Titel:
Heranziehung zu Kostenbeitrag
Normenketten:
SGB VIII § 34, § 41, § 91, § 93 Abs. 1 S. 3, § 94 Abs. 1 S. 1
SHR § 82 Abs. 2
Schlagworte:
Kostenbeitrag, Rechtmäßigkeit der Maßnahme, Hilfe für junge Volljährige, Rentenversicherung, Anfechtungsklage, Unterbringung, Unterkunft, Jugendhilfe, Einkommen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24150
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für die ihrem Sohn J., geb. am … … 1999, im Zeitraum vom 25. April 2017 bis zum 28. März 2018 gewährte Hilfe für junge Volljährige.
2
Der Sohn J. der Klägerin wendete sich (wohl) im März 2017 an das Jugendamt des Beklagten und bat um Unterbringung. Am 22. März 2017 fand beim Beklagten eine Besprechung des Hilfefalls statt. In dem über die Fallbesprechung erstellten Vermerk des Beklagten heißt es über die bisherige Entwicklung von J., dass bereits im Jahr 2010 der erste Kontakt zu ihm und seiner Familie stattgefunden habe. Nach der Scheidung der Eltern habe J. eine schwierige Entwicklung durchlaufen; J. sei labil und introvertiert gewesen, es seien Depressionen vermutet worden. Der Kindsvater habe sich vollkommen von der Familie abgewandt. Die Mutter von J. (Anmerkung des Gerichts: die Klägerin) sei selbst depressiv gewesen und mit dem Verhalten der Kinder (Anm. des Gerichts: J. hat noch zwei Geschwister) überfordert gewesen. J. habe sich auch kurzzeitig in der Heckscher-Klinik befunden wegen suizidaler Gedanken, selbstverletzendem Verhalten und Schulvermeidung. Dort sei man von einer depressiven Episode mit möglicherweise psychotischen Anteilen ausgegangen. Von Dezember 2013 bis Dezember 2014 sei J. in einer therapeutischen Wohngruppe untergebracht worden, sei dort aber nicht klargekommen. Er sei nur unregelmäßig zur Schule gegangen und habe diese schließlich ganz abgebrochen. Im Mai 2015 sei ein Erziehungsbeistand eingesetzt worden, für den J. allerdings nicht zu erreichen gewesen sei. Im Folgenden habe J. mit seiner Mutter gebrochen. Kurzzeitig sei er dann auch in einer Pflegefamilie untergebracht worden, diese Maßnahme sei jedoch nach wenigen Wochen beendet worden. Seither lebe J. dort, wo er sich unterbringen könne und fände auch immer gutmeinende Unterstützer. Er selbst habe einige Male vom Jugendamt untergebracht werden wollen, sei dann jedoch vor der Struktur und den Regeln zurückgeschreckt. Jetzt habe er erneut eine Bitte nach Unterbringung geäußert. Es sei erkennbar, dass er dieses Anliegen bisher konsequenter verfolge; er habe ein Motivationsschreiben geschickt, alle Termine bisher eingehalten und erfülle alle Auflagen.
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Ab 25. April 2017 wurde J. in der Jugendpension des W. e.V. in M. untergebracht. Am 26. April 2017 stellte J. einen förmlichen Antrag auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige in Form von Heimerziehung und der Beklagte bewilligte die Hilfe mit Bescheid vom 29. Mai 2017 ab dem 25. April 2017, vorerst befristet bis zum 24. April 2019. In den Gründen des Bescheids wurde ausgeführt, dass J. in der Ausbildung stehe und für seine Persönlichkeitsentwicklung und zur eigenverantwortlichen Lebensführung Hilfe für junge Volljährige benötige.
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Am 22. Mai 2017 fand ein Hilfeplangespräch statt, demzufolge J. gut in der Jugendpension angekommen sei, wo er als Zwischenlösung für einige Monate bleiben könne.
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Ab 21. August 2017 begann J. eine Ausbildung als Fachlagerist beim Berufsbildungswerk K. Durch die Bundesagentur für Arbeit wurde ein monatliches Ausbildungsgeld in Höhe von 111 EUR festgesetzt und direkt an den Beklagten überwiesen.
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Am 27. Oktober 2017 zog J. in eine andere Einrichtung der Jugendhilfe, das Sozialpädagogische Jugendhaus N., um. Der Hilfebescheid vom 29. Mai 2017 wurde daraufhin mit Bescheid des Beklagten vom 23. November 2017 aufgehoben und die Hilfe für junge Volljährige unter Änderung der betreuenden Einrichtung erneut bis zum 24. April 2019 befristet gewährt.
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Am 20. November 2017 wurde ein weiteres Hilfeplangespräch mit J. geführt. Als Ziel wurde u.a. der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung festgehalten.
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Am 24. November 2017 ging bei dem Beklagten ein Nebenkostenantrag der betreuenden Einrichtung für die Anschaffung neuer Möbel für J. im Jugendhaus N. ein. Nach Genehmigung des Antrags durch den Beklagten wurden die angefallenen Kosten in Höhe von 566,98 EUR von der Einrichtung zusammen mit den Heimkosten im Monat Dezember 2017 gegenüber dem Beklagten abgerechnet.
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Am 30. Januar 2018 fand ein erneutes Hilfeplangespräch statt. J. gab an, die Ausbildung abbrechen zu wollen. Im Protokoll wird ausgeführt, dass die Einrichtung ihn schlecht erreichen könne, es gebe zudem Probleme mit dem vereinbarten Putzdienst.
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Bei dem weiteren Hilfeplangespräch am 26. März 2018 erschien J. unentschuldigt nicht. Gemäß dem Protokoll sei J. für die Einrichtung nicht erreichbar und zeige kein Interesse an der Hilfe. Auch telefonisch sei er nicht zu erreichen.
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Die Jugendhilfemaßnahme wurde sodann vom Beklagten zum 28. März 2018 wegen mangelnder Mitwirkung von J. beendet.
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Parallel zur Hilfegewährung für J. wurde die Klägerin mit Schreiben des Beklagten vom 5. Mai 2017, laut Versandvermerk zur Post am 8. Mai 2017, über die ihrem Sohn gewährte Jugendhilfemaßnahme informiert. Der Beklagte teilte weiterhin mit, dass die Klägerin zu den entstehenden Aufwendungen einen Kostenbeitrag zu leisten habe und bat um Auskunft zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin. Die Klägerin wurde des Weiteren darauf hingewiesen, dass ihre Unterhaltspflicht für die Dauer der Jugendhilfemaßnahme in dem Umfang entfalle, in welchem ihr Sohn diese Hilfe erhalte, und dass anstelle des Unterhalts ein Kostenbeitrag erhoben werde. Bei länger laufenden Leistungen seien einmal jährlich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragspflichtigen zu überprüfen, um festzustellen, ob der festgesetzte Kostenbeitrag noch den Verhältnissen entspreche. Hierzu werde die Klägerin künftig einmal am Anfang des jeweiligen Kalenderjahres angeschrieben werden.
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Aufgrund der im Folgenden vorgelegten Unterlagen verpflichtete der Beklagte die Klägerin mit Leistungsbescheid vom 6. Juni 2017 zur Zahlung eines Kostenbeitrags in Höhe von 289 EUR monatlich ab dem 25. April 2017. Auf die dem Bescheid beiliegende Berechnung wird verwiesen.
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Hiergegen legte die Klägerin am 20. Juni 2017 Widerspruch ein. Sie führte aus, dass die kostenintensive Unterbringung und Betreuung von J. nicht zu ihren Lasten gehen dürfte. J. sei an erster Stelle für einen Kostenbeitrag heranzuziehen; er sei volljährig, körperlich und geistig gesund und somit in der Lage, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Es könne nicht erwartet werden, dass seine Eltern nach seiner Volljährigkeit weiterhin für ihn aufkämen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit bereits zwei Maßnahmen wegen J.s mangelnder Kooperationsbereitschaft abgebrochen worden seien und auch die Agentur für Arbeit die Berufsberatung beendet habe, da J. die vereinbarten Termine nicht wahrgenommen habe. Der Erfolg der Jugendhilfemaßnahme sei nach den Erfahrungen der letzten Jahre und mit Blick auf das momentane Verhalten von J. sehr zweifelhaft.
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Mit Schreiben vom 24. August 2017 informierte die Klägerin den Beklagten über eine Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Da ihr (anderer) Sohn Ja., der bei ihr lebe, ab dem 1. September 2017 eine Ausbildung beginne, falle der bisher vom Kindsvater bezogene Kindesunterhalt in Höhe von 364 EUR weg. Auch das Schulgeld für Ja. falle weg, dafür sei die MVV-Karte teurer.
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Am 21. September 2017 erließ der Beklagte auf den Widerspruch der Klägerin vom 20. Juni 2020 hin einen teilweisen Abhilfebescheid. In Ziff. 1 dieses Bescheides wurde der Leistungsbescheid vom 6. Juni 2017 insoweit aufgehoben, als die Klägerin verpflichtet wurde, für den Zeitraum von 25. April 2017 bis 11. Mai 2017 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 289 EUR zu leisten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage die Klägerin die Mitteilung über ihre Leistungsverpflichtung und die Folgen für ihre Unterhaltspflicht erst am 11. Mai 2017 erhalten habe und eine Heranziehung zum Kostenbeitrag daher erst ab dem 12. Mai 2017 erfolgen dürfe. Darüber hinaus half der Beklagte dem Widerspruch nicht ab und legte ihn der Regierung von Oberbayern als Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2017 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin keine höheren Ausgaben nachgewiesen habe, als bereits im Pauschalabzug des § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII berücksichtigt worden seien. Zudem scheide eine Heranziehung der Eltern zum Kostenbeitrag nur dann aus, wenn der vom jungen Volljährigen zu leistende Kostenbeitrag tatsächlich die gesamten Jugendhilfeaufwendungen decken würde. Da die monatlichen Aufwendungen der Jugendhilfe für J. jedoch ca. 4.900 EUR im Monat betragen würden, könnten diese von J. allein nicht gedeckt werden. Auch unter Berücksichtigung der Rangfolge des § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII bestehe die Kostenbeitragspflicht der Klägerin daher weiter.
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Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin laut Postzustellungsurkunde am 17. Oktober 2017 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,
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die Höhe des Kostenbeitrags gemäß dem Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 für unangemessen zu erklären, den Bescheid aufzuheben und eine neue Berechnung anzuordnen.
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Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass die Belastungen für den Sohn Ja. ab 1. September 2017 in vollem Umfang und nicht nur hälftig anzuerkennen seien, da die Klägerin ab diesem Datum keinen Kindesunterhalt mehr vom Kindsvater erhalte.
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Zudem sei in der erfolgten Berechnung des Beklagten der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt anzupassen, da sich die Kosten für Unterkunft und Heizung auf 912 EUR monatlich beliefen, bei dem Selbstbehalt von 1.300 EUR nach unterhaltlichen Leitlinien des OLG München aber nur 450 EUR enthalten seien. Die höheren Wohnkosten fänden ihre Berechtigung in der Tatsache, dass die Klägerin für ihre Kinder eine angemessene Unterkunft und ständigen Wohnraum bzw. Unterkunft bei Besuchen vorzuhalten habe.
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Auch seien ihre Lebensversicherungen und die Berufsunfähigkeitsversicherung als Abzug anzuerkennen, da es sich um Maßnahmen für die vom Staat geforderte finanzielle Vorsorge für das Alter handele (Lebensversicherungen) bzw. diese der Vorsorge und Absicherung finanzieller Risiken im Falle eines verfrühten Renteneintritts aufgrund berufsbedingter Schädigung diene (Berufsunfähigkeitsversicherung).
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Des Weiteren führte die Klägerin aus, dass die Eltern erst nachrangig zu den jungen Menschen zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden sollten. Da J. am 21. August 2017 eine Berufsausbildung begonnen habe und über ein eigenes Einkommen verfüge, sei dieses gemäß § 94 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB VIII auf ihren Kostenbeitrag anzurechnen.
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Vom Beklagten sei des Weiteren bisher kein Nachweis erbracht, wie sich die monatlichen Aufwendungen der Jugendhilfe in Höhe von ca. 4.900 EUR zusammensetzten; grundsätzlich erscheine es fraglich, ob die Jugendhilfemaßnahme gerechtfertigt sei; nach Aussage von J. fände lediglich einmal pro Monat ein Gruppengespräch statt, ansonsten erfolge keinerlei psychologische Betreuung. Zudem seien bereits zwei Jugendhilfemaßnahmen wegen J.s mangelnder Kooperationsbereitschaft abgebrochen worden. Auch das Angebot einer kostenfreien Unterbringung im Internat des Berufsbildungswerks, bei dem J. in Ausbildung stehe, habe dieser abgelehnt.
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Die Klägerin führte weiterhin aus, dass die Anschaffung neuer Möbel im Jugendhaus N. in keiner Weise gerechtfertigt gewesen sei, da J. sämtliche Einrichtungsgegenstände aus seinem Zimmer in der Wohnung der Klägerin in seine neue Unterkunft hätte mitnehmen können, was J. auch von der Klägerin mehrfach kommuniziert worden sei.
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Letztlich seien die monatlichen Aufwendungen von 4.900 EUR auch unter dem Gesichtspunkt zu hoch, dass J. erzählt habe, dass er sich selber verpflege, jedoch keine Möglichkeit hätte, verderbliche Lebensmittel in einem Kühlschrank zu lagern.
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Der Eingangstempel des Gerichts auf der Klageschrift weist als Datum den 18. Dezember 2017 auf.
29
Mit Schriftsatz vom 25. April 2018 nahm der Beklagte zur Klage Stellung und beantragte,
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Die Klage sei bereits unzulässig, da diese mit Ablauf des 15. Dezember 2017 verfristet sei. Darüber hinaus sei die Klage auch unbegründet.
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Eine Heranziehung der Elternteile zum Kostenbeitrag sei nur in solchen Fällen nicht erforderlich, in welchen der vom jungen Volljährigen zu leistende Kostenbeitrag tatsächlich die Aufwendungen der Jugendhilfemaßnahme vollständig decken würde. J. sei vom Hilfebeginn am 25. April 2017 bis zum 20. August 2017 keiner bezahlten Beschäftigung nachgegangen. Am 21. August 2017 habe er eine Ausbildung begonnen. Er habe jedoch nach Wissen des Beklagten kein monatliches Ausbildungsgehalt erhalten, sondern es sei von der Agentur für Arbeit Ausbildungsgeld zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von monatlich 111 EUR ausgezahlt worden, das dabei als zweckgleiche Leistung gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII in voller Höhe dem Beklagten zugeführt worden sei. Die monatlichen Aufwendungen in Höhe von 4.900 EUR hätten daher von J. nicht gedeckt werden können.
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Im streitgegenständlichen Fall sei des Weiteren eine Bereinigung des Einkommens durch einen pauschalen Abzug des errechneten Nettoeinkommens in Höhe von 25% erfolgt, da die von der Klägerin nach § 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII nachgewiesenen Belastungen geringer gewesen seien als der pauschale Abzug.
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Die Forderung der Klägerin, dass die Belastungen für den Sohn Ja. in vollem Umfang anzuerkennen seien, sei abzulehnen, da für die Berechnung des Kostenbeitrages das Einkommen des Vorjahres maßgeblich sei und daher auch nur die Belastungen des Vorjahres zu berücksichtigen seien. Aber selbst bei Einberechnung dieser Kosten sei der Pauschalbetrag nicht überstiegen.
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Die Lebensversicherungen seien entsprechend Nr. 82.06 Abs. 4 der Sozialhilferichtlinien (SHR) zurecht nicht berücksichtigt worden, da aufgrund der Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung von einer ausreichenden Sozialversicherungsrente für die Klägerin auszugehen sei; es sei kein Nachweis erbracht, dass die gesetzliche Rente der Klägerin im Alter nicht ausreiche.
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Die Berufsunfähigkeitsversicherung sei nicht im abschließenden Katalog der in § 82 Abs. 2 SHR absetzbaren Belastungen aufgeführt. Ohnehin sei schon die private Krankenzusatzversicherung der Klägerin als Belastung berücksichtigt worden, wodurch eine hinreichende Absicherung gewährleistet werde. Auch gehe die Klägerin augenscheinlich keinem Risikoberuf nach, sodass die Berufsunfähigkeitsversicherung dem Grunde nach nicht angemessen erscheine. Selbst wenn jedoch die Lebensversicherungen und die Berufsunfähigkeitsversicherung berücksichtigt werden würden, sei hierdurch die Pauschale von 25% nicht überschritten.
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Des Weiteren seien die geltend gemachten Mietkosten bereits im zu berücksichtigenden Selbstbehalt i.H.v. 1.300 EUR enthalten und hätten daher nicht in Abzug gebracht werden können.
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Der Beklagte führte ferner aus, dass der Klägerin nach unterhaltsrechtlicher Kontrollrechnung auch nach Abzug des Kostenbeitrags Einkommen über dem notwendigen Selbstbehalt verbleibe.
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Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 wies das Gericht die Klägerin daraufhin, dass die Klage nach vorläufiger Prüfung voraussichtlich verfristet erhoben worden sei. Die Klägerin trug daraufhin mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 vor, dass sie die Klageschrift 13. Dezember 2017 per Einwurf-Einschreiben in einem Münchner Postamt aufgegeben habe. Gemäß dem als Anlage beigefügten Einlieferungsbeleg mit der Sendungsnummer des Einwurf-Einschreibens und dem Abdruck der Sendungsverfolgung wurde die Sendung am 14. Dezember 2017 ausgeliefert.
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Am 9. Juli 2020 fand die mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2020 sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere wurde die Klage fristgerecht erhoben. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zu erheben. Vorliegend wurde der Klägerin der Widerspruchsbescheid vom 14. November 2017 laut Postzustellungsurkunde am 15. November 2017 zugestellt. Die Monatsfrist begann daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 16. November 2017 zu laufen und endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 15. Dezember 2017. Der auf dem Klageschriftsatz aufgedruckte gerichtliche Eingangsstempel weist zwar das Datum 18. Dezember 2017 auf, ist aber wohl unrichtig. Ein Abgleich des von der Klägerin vorgelegten postalischen Einlieferungsbelegs mit der Einschreiben-Sendungsnummer auf dem Briefkuvert der Klageschrift und der entsprechenden Sendungsverfolgung ergibt eindeutig, dass die Klage entgegen dem Eingangsstempel bereits am 14. Dezember 2017 bei Gericht eingegangen ist. Die Klagefrist war daher gewahrt.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 21. September 2017 und des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist für die vorliegende Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2012 - 12 C 12.1627 - juris Rn. 3; VG Würzburg U. v. 28.2.2019 - W 3 K 17.1340 - juris Rn. 29).
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Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Kostenbeitrags für die dem Sohn der Klägerin gewährten Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einer Einrichtung des betreuten Wohnens ist § 91 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 5 Buchst. b SGB VIII.
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Als Elternteil ist die Klägerin gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII kostenbeitragspflichtig.
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1. Die dem Kostenbeitrag zugrundeliegende Jugendhilfemaßnahme für den Sohn der Klägerin war rechtmäßig.
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Auch wenn die Rechtmäßigkeit der Hilfe nicht explizit Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags ist, ist sie nach h. M. zumindest in den Fällen, in denen für den Kostenpflichtigen kein Primärrechtsschutz zu erlangen ist, er sich also nicht gegen die den Kostenbeitrag auslösende Maßnahme wenden kann, inzidenter zu überprüfen (vgl. NdsOVG, B. v. 27.8.2018 - 10 LA 7/18; OVG NW, B. v. 28.8.2014 - 12 A 1034/16; VG Augsburg, U. v. 20.12.2019 - Au 3 K 17.855 - Rn. 27, jeweils juris).
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Vorliegend wurde J. vom 25. April 2017 bis 28. März 2018 gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII Hilfe für junge Volljährige in Form von Unterbringung in einer betreuten Wohnform - zunächst in der Jugendpension des W. e.V., danach im Sozialpädagogischen Jugendhaus N. - gewährt. Da J. zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig und die Klägerin dementsprechend nicht am Hilfeprozess beteiligt war - der Bewilligungsbescheid wurde ihr auch nicht zugestellt oder auf andere Weise bekanntgegeben -, stand dieser kein Rechtsschutz gegen die gewährte Jugendhilfemaßnahme zu, so dass die Rechtmäßigkeit im vorliegenden Verfahren zu überprüfen war.
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Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Nach § 41 Abs. 2 SGB VIII gelten für die Ausgestaltung der Hilfe § 27 Abs. 3 und 4 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten, des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt.
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Der vom Gesetzgeber bewusst weit formulierte § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII setzt grundsätzlich voraus, dass Defizite im Hinblick auf die Entwicklung des jungen Volljährigen hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gegeben sind und es an der im Regelfall mit Erreichen des Volljährigkeitsalters gegebenen Selbstständigkeit in verschiedentlichen Lebensbereichen mangelt (vgl. von Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 41 Rn. 9 f.). Die Hilfe für junge Volljährige knüpft an diese Defizite an und soll eine erkennbare Verbesserung der Persönlichkeitsentwicklung und Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung erwarten lassen. Dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine komplette Verselbstständig abzusehen ist, ist hingegen nicht vorauszusetzen (BVerwG, U.v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 - juris Rn. 9f.).
53
Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 - 12 CE 12.2136 - juris Rn. 29 m.w.N.).
54
Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Beklagte seinen Beurteilungsspielraum in Hinblick auf die Geeignetheit und Notwendigkeit der gewährten Hilfemaßnahme überschritten hätte. Die Entscheidung erscheint vielmehr nach fachlichen Maßstäben vertretbar. Ohne Zweifel befand sich der Sohn der Klägerin vor Beginn der Jugendhilfemaßnahme in einer prekären Situation. Er war ohne eigene Wohnung und von Obdachlosigkeit bedroht, die Schule hatte er abgebrochen und ging keiner Arbeit nach, zu seiner Familie hatte er keinen oder nur sporadischen Kontakt. Zudem bat er das Jugendamt des Beklagten selbst um Hilfe und zeigte nach Angaben des Beklagten - zumindest anfangs - den erkennbaren Willen, am Erfolg der Jugendhilfemaßnahme mitzuarbeiten. Die Entscheidung des Beklagten, dem Sohn der Klägerin in dieser Situation nochmal „eine Chance zu geben“ und einen Neuanfang zu ermöglichen, ist daher, auch angesichts der dokumentierten massiven psychischen Probleme von J., nicht zu beanstanden.
55
An dieser Einschätzung ändert auch die Tatsache nichts, dass J. im Teenageralter bereits zwei Jugendhilfemaßnahmen abgebrochen hat. Wie bereits ausgeführt, muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Volljährigen und dessen Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung gefördert werden können und sich diese innerhalb eines gewissen Zeitraums spürbar verbessern. Lediglich wenn überhaupt keine Erfolgsaussicht besteht, nicht einmal Teilerfolge zu erwarten sind und die Persönlichkeitsentwicklung erkennbar stagniert, scheidet ein Leistungsanspruch nach § 41 SGB VIII von vornherein aus (vgl. BVerwG v. 23.09.1999 - 5 C 26/98 - juris; von Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 41 Rn. 12). Von diesen Prämissen war hier, zumindest zunächst, nicht auszugehen, hatte sich J. doch mit - nach Angaben des Beklagten - glaubhaftem Wunsch nach Hilfe selbst an den Beklagten gewendet und zu Anfang auch alle Termine verlässlich eingehalten. Auch das Beginnen einer Ausbildung war zunächst als positives Signal zu werten. Als J. schließlich die Ausbildung abbrach und weder für die Jugendhilfeeinrichtung noch für den Beklagten erreichbar war, wurde die Hilfemaßnahme vom Beklagten sofort eingestellt. Beurteilungsfehler des Beklagten sind dabei vom Gericht nicht zu erkennen.
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Auch die - von der Klägerin als zu hoch beanstandeten - Kosten der Jugendhilfemaßnahme erscheinen angemessen. Die zunächst für die Jugendpension ca. 4.900 EUR, für das Sozialpädagogische Jugendhaus ca. 5.600 EUR im Monat betragenden Kosten beruhen jeweils auf in Entgeltvereinbarungen nach § 78b SGB VIII festgelegten Tagessätzen und umfassen pädagogische und psychologische Versorgung, Unterkunft, Verpflegung und diverse Sonderposten. Angesichts der generellen Kostenintensität von Jugendhilfemaßnahmen und der umfassenden Versorgung und Betreuung, welche den in betreuten Wohnformen untergebrachten jungen Menschen zuteilwird, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass die monatlichen Kosten zu hoch angesetzt worden sind.
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Die Gewährung der Jugendhilfemaßnahme im genannten Zeitraum stellt sich daher insgesamt als rechtmäßig dar.
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2. Die Klägerin ist auch zu Recht zu den Kosten herangezogen worden.
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Zwar sieht § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII vor, dass Eltern nachrangig zu den jungen Menschen herangezogen werden sollen. Die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag kann jedoch grundsätzlich bis zur Höhe der tatsächlichen Kosten durchgesetzt werden. Soweit der junge Mensch die angefallenen Kosten also nicht selbst in vollem Umfang tragen kann, wird der in der Rangfolge nachfolgende Beitragspflichtige herangezogen bis insgesamt die tatsächlichen Aufwendungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gedeckt sind (vgl. Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 94 Rn. 7).
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Hier beliefen sich die Kosten für die Unterbringung von J. im betreuten Wohnen zunächst auf ca. 4.900 EUR und ab November 2017 auf ca. 5.600 EUR monatlich. In Ansehung der Kostenbeitragsverpflichtung des jungen Volljährigen nach §§ 92 Abs. 1 Nr. 2, 91 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 5b), 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII wurde das von der Bundesagentur für Arbeit an J. zu zahlende Ausbildungsgeld von ca. 111 EUR monatlich ab 21. August 2017 direkt an den Beklagten abgeführt. Da damit die hohen monatlichen Kosten für die Jugendhilfemaßnahme bei weitem nicht gedeckt werden konnten, war auf die Klägerin (und separat hierzu auch auf den Kindsvater) zurückzugreifen. Eine Anrechnung des Ausbildungsgeldes auf den Kostenbeitrag der Klägerin - wie von der Klägerin gefordert - erfolgt nach oben beschriebener Systematik der Vorschriften zum Kostenbeitrag hingegen nicht.
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Irrelevant ist in diesem Zusammenhang auch der Einwand der Klägerin, dass die Kosten für die Anschaffung neuer Möbel nicht zu ihren Lasten gehen dürften. Selbst wenn man die Kosten in Höhe von 566,98 EUR, die das Sozialpädagogische Jugendhaus N. dem Beklagten mit der Dezember-Abrechnung in Rechnung gestellt hat, aus den Kosten der Jugendhilfemaßnahme für diesen Monat herausrechnen würde, verblieben für den Monat Dezember 2017 Kosten in Höhe von 5.653,84 EUR. Die Höhe des von der Klägerin zu zahlenden Kostenbeitrag würde sich daher auch unter Berücksichtigung ihres Einwands nicht verringern.
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3. Der Kostenbeitrag wurde zu Recht ab 12. Mai 2017 gefordert.
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Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Bei dieser Informations- und Aufklärungspflicht handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung des Kostenbeitrags; erst wenn der Jugendhilfeträger dieser Pflicht genügt hat, kann ein solcher erhoben werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 6). Zweck dieser Regelung ist primär, dem Kostenbeitragspflichtigen die Möglichkeit zur Vermögensdisposition im Hinblick auf die drohende Beitragspflicht zu eröffnen und ihn vor doppelter Inanspruchnahme durch gleichzeitige Zahlung von Unterhalt und Kostenbeitrag zu schützen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22/11 - juris Rn. 12; BT-Drs. 15/3676, S. 41).
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Vorliegend hat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Mai 2017 darüber informiert, dass ihrem Sohn J. Jugendhilfe gemäß §§ 41 i.V.m. 34 SGB VIII in Form von Heimerziehung gewährt werde und die Klägerin zu den hierdurch entstehenden Aufwendungen einen Kostenbeitrag zu leisten habe. Des Weiteren wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihre Unterhaltspflicht für die Dauer der Jugendhilfemaßnahme in dem Umfang entfalle, in welchem der junge Mensch diese Hilfe erhalte. Der Aufklärungs- und Informationspflicht des § 92 Abs. 3 SGB VIII wurde damit ausreichend Rechnung getragen.
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Das Schreiben des Beklagten vom 5. Mai 2017 wurde nachweislich am 8. Mai 2017 als einfacher Brief zur Post gegeben und gilt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, hier am 11. Mai 2017, als der Klägerin zugestellt. Eine Kostenbeitragsverpflichtung der Kläger konnte sich - den obigen Ausführungen entsprechend - daher erst ab dem 12. Mai 2017 ergeben.
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Der ursprüngliche Kostenbeitragsbescheid vom 6. Juni 2020 wurde vom Beklagten daher richtigerweise mit Teilabhilfebescheid vom 21. September 2017 dahingehend korrigiert, dass ein Kostenbeitrag erst ab dem 12. Mai 2017 erhoben werden sollte.
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4. Des Weiteren ist die vom Beklagten vorgenommene Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags in Höhe von 289 EUR im Ergebnis nicht zu beanstanden.
68
Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Berechnung des Einkommens richtet sich dabei nach § 93 SGB VIII. So legt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst fest, welche Einnahmen bei der Ermittlung des Kostenbeitrags als Einkommen anzusehen sind. Von diesem sind die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Beträge abzusetzen. Das so ermittelte Nettoeinkommen ist schließlich gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII um weitere individuelle Belastungen zu bereinigen, was nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Regel durch eine Kürzung des errechneten Betrags um pauschal 25% erfolgt. Maßgeblich ist dabei gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII stets das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Der genaue Umfang der Heranziehung bemisst sich sodann nach § 94 Abs. 5 SGB VIII entsprechend der Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung - KostenbeitragsV). Dabei richtet sich die Höhe des Kostenbeitrags nach der Einordnung in eine der Einkommensgruppen in Spalte 1 der Anlage der KostenbeitragsV. Zuletzt ist anhand einer unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung zu prüfen, ob der Kostenbeitrag gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 19.8.2010 - 5 C 10/09 - BVerwGE 137, 357) dann der Fall, wenn dem erwerbstätigen Beitragspflichtigen zumindest der so genannte unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird.
69
Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die von der Klägerin nachgewiesenen Kosten für eine Berufsunfähigkeitsversicherung nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII bei der Berechnung und die Kosten für zwei Lebensversicherungen nach § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bei der Bereinigung des Einkommens zu berücksichtigen. Auf die Höhe des zu zahlenden Kostenbeitrags zeitigt dies jedoch keine Auswirkungen.
70
Nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII sind Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit von dem nach Abs. 1 berechneten Einkommen abzusetzen. Die Regelung ist hinsichtlich der Aufzählung der versicherten Risiken und der dementsprechend abzugsfähigen Versicherungsleistungen abschließend. Versicherungen, die andere Risiken absichern bzw. anderen Zwecken dienen, werden daher nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII nicht berücksichtigt (vgl. NdsOVG, B v. 2.8.2012 - 4 LA 113.11 - juris Rn. 15). Eine Berücksichtigung setzt des Weiteren bei freiwilligen Versicherungen voraus, dass sie einem vorausplanenden Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis hat, ratsam erscheinen (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 21).
71
Nach diesen Maßstäben sind die Kosten für die Berufsunfähigkeitsversicherung gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII von dem Einkommen der Klägerin abzusetzen. Versichertes Risiko bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Wegfall der Berufsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen (Risiko: Krankheit, Arbeitslosigkeit) und wird damit von der Vorschrift umfasst (so auch VG Augsburg, U. v. 24.7.2007 - Az. Au 3 K 07.00037 - juris Rn. 26). Auch ist nicht zu erkennen, dass der Abschluss einer solchen Versicherung einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis entsprechen würde; die Berufsunfähigkeitsversicherung ist vielmehr eine Standard-Versicherung, die auch bei Nicht-Risikoberufen sinnvoll erscheint.
72
Demnach war der Jahresbeitrag in Höhe von 465,36 EUR (= 12 x 38,78 EUR) vom Nettoerwerbseinkommen der Klägerin (s. Punkt 1.3 Kostenbeitragsberechnung) in Abzug zu bringen. Das Gesamteinkommen der Klägerin im Jahr 2016 (Punkt 1.5 Kostenbeitragsberechnung) belief sich folglich auf 29.745,36 EUR.
73
Das von den Lebensversicherungen der Klägerin abgesicherte Risiko „Tod“ ist hingegen von der Aufzählung des § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII nicht umfasst. Aus Sicht des Gerichts sind diese jedoch als außergewöhnliche Belastungen im Rahmen der Einkommensbereinigung nach § 93 Abs. 3 SGB VIII zu berücksichtigen.
74
Gemäß § 93 Abs. 3 SGB VIII sind von dem berechneten Einkommen Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person abzuziehen. Hierbei wird ein Pauschalbetrag von 25% des Einkommens angesetzt, sofern nicht höhere Belastungen nachgewiesen sind.
75
Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 SGB VIII kommen als berücksichtigungsfähige Belastungen insbesondere Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen in Betracht. Angesichts des durchschnittlichen Einkommens der Klägerin und des generell niedrigen Rentenniveaus erscheint ein Abzug der Kosten für die beiden Lebensversicherungen der Klägerin insbesondere zum Zwecke der Altersvorsorge grundsätzlich gerechtfertigt.
76
Letztlich kann dies jedoch vorliegend dahinstehen, da selbst bei Berücksichtigung der monatlichen Kosten in Höhe von 33,33 EUR (Jahresbetrag: 399,96 EUR) zuzüglich der anderen von der Klägerin nachgewiesenen Belastungen in Höhe von 4.391,19 EUR (s. Punkt 2.3 Kostenbeitragsberechnung) der Pauschalbetrag von 25% des Nettoeinkommens nicht überstiegen wird.
77
Der Pauschalbetrag von 25% beläuft sich unter Berücksichtigung des Abzugs der Berufsunfähigkeitsversicherung auf 7.436,34 EUR. Da die Summe der nachgewiesenen Belastungen auch einschließlich der Lebensversicherungen (4.391,19 EUR + 399,96 EUR = 4.791,15 EUR) diesen insgesamt nicht übersteigt, war zugunsten der Klägerin der Pauschalbertrag anzusetzen.
78
Somit errechnet sich ein durchschnittliches Monatseinkommen von 1.859,09 EUR, welches zur Eingruppierung der Klägerin in Einkommensgruppe 7 der Kostenbeitragstabelle der Anlage zur KostenbeitragsV führt. Da die Klägerin jedoch im gleichen Rang (§ 1609 Nr. 1 BGB) auch gegenüber ihrem minderjährigen Sohn Ja. zum Unterhalt verpflichtet war und auch mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt lebte, ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 der KostenbeitragsV eine Herabstufung um eine Stufe in die Kostenbeitragsstufe 6 - wie auch im streitgegenständlichen Bescheid - vorzunehmen. Der Kostenbeitrag beträgt daher 289 EUR.
79
Die Belastungen für den anderen Sohn der Klägerin, Ja., in Form von Schulgeld und Fahrtkosten (Punkt 2.2.3 Kostenbeitragsberechnung), wurden vom Beklagten zurecht nur zur Hälfte angesetzt.
80
Nach § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ist das durchschnittliche Monatseinkommen des Kostenbeitragspflichtigen im Kalenderjahr vor der Leistung oder der Maßnahme zugrunde zu legen. Dies führt dazu, dass damit einhergehend auch nur die Belastungen des Vorjahres berücksichtigt werden können. Die Änderung in den Einkommensverhältnissen der Klägerin betreffend den Wegfall des Kindesunterhalts und des Schulgelds sowie die geänderten MVV-Kosten trat vorliegend erst ab September 2017 ein und konnte demnach für den Kostenbeitragsbescheid für das Jahr 2017 nicht berücksichtigt werden. Eine Berücksichtigung im Rahmen der Kostenbeitragsberechnung im Jahr 2018 kommt zwar grundsätzlich in Betracht, konnte jedoch im vorliegenden Fall nicht erfolgen, da die Klägerin auf die Aufforderung des Beklagten zur Selbstauskunft vom 10. April 2018 keine Nachweise für das Jahr 2017 einreichte.
81
Der Kostenbeitrag in Höhe von 289 EUR ist auch angemessen, § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
82
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag nur dann im Sinne von § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen, wenn dem (erwerbstätigen) Beitragspflichtigen zumindest der sog. unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird. Für die Konkretisierung der Zumutbarkeitsgrenze auch der kostenbeitragsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist es jedenfalls verfassungsrechtlich statthaft - sofern nicht Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung bedingen -, auf die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien festgelegten (an der sog. Düsseldorfer Tabelle orientierten) und grundsätzlich (etwas) über dem Sozialhilfebedarf liegenden Selbstbehaltsätze abzustellen (BVerwG, U.v. 19.8.2010 - 5 C 10/09 - juris Rn. 16, 22).
83
Dementsprechend können vorliegend die von den Familiensenaten der süddeutschen Oberlandesgerichte verwendeten Leitlinien (Süddeutsche Leitlinien - SüdL -, Stand 2016), als Orientierung herangezogen werden (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 24 ff.).
84
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass ihr Selbstbehalt anzupassen sei, da sich ihre Kosten für Unterkunft und Heizung auf monatlich 912 EUR beliefen, in dem von den „unterhaltlichen Leitlinien des OLG München“ (damit gemeint wohl die SüdL) vorgesehenen Selbstbehalt jedoch diesbezüglich nur 450 EUR enthalten seien.
85
Gemäß 21.3.1 SüdL beträgt der zu verbleibende Selbstbehalt gegenüber J. als volljährigem Kind 1.300 EUR. In diesem Betrag sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 450 EUR enthalten.
86
Auch besteht grundsätzlich gemäß 21.5.2 SüdL die Möglichkeit, den Selbstbehalt zu erhöhen, wenn konkret eine erhebliche und nach den Umständen nicht vermeidbare Überschreitung der in den einzelnen Selbstbehalten enthaltenen angeführten Wohnkosten dargelegt wird.
87
Wird die Wohnung allerdings von mehreren Personen genutzt, ist der Wohnkostenanteil des Pflichtigen festzustellen. Bei Erwachsenen geschieht die Aufteilung in der Regel nach Köpfen. Kinder sind vorab mit einem Anteil von 20% ihres Anspruchs auf Barunterhalt zu berücksichtigen.
88
Im streitgegenständlichen Zeitraum bewohnte die Klägerin ihre Wohnung gemeinsam mit ihrer volljährigen Tochter, die bereits einer bezahlten Beschäftigung nachging und für die keine Unterhaltspflicht mehr bestand, und dem minderjährigen Sohn Ja. Teilt man die 912 EUR Mietkosten für die von der Klägerin und ihren zwei Kindern bewohnte Wohnung nach Köpfen auf und zieht vorab 20% eines (fiktiven) Barunterhaltsanspruch von Ja. gegen die Klägerin ab, entfallen auf die Klägerin sogar weniger als 450 EUR Mietkosten. Eine Erhöhung des Selbstbehalts nach 21.5.2 SüdL war vorliegend also nicht vorzunehmen.
89
5. Obige Ausführungen gelten für das Jahr 2017 und das Jahr 2018 gleichermaßen.
90
Im streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 wird eine Kostenbeitragsverpflichtung der Klägerin „für die Dauer der gewährten Hilfe“ ausgesprochen und auf die jährlich erfolgende Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei länger laufenden Leistungen hingewiesen. Die Kostenbeitragsverpflichtung ist vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe jährlich zu überprüfen, da für die Berechnung der Beitragshöhe gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII jeweils das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, welches die kostenbeitragspflichtige Person in dem vorangegangenen Kalenderjahr erzielt hat. Jedoch erscheint eine vorläufige Fortgeltung des ursprünglichen Bescheids bis zur erfolgten Neuberechnung sachgerecht. Diese „zukunftsoffene“ Geltung des Bescheids ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, § 92 Rn. 9; VGH BW, B.v. 8.4.2019 - 12 S 1899/18 - juris Rn. 22), zumindest solange eine regelmäßige Überprüfung der Einkommensverhältnisse tatsächlich erfolgt. Vorliegend hat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10. April 2018 aufgefordert, entsprechende Einkommensnachweise des Jahres 2017 zum Zwecke der Überprüfung des Kostenbeitrags vorzulegen, was die Klägerin zunächst unter Verweis auf das laufende Klageverfahren ablehnte. Die für das Jahr 2018 dementsprechend bisher lediglich vorläufig festgesetzten Kostenbeiträge sind daher ebenfalls nicht zu beanstanden.
91
Der Bescheid der Beklagten stellt sich somit als rechtmäßig dar, so dass die Klage abzuweisen war.
92
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei.
93
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.