Titel:
Veräußerung eines beschädigten Fahrzeugs vor Ablauf einer "Prüffrist"
Normenketten:
BGB § 133, § 157, § 249 Abs. 2, § 254
PflVG § 1
StVG § 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Verkehrsunfallgeschädigte darf sein beschädigtes Kraftfahrzeugs zu dem Preis veräußern, den ein von beauftragter Sachverständiger aufgrund einer korrekten Wertermittlung auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufforderung zur Schadensregulierung nach einem von dem Geschädigten vorgelegten Schadensgutachten stellt keine Aufforderung dar, ein etwaiges höheres Restwertangebot einzureichen. (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls verletzt seine Schadenminderungsobliegenheit nicht dadurch, dass er sein Fahrzeug vor Ablauf einer Prüffrist für den Kfz-Haftpflichtversicherer veräußert. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Wiederbeschaffungswert, Restwertangebot, Schadensregulierung, Gutachten, Schadenminderungsobliegenheit, Prüffrist, regionaler Markt
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 24.06.2020 – 10 U 2526/20
OLG München, Beschluss vom 31.08.2020 – 10 U 2526/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24213
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.070,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.11.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 11.070,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 25.03.2019 in Großkarolinenfeld geltend.
2
Am 25.05.2019 ereignete sich ein Verkehrsunfall in 8..3109 Großkarolinenfeld, bei dem das klägerische Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … und das bei der Beklagten im Unfallzeitpunkt haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … beteiligt waren.
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Die Alleinhaftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig. Die Beklagte hat im Hinblick auf den Fahrzeugschaden insgesamt 10.400,00 € reguliert.
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Die Parteien streiten allein noch um die Höhe des zu berücksichtigenden Restwertes des Unfallsfahrzeugs der Klägerin.
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Am 27.03.2019 erholte die Klägerin ein privates Sachverständigengutachten über die Beschädigungen an ihrem Pkw. Dieses wies einen Wiederbeschaffungswert von 29.900,00 € und einen Restwert von 8.430,00 € aus. Dieses wies als Vergleichskaufangebote ein Angebot der Firma …, 8... R., ein Angebot der Firma …, 8... P., und ein Angebot der Firma …, 8... W., aus.
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Dieses Gutachten wurde der Beklagten mit Schreiben vom 28.03.2019 übersandt, verbunden mit der Bitte entsprechend dem Gutachten bis zum 11.04.2019 zu regulieren.
7
Am 02.04.2019 übersandte die Klägerin ihre Schadensmeldung zum Unfallhergang. Am 03.04.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass man das Gutachten überprüfen werde.
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Am 04.04.2019 entschloss sich die Klägerin ein Neufahrzeug zu erwerben und das verunfallte Fahrzeug in Zahlung zu geben. Mit Kaufvertrag vom selben Tag veräußerte sie das Unfallfahrzeug zum Preis von 8.430,00 € an die Firma … Rosenheim.
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Am 09.04.2019 rechnete die Beklagte den Fahrzeugschaden unter Berücksichtigung eines Restwerts gemäß eines von ihr eingeholten Kaufangebots der Firma … M. vom 08.04.2019 über 19.500 € ab.
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Die Klägerin ist der Rechtsauffassung, die Beklagte könne sich auf das höhere Restwertangebot nicht berufen, weil zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug schon verkauft war. Vielmehr habe sich die Klägerin auf das ihr vorliegende Gutachten verlassen dürfen.
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Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.070,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 12.04.2018 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
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Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass ein Restwert i.H.v. 19.500 € anzurechnen sei. Dem KfZ-Haftpflichtversicherer sei regelmäßig eine 4-wöchige Prüffrist des Unfallhergangs und des Schadens einzuräumen. Der Versicherung müsse vor der Verwertung eines Unfallfahrzeugs Gelegenheit gegeben werden, ein privat eingeholtes Gutachten zu prüfen. Dies gelte vorliegend erst Recht, weil die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 28.03.2019 der Beklagten eine (wenn auch zu kurz bemessene) Prüfungsfrist bis 11.04.2019 zugestanden habe. Auch sei der Versicherung die Art der beabsichtigten Schadensregulierung vorab mitzuteilen. Die Beklagte habe daher gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB verstoßen.
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In Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den gesamten Akteninhalt insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze jeweils nebst Anlagen wird ausdrücklich und vollumfänglich Bezug genommen.
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Durch Beschluss vom 05.02.2020 wurde mit Zustimmung der Parteien ins schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen. Als Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung gleichsteht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 04.03.2020 bestimmt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
17
Der Klägerin stehen weitere 11.070.00 € gegen die Beklagte zu, § 7 StVG, § 115 VVG
18
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115
VVG i.V.m. § 1 PflVG ist unstreitig.
19
Die Schadenshöhe richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Hiernach kann die Klägerin ihren Fahrzeugschaden unter Berücksichtigung des erzielten Verkaufserlöses in Höhe von 8.430,00 € von der Beklagten ersetzt verlangen. Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 249 Abs. 2 BGB bzw. gegen die Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB ist nicht gegeben.
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I) Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls genügt grundsätzlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB und seiner Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen, noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote zu übermitteln (BGH, Urteil vom 25.06.2019 - VI ZR 358/18, NJW 2019, 3139 mwN).
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I) Nach diesen Grundsätzen stellt das privat eingeholte Gutachten zunächst eine ausreichende Grundlage für die Veräußerung des beschädigten Pkws der Klägerin dar. Das Gutachten nimmt zunächst Bezug auf den relevanten Maßstab für die Bemessung des Restwertes, nämlich der Kaufpreis, der auf dem regionalen, allgemeinen Markt für das unfallgeschädigte Fahrzeug üblicherweise zu erzielen ist. Dieser Kaufpreis wird sodann durch 3 konkrete Vergleichsangebote unter Nennung der Interessenten ermittelt. Der Einwand der Beklagten, diese Angebote seien nicht „regional“, sondern „überregional“ und deswegen nicht verwertbar verfängt bereits im Ansatz nicht. Vielmehr geht es bei der Eingrenzung der Angebote auf den „regionalen“ mithin lokalen Markt darum, das Maß der Verpflichtung des Beklagten nach Restwertangeboten zu suchen zu bestimmen, Ein Geschädigter ist danach grundsätzlich nur verpflichtet, in dem ihm entsprechend bekannten und zugänglichen lokalen Markt nach Angeboten zu suchen (bzw. suchen zu lassen). Er ist aber nicht etwa verpflichtet, z.B. im Internet nach mitunter weit entfernten Aufkäufern zu suchen oder über Restwertbörsen weitere Angebote einzuholen. Tut er dies (überobligatorisch) gleichwohl, greift er also zur Bestimmung des noch erzielbaren Kaufpreises auf weiter entfernte Interessenten zu, gereicht ihm dies jedenfalls nicht zum Nachteil.
22
I) Des Weiteren musste die Klägerin nicht ein möglicherweise höheres Restwertangebot der Beklagten abwarten. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 04.01.2020 wird insoweit Bezug genommen. Eine Wartepflicht ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass die Klägerin mit anwaltlichen Schreiben vom 28.03.2019 darum gebeten hat, den Schaden entsprechend ihrem Gutachten bis zum 11.04.2019 zu regulieren.
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Die Bitte zur Regulierung bis zum 11.04.2019 stellt erkennbar schon keine Willenserklärung dar, die darauf gerichtet wäre, der Beklagten noch bis dahin Gelegenheit zu geben, höhere Restwertangebote vorzulegen (§§ 133, 157 BGB). Insoweit zielt das Schreiben aus der Sicht eines objektiven Dritten gerade nicht darauf ab, dass sich die Klägerin in irgendeiner Art selbst verpflichten hätte wollen, zeitlich noch mit der Schadensbehebung zuzuwarten. Vielmehr geht es erkennbar allein darum, möglichst kurzfristig den noch verbleibenden Schaden ersetzt zu bekommen.
24
Unabhängig davon würde aber vorliegend auch die Nichteinhaltung der freiwillig angebotenen Frist nicht dazu führen, dass sich die Klägerin nunmehr auf höhere Restwertangebote verweisen lassen muss. Schließlich hat die Beklagte mit Ihrem Schreiben vom 03.04.2019 lediglich insoweit reagiert, dass sie mitgeteilt hat, sie werde das vorgelegte Gutachten nunmehr prüfen. Damit bleibt für die Klägerin jedoch offen, ob die Beklagte überhaupt gewillt oder in der Lage ist, binnen der Frist bessere Angebote vorzulegen. Seitens der Beklagten wurde auf die Frist gerade nicht erkennbar reagiert.
25
I) Auch eine „Prüffrist“ war der Beklagten aus Gründen der Schadensminderungspflicht nicht einzuräumen. Zwar geht die Rechtsprechung durchaus davon aus, dass eine Versicherung ab dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens eine Prüffrist von jedenfalls 4 Wochen zuzubilligen sei (statt anderer OLG München, Endurteil vom 26.02.2016 - 10 U 579/15). Hierbei geht es jedoch nicht darum, der Beklagten aus Gründen der Schadensminderung eine Frist einzuräumen, um höhere Restwertangebote vorlegen zu können. Dies würde das Recht des Geschädigten unterlaufen, selbst Herr des Restitutionsgeschehens zu sein (vgl. OLG München, Urteil vom 23.04.1999 - 10 U 4116/98). Stattdessen ist die Rechtsprechung im Rahmen der Frage des Verzuges (§ 286 BGB) bzw. der Kostentragung (§ 93 ZPO) ergangen.
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I) Auch ist die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, der Beklagten vorab mitzuteilen für welche Art der Schadensregulierung Sie sich entscheiden wolle. Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Eine wie auch immer geartete sanktionbewehrte Verpflichtung des Geschädigten, den Schädiger in die Regulierung einzubeziehen, geschweige denn dessen Wünschen nachkommen zu müssen würde dieses Recht unterlaufen.
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Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 288, 291 BGB. Eine Verzinsung bereits ab 12.04.2019 unter Verzugsgesichtspunkten (§ 268 Abs. 1 BGB) war nicht zuzusprechen. Eine Mahnung liegt seitens der Klägerin nicht vor. Das Schreiben vom 28.03.2019 ist nicht hinreichend ernst und bestimmt, dass hierin bereits eine Mahnung gesehen werden könnte (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 17.04.2013 - 1 U 398/11).
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II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 S. 1 u. S. 2 ZPO.