltungsbehörden. Die Konkretisierung der Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d AufenthG sei in Bayern über die Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) den Bezirksregierungen, die auch Ausländerbehörden seien, übertragen. Die DVAsyl sei auf geduldete Ausländer anzuwenden. Die örtlich zuständige Regierung von ... habe diese Personen einem bestimmten Wohnort zuzuweisen, was auch die für die Bestimmung der Wohnsitzauflage zwingend erforderlichen Details festlege. Die Zuweisung gelte fort, auch wenn sie zeitlich vor der Duldungserteilung erfolgt sei. Sie habe sich mit dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens nicht erledigt, da sie keine entsprechende auflösende Bedingung enthalte. Die Zuweisungsentscheidung der Regierung von ... stehe einer abweichenden Entscheidung der Beklagten entgegen.
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Aufgrund dieses Bescheids erklärte der Bevollmächtigte des Klägers die Untätigkeitsklage im Verfahren Au 1 K 18.2004 für erledigt und erhob mit Schriftsatz vom 25. Juni 2019 eine neue Klage. Der Kläger habe ein Recht auf ein Zusammenleben mit seiner Ehefrau und den Kindern. Das Vorbringen der Beklagten, sie sei unzuständig, sei nicht nachvollziehbar, da der Kläger bei Nachfragen stets von der Bezirksregierung und vom Freistaat Bayern an die Beklagte verwiesen worden sei. Soweit die Beigeladene auf einen möglichen Wohnsitz der Familie in ... verweise, sei dies unverhältnismäßig. Die Ehefrau und die Kinder hätten sich an ihrem derzeitigen Wohnsitz eingelebt und integriert. Die erfolgreiche Integration dürfe nicht abgebrochen werden. Soweit die Beigeladene eine erfolgreiche Integration verneine, handle es sich um Ausführungen ins Blaue hinein. Die Ehefrau des Klägers erwarte im Juni 2020 das dritte Kind.
10
Der Kläger lässt beantragen,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2019 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Änderung der Wohnsitzauflage durchzuführen.
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2. Hilfsweise: Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2019 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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3. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
14
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 10. Juli 2019,
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die Klage abzuweisen.
16
Die Vorschrift des § 61 Abs. 1d AufenthG werde in Bayern durch die Bezirksregierung vollzogen. Zudem sei wegen des in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Territorialprinzips kein Eingriff in die Verwaltungshoheit eines anderen Bundeslandes möglich. Soweit die Beklagte dem Antrag des Klägers stattgeben würde, bestünden widersprüchliche Verpflichtungen für den Kläger. Der Zuweisungsbescheid der Regierung von ... würde dann nämlich einen anderen Wohnort festlegen als die Wohnsitzauflage der Duldung. Ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Kosten bestehe nicht, da ein außergerichtliches Verfahren nicht stattgefunden habe. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Ausländerbehörde des Zuzugsortes zuständig sei. Dies werde durch § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestätigt, wonach räumliche Beschränkungen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde genehmigt werden dürften, welche die Maßnahme angeordnet habe. Dieses Beteiligungserfordernis mache nur Sinn, wenn die Zuständigkeit bei der aufnehmenden Behörde liege. Es sei aber auch die Regierung von ... und nicht die Beklagte zu beteiligen. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Zuständigkeitsfrage werde die Zulassung der Berufung angeregt.
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Mit Beschluss vom 28. Juni 2019 wurde der Landkreis ... zum Verfahren beigeladen. Nach einem Umzug der Familie des Klägers in die Stadt ... wurde am 9. Oktober 2019 dieser Beschluss aufgehoben und die Stadt ... zum Verfahren beigeladen. Diese äußerte sich mit Schreiben vom 3. März 2020 zum Verfahren. Es bestehe grundsätzlich keine Bereitschaft, dem Zuzug des ausreisepflichtigen Klägers zuzustimmen. Die Ehefrau sei seit dem Jahr 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Die nach § 12a AufenthG ausgesprochene Verpflichtung, in ... zu wohnen, ende am 1. Juni 2020. Dann könne die familiäre Lebensgemeinschaft in ... hergestellt werden. Es könne nicht beurteilt werden, ob die Ehefrau und Kinder des Klägers im Stadtgebiet der Beigeladenen integriert seien, da sie erst im August letzten Jahres zugezogen seien. Da sie innerhalb des Bundeslandes ... ihren Wohnsitz frei wählen dürften, hätten sie selbst von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Da die Kinder erst ein bzw. zwei Jahre alt seien, sei für sie das häusliche Umfeld entscheidender als die Stadt, in der sie sich aufhielten.
18
Die Beklagte stimmte auf Anfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 27. April 2020 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu. Der Bevollmächtigte des Klägers sowie die Beigeladene erklärten mit Schriftsätzen vom 28. April 2020 und 6. Mai 2020 ebenfalls ihren Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
19
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

I.
20
Gegenstand der Klage ist der Anspruch des Klägers auf Änderung der Wohnsitzauflage in seiner Duldung.
II.
21
Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO statthaft. Der Kläger begehrt die Änderung der seiner Duldung beigefügten Wohnsitzauflage. Diese besteht für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, deren Lebensunterhalt - wie im Fall des Klägers - nicht gesichert ist, kraft Gesetzes gemäß § 61 Abs. 1b Satz 1 AufenthG, so dass sie nicht durch eine Anfechtungsklage beseitigt werden kann.
III.
22
Die Klage ist im Hilfsantrag begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Antrag auf Änderung der Wohnsitzauflage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Anspruch des Klägers auf Änderung der Wohnsitzauflage ist nicht gegeben, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
23
1. Rechtsgrundlage für die begehrte länderübergreifende Umverteilung von Bayern nach ... ist § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG.
24
a) Der Kläger ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, da er keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Deshalb ist er nach § 61 Abs. 1b AufenthG verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Soweit die Ausländerbehörde nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Die dem Kläger von der Beklagten ausgestellten Duldungen enthalten den Hinweis auf die Zuweisungsentscheidung der Regierung von, die nach wie vor gelte. Dies ist als Verweis auf die kraft Gesetzes bestehende Auflage zu verstehen, weiterhin an dem zugewiesenen Ort die Wohnung zu nehmen.
25
b) Die bisher nicht förmlich aufgehobene Zuweisungsentscheidung der Regierung von ... führt nicht dazu, dass die Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage eine vorhergehende länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylG voraussetzt. Zwar wurde früher in Rechtsprechung und Literatur vertreten, ein länderübergreifender Wechsel des Wohnortes eines unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbers setze grundsätzlich eine länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylG voraus (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 15.5.2009 - 10 C 09.880 - juris Rn. 6). Diese Auffassung wurde jedoch im Wesentlichen mit der Regelung des § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG begründet, wonach räumliche Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung auch nach deren Erlöschen so lange in Kraft blieben, bis sie aufgehoben wurden (BayVGH, B.v. 15.5.2009, a.a.O., Rn. 6). Diese Vorschrift wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von Asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23. Dezember 2014 zum 1. Januar 2015 aufgehoben. Zugleich wurde die Regelung des § 59a Abs. 1 AsylG in das Gesetz eingefügt, wonach die räumliche Beschränkung nach § 56 AsylG erlischt, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Aufgrund dieser Gesetzesänderung ist davon auszugehen, dass sich nach Abschluss des Asylverfahrens die Umverteilung nach den allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsätzen richtet und die asylrechtliche Zuweisungsentscheidung dem nicht entgegensteht (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand. April 2019, § 61 Rn. 59). Die Vorschrift des § 51 AsylG ist dann nicht mehr anwendbar, wenn die Ausländerbehörde einem Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags eine Duldung erteilt hat (BayVGH, B.v. 1.9.2015 - 21 C 15.30131 - juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall.
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2. Der geltend gemachte Anspruch richtet sich zutreffend gegen die Beklagte. Sie ist passiv legitimiert, da sie für die Änderung der Wohnsitzauflage sowohl die Verbandszuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit besitzt.
27
a) Gemäß § 61 Abs. 1c Satz 3 AufenthG ist für eine Änderung der Wohnsitzauflage die Ausländerbehörde zuständig. Eine genauere Bestimmung der örtlich zuständigen Ausländerbehörde bei einem begehrten länderübergreifenden Wohnsitzwechsel nach Abschluss des Asylverfahrens enthält das Aufenthaltsgesetz nicht. Insbesondere fehlt eine dem § 60 Abs. 3 AsylG entsprechende bundesrechtliche Regelung der Zuständigkeit der Landesbehörde des aufnehmenden Landes bei einem länderübergreifenden Wohnsitzwechsel. Im Gesetzgebungsverfahren für das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von Asylsuchenden und geduldeten Ausländern regte der Bundesrat eine entsprechende Ergänzung des § 61 Abs. 1d AufenthG um eine Regelung der Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Zuzugsorts an (BR-Drucksache 506/14). Diese Anregung wertete die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zwar als sachgerecht und stimmte diesem Änderungsvorschlag grundsätzlich zu, sah jedoch noch weiteren Prüfbedarf (BT-Drucksache 18/3160). Im Ergebnis wurde die Änderung nicht in das Gesetz aufgenommen, so dass sich die Bestimmung der örtlich zuständigen Ausländerbehörde nach den allgemeinen Grundsätzen zu richten hat. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Hiernach dürfen räumliche Beschränkungen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Diese Vorschrift geht erkennbar von einer möglichen Mehrfachzuständigkeit verschiedener Ausländerbehörden aus, spricht jedoch nicht gegen die Zuständigkeit der Beklagten im vorliegenden Fall. Auch der Bundesrat ging in seiner oben genannten Stellungnahme zum Gesetzgebungsverfahren für das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern von möglicherweise gegebenen parallelen Zuständigkeiten aus und regte deshalb eine klare Zuständigkeitsregelung im Fall von zuständigkeitsüberschreitenden Änderungen von Wohnsitzauflagen bei vollziehbar Ausreisepflichtigen an. Dies wurde allerdings nicht in das Gesetz übernommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann deren Unzuständigkeit für die Änderung der Wohnsitzauflage deshalb weder dem Aufenthaltsgesetz noch den Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren entnommen werden. Im Gegenteil weist der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 7. November 2014 ausdrücklich darauf hin, dass die örtlich zuständige Ausländerbehörde des aktuellen Aufenthaltsorts die Lebens- und Integrationsbedingungen am gewünschten Aufenthaltsort nicht hinreichend beurteilen könne und deshalb der Gesetzentwurf ergänzt werden solle. Nachdem der Änderungsvorschlag nicht übernommen wurde, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber keine besondere Zuständigkeitsregelung treffen wollte und damit die allgemeinen Grundsätze maßgeblich sind.
28
b) Nach einem grundlegenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Bestimmung der Zuständigkeit im Aufenthaltsrecht (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 5.11 - juris Rn. 17 ff.) ist die zuständige Behörde in zwei Schritten zu bestimmen: In einem ersten Schritt ist festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitzt. Diese Frage ist - wenn keine speziellen koordinierten landesrechtlichen Kompetenzregelungen vorliegen - durch entsprechende Anwendung der mit § 3 VwVfG übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zu beantworten. In einem zweiten Schritt ist auf der Grundlage des Landesrechts des zur Sachentscheidung befugten Bundeslandes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des Landes örtlich zuständig ist.
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c) Gemessen daran ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a BayVwVfG, der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG übereinstimmt, der Freistaat Bayern verbandskompetent für die Behandlung der begehrten Änderung der gesetzlichen Wohnsitzauflage des Klägers. Nach dieser Vorschrift ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Der Kläger hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern. Er war während seines Asylverfahrens verpflichtet, in Bayern zu wohnen und ist auch in Bayern gemeldet. Es kann dahingestellt bleiben, ob er sich angesichts seiner familiären Bindungen in ... tatsächlich überwiegend an den ihm zugewiesenen Wohnort aufhält. Denn es entspricht dem Zweck der gesetzlichen Wohnsitzauflage für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist, dass die Ausländerbehörde, in deren Zuständigkeitsbereich die Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG entstanden ist, Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a BayVwVfG i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I ist und bleibt. Die Wohnsitzauflage soll nämlich dadurch, dass Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht (vgl. § 10a AsylbLG), die gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern gewährleisten. Insbesondere sollen geduldete Ausländer, die unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland umziehen, dort keine Ansprüche nach dem AsylbLG geltend machen können (vgl. BT-Drucksache 18/3144, S. 9 f). Dieser Zweck würde jedoch nicht erreicht, wenn geduldete Ausländer durch einen auflagewidrigen Aufenthalt in einem anderen Bundesland selbst die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des tatsächlichen Aufenthaltsorts begründen und ihren Aufenthalt selbst verfestigen könnten (VG Aachen, U.v. 23.5.2015 - 4 K 317/14 - juris Rn. 60, 61 m.w.N.). Damit kommt das Stadtgebiet der Beigeladenen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als gewöhnlicher Aufenthalt des Klägers in Betracht.
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d) Innerhalb Bayerns ist die Stadt ... gemäß § 1 Nr. 1, § 3 und § 6 Abs. 1 Satz 2 der Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht (ZustVAuslR) sachlich und örtlich zuständig. Die Regelung des § 11 DVAsyl findet auf die vorliegende Konstellation keine Anwendung. Zwar ist der Kläger Leistungsberechtigter im Sinne des § 1 AsylbLG, was nach § 1 Nr. 1 DVAsyl den Anwendungsbereich dieser Verordnung eröffnet. Jedoch findet sich im Aufenthaltsgesetz keine Ermächtigungsgrundlage für eine Rechtsverordnung einer Landesregierung hinsichtlich der Zuständigkeit für Regelungen im Rahmen der Duldung sowie deren Auflagen und somit der Zuständigkeit für die Änderung einer gesetzlichen Wohnsitzauflage.
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3. Nach allem hat der Kläger einen Anspruch auf Entscheidung der Beklagten über seinen Antrag auf Änderung der Wohnsitzauflage gemäß § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG.
32
a) Eine bloße Aufhebung der Wohnsitzauflage kommt nicht in Betracht. Die Verpflichtung nach § 61 Abs. 1b Satz 1 und 2 AufenthG, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, entsteht kraft Gesetzes, sobald der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist und seinen Lebensunterhalt nicht sichern kann (BayVGH, B.v. 2.11.2016 - 10 ZB 16.1134 - juris Rn. 8). Da der Kläger Sozialleistungen bezieht, ist zu berücksichtigen, dass eine einen bestimmten Ort betreffende Wohnsitzauflage kraft Gesetzes vorgesehen ist und der Ausländerbehörde eine Aufhebungsbefugnis nicht zusteht, ohne dass zugleich ein anderer Wohnsitz bestimmt wird (BayVGH, B.v. 1.9.2015 - 21 C 15.30131 - juris Rn. 8). Dabei sieht die Vorschrift des § 72 Abs. 3 und Abs. 3a AufenthG kein rechtlich bindendes Beteiligungserfordernis der für den beantragten Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde vor.
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b) Da die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 18. Juni 2019 von ihrer Unzuständigkeit ausging und keine Entscheidung in der Sache getroffen hat, liegt ein gemäß § 114 Satz 1 VwGO beachtlicher Ermessensausfall vor. Der Kläger hat deshalb einen Anspruch auf eine erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Änderung einer Wohnsitzauflage stellt regelmäßig eine Einzelfallentscheidung dar, welche im Ermessen der Behörde liegt. Bei der Ausübung des Ermessens hat die Ausländerbehörde das mit der gesetzlich angeordneten Wohnsitzauflage verfolgte öffentliche Interesse an einer gerechten Verteilung der Sozialkosten zwischen den Bundesländern einerseits und die persönlichen Belange des betroffenen Ausländers andererseits zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Als zu berücksichtigende Belange auf Seiten des Ausländers werden in § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG insbesondere seine Beziehungen zu Familienangehörigen, mit denen er in Haushaltsgemeinschaft lebt oder leben will, genannt. Damit wird der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG Rechnung getragen, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat. Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, bei jeder ausländerrechtlichen Entscheidung die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Im vorliegenden Fall dient die Änderung der Wohnsitzauflage der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Ehe im Hinblick auf die Stellvertretung bei der Eheschließung im Irak (sog. Handschuhehe) wirksam geschlossen wurde. Denn der Kläger hat die Vaterschaft für seine beiden Kinder anerkannt, so dass jedenfalls insoweit schutzwürdige Bindungen vorliegen. Das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern ist dabei besonders schutzwürdig, so dass die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ein überragendes Schutzgut darstellt, das regelmäßig einen Anspruch auf Umverteilung gibt.
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Im vorliegenden Fall kann gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, dass das ausländerbehördliche Ermessen aufgrund dieser familiären Bindungen auf Null reduziert ist, so dass sich die Änderung der Wohnsitzauflage nicht als einzig rechtmäßige Entscheidung darstellt. Denn die Beigeladene weist zu Recht darauf hin, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers ab Juni 2020 nicht mehr zur Wohnsitznahme in ... verpflichtet sein werden. Damit spricht der öffentliche Belang einer gerechten Lastenverteilung, der in den entsprechenden gesetzlichen Regelungen zur Wohnsitzauflage seinen Ausdruck findet, nur noch für ein Verbleiben des Klägers in Bayern, nicht mehr jedoch für einen Aufenthalt seiner Ehefrau in .... Im Stadtgebiet der Beigeladenen wohnen die Ehefrau und Kinder erst seit dem 1. August 2019. Dabei ist zum einen unklar, ob der in ... der Familie zur Verfügung stehende Wohnraum zureichend ist (vgl. hierzu Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: September 2019, § 61 Rn. 60). Zum anderen sind die sozialen und wirtschaftlichen Bindungen der Ehefrau in ... noch klärungsbedürftig. Obwohl die Beigeladene dies in ihrem Schreiben vom 30. März 2020 problematisierte, fand keinerlei substantiierter Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers hierzu statt. Soweit die Ehefrau des Klägers nicht erwerbstätig ist und auch im Übrigen noch keine Integration oder sonstigen Bindungen in ... erkennbar sind, kann die Familieneinheit in zumutbarer Weise auch am Wohnort des Klägers hergestellt werden. Es wird deshalb von der Beklagten zu ermitteln und zu prüfen sein, welche Lebens- und Integrationsbedingungen für die Familie in ... vorhanden sind und inwieweit eine Herstellung der familiären Einheit auch am Wohnort des Klägers möglich und zumutbar ist.
35
Da nach alledem die Sache noch nicht spruchreif ist, konnte lediglich eine Verpflichtung der Beklagten auf erneute Verbescheidung des Antrags ausgesprochen werden.
IV.
36
Die Kostenentscheidung basiert auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Klage ist im Hilfsantrag erfolgreich, so dass die Teilung der Kosten je zur Hälfte angemessen ist. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt und damit nach § 154 Abs. 3 VwGO kein Kostenrisiko getragen hat.
37
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.