Inhalt

FG München, Urteil v. 22.06.2020 – 7 K 281/18
Titel:

Verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt –  Unterbrechung der Außenprüfung

Normenketten:
AO § 238 Abs. 1 S. 1
FGO § 101 S. 1, § 102, § 115 Abs. 2, § 135 Abs. 1
Leitsatz:
Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt – hier Unterbrechung der Außenprüfung um 23 Monate – ist grundsätzlich nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Für die Anwendung des § 233a AO ist ein Verschulden prinzipiell irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses.
Schlagworte:
Festsetzung, Nachzahlungszinsen, Außenprüfung, Steuerschuldverhältnis, Ablehnung, Erlass, Einspruchsentscheidung, Ermessensreduzierung, Finanzamt, Körperschaftsteuerbescheid, Steuerfestsetzung, Unbilligkeit, Gewinnausschüttung, Steuerbevollmächtigte
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24048

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) zu Recht einen Erlass von Zinsen zur Körperschaftsteuer für die Jahre 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012 abgelehnt hat.
2
Im Zeitraum 5. Oktober 2010 bis 21. November 2014 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung mit Prüfungszeitraum 2006 bis 2008 statt (Prüfungsanordnung vom 21. September 2010). Zudem erfolgte für diese Jahre eine Fachprüfung für versicherungsmathematische Fragen.
3
Im Zeitraum 6. Februar 2014 bis 21. November 2014 fand eine Anschlussprüfung statt, die u.a. die Jahre 2009 bis 2012 umfasste (Prüfungsanordnung vom 15. Januar 2014). Auch für diesen Prüfungszeitraum fand eine versicherungsmathematische Prüfung statt, die im Zeitraum 6. Februar 2014 bis 21. November 2014 erfolgte.
4
Die Außenprüfungen führten u.a. zur Feststellung von verdeckten Gewinnausschüttungen - im Wesentlichen aufgrund überhöhter Gehälter - sowie von überhöhten Rückstellungen im Hinblick auf die Arbeitszeitkonten der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin (Prüfungsberichte vom 16. Dezember 2014). Über die Prüfungsfeststellungen bestand Einvernehmen.
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Die Außenprüfung für den Prüfungszeitraum 2006 bis 2008 verlief - bis zur Beteiligung der Prüferin für versicherungsmathematische Fragen im Jahr 2012 - wie folgt:
„Der Prüfer begann Anfang Oktober 2010 mit der Prüfung. Er nahm die Sichtung der Unterlagen in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters der Klägerin vor. Ende Oktober 2010 schloss er die belegmäßige Prüfung der Unterlagen ab und teilte dem steuerlichen Vertreter der Klägerin mit, dass eventuell eine Fachprüfung für versicherungsmathematische Fragen erfolgen müsse. Mit Zwischennachricht vom 30. September 2011 teilte er dem steuerlichen Vertreter der Klägerin zum Stand der Prüfung mit, dass diese noch nicht abgeschlossen sei und fachliche Fragen zu Rückstellungen (Arbeitszeitkonten) noch amtsintern zu klären seien. Mit Schreiben vom 29. August 2012 beantragte er beim Bayerischen Landesamt für Steuern die Beteiligung eines Fachprüfers für versicherungsmathematische Fragen. Am 5. September 2012 teilte ihm das Bayerischen Landesamt für Steuern mit, dass sich eine Fachprüferin an der Prüfung beteiligen werde. Dies teilte der Prüfer dem steuerlichen Vertreter der Klägerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2012 mit und forderte Unterlagen für die versicherungsmathematische Prüfung an. Ein weiteres Schreiben des Prüfers vom 22. November 2012 an den steuerlichen Vertreter der Klägerin, welches die Anforderung von Unterlagen zum Gegenstand hatte, enthält folgenden Satz: “Ich bedauere, dass durch mein Verschulden ein Abschluss der Betriebsprüfung erheblich verzögert worden ist.“
6
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der Außenprüfungen wird auf die schriftliche Stellungnahme des Prüfers vom 30. Juli 2015 sowie das Schreiben der Klägerin vom 30. Juni 2016 Bezug genommen.“
7
Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ am 30. Januar 2015 u.a. geänderte Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre. Die Körperschaftsteuer und Zinsen zur Körperschaftsteuer wurden wie folgt festgesetzt:

2006

2007

2009

2010

2012

Körperschaftsteuer

234.092 €

88.475 €

12.033 €

0 €

53.540 €

Zinsen zur Körperschaftsteuer

94.833 €

33.398 €

1.295 €

2.659 €

2.675 €

8
Die Klägerin legte gegen die Festsetzung der Zinsen zur Körperschaftsteuer für die Streitjahre Einspruch ein. Die Einsprüche blieben erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 29. April 2016). Die hiergegen für die Jahre 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012 beim Finanzgericht erhobene Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Juli 2017 abgewiesen (Az.: 7 K 1505/16).
9
Mit Schreiben vom 9. Juni 2015 beantragte die Klägerin einen Teilerlass der Nachzahlungszinsen in Höhe von 75%, die durch die von der Finanzbehörde zu vertretende Verzögerung der Außenprüfung verursacht worden seien. Der Prüfer habe mit Schreiben vom 22. November 2012 eingeräumt, dass die Verzögerung durch ihn verschuldet worden sei. Im Hinblick auf die Billigkeitsmaßnahme bestehe kein Ermessenspielraum der Behörde. Die Klägerin verwies hierzu auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Januar 2015 (Az.: VIII B 112/13), wonach bei einer Steuerfestsetzung nach mehrjähriger Unterbrechung einer Außenprüfung unverhältnismäßig hohen Nachzahlungszinsen durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen sei. Aus dem Beschluss gehe hervor, dass die Behörde im Hinblick auf das Ergreifen von Billigkeitsmaßnahmen keinen Ermessenspielraum habe.
10
Mit Bescheid vom 7. August 2015 lehnte das Finanzamt einen Erlass der Nachzahlungszinsen ab. Zur Begründung führte es insbesondere an, dass der von der Klägerin angeführte BFH-Beschluss im Streitfall nicht heranzuziehen sei, da er sich auf eine zehnjährige Unterbrechung einer Außenprüfung beziehe. Im vorliegenden Fall liege eine Unterbrechung von ca. 1,5 Jahren von Oktober 2010 bis Sommer 2012 vor. Der weitere zeitliche Ablauf sei durch die umfangreichen Prüfungsarbeiten bedingt gewesen und entspräche den normalen Prüfungsgegebenheiten und -erfordernissen.
11
Die Klägerin legte gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, dass sich die Verzögerung durch den Prüfer auf 1 Jahr und 11 Monate belaufe. Er habe am 29. Oktober 2010 dem steuerlichen Vertreter mitgeteilt, dass er für seinen Teil mit der Prüfung fertig sei, er aber noch die Fachprüfung für betriebliche Altersvorsorge beim Landesamt für Steuern informieren müsse. Erst am 5. Oktober 2012 habe sie dann die Aufforderung erhalten, Unterlagen für die Fachprüfung vorzulegen.
12
Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2018). Zur Begründung führte das Finanzamt insbesondere an, dass der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls grundsätzlich nicht geeignet sei, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Ob hiervon eine Ausnahme zu machen sei, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor.
13
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiterhin den Teilerlass der Nachzahlungszinsen. Der Prüfer habe zugestanden, dass der Abschluss der Außenprüfung durch sein Verschulden erheblich verzögert worden sei. Das Finanzamt habe sich mit dem Beschluss des BFH vom 21. Januar 2015 (Az.: VIII B 112/13) in seiner Einspruchsentscheidung nicht ausreichend auseinandergesetzt. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag begründet die Klägerin ihren Erlassantrag im Klageverfahren erstmals auch mit der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Nachzahlungszinsen. Sie beruft sich den Beschluss des BFH vom 25. April 2018 (Az.: IX B 21/18). Dort werde ausgeführt werde, dass die in § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) geregelte Höhe der Nachzahlungszinsen von 0,5 Prozent für jeden vollen Monat schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln begegne.
14
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 7. August 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Zinsen zur Körperschaftsteuer in Höhe von 26.599,50 € (2006), 11.030,15 € (2007), 655,50 € (2009), 1.844,74 € (2010) und 2.675 € (2012) zu erlassen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
15
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Es verweist im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend bringt es vor, dass Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung beträfen und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen seien. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH könne eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern und Nebenleistungen grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Ablehnung des Antrags auf Erlass der Nachzahlungszinsen durch das Finanzamt war nicht ermessensfehlerhaft. Die Erhebung der streitgegenständlichen Zinsen ist nicht unbillig i.S. des § 227 AO.
19
1. Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
20
a) Zu den Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen gehören nach § 37 Abs. 1 AO auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen wiederum nach § 3 Abs. 4 AO auch Zinsen (§§ 233 bis 237 AO) zählen. Dem Erlass von Nachforderungszinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO im Gegensatz zu § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaßnahmen enthält (BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668 m.w.N.).
21
b) Die Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer, an die § 227 AO die Möglichkeit eines Erlasses knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen - auf die die Klägerin ihren Erlassantrag ausschließlich stützt - ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 2013 X R 3/10, BFH/NV 2014, 5 m.w.N.). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können einen Billigkeitserlass nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865). Die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden, sich andererseits auch nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen, da dann ein auf sachliche Billigkeitsgründe gestützter Erlass nach § 227 AO niemals möglich wäre. Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass nach § 233a AO festgesetzter Zinsen (BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 66/14, BFH-Urteil vom 8. Oktober 2013 X R 3/10, BFH/NV 2016, 1668 m.w.N.).
22
c) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde und unterliegt deshalb gemäß § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Zu prüfen ist daher bei einer Erlassablehnung nur, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668).
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2. Die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezweckt einen typisierten Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die aus dem individuell sehr unterschiedlichen Verlauf des Besteuerungsverfahrens entstehen können. Es soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. BT Drucks. 11/2157, S. 194). Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzuzahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Verzinsung soll der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Gleichzeitig soll der vorhandene Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen kann, ausgeglichen werden (Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (a)). Aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob die möglichen Zins- und Liquiditätsvorteile tatsächlich bestanden und genutzt wurden, ist demzufolge grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (b) und III.1.a cc; BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 5, m.w.N.).
24
Hiervon ausgehend ist eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt grundsätzlich nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Für die Anwendung des § 233a AO ist ein Verschulden prinzipiell irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1997
I.
25
R 7/96, BStBl II 1997, 446 zur verspäteten Festsetzung der Steuer auf Grund einer durch das Finanzamt verzögerten Veranlagung rd. 20 Monate nach Erklärungsabgabe; vgl. auch BFH-Beschluss vom 26. Juli 2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029; BFH-Urteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteile vom 8. Oktober 2013 X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, Rz 14, vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233a AO Rz 92; ebenso zur Verschuldensunabhängigkeit der Verzinsung BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2009, 2115, Rz 34). Ob in einem bestimmten Einzelfall davon Ausnahmen zu machen sind, hängt von den konkreten Einzelfallumständen ab. Entsprechend hängt auch die Frage, ob die Ablehnung eines Erlasses von Nachzahlungszinsen ermessensfehlerhaft ist, wenn sie auf einer - aus Sicht des Steuerpflichtigen - unangemessen langen Außenprüfung beruhen, von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2014 X B 45/13, BFH/NV 2014, 826).
26
3. Das Finanzamt ist bei seiner Ermessensentscheidung von den vorstehenden Grundsätzen ausgegangen. Es hat die Umstände des vorliegenden Falls zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und ist in nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gekommen, dass die Verzögerung der Außenprüfung durch den Prüfer einen Erlass nicht rechtfertigt.
27
a) Die Klägerin macht eine durch den Prüfer verursachte Verzögerung der Außenprüfung für den Prüfungszeitraum 2006 bis 2008 von 23 Monaten (1 Jahr und 11 Monate) geltend. Tatsächlich fanden im Zeitraum November 2010 bis September 2012 - somit in einem Zeitraum von 23 Monaten - keine für die Klägerin erkennbaren Prüfungshandlungen statt. Der Prüfer erteilte lediglich eine Zwischennachricht mit Schreiben vom 30. September 2011, dass die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei. Erst am 5. Oktober 2012 teilte er der Klägerin mit, dass eine Fachprüferin beteiligt wird und forderte hierfür Unterlagen an. Das Finanzamt weist darauf hin, dass eine Verzögerung nur bis Sommer 2012 vorgelegen habe, da der Prüfer jedenfalls amtsintern tätig geworden sei. Tatsächlich wurde er Ende August insoweit tätig, als er mit Schreiben vom 29. August 2012 beim Landesamt für Steuern eine Fachprüfung für versicherungsmathematische Fragen beantragte, die dann mit Schreiben vom 5. September 2012 zugesagt wurde.
28
b) Ausgehend von diesen Umständen des Streitfalls ist es aus Sicht des Senats auch bei einer Unterbrechung der Prüfung von 23 Monaten - wie sie von der Klägerin vorgetragen wird - nicht unbillig, Zinsen nach § 233a AO zu erheben.
29
Anders als die Klägerin meint, lässt sich aus dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 21. Januar 2015 (Az.: VIII B 112/13) nicht ableiten, dass kein Ermessensspielraum der Behörde bestand und im Streitfall nur ein Erlass der Nachzahlungszinsen ermessensgerecht ist. In dem vom BFH entschiedenen Fall lag eine im Verantwortungsbereich des Finanzamts liegende Unterbrechung einer Außenprüfung von über 10 Jahren vor, in der keine erkennbaren Prüfungshandlungen stattfanden. Der BFH wies in seinem Beschluss vom 21. Januar 2015 darauf hin, dass - soweit die Kläger aufgrund der außergewöhnlich langen Bearbeitungszeit mit unverhältnismäßig hohen Nachzahlungszinsen gemäß §§ 233a, 235 AO belastet sein sollten - dem durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen wäre, zumal die Länge der Prüfungsunterbrechung im Streitfall ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Finanzamts fiel. Im vorliegenden Fall stellt sich der Sachverhalt jedoch anders dar, da keine derart außergewöhnlich lange Unterbrechung oder Verzögerung der Außenprüfung vorlag. Die Dauer der Verzögerung der Außenprüfung im Streitfall - auch wenn sie unstreitig in den Verantwortungsbereich des Prüfers fällt -, rechtfertigt es aus Sicht des Senats nicht, von dem Grundsatz abzuweichen, dass eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt grundsätzlich nicht geeignet ist, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Besondere Umstände, die dazu führen, dass nur ein Erlass der Nachzahlungszinsen ermessensgerecht ist, liegen nicht vor.
30
Zwischen den Beteiligten besteht im Übrigen Einigkeit, dass es nach Beteiligung der Fachprüferin für versicherungsmathematische Fragen sowie im Verlauf der Anschlussprüfung, die im Zeitraum Februar 2014 bis 21. November 2014 stattfand, zu keinen weiteren Verzögerungen kam.
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4. Soweit sich die Klägerin im Klageverfahren erstmals Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe nach § 238 AO vorbringt, betreffen diese die einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. April 2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415; vom 31. Mai 2017 I R 77/15, BFH/NV 2017, 1409). Im Streitfall ist die Zinsfestsetzung in Rechtskraft erwachsen (vgl. hierzu auch das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts München vom 21. Juli 2017, Az.: 7 K 1505/16). Es kann daher offenbleiben, ob der Senat die vom BFH in mehreren Aussetzungsbeschlüssen nach § 69 Abs. 3 FGO (zuletzt im Beschluss vom 11. Februar 2020 VIII B 131/19, BFH/NV 2020, 507) geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Zinshöhe nach § 238 AO für Veranlagungszeiträume ab 2012 - für Veranlagungszeiträume vor 2012 hält er gesetzliche Zinshöhe nicht für verfassungsrechtlich zweifelhaft - teilt. Denn selbst wenn der Senat diese Auffassung bezüglich der dafür allein in Betracht kommenden Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer 2012 teilen würde, könnte sich die Klägerin im Erlassverfahren nach § 227 AO darauf nicht berufen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden kann (z.B. BFH-Urteile vom 11. August 1987 VII R 121/84, BStBl II 1988, 512; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BStBl II 2005, 460; Klein/Rüsken, AO, 14. Auflage, § 163 Rz 45, zu verfassungsrechtlichen Einwendungen auch Rz 40).
32
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
33
6. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.