Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 17.09.2020 – RO 14 E 20.2226
Titel:

Befreiung von der Präsenzschulpflicht wegen Corona

Normenketten:
BayIfSMV § 16
BayLDO § 1, § 19
BaySchulO § 20
BayEUG Art. 36
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Eine Befreiung von der Präsenzschulpflicht ist nur bei einer Grunderkrankung denkbar, die ein erhöhtes Risiko für eine COVID-19-Erkrankung darstellt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Attest ohne konkreten Diagnose eines Krankheitsbildes ist nicht hinreichend aussagekräftig zur Glaubhaftmachung gesundheitlicher Gründe, die eine Befreiung von der Präsenzschulpflicht rechtfertigen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Mund-Nasen-Bedeckung dient dem Fremdschutz. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befreiung eines 7-jährigen Grundschülers von der Präsenzschulpflicht wegen eines angeblich erhöhten Ansteckungsrisikos bei bestehender Befreiung von der Maskenpflicht, pauschales Attest ohne konkrete Diagnose, Präsenzschulpflicht, Ansteckungsrisiko, Attest, Diagnose, Maskenpflicht, COVID-19-Erkrankung, Befreiung, Glaubhaftmachung, Fremdschutz, Hygieneplan
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24055

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,--€ festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Befreiung von der Präsenzschulpflicht.
2
Der Antragsteller ist 7 Jahre alt und besucht momentan die 2. Jahrgangsstufe der Grundschule in … Er wird gesetzlich vertreten durch seine Mutter Frau …, die nach ihren Angaben das alleinige Sorgerecht für den Antragsteller innehat.
3
Seit dem 22. Juni 2020 gilt die 6. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19.6.2020, die nach der derzeit gültigen Regelung mit Ablauf des 18. September 2020 außer Kraft tritt. § 16 enthält folgende Regelung für Schulen:
§ 16 Schulen
(1) 1 Unterricht und sonstige Schulveranstaltungen an Schulen im Sinne des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) sind zulässig, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt ist, dass dem Infektionsschutz Rechnung getragen wird. 2 Zu diesem Zweck haben die Schulen ein Schutz- und Hygienekonzept auf der Grundlage eines ihnen von den Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für Gesundheit und Pflege zur Verfügung gestellten Hygieneplans (Rahmenhygieneplan) auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.
(2) 1 Auf dem Schulgelände besteht Maskenpflicht. 2 Unbeschadet des § 1 Abs. 2 sind von dieser Pflicht ausgenommen
1. Schülerinnen und Schüler
a) an den Grundschulen und der Grundschulstufe der Förderschulen nach Einnahme ihres Sitzplatzes im jeweiligen Unterrichtsraum,
b) nach Genehmigung der aufsichtführenden Lehrkraft aus zwingenden pädagogisch-didaktischen oder schulorganisatorischen Gründen sowie
2. an den Grundschulen und der Grundschulstufe der Förderschulen Lehrkräfte und sonstiges Personal nach Erreichen des jeweiligen Arbeitsplatzes im Unterrichtsraum und im Lehrerzimmer.
3 Wird der Verpflichtung nach den Sätzen 1 und 2 nicht nachgekommen, soll die Schulleiterin oder der Schulleiter die Person des Schulgeländes verweisen; für Schülerinnen und Schüler gilt dies nur ab der Jahrgangsstufe 5.
(3) 1 Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können unter Berücksichtigung des Rahmenhygieneplans nach Abs. 1 weitergehende Anordnungen erlassen, wenn am jeweiligen Schulort ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht. 2 § 23 bleibt unberührt.
4
Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat einen Rahmen-Hygieneplan zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzept für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 2.9.2020 (Geltung ab dem Schuljahr 2020/2021) (im Folgenden: Rahmen Hygieneplan Schule) ausgearbeitet. Darin heißt es auszugsweise:
„Nr. IV. 12. Schülerinnen und Schüler mit Grunderkrankungen Alle Schülerinnen und Schüler sollen ihrer Schulpflicht grundsätzlich im Unterricht in der Schule nachkommen. Gleichzeitig muss ihrem Gesundheitsschutz höchster Stellenwert beigemessen werden. Besondere Hygienemaßnahmen für diese Schülerinnen und Schüler sind zu prüfen.
Aufgrund der Vielzahl der denkbaren Krankheitsbilder mit unterschiedlichen Ausprägungen kann die individuelle Risikobewertung eines Schulbesuchs vor Ort immer nur von einem Arzt bzw. einer Ärztin vorgenommen werden. Wird von Erziehungsberechtigten oder volljährigen Schülerinnen und Schülern die Befreiung vom Präsensunterricht verlangt, ist dies nur dann zu genehmigen, wenn ein entsprechendes ärztliches Attest vorgelegt wird. Die ärztliche Bescheinigung gilt längstens für einen Zeitraum von 3 Monaten. Für eine längere Entbindung vom Präsenzunterricht ist eine ärztliche Neubewertung und Vorlage einer neuen Bescheinigung, die wiederum längstens 3 Monate gilt, erforderlich (…).
Im Falle der Befreiung von der Präsenzpflicht wegen erhöhten Risikos für eine COVID-19-Erkrankung erfüllen diese Schülerinnen und Schüler ihre Schulbesuchspflicht durch die Wahrnehmung der Angebote im Distanzunterricht.“
5
Die Mutter des Antragstellers wandte sich am 9.9.2020 nach ihren eigenen Angaben telefonisch an die Rektorin der Grundschule …, Frau …, und bat darum, ihren Sohn von der Präsenzpflicht des Schulunterrichts freizustellen, sodass er stattdessen am Distanzunterricht teilnehmen könne. Der Antragsteller könne aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen, da er sonst nach kurzer Zeit starke Kopfschmerzen erleide. Er sei ausweislich des ärztlichen Attestes von Herrn Dr. …, … von der Maskenpflicht befreit. Die Rektorin sei dem Wunsch nicht nachgekommen, sondern sie habe auf die momentan geltenden Corona-Regelungen hingewiesen.
6
Die gesetzliche Vertreterin habe daraufhin am 10.9.2020 auch noch die Klassenlehrerin des Antragstellers angesprochen. Zu einer Freistellung von der Präsenzschulpflicht und der ersatzweisen Gewährung von Distanzunterricht sei es jedoch nicht gekommen.
7
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat sich daraufhin mit Schreiben vom 11.9.2020 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus gewandt und darum gebeten, gegenüber der Schulleitung die Unterrichtung des Antragstellers im Wege des Distanzunterrichts anzuweisen. Eine Beantwortung dieses Schreibens erfolgte bis dato nicht.
8
Am 14.9.2020 ging ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Regensburg ein. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig. Es werde eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis begehrt. Diese Regelung sei erforderlich, um wesentliche gesundheitliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Der Antragsteller sei von dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen befreit worden, da sich der Gesundheitszustand durch das Tragen eines solchen Schutzes erheblich verschlechtern könnte. Sowohl durch das Tragen, als auch durch das Nichttragen des Mund-Nasen-Schutzes ergäben sich gesundheitliche Gefahren für den Antragsteller. Sollte der Antragsteller die Maske (berechtigt) nicht tragen, laufe er bei einem Präsenzunterricht Gefahr, dass er von anderen Kindern, Eltern oder Lehrern durch den SARS-CoV-2-Erreger infiziert werde, was gerade bei Kindern aufgrund des noch nicht gestärkten Immunsystems gravierende Folgen haben könne. Auch die Eilbedürftigkeit sei evident, da mit jedem weiteren Tag in der Schule vor Ort die Ansteckungsgefahr fortbestehe.
9
Der Antrag sei auch begründet. Der Anordnungsanspruch folge vorrangig aus dem Rahmen Hygieneplan Schule vom 2.9.2020 und hilfsweise aus dem Hausrecht nach § 19 der Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern (LehrerdienstordnungLDO). Das erhöhte Risiko für eine COVID-19-Erkrankung liege in der Befreiung des Antragstellers von dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen. Ohne solch einen Schutz werde er äußeren Einflüssen wie zum Beispiel dem nahen Kontakt mit Mitschülern, Eltern und Lehrern auf dem gesamten Schulgelände, dem Berühren von Oberflächen einer Vielzahl an potenziell kontaminierten Gegenständen und das anschließende Berühren von Mund und/ oder Nase sowie dem Einatmen von Aerosolen des Corona-Virus in Räumlichkeiten wie Klassenzimmern, Vorräumen, Toiletten oder ähnlichem, welche entweder zu klein seien oder die nicht ausreichend belüftet würden, ungeschützt ausgesetzt. Die Gefahr sei für den Antragsteller besonders immanent, da er als 7-jähriges Kind auf Dauer keine Abstandsregelungen einhalten könne und werde. Zudem sei anerkannt, dass das Halten von Abstand nicht ausreiche, um eine Ansteckung zu verhindern. Der Mund-Nasenschutz, den er nicht tragen könne, sei ein unverzichtbares Mittel, um sich selbst und andere zu schützen. Da unter der Nr. 12 des Rahmen Hygieneplans Schule nicht genauer bestimmt sei, welche Art von Grunderkrankung vorliegen müsse und ob diese unmittelbar eine erhöhte Gefahr für eine COVID-19 Erkrankung darstellen müsse, sei der Hygieneplan dahin auszulegen und anzuwenden, dass auch mittelbare Grunderkrankungen, die das Tragen einer Maske nachweislich nicht zuließen, unter diese Bestimmung fielen. Sollte man diese Vorschrift nicht für anwendbar halten, läge eine Regelungslücke vor, die es der Schule ermögliche, im Rahmen des Hausrechts einen Distanzunterricht zuzulassen. Hierzu werde auf § 19 der Lehrerdienstordnung (LDO) hingewiesen. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Eilbedürftigkeit einer raschen Entscheidung zugunsten der Gesundheit des Antragstellers.
10
Zur Glaubhaftmachung wurde ein ärztliches Attest von Herrn Dr. …, …vom 24.6.2020 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, dass sich der Antragsteller in seiner hausärztlich ambulanten Betreuung befinde. Das Tragen eines Mund-Nasenschutzes sei aus medizinischen Gründen bei dem Antragsteller kontraindiziert. Der Gesundheitszustand könne sich durch Tragen eines Mund-Nasenschutzes erheblich verschlechtern.
11
Für den Antragsteller wird sinngemäß beantragt,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller vorläufig die Befreiung vom Präsenzunterricht zu genehmigen und stattdessen einen Distanzunterricht zu gewährleisten.
12
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
13
In der Grundschule* …, in der der Antragsteller derzeit die 2. Jahrgangsstufe besuche, würden xx Schülerinnen und Schüler in einer jahrgangskombinierten Klasse 1/2 und xx Schülerinnen und Schüler in einer jahrgangskombinierten Klasse 3/4 unterrichtet. Diese Schule zähle zu den … in ganz Bayern. Bereits im Schuljahr 2019/2020 sei seitens der Mutter des Antragstellers ein undatiertes Attest eines Arztes mit Sitz in Österreich vorgelegt worden, mit dem belegt werden sollte, dass der Antragsteller aus medizinischen Gründen vom Tragen eines Mund-Nasenschutzes befreit sei. Nach Aufforderung der Schulleitung, ein datiertes Attest vorzulegen, sei das Attest vom 24.6.2020 einer Praxis in Kaiserslautern vorgelegt worden. Am 9.9.2020 habe sich die Mutter des Antragstellers in einem Telefonat an die Schulleitung gewandt, um den Antragsteller vom Präsenzunterricht zu befreien. Als Grund sei bei dem Telefonat angegeben worden, dass der Großvater des Kindes Demenz erkrankt sei und sich im Heim befinde. Wenn das Kind in Quarantäne müsse und damit auch die Familie, könne der Opa nicht mehr besucht werden. Dieser Antrag sei von der Schulleitung abgelehnt worden.
14
Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch auf die Befreiung vom Präsenzunterricht glaubhaft gemacht. Die Schulpflicht nach Art. 35 ff. des Bayerischen Gesetzes über das Erziehung- und Unterrichtswesen (BayEUG) werde regelmäßig und vorrangig durch die Teilnahme am Präsenzunterricht erfüllt. Ein Anspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht aus dem Rahmen Hygieneplan Schule scheide von vorneherein aus, da dieser lediglich die Qualität einer Verwaltungsvorschrift besitze und der Antragsteller aus der Verwaltungsvorschrift unmittelbar keine Rechte herleiten könne. Auch ein Anspruch aus dem Hausrecht der Schulleitung nach § 19 der Lehrerdienstordnung (LDO) scheide aus, da Ausnahmen von der Pflicht, den stattfindenden Präsenzunterricht zu besuchen, abschließend in dem spezielleren § 20 der Bayerischen Schulordnung (§ 20 BaySchO) geregelt würden. Der streitgegenständliche Fall, in dem einem Schüler ausschließlich das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unmöglich oder unzumutbar sei, sei von der Verwaltungsvorschrift Nr. IV.12. des Rahmen Hygieneplans Schule nicht erfasst. Die Regelungen einer Möglichkeit der Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen wären schon rein denklogisch obsolet, wenn die befreiten Schülerinnen und Schüler - bei Vorliegen derselben Voraussetzungen - am Präsenzunterricht ohnehin nicht teilnehmen würden. Die einschlägigen Regelungen für den Umgang und die Folgen der Befreiung von Schülerinnen und Schülern von der Massenpflicht fänden sich vielmehr unter Nr. IV.5 des Rahmen Hygieneplans Schule. Dieser Punkt sei zudem konkretisiert worden durch ein Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an alle Schulen vom 4.9.2020 (Az. II.1-BS4363.0/210). Nach dem Schreiben des Staatsministeriums sei bei der Befreiung von Schülerinnen und Schülern von der Maskenpflicht sicherzustellen, dass durch andere geeignete Maßnahmen (insbesondere durch einhalten von Mindestabständen, Verwendung von Vision oder Abtrennungen) eine Verringerung eines möglichen Infektionsübertragungsrisikos erreicht werde. Hierzu sei neben den generell geltenden Vorgaben nach dem Rahmen Hygieneplan Schule und dem Hygienekonzept an der Grundschule … dem Antragsteller ein separater Sitzplatz unter Einhaltung des Mindestabstand während des Unterrichts zugewiesen worden. Zudem bestehe bei Kindern und Jugendlichen basierend auf den bisherigen Erkenntnissen eine geringere Infektionshäufigkeit, eine geringere durchschnittliche Erkrankungsschwere sowie damit einhergehend ein deutlich geringeres Risiko für schwerste einschließlich tödliche Verläufe von COVID-19. Ziel der Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen sei gerade die Ermöglichung der Teilnahme am Präsenzunterricht, nicht des Ausschlusses hiervon. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere auf die zwischen den Beteiligen gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
16
Der Antrag hat keinen Erfolg. Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags, jedenfalls ist der Antrag nicht begründet und war daher abzuweisen.
17
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung).
18
Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
19
Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache das gewähren, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nur dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg auch in der Hauptsache spricht. In diesen Fällen kann ausnahmsweise die einstweilige Anordnung auch auf eine vorläufige Befriedigung des jeweiligen Antragstellers gerichtet sein.
20
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag abzulehnen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.
21
Zweifel bestehen bereits an der Zulässigkeit des Antrags, nachdem die Mutter des Antragstellers sich lediglich telefonisch an die Rektorin der Grundschule gewandt hat und keinen schriftlichen Antrag bei der Schule gestellt hat. Bei dem Antrag auf Befreiung von der Präsenzschulpflicht handelt es sich in der Sache um nichts anderes als um die Befreiung vom Unterricht in einzelnen Fächern oder die Beurlaubung vom Schulbesuch gem. § 20 BaySchO. Hierfür sieht § 20 Abs. 3 S. 1 BaySchO explizit einen schriftlichen Antrag (unter Vorlage der dafür erforderlichen Unterlagen) bei der Schulleitung vor. Daran fehlt es hier. Der Vertreter des Antragstellers hat sich zwar im Nachgang zu diesem Telefonat diesbezüglich schriftlich an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus gewandt und eine Anweisung zur Genehmigung des Distanzunterrichts gegenüber der Schulleitung begehrt. Fraglich ist allerdings, ob dies den an sich erforderlichen Antrag der Schulleitung gegenüber ersetzen konnte. Zudem wurde bereits am nächsten Werktag ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht gestellt, ohne eine angemessene Frist für die Beantwortung dieser Anfrage abzuwarten. Es bestehen daher bereits Zweifel am Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses. Hinzu kommt, dass das einzige dem Gericht vorliegende ärztliche Attest am 24.9.2020 drei Monate alt sein wird, so dass es - unabhängig von dessen Inhalt - für die jeweils im Hinblick auf Nr. IV.12 des Rahmen Hygieneplan Schule grundsätzlich auf 3 Monate zu begrenzende Ausnahme von der Präsenzschulpflicht nur noch bis dahin Verwendung finden kann. Auch an dem Rechtsschutzbedürfnis einer Entscheidung für einige wenige Tage bestehen daher zumindest Zweifel.
22
Dies kann allerdings dahingestellt bleiben, nachdem der Antrag jedenfalls unbegründet ist.
23
Der Antragsteller hat schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die Befreiung von der Präsenzschulpflicht. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus Nr. IV.12 des Rahmen Hygieneplans Schule noch aus der von dem Antragstellervertreter zitierten Vorschrift des § 19 LDO noch aus sonstigen Rechtsvorschriften. Damit bleibt es bei der Verpflichtung des Antragstellers aus Art. 36 BayEUG, am Präsenzunterricht teilzunehmen.
24
Es spricht viel dafür, dass es sich bei dem Rahmen Hygieneplan Schule um eine Verwaltungsvorschrift handelt (so das VG Hamburg für die dort geltenden mit Bayern vergleichbaren Regelungen in seinem Beschluss vom 6.8.2020 - 3 E 3336/20 - http://justiz.hamburg.de/contentblob/14189010/ec4531788eba197...79/data/3-e-3336-20-beschluss-vom-06-08-2020.pdf), aus der der Antragsteller unmittelbar keine Rechte herleiten kann. Dies kann allerdings dahingestellt bleiben, nachdem die in Nr. IV.12 des Rahmen Hygieneplans Schule genannten Voraussetzungen für die Befreiung von der Präsenzschulpflicht nicht erfüllt sind und auch im Rahmen eines Antrags auf Beurlaubung gemäß § 20 BaySchO die Regelungen des Rahmen Hygieneplans Schule bei der Frage, ob in diesem Fall ein begründeter Ausnahmefall für die Befreiung oder Beurlaubung besteht, heranzuziehen sein werden.
25
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er an einer Grunderkrankung leidet, die im Hinblick auf Nr. IV.12 des Rahmen Hygieneplans Schule eine Befreiung von der Präsenzschulpflicht rechtfertigt. Eine Befreiung von der Präsenzschulpflicht ist nur bei einer Grunderkrankung denkbar, die ein erhöhtes Risiko für eine COVID-19- Erkrankung darstellt. Nr. IV. 12 des Rahmen-Hygieneplans fordert ein ärztliches Attest zum Nachweis einer derartigen Erkrankung, weil eine individuelle Risikobewertung eines Schulbesuchs vor Ort nur durch einen Arzt erfolgen könne. Auch aus dem Umstand, dass eine Befreiung im Regelfall nur für einen Zeitraum von 3 Monaten gewährt werden kann und für eine Verlängerung der Befreiung ein neues ärztliches Attest erforderlich ist, folgt, dass die Befreiung von der Präsenzschulpflicht restriktiv zu handhaben ist.
26
Aus dem einzigen dem Gericht vorliegenden Attest ist weder eine bestehende Grunderkrankung des Antragstellers herauszulesen noch auch nur ansatzweise eine individuelle Risikobewertung eines Schulbesuchs vor Ort. Es ist dem Attest nicht zu entnehmen, warum der Antragsteller im Falle einer Ansteckung mit dem Corona-Virus ein erhöhtes Risiko für eine COVID-19-Erkrankung haben sollte. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dieses Attest bereits vom 24.6.2020 stammt, so dass der das Attest ausstellende Arzt weder die jetzigen Rahmenbedingungen für den Grundschulbesuch des Antragstellers kennen konnte, noch die tatsächlich derzeit bestehende Corona-Gefährdungslage am Wohn- und Schulort des Antragstellers. Im Hinblick auf die räumliche Entfernung des das Attest ausstellenden Arztes zu dem Wohnsitz des Antragstellers (rund 400 km!) sind auch zumindest Zweifel angebracht, dass der Arzt den Antragsteller und die sonstigen Rahmenbedingungen ausreichend gut kennt, um überhaupt eine individuelle Risikobewertung vorzunehmen. Dem Attest ist nicht zu entnehmen, in welchen Zeiträumen die ambulante hausärztliche Betreuung des Antragstellers tatsächlich stattgefunden hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass in die Risikobewertung in irgend einer Form die vor Ort aufgrund der Größe der Schule (eine der … Schulen Bayerns mit xx Schülern in einer jahrgangsgemischten Klasse 1/2 und xx Schülern in einer jahrgangsgemischten Klasse 3/4) tatsächlich bestehende Ansteckungsgefahr für den Antragsteller eingeflossen ist.
27
Aus dem Attest ergibt sich nicht einmal, aus welchem Grund der Antragsteller keinen Mund-Nasenschutz tragen kann und auf welche Art und Weise sich der Gesundheitszustand des Antragstellers durch das Tragen eines Mund-Nasenschutzes erheblich verschlechtern könnte.
28
Das Gericht ist daher bereits davon überzeugt, dass das Attest nicht geeignet ist, um gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 6. BayIfSMV glaubhaft zu machen, dass dem Antragsteller das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist. Für eine Glaubhaftmachung bedürfte es - wie auch in anderen Rechtsgebieten - ärztlicher Bescheinigungen, die konkrete und nachvollziehbare Angaben enthalten, um dem Gericht eine Überprüfung zu ermöglichen. Daran fehlt es hier. Es fehlt an der konkreten Diagnose eines Krankheitsbildes. Ein derartiges Attest ist nicht hinreichend aussagekräftig zur Glaubhaftmachung gesundheitlicher Gründe, die eine Befreiung von der Maskenpflicht rechtfertigen (vergleiche so auch VG Düsseldorf, B. v. 25.8.2020 - 18 L 1608/20 - juris Rn. 37; VG Neustadt (Weinstraße), B. v. 10.9.2020 - 5 L 757/20.NW - Pressemitteilung des VG Neustadt Nr. 15/2020 v. 11.9.2020, Volltext bisher nicht veröffentlicht; VG Würzburg, B. v. 16.9.2020 - W 8 E 20.1301 - bisher nicht veröffentlicht). Ob dieses Attest überhaupt den an die gutachterliche Tätigkeit des Arztes zu stellenden besonderen Anforderungen der Berufsordnung an die ärztliche Sorgfaltspflicht genügt, kann an dieser Stelle dahin gestellt bleiben. Es fällt auf, dass der Arzt, der dieses Attest ausgestellt hat, in der im Internet veröffentlichten Liste der Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V. aufgeführt ist - einem Verein, der sich dafür einsetzt, dass die ärztlichen Kollegen ihren Patienten nach Möglichkeit eine Befreiung von der Gesichtsschutzmaske attestieren und der dabei davon ausgeht, dass für diese Befreiung keine Erkrankung vorausgesetzt sei (https://www.mwgfd.de/unterstuetzung-bei-maskenbefreiungs-attesten#).
29
Das vorgelegte Attest ist jedenfalls zur Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf Befreiung von der Präsenzschulpflicht gänzlich ungeeignet. Selbst wenn der Antragsteller tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen könnte, erhöht sich dadurch für ihn das Ansteckungsrisiko mit COVID-19 anhand der bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht. Das Robert Koch-Institut empfiehlt das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, um Risikogruppen zu schützen und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung trägt dazu bei, andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln, die man zum Beispiel beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, zu schützen. Die Mund-Nasen-Bedeckung dient damit dem Fremdschutz. Ein Eigenschutz ist bisher wissenschaftlich nicht belegt (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Nasen_Schutz.html). Überdies ist das Tragen eines Mund-Nasenschutzes nur einer von vielen Bausteinen zur Reduktion der Ansteckungsgefahr mit COVID-19, die der Rahmen Hygieneplan Schule und das Hygienekonzept der …Schule …, das auch für die Grundschule … gilt, vorsieht. Schließlich gehören Kinder nicht zu einer von COVID-19 besonders betroffenen Risikogruppe. Nach den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erkranken Kinder seltener an COVID-19 und sie haben im Falle einer Erkrankung zumeist einen atypischen bzw. milden Verlauf (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText16). Es ist daher auch aus gesundheitlichen Gründen nicht erforderlich, den Antragsteller von der Präsenzschulpflicht zu befreien, selbst wenn er keinen Mund-Nasenschutz tragen müsste.
30
Würde man der Argumentation des Antragstellers folgen, dann müsste jeder Schüler, der von der Maskentragungspflicht befreit ist, auch von der Präsenzschulpflicht befreit werden. Dem stehen aber die Regelungen in Nr. IV.5 des Rahmen Hygieneplans Schule und das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 4.9.2020 (Az. II.1- BS4363.0/210), das sich ausdrücklich mit dem Umgang mit Schülerinnen und Schülern befasst, die von der Maskenpflicht befreit sind, entgegen. Aus Nr.IV.12 des Rahmen Hygieneplanes Schule ergibt sich eindeutig, dass die Präsenzschulpflicht die Regel ist, von der nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen abgewichen werden kann. Das erforderliche Maß an Bildungsgerechtigkeit kann - gerade für Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter - bis auf weiteres nur durch einen möglichst durchgehenden Residenzunterricht erreicht werden (vgl. dazu BayVGH, B. v. 7.9.2020 - 20 NE 20.1981 - R. 37).
31
Die Berufung auf das Hausrecht aus § 19 LDO zur Begründung eines Anspruchs auf Befreiung von der Präsenzschulpflicht ist schon deshalb unbehelflich, weil diese nach § 1 LDO nur für die an staatlichen Schulen im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus tätigen Lehrkräfte sowie für die Beamtinnen und Beamten im Vorbereitungsdienst für ein Lehramt gilt, nicht aber für Schüler. Zudem handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine allgemeine Vorschrift, die jedenfalls durch die speziellere Vorschrift in § 20 der BaySchO verdrängt würde. Es ist allerdings kein begründeter Ausnahmefall für die Befreiung oder Beurlaubung vom Unterricht glaubhaft gemacht worden. Hierzu kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
32
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
33
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG).