Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 15.09.2020 – Au 9 S 20.1620
Titel:

Voraussetzungen einer Quarantäneanordnung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 16 Abs. 8, § 28 Abs. 1 S. 1, § 29 Abs. 1, Abs.2, § 30 Abs. 1 S. 2, § 56 Abs. 1
Leitsätze:
1. Voraussetzung für die Anordnung der häuslichen Quarantäne ist ausschließlich die Tatsache, dass der Betroffene Kontaktperson der Kategorie I ist, d.h. dass er in engem Kontakt zu einem bestätigten Fall von Covid-19 stand. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist rechtmäßig für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne - z.B. wegen eines negativen Testergebnisses -vorzusehen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Quarantäneanordnung, Kontaktperson der Kategorie I, 14tägige häusliche Isolation, Freitesten
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24279

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Aufhebung der ihr gegenüber angeordneten häuslichen Quarantäne.
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Am 31. August 2020 wurde die 11jährige Tochter der Antragstellerin positiv auf das Virus Sars-CoV-2 (COVID-19) getestet. Das positive Testergebnis wurde der Antragstellerin am 4. September 2020 über das staatliche Gesundheitsamt des Landratsamts ... bekanntgegeben. Mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege wurde die Antragstellerin außerdem auf der Grundlage der Allgemeinverfügung zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I vom 18. August 2020 verpflichtet, sich umgehend in Quarantäne zu begeben. Die häusliche Isolation beginne am 4. September 2020 und ende, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen auftreten, vorliegend am 17. September 2020.
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Die Allgemeinverfügung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen (Az. GZ6a-8000-2020/572, BayMBl. 2020 Nr. 464), enthält insoweit folgende Regelungen:
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"Allgemeinverfügung
(…)
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2.1.1 Kontaktpersonen der Kategorie I müssen sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamts gemäß Nr. 1.1 und bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamts erfolgt.“
(…)
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6.1 Bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet die häusliche Isolation, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt.“
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Die Antragstellerin wandte sich mit Schreiben vom 11. September 2020 mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das Verwaltungsgericht Augsburg und beantragt sinngemäß,
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den Antragsgegner zu verpflichten, die ihr gegenüber angeordnete häusliche Quarantäne aufzuheben.
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Zur Begründung wird ausgeführt, ihre Tochter sei positiv getestet worden. Das positive Testergebnis habe einen CT-Value N-Gene Wert von 37,07 aufgewiesen. Der vom Hausarzt durchgeführte Antikörpertest sei negativ gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass das Virus zum Testzeitpunkt nicht mehr ansteckend gewesen sei. Mit schriftlicher Anordnung vom 4. September 2020 sei die Antragstellerin jedoch als Kontaktperson I bis 17. September 2020 unter Quarantäne gestellt worden.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er führt zur Begründung aus, der Antrag sei bereits unzulässig, da ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ein anhängiges Hauptsacheverfahren zur Voraussetzung habe. Die Antragstellerin habe jedoch bislang keine Anfechtungsklage erhoben, deren aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte. Die angegriffene Allgemeinverfügung sei rechtmäßig. Sie könne sich auf § 28 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 und 2, § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG stützen. Die Antragstellerin sei aufgrund ihres Kontakts zu ihrer positiv getesteten Tochter A. gemäß § 2 Nr. 7 IfSG. Als Kontaktperson der Kategorie I werde sie gemäß Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung von deren Anwendungsbereich erfasst und zur Isolation verpflichtet. Die angegriffene Allgemeinverfügung beachte auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Gesamtkonzept sei darauf gerichtet, einen möglichst hohen Schutzstandard für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten, um eine unkontrollierte Verbreitung des Virus zu verhindern. Es werde eine Risikoprognose vorgenommen. Die angegriffene Maßnahme bezwecke die Verlangsamung des Ansteckungsgeschehens. Sie sei auch erforderlich, da mildere, gleich geeignete Mittel nicht ersichtlich seien. Die angegriffene Allgemeinverfügung sei schließlich auch verhältnismäßig. Das Robert Koch-Institut schätze die Gefährdung für die Gesundheit weiterhin als hoch ein. Die Inkubationszeit könne nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen bis zu 14 Tage betragen. Auch die in der aktuellen Pandemiesituation vorzunehmende Folgenabwägung ergebe, dass die geringen Beschränkungen der Interessen der Antragstellerin gegenüber den Gefahren für Leib und Leben von zahlreichen Menschen in Bayern zurücktreten müsse. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Isolationszeit größtenteils bereits abgelaufen sei. Weder der CT Value N-Gene Wert von 37,07 noch der vom Hausarzt durchgeführte Antikörpertest sei geeignet für die Annahme, dass das Virus zum Testzeitpunkt nicht mehr ansteckend gewesen sei. Insbesondere würden Antikörper regelmäßig erst zwischen 7-14 Tagen nach Infektionsbeginn nachweisbar sein. Ein vorheriger Test falle zwangsläufig negativ aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage die Anordnung der häuslichen Quarantäne bis zum 17. September 2020 im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussichtlich rechtmäßig ist. Daher fällt vorliegend die Interessenabwägung zugunsten des Antragsgegners aus.
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1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt, auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage eingereicht werden, wenn wie im vorliegenden Fall, in dem aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung von vorneherein absehbar ist, dass eine Entscheidung in der Hauptsache nicht rechtzeitig ergehen kann. In diesem Fall ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bereits Anfechtungsklage erhoben wurde, zulässig.
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a) Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, Az. GZ6a-G8000-2020/572, zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen ist gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar, so dass der Antrag statthaft ist.
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b) Der Antrag war gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, zu richten, da sich die Verpflichtung zur Isolation unmittelbar aus der Allgemeinverfügung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, GZ6a-8000-2020/572, ergibt. Es bedarf dazu keines weiteren Verwaltungsakts seitens der Kreisverwaltungsbehörde.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Die gerichtliche Entscheidung ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung - hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG - zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Verfügung bestehen, das heißt, dass ein Erfolg der Klage wahrscheinlicher wäre als ein Misserfolg, oder wenn sonst Umstände vorliegen, welche ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung begründeten. Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, wonach die streitgegenständliche Allgemeinverfügung gemäß 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
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a) Vorliegend kann nicht von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 18. August 2020 ausgegangen werden, sodass der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf der Antragstellerin voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die Antragstellerin ist aufgrund von Nr. 2.1.1 i.V.m. Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, GZ6a-G8000-2020/572, bis einschließlich 17. September 2020 zur Isolation verpflichtet. Daher war der Antrag abzulehnen.
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aa) Die Verpflichtung der Antragstellerin zur Einhaltung der 14-tägigen häuslichen Isolation ergibt sich aus der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 (Az.: GZ6a-G8000-2020/572). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragstellerin Kontaktperson der Kategorie I im Sinne der Allgemeinverfügung ist. Die Antragstellerin ist damit nach Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung verpflichtet, sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamts gemäß Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung in Isolation zu begeben und dort bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall zu bleiben.
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bb) Maßgeblich für den Beginn der Isolation ist nach der ausdrücklichen Regelung in Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung der Zeitpunkt der Mitteilung durch das Gesundheitsamt, dass die Antragstellerin Kontaktperson der Kategorie I ist. Von diesem Zeitpunkt an hat sich der Betroffene bis zum Ablauf des 14. Tages nach der vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt in Isolation zu begeben. Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin mit ihrer positiv getesteten Tochter in einem gemeinsamen Hausstand lebt, ist ein „letzter Kontakt“ zur Bestimmung der Quarantänedauer nicht eindeutig festzustellen. Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin auch nach deren Testung am 31. August 2020 weiterhin engen Kontakt zu ihr hatte. Allerdings geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerin ab der Mitteilung des positiven Testergebnisses für ihre Tochter am 4. September 2020 sich entsprechend den Vorgaben des Gesundheitsamts verhielt, so dass bei lebensnaher Betrachtungsweise für die Bestimmung der Quarantänezeit auf diesem Zeitpunkt (4. September 2020) abgestellt werden kann. Der Quarantänezeitraum wurde somit zutreffend bis zum 17. September 2020 festgelegt.
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cc) Die häusliche Isolation der Antragstellerin ist auch nicht im Hinblick auf die von der Antragstellerin geäußerte Vermutung, ihre Tochter sei bereits im Zeitpunkt der Testung nicht mehr infektiös gewesen, aufzuheben. Weder der bei der Tochter durchgeführte und negativ ausgefallene Antikörpertest, noch der gemessene CT-Wert von 37,07 rechtfertigen eine Aufhebung bzw. Verkürzung der 14-tägigen Quarantäne.
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Voraussetzung für die Anordnung der Quarantäne ist ausschließlich die Tatsache, dass es sich bei der Antragstellerin um eine Kontaktperson der Kategorie I handelt, d.h. dass sie in engem Kontakt zu einem bestätigten Fall von Covid-19 stand. Da die Tochter der Antragstellerin unstreitig positiv auf das Virus getestet wurde, unterfällt die Antragstellerin als deren Mutter und Kontaktperson der Kategorie I der Quarantänepflicht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach - allerdings nicht belegten - Angaben der Antragstellerin der Hausarzt bei ihrer Tochter keine Antikörper gegen das Coronavirus festgestellt hat. Wie der Antragsgegner nachvollziehbar dargelegt hat, werden Antikörper infolge einer Immunreaktion des Körpers auf das Virus gebildet. Dieses geschieht mit gewisser zeitlicher Verzögerung, sodass in der Regel eine Antikörperproduktion erst 7 bis 14 Tage nach Infektionsbeginn nachweisbar ist. Die Behauptung der Antragstellerin, dass der Hausarzt bei ihrer Tochter keine Antikörper feststellte, widerlegt die Tatsache einer Virusinfektion somit nicht. Auch der bei der Tochter der Antragstellerin festgestellte CT-Wert von 37,07 führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Aufgrund des festgestellten CT-Werts von 37,07 ist von einer ansteckungsfähigen Infektion auszugehen, weil eine bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2 ausweislich des vorgelegten Testergebnisses bei einem CT-Wert von gleich oder weniger 39 vorliegt. Dafür, dass die Tochter der Antragstellerin tatsächlich nicht ansteckend war, fehlen belegbare Anhaltspunkte.
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b) Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, Az. GZ6a-G8000-2020/572, ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Sie findet in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG eine ausreichende Rechtsgrundlage und ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
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aa) Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, sodass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist. Als Kontaktperson der Kategorie I ist die Antragstellerin ansteckungsverdächtige gemäß § 2 Nr. 7 IfSG.
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bb) Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, hierzu zählen insbesondere die in §§ 29 bis 31 IfSG genannten Maßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
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Sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. § 28 Abs. 1 Satz 1 1. HS IfSG n.F. enthält eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, das sie entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuüben hat.
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Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der in der Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen ist der im allgemeinen Polizei- und Sicherheitsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
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Nach wie vor existiert weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19- Erkrankung. Nach der Risikobewertung des Robert Koch-Instituts handelt es sich weltweit und in Deutschland weiterhin um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation, die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland ist insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen. Angesichts teilweise schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe muss es Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Die häusliche Isolation von Kontaktpersonen ist dabei aus infektionsmedizinischer Sicht eine entscheidende Maßnahme zur Unterbrechung möglicher Infektionsketten. Diese Maßnahme ist daher nicht zu beanstanden.
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cc) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 für Kontaktpersonen der Kategorie I keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne z.B. wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann die Inkubationszeit bis zu 14 Tage betragen. Nach den Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung der Verbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), ist davon auszugehen, dass bis zum 14. Tag nach dem letzten direkten Kontakt noch eine (geringe) Wahrscheinlichkeit für eine Infektion besteht. Auch eine Person, die in den Tagen davor noch negativ auf das Virus getestet wurde, kann also bis zum 14. Tag noch eine Infektion entwickeln, so dass ein Test erst zu einem späteren Zeitpunkt positiv anschlägt (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/In-fAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText10). Daher müssen sich alle Personen, die in den letzten 14 Tagen einen engen Kontakt im Sinne der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts mit einem COVID-19-Fall hatten, in Quarantäne befinden. Erst nach dem Ablauf von 14 Tagen ist sichergestellt, dass sich diese Person nicht bei der ursprünglich positiv getesteten Person angesteckt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Quarantäne daher zwingend.
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dd) Die durch die Quarantäneverpflichtung zwangsweise eintretende Einschränkung der Grundrechte der Antragstellerin ist voraussichtlich auch in Abwägung mit den Grundrechten der Allgemeinheit angemessen. Das IfSG sieht zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen einer angeordneten Quarantäne zudem in § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigungsmöglichkeit für den entstandenen Verdienstausfall vor. Auf der anderen Seite stellt das Corona Virus eine ernste Bedrohung für Leben und Gesundheit einzelner, insbesondere älterer und kranker Menschen, sowie auch für das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung als Ganzes dar. In der Abwägung der privaten Interessen der Antragstellerin mit den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Eindämmung des Virus ist den Interessen der Allgemeinheit im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Quarantäne nach momentanem Kenntnisstand nur noch bis zum 17. September 2020 und damit nur noch wenige Tage andauert.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.