Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 21.09.2020 – RN 2 S 20.31401
Titel:

Asyl(folge)antrag nach unanfechtbarem Abschluss eines Rücknahmeverfahrens - Äthiopien

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1, Abs. 3, § 71 Abs. 1, Abs. 4, § 73 Abs. 2
AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
VwVfG § 51
Leitsätze:
1. Da durch das Integrationsgesetz insoweit gerade keine Änderung der Rechtslage beabsichtigt war, wurde die Verweisung in § 71 Abs. 4 AsylG auf § 36 AsylG konsequenter Weise unverändert als Rechtsfolgenverweisung beibehalten. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen; es müssen daher erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylanerkennung oder zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sachgebiets-Nr: 1910, ernstliche Zweifel, Abschiebungsandrohung, vorläufiger Rechtsschutz, Folgeantrag, Äthiopien, Hungersnot, Abschiebungsverbot, Coronavirus, Rücknahmeverfahren, Unzulässigkeitsentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 24046

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen die mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 5.8.2020 erfolgte Abschiebungsandrohung nach Äthiopien. Im Hauptsacheverfahren begehrt er unter entsprechender Aufhebung des Bescheids die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Hinblick auf Äthiopien vorliegen.
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Der ausweislose Antragsteller wurde nach den Angaben im ersten Asylverfahren am … (unbekannten Geburtsorts), nach den abweichenden Angaben im Rücknahmeverfahren am … in Asmara (Eritrea) geboren. Nach eigener Ansicht besitzt er die eritreische Staatsangehörigkeit, nach Auffassung der Antragsgegnerin aufgrund der Erkenntnisse des Rücknahmeverfahrens ist er zumindest auch Äthiopier. Er reiste nach eigenen Angaben am 5.5.2015 (so im Rücknahmeverfahren) bzw. am 15.5.2015 (so im Asylerstverfahren) auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11.9.2015 einen Asylantrag. Außerdem hat er ausweislich der beigezogenen Bundesamtsakten die Vaterschaft für ein in Deutschland geborenes Kind einer anderen Asylbewerberin anerkannt.
3
Das Asylverfahren des Antragstellers wurde beim Bundesamt unter dem Az. 6121659 - 224 geführt. Nach einer schriftlichen Anhörungsvorbereitung wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 26.2.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Mit weiterem Bescheid vom 17.12.2019 (Az. 7340130 - 225) wurde nach nochmaliger Prüfung die zuerkannte Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen, der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Auf die Gründe des Bescheids wird verwiesen. Der Antragsteller ist gegen den Bescheid nicht vorgegangen. Das Rücknahmeverfahren wurde beim Bundesamt unter dem Az. 7340130 - 224 geführt. Zur Prüfung der Einleitung des Rücknahmeverfahrens war der Antragsteller zunächst am 22.10.2019 persönlich angehört worden. Dabei hatte er unter anderem angegeben, vor seiner erstmaligen Ausreise in Äthiopien 17 Jahre gelebt und sich dort an verschiedenen Orten aufgehalten zu haben, z.B. in Awassa, Addis Abeba und Metema. Von seinem sechsten bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr habe er, wie viele andere Kinder auch, auf der Straße gelebt. Um sich Essen und andere Dinge des täglichen Lebens leisten zu können, habe er gebettelt. Auch hätten Hotels ihm und den anderen Kindern teilweise Essen gegeben. Im Alter von 14 Jahren habe er dann zwei Jahre lang mit Freunden seines Onkels zusammengelebt. Von Äthiopien aus sei er dann in den Sudan gegangen und habe dort vier Jahre verbracht. Nach einer Rückkehr nach Äthiopien für neun Monate sei er nach „Gelabat“ im Sudan gezogen. Dort habe er sich zwei bis drei Jahre aufgehalten. Dann sei er für vier Jahre weiter nach Khartoum (Sudan) und von dort für zwei Jahre und ca. acht Monate nach Libyen gegangen. Über Italien sei er schließlich nach Deutschland gereist. Eine Schule habe er nicht besucht. Das Lesen und Schreiben versuche er, derzeit zu lernen. Abgesehen von kleineren Gelegenheitsarbeiten habe er in Äthiopien mangels Arbeitserlaubnis nicht gearbeitet. In Libyen und im Sudan habe er als Tagelöhner und Tischler gearbeitet. Weiterhin hatte der Antragsteller angegeben, nach seiner Einreise nach Deutschland zwischenzeitlich in Portugal, im Sudan und in Äthiopien gewesen zu sein. In Äthiopien sei er im Dezember 2018 gewesen. Hierbei sei er auch in den Sudan gefahren.
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Mit Schriftsatz vom 30.6.2020 ließ der Antragsteller durch seine (damalige) Bevollmächtigte einen „Asylfolgeantrag“ stellen. Die Folgeantragstellung wird zum einen damit begründet, dass die Nationalität des Antragstellers nicht abschließend geklärt sei. Zunächst sei vom Bundesamt ausweislich der Verfahrensakte angenommen worden, dass er Eritreer sei. Dann sei angenommen worden, er habe gegebenenfalls auch die äthiopische Staatsangehörigkeit. Zum anderen wird von der Bevollmächtigten vorgebracht, dass dem Antragsteller eine Rückkehr nach Eritrea oder Äthiopien nicht möglich sei. So herrsche in Eritrea nach wie vor eine Militärdiktatur. Dem Antragsteller drohe im Falle einer Rückkehr die Einziehung zum Militärdienst. Insoweit werde auf die Feststellungen im ersten Asylverfahren verwiesen. Ferner lägen die - etwa vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gesammelten - Quellen eine durchaus besorgniserregende Lage nahe, auch wenn das eritreische Regime behaupte, Corona im Griff zu haben. Auch Eritrea sei von der drohenden Hungersnot in Westafrika betroffen. Gerade Rückkehrer, die - wie der Antragsteller - keinerlei Beziehungen in Eritrea hätten oder dort nie als erwachsene Person gelebt hätten, hätten keine Aussichten, ihr Existenzminimum zu sichern. Des Weiteren sei auch eine Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der aktuellen Lage - Corona, Krise des Gesundheitssystems, Heuschreckenplage, drohende Hungersnot und politische Unruhen um die Neuwahlen - ausgeschlossen. Im Rahmen der Beurteilung seien eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, etwa die Zugangsmöglichkeit zu Arbeit, die Grundversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden und über die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse verfügen zu können. Für einen Überblick zur aktuellen Lage werde auch auf die als Anlage beigefügte Übersicht des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verwiesen. Aufgrund der aktuellen Lage in Äthiopien sei zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auszusprechen.
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Das Corona-Virus bedrohe den gesamten afrikanischen Kontinent. Experten sprächen von einer Katastrophe. Da kaum Test- oder Versorgungskapazitäten gegeben seien, sei die Dunkelziffer hoch. Gerade Großstädte drohten zu Krisenherden zu werden. Derzeit stünden lediglich 435 Beatmungsgeräte für 105 Millionen Menschen zur Verfügung. Aufgrund von Ausgangsbeschränkungen und eines Reiseverbots seien die meisten Menschen jedoch bereits von einer medizinischen Grundversorgung abgeschnitten. Äthiopien habe für vorerst fünf Monate den Ausnahmezustand angeordnet. Alle Schulen, Universitäten, Restaurants und Kirchen seien geschlossen. Alle Bewegungen von den ländlichen Gebieten in die Städte seien untersagt. In allen Bundesstaaten sei der öffentliche Nahverkehr verboten worden, Reisen von Addis Abeba aus über Land seien derzeit nicht mehr möglich. Viele Städte hätten noch weiterreichende Ausgangssperren verhängt. So sei etwa in Gondar jeglicher sowohl öffentlicher als auch privater Personenverkehr verboten. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte seien geschlossen. Diese Maßnahmen hätten zu einem enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Die Konjunktur des Landes stehe vor dem Zusammenbruch. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass im Falle einer Rückkehr mit keinerlei Unterstützung zu rechnen sei. Die Sicherung des Existenzminimums sei nicht möglich.
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Ferner wüte aktuell die schlimmste Heuschreckenplage seit Jahrzenten. Es drohe der Verlust der kompletten Ernte in der gesamten ostafrikanischen Region. Bereits vor Corona sei die Lage angespannt gewesen. Nun könnten die Heuschrecken aufgrund der Ausgangsbeschränkungen zudem kaum effektiv bekämpft werden. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen seien die Arbeitertrupps, die die Heuschrecken üblicherweise mit Pestiziden bekämpften, daran gehindert, in die ländlichen Einsatzgebiete zu gelangen. Es sei davon auszugehen, dass die Plage 500-mal schlimmer sein werde als üblich, wobei schon ein normaler Befall zu Versorgungsengpässen führe. Selbst wenn die Mobilitätsbeschränkungen aufgehoben würden und schnell gehandelt werden könnte, sei die erforderliche Menge an Pestiziden nicht verfügbar. Ernteausfälle seien bereits jetzt vorhersehbar. Es sei mit einer Hungersnot zu rechnen. Millionen Menschen seien bereits jetzt auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Aus diesem Grund sei die Sicherung des Existenzminimums im Falle einer Rückkehr unmöglich.
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Außerdem sei Äthiopien auch zwei Jahre nach der Wahl von Abiy Ahmed ein gespaltenes und politisch höchst instabiles Land. Viele seien enttäuscht, dass die erhofften Fortschritte nicht eingetreten seien. Es sei zu keiner spürbaren Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung gekommen. Aufgrund der Ankündigung, die Wahlen bis nach der Corona-Krise zu verschieben, sei die Frustration gestiegen. Befekafu Hailu vom „Center for the Advancement of Rights and Democracy“ rechne daher mit einer steigenden Zahl von Gewaltausbrüchen. Es steht zu befürchten, dass die politischen Unruhen zunähmen und sich der wachsende Druck und die Angst vor Hunger in Gewalt entlade. Dies würde insbesondere Rückkehrer ohne soziales und familiäres Netz treffen, die sich aufgrund Beschränkungen auch nicht aus der besonders betroffenen Hauptstadt zurückziehen könnten.
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Aufgrund dieser Umstände und Beschränkungen seien Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche für Rückkehrer derart erschwert, wenn nicht zeitweise unmöglich. Die Versorgung durch Hilfsorganisationen und Kirchen stehe vor unlösbaren Aufgaben und die Versorgung von Bedürftigen könne bereits jetzt nicht aufrechterhalten werden. Es bestehe keine ernsthaft realisierbare Möglichkeit, sich im Falle einer Rückkehr zeitnah zu einer etwaigen Familie zu begeben. Und selbst wenn eine solche Rückkehr möglich wäre, sei auch von dieser Seite kaum mit Unterstützung zu rechnen, da die durch die Pandemie und die Heuschreckenplage erschwerten Lebensbedingungen auch auf dem Land eine gesicherte Versorgung ausschlössen. Ein Zugang zu Arbeit, adäquater Unterkunft, Wasser und Nahrung, Gesundheitsversorgung und zur Erlangung der für die Befriedigung elementarer Bedürfnisse nötigen finanziellen Mittel sei daher unmöglich. Der Antragsteller habe keinerlei Kontakte zu Personen in Äthiopien und wäre daher völlig auf sich allein gestellt.
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Mit Bescheid vom 5.8.2020, ausweislich eines Aktenvermerks am 10.8.2020 als Einschreiben zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1). In Ziffer 2 erfolgte die Ablehnung des Antrags auf Abänderung des Bescheids vom 17.12.2019 (Az. 7340130 - 225) hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes. Der Antragsteller wurde außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, würde er in die Demokratische Bundesrepublik Äthiopien oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, abgeschoben. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist werde bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Gründe des Bescheids wird verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seine damalige Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 12.8.2020, eingegangen bei Gericht am 13.8.2020, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben (Az. RN 2 K 20.31404) und Eilrechtsschutz beantragen (Az. RN 2 S 20.31401).
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Zur Begründung wurde neben dem Verweis auf die Begründung des Folgeantrags vorgebracht, dass aufgrund der aktuellen Lage in Äthiopien - Corona-Pandemie, Heuschreckenplage, Verelendungsgefahr, weitere politische Unruhen usw. - für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot festgestellt werden müsse. Jedenfalls müsse die genauere Prüfung der aktuellen Lage in Äthiopien und deren Auswirkung auf die Existenzsicherung des Antragstellers dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
12
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12.8.2020 gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5.8.2020 anzuordnen.
13
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
14
Zur Begründung bezieht sich die Antragsgegnerin auf den streitgegenständlichen Bescheid.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des Eilrechtsschutzverfahrens sowie der beigezogenen Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens und auf den Inhalt der Behördenakten Bezug genommen.
II.
16
Der Berichterstatter entscheidet im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 76 Abs. 4 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) als Einzelrichter.
17
1. Der Antrag ist zulässig (vgl. nachfolgend a)), aber unbegründet (vgl. nachfolgend b)).
18
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist nach §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung, die gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassen worden ist (zur Anwendbarkeit des § 36 AsylG sogleich). Die mit der Abschiebungsandrohung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet stützt sich als Folgeentscheidung auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sowie auf die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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a) Da der Asyl(folge) antrag als unzulässig abgelehnt wurde, wurde eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt (§§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 1 AsylG), was zur Folge hat, dass eine gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage nach § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. im Einzelnen auch VG Halle (Saale), B.v. 12.2.2019 - 5 B 13/19 - juris Rn. 9 ff.; a.A. VG Regensburg, B.v. 3.9.2020 - 14 S 20.31446 - juris Rn. 18 ff. jeweils zu § 71a AsylG).
20
Die in der Rechtsprechung - jedenfalls für Zweitanträge nach § 71a AsylG - teilweise vertretene Ansicht, dass die zu setzende Ausreisefrist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG 30 Tage betrage, weil § 36 Abs. 1 AsylG nur in den Fällen der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG sowie im Fall der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gelte, nicht aber für unzulässige Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2020 - 10 ZB 20.31374 - juris Rn. 6 ohne jedoch auf §§ 71a Abs. 4, 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG einzugehen; VG Regensburg, B.v. 3.9.2020 - 14 S 20.31446 - juris Rn. 18 ff.) vermag jedenfalls vorliegend nicht zu überzeugen. Zwar ist durchaus zuzugestehen, dass in § 36 AsylG der Wortlaut der Überschrift und des Normtextes nach der Änderung durch das Integrationsgesetz vom 31.7.2016 (BGBl. I S. 1939) nunmehr zwischen den einzelnen Fällen unzulässiger Asylanträge differenziert und ausdrücklich lediglich Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG erfasst. Auch erschiene eine unterschiedliche Behandlung der Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG sowie der Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet gegenüber Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Gefährdungspotentials für den Ausländer aufgrund der Abschiebung in sichere Zielstaaten (§ 35 AsylG) bzw. zumindest des Offensichtlichkeitsausspruchs einerseits und der Abschiebung in den Herkunftsstaat andererseits grundsätzlich denkbar.
21
Dem steht jedoch § 71 Abs. 4 AsylG unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie entgegen. Zum einen war nach der Begründung des Integrationsgesetzes durch die Anpassung des § 36 AsylG keine Änderung der vorherigen Rechtslage beabsichtigt (vgl. BT-Drs. 18/8829 S.9 unter Verweis auf BT-Drs. 18/8615, dort S. 52. Der Änderungsbedarf wird lediglich als Folgeänderung bezeichnet und auf eine nähere Begründung verzichtet). Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus der Begründung zur Neufassung des § 29 AsylG (vgl. BT-Drs. 18/8829 S.9 unter Verweis auf BT-Drs. 18/8615, dort S. 51). Nach vorheriger Rechtslage war aber bei abgelehnten Folge- und Zweitanträgen (wohl unstrittig) eine Ausreisefrist von einer Woche zu setzen, sodass etwaige Klagen keine aufschiebende Wirkung hatten. Denn § 71 Abs. 4 AsylG, der im Rahmen der Gesetzesänderung unverändert blieb, verwies zuvor schon auf § 36 AsylG a.F. Dieser wiederum war auf Fälle der Unbeachtlichkeit (§ 29 AsylG a.F.) und der offensichtlichen Unbegründetheit (§ 30 AsylG (a.F.)) des Asylantrags gerichtet, sodass er - anders als jetzt - gerade keinen Bezug zu Vorschriften aufwies, die etwa auch Folge- und Zweitanträge umfassen. Denn nach § 29 AsylG a.F. war ein Asylantrag unbeachtlich, wenn offensichtlich ist, dass der Ausländer bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen Staat oder in einen anderen Staat, in dem er vor politischer Verfolgung sicher ist, möglich ist. Die §§ 29 und 36 AsylG a.F. verhielten sich demzufolge zu Folge- und Zweitanträgen nicht. Auch damals handelte es sich bei der Verweisung in § 71 Abs. 4 AsylG bereits um eine Rechtsfolgenverweisung. Zu berücksichtigen ist hierbei etwa auch, dass der Gesetzgeber schon nach der vorherigen Rechtslage gerade keine Differenzierung nach dem Gefährdungspotential für den Ausländer (s.o.) geregelt hatte. Mangels dahingehender Gesetzesbegründung (s.o.) kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mittels des Integrationsgesetzes nunmehr eine derart veränderte Intention verfolgen würde. Weiterhin entspricht es der grundlegenden und nach wie vor bestehenden gesetzgeberischen Intention, bestimmte Asylverfahren - wie beispielsweise Folgeverfahren - zu beschleunigen, um eine schnellere Rückführung zu ermöglichen (vgl. Zielsetzung und Begründung zum Gesetzesentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren BT-Drs. 18/7538, S. 1 u. 11). So wurde zu diesem Zweck durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 (BGBl. I S. 390) beispielsweise auch § 30a AsylG - dort insbesondere § 30a Abs. 1 Nr. 4 AsylG - neu eingefügt und durch das nachfolgende Integrationsgesetz hinsichtlich der Anwendung auf Folgeverfahren auch nicht geändert. Der Beschleunigungsgedanke des Gesetzgebers ist daher für gewisse Asylverfahren - darunter jedenfalls auch Folgeverfahren - nach wie vor gegeben. Eine mit der Klageerhebung einhergehende aufschiebende Wirkung nach §§ 75 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 1 AsylG - wie in der Rechtsprechung trotz des Verweises in § 71a Abs. 4 AsylG teilweise vertreten wird - würde diese Intention des Gesetzgebers geradezu konterkarieren. Bereits aus diesen Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der unveränderten Aufrechterhaltung des § 71a Abs. 4 AsylG lediglich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers handelt. Hiergegen spricht außerdem, dass im Rahmen der durch das Integrationsgesetz vorgenommenen Änderungen zu § 29 AsylG in der Gesetzesbegründung unter anderem § 71 Abs. 3 AsylG Erwähnung findet (vgl. vgl. BT-Drs. 18/8829 S.9 unter Verweis auf BT-Drs. 18/8615, dort S. 51). Folglich kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die unmittelbar nachfolgende Regelung des § 71 Abs. 4 AsylG lediglich versehentlich unberührt beließ. Aus den genannten Gründen kann die in der Rechtsprechung - jedenfalls für Zweitanträge - teilweise vertretene Ansicht, es sei die Frist aus § 38 AsylG und nicht aus § 36 AsylG anzuwenden, zumindest im Hinblick auf Folgeanträge nicht überzeugen. Vielmehr wurde die Verweisung in § 71 Abs. 4 AsylG auf § 36 AsylG, da durch das Integrationsgesetz insoweit gerade keine Änderung der Rechtslage beabsichtigt war, konsequenter Weise unverändert als Rechtsfolgenverweisung beibehalten. Vor diesem Hintergrund bestand für den Gesetzgeber trotz der Änderung des Wortlauts in §§ 29 und 36 AsylG auch kein Anlass zur Klarstellung oder Anpassung des § 71 Abs. 4 AsylG. Es oblag vielmehr dem Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 36 AsylG für Fälle der Folgeverfahren entweder durch unmittelbare Aufzählung in § 36 AsylG oder aber eine Verweisung - wie in § 71 Abs. 4 AsylG - zu regeln.
22
Nach alledem ist die Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 1 AsylG nicht zu beanstanden und die gegen eine solche Abschiebungsandrohung gerichtete Klage hat nach § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache unter entsprechender Aufhebung des Bescheids die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Äthiopien vorliegen. Zwar handelt es sich hierbei hinsichtlich der begehrten Feststellung um eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage. Allerdings wird in diesem Zusammenhang mitunter auch die Aufhebung der Abschiebungsandrohung als Folgeentscheidung begehrt. Insoweit ist die in der Klage des Antragstellers ebenso enthaltene Anfechtungsklage statthaft. Somit ist der vorliegende Antrag gemäß § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft. Auch im Übrigen ist der Antrag zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht nach §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
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b) Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.
24
Gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Es müssen daher erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - juris). Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Dabei bleiben Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
25
Nach diesem Maßstab bestehen bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
26
aa) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
27
Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist bestandskräftig geworden, da diese Entscheidung mit der Klage des damals noch anwaltlich vertretenen Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht angegriffen wurde und die Klagefrist bereits abgelaufen ist (vgl. auch VGH BW, U.v. 26.10.2016 - A 9 S 908/13 - juris Rn. 29).
28
Im Übrigen wäre die getroffene Unzulässigkeitsentscheidung auch nicht zu beanstanden. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Danach kommt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens auf Antrag des Betroffenen nur in Betracht, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2), oder Wiederaufgreifensgründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). Dabei fordert § 51 Abs. 1 VwVfG einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylanerkennung oder zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen (vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris). Zudem muss der Betroffene gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Auch ist der Antrag des Betroffenen gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen, beginnend mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG müssen hierbei schon im Antrag selbst abschließend und substantiiert dargelegt werden (vgl. BeckOK, Ausländerrecht, 24. Edition Stand: 1.11.2019, § 71 AsylG Rn. 13).
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(1) Der Asylantrag des Antragstellers mit Schriftsatz vom 30.6.2020 ist als Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG zu behandeln. Die dem Antragsteller auf seinen ersten Asylantrag hin mit Bescheid vom 26.2.2016 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft wurde mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 17.12.2019 zurückgenommen und sein Asylantrag auch im Übrigen abgelehnt.
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Zwar wird teilweise vertreten, dass ein nach der Rücknahme einer im ersten Asylverfahren erfolgten Anerkennungsentscheidung gestellter weiterer Asylantrag kein Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG sei, da die Vorschrift nach ihrem Wortlaut ausschließlich für Fälle der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung des früheren Asylantrags gelte (vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71 AsylVfG Rn. 13; Marx, Asylgesetz, 10. Auflage 2019, § 71 Rn. 18 f.; BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 71 AsylG Rn. 4, jedoch offengelassen bei zusätzlicher Aussage zu Anerkennung aus anderen Gründen; wohl auch VG Frankfurt, U.v. 16.7.2008 - 7 K 325/08.F.A - juris Rn. 25, im Ergebnis aber offengelassen; für Zweitantrag wohl auch VG Aachen, B.v. 28.1.2019 - 2 L 5/19.A - juris Rn. 11 ff., im Ergebnis aber offengelassen). Nach gegenteiliger Ansicht ist § 71 Abs. 1 AsylG allerdings auch auf Asylanträge anwendbar, die im Anschluss an eine Widerrufs- oder Rücknahmeentscheidung nach § 73 AsylG gestellt werden (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Oktober 2017, § 71 Rn. 96 f.). Dieser Ansicht folgt das Gericht jedenfalls für die Fälle, in denen sich die Rücknahmeentscheidung nicht allein auf eine abweichende Bewertung der die ursprüngliche Anerkennungsentscheidung tragenden Gründe beschränkt, sondern auch eine Aussage zur Schutzgewährung aus anderen Gründen trifft (so auch VG Berlin, Gb.v. 6.6.2002 - 34 X 130.02 - juris Rn. 14). Dies ist vorliegend der Fall. Nachdem der Antragsteller zu seinen Fluchtgründen zunächst persönlich angehört und ihm zusätzlich schriftlich die Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Vorgehensweise - insbesondere auch zur Angabe von Gründen, die einer Rückkehr in das Heimatland entgegenstehen - gegeben worden war, ist das Bundesamt in dem bestandskräftigen Bescheid vom 17.12.2019 unter Angabe weiterer Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Ausländer auch aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen wäre. Auch lehnte das Bundesamt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG unter ausführlicher Begründung ab. Der Antragsteller hatte somit Gelegenheit seine Asylgründe vorzubringen und diese wurden auch einer uneingeschränkten sachlichen Erstprüfung unterzogen sowie anschließend sein Asylantrag bestandskräftig abgelehnt. Dies rechtfertigt die Anwendung der Folgeantragsbestimmungen auf jedes weitere Asylgesuch des Antragstellers, ohne dass es darauf ankommt, dass der Tenor des Rücknahmebescheids vom 17.12.2019 keine förmliche Ablehnung des Erstantrags enthält (vgl. BVerwG, B.v. 31.8.1989 - 9 B 318/89 - juris Rn. 4). Dem steht auch nicht etwa Unionsrecht entgegen (so wohl VG Frankfurt, U.v. 16.7.2008 - 7 K 325/08.F.A - juris Rn. 25). Denn zumindest soweit - wie hier - mit der Rücknahmeentscheidung auch eine Aussage zu anderen Asylgründen, dem subsidiären Schutzstatus und den nationalen Abschiebungshindernissen (wie nach § 73 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AsylG zumindest für Rücknahmeentscheidungen nach § 73 Abs. 2 AsylG vorgesehen) getroffen wurde, liegt eine insgesamt ablehnende Entscheidung vor. Damit sind aber die Anforderungen des Unionsrechts erfüllt, das nach Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. nunmehr Art. 40 Abs. 2, 33 Abs. 2 Buchst. d, 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32/EU eine ablehnende Entscheidung bezüglich des internationalen Schutzes (Art. 2 Buchst. i der Richtlinie 2013/32/EU) voraussetzen dürfte, wofür auch Erwägungsgrund Nr. 15 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. nunmehr Nr. 36 der Richtlinie 2013/32/EU spricht (vgl. im Einzelnen VG Frankfurt, U.v. 16.7.2008 - 7 K 325/08.F.A - juris Rn. 25). Hiermit übereinstimmend stellte der damals noch anwaltlich vertretene Antragsteller mit Schriftsatz vom 30.6.2020 ausdrücklich einen „Asylfolgeantrag“. Die Einordnung des Bundesamts als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG ist nach alle dem nicht zu beanstanden.
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(2) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Bundesamt die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu Recht verneint hat. Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird insoweit Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Insbesondere ist die Frage der Staatsangehörigkeit des Antragstellers mangels neuer Sach- und Rechtslage sowie Beweismittel aufgrund des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamts vom 17.12.2019 geklärt.
32
Ergänzend ist anzumerken, dass sich die Situation in Äthiopien seit dem unanfechtbaren Abschluss des Rücknahmeverfahrens des Antragstellers nicht etwa derart verändert hat, dass zu seinen Gunsten die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG anzunehmen wären. Das Gericht schließt sich insofern der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an, wonach sich allgemein die politische Lage in Äthiopien seit Anfang 2018 deutlich entspannt hat (vgl. im Einzelnen BayVGH, U.v. 12.12.2019 - 8 B 19.31004; U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - jeweils juris). Das Gericht sieht bei dieser Einschätzung der Sachlage auch, dass die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten haben und es in vielen Teilen des Landes zu einer besorgniserregenden Zunahme von ethnischen Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Todesfällen kam (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.4.2020, Stand: März 2020, S. 5 f.; Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 7 f. und 13 ff.). So kam es zuletzt etwa nach der Tötung des Musikers und Aktivisten Hachalu Hundessa in mehreren Städten zu gewalttätigen Unruhen mit über 200 Todesopfern. Auch in Hachalus Heimatstadt Ambo kam es im Zusammenhang mit dessen Begräbniszeremonie zu schweren Unruhen, in deren Zuge der Medienunternehmer Jawar Mohammed verhaftet wurde. Insgesamt wurden rund 2.300 Personen festgenommen. Letztlich reagierte die äthiopische Regierung auch mit einer erneuten zeitweisen Abschaltung der Internet- und Telefonverbindungen auf die Unruhen. Während sich die Lage in Addis Abeba bereits bis zum 5.7.2020 wieder entspannt hatte, hat sich die Lage in Oromia erst in den folgenden Tagen insgesamt wieder beruhigt. Inzwischen gestanden auch zwei festgenommene Verdächtige den Mord an dem Sänger (vgl. zum Ganzen Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 4 f.; tagesschau.de, „Verdächtige gestehen Mord an Sänger“, 11.7.2020). Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um übergangsbedingte Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24.12.2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 25). Auch gibt es trotz der bereits angesprochenen, zunehmend gewaltsamen ethnischen Konflikte nach aktueller Erkenntnislage in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände (vgl. BayVGH, U. v. 12.12.2019 - 8 B 19.31004 - juris Rn. 61; B. v. 4.7.2019 - 8 ZB 19.32389 - juris Rn. 18; U. v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 53; Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 13). Außerdem wäre jedenfalls Addis Abeba eine zumutbare, sichere inländische Schutzmöglichkeit. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich nicht, dass dort keine Zuflucht möglich wäre. Auch die zuletzt im Zusammenhang mit der Tötung des Sängers Hachalu Hundessa aufgekommenen Unruhen ändern nichts an dieser Einschätzung, zumal sich die Lage inzwischen wieder entspannt hat (s.o.). Ebenso wenig ändert sich diese Beurteilung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) wegen der befürchteten Krise anlässlich der Wahlen in der Tigray-Region gegen den Willen der Zentralregierung (vgl. FR e-paper, Äthiopien droht der politische Zerfall, 9.9.2020), zumal es sich bislang lediglich um bloße Befürchtungen handelt.
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bb) Auch auf das Bestehen von nationalen Abschiebungsverboten kann sich der Antragsteller im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit Erfolg berufen.
34
Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Bundesamt bei der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG eine sachliche Entscheidung über das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten treffen und sich insoweit nicht auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken hätte dürfen, ist der Antrag auch insoweit im Ergebnis nicht erfolgreich.
35
Gründe für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG wurden weder ausreichend substantiiert vorgetragen noch sind sie für das Gericht ersichtlich, insbesondere ergibt sich kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen in Äthiopien.
36
(1) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
37
Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B. v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. BayVGH, U. v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 55 m.w.N.).
38
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist die Versorgungssituation für den Antragsteller in Äthiopien nicht so schlecht, dass von einer Gefahrenlage im beschriebenen Sinn auszugehen wäre.
39
Äthiopien ist bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927,4 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt, auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag (Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 38). Äthiopien ist traditionell ein Land der Landwirtschaft und Viehzucht, wandelt sich durch massive Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr zu einem Land mit aufstrebenden Dienstleistungs- und Industriesektoren. Die äthiopische Wirtschaftslage entwickelt sich insgesamt gut. Im Jahr 2016 war ein Wirtschaftswachstum von etwa 8-10% (je nach Quelle) zu verzeichnen. Die Wirtschaft des Landes zählt damit zu den am schnellsten wachsenden der Welt (Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 39). In den Städten herrscht jedoch eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird. Der wichtigste Erwerbszweig bleibt die Landwirtschaft mit 81% der Erwerbstätigen (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 7.7.2020, S. 39). Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe und Abhilfe gegen eine Heuschreckenplage mit einem Volumen von einer Milliarde USD. Darüber hinaus sind 7 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.4.2020, Stand: März 2020, S. 21). Noch im Vorjahr war das Auswärtige Amt von 7,9 Millionen auf das staatliche Sozialprogramm angewiesenen Menschen ausgegangen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 8.4.2019, Stand: Februar 2019, S. 21). Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass Äthiopien sehr an europäischer Reintegrationsunterstützung für Rückkehrer interessiert ist. Aus dem in Valletta 2015 aufgelegten EU-Treuhandfonds finanziert die EU u.a. eine regionale „Facility on Sustainable and Dignified Return and Reintegration in support of Khartoum Process“, die von IOM umgesetzt wird. Hinzu kommt ein über die ILO umgesetztes EU-Programm zur Reintegrationsunterstützung (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.4.2020, Stand: März 2020, S. 22 f.). Insgesamt zeigt sich, dass die Situation für große Teile der Bevölkerung schwierig ist. Gleichwohl bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Für Rückkehrer bieten sich im Übrigen schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung.
40
Auch vor dem Hintergrund der von der äthiopischen Regierung getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des pandemischen Geschehens hinsichtlich der Atemwegserkrankung COVID-19 sowie der Auswirkungen der Heuschreckenplage ergibt sich für das Gericht im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) nicht, dass derzeit die Existenzsicherung der äthiopischen Bevölkerung allgemein gefährdet wäre (vgl. so auch VG Würzburg, U.v. 29.5.2020 - W 3 K 19.31490 - juris Rn. 35 ff.; U.v. 3.7.2020 - W 3 K 19.31666 - juris Rn. 57 ff.; VG Ansbach, U.v. 4.6.2020 - AN 3 K 17.34515 - n.v.; BayVGH, B.v. 26.6.2020 - 23 ZB 20.31311 - n.v.).
41
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind in Äthiopien - bei einer wohl hohen Dunkelziffer - im Zeitraum vom 14.3.2020 bis zum 21.9.2020 insgesamt 68.131 Personen an COVID-19 erkrankt, wobei 1.089 Todesfälle zu verzeichnen sind (vgl. WHO, Global, Ethiopia, abrufbar unter: https://covid19.who.int/region/afro/country/et).
42
Am 8.4.2020 wurde zwar zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und es gelten landesweite Restriktionen, die insbesondere das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis umfassen. Auch sind Reisen innerhalb Äthiopiens derzeit aufgrund vielfältiger Einschränkungen im öffentlichen Leben zur Eindämmung des pandemischen Geschehens kaum möglich (vgl. zum Ganzen AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 21.9.2020 - unverändert gültig seit: 18.8.2020).
43
Demgegenüber wurde aber eine Ausgangssperre bislang nicht verhängt (vgl. bpb, Aus Politik und Zeitgeschichte Äthiopien, „Am Ende kann nur Gott uns helfen“, 27.4.2020). Auch ein sog. Lockdown ist in Äthiopien nicht angeordnet worden. Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu essen zu kaufen, gehen weiter ihrer Arbeit nach. Beispielsweise gehen auch Haushälterinnen und Taxifahrer ihrer Tätigkeit weiterhin nach (vgl. Menschen für Menschen, Corona-Tagebuch aus Äthiopien, Eintrag vom 25.6.2020, Stand 25.6.2020). Ferner müssen die Menschen nach wie vor zu Wochenmärkten, um ihre Waren zu verkaufen und sich zu versorgen (vgl. zum Ganzen Berliner Zeitung, In Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte - und 105 Millionen Menschen, 9.4.2020).
44
Dementsprechend sind zwar Bars und Nachtclubs geschlossen, vieles hat jedoch geöffnet. Straßenverkäufer und kleine Kioske sind nach wie vor da und sowohl für die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln als auch für das Überleben der Betreiberfamilien von erheblicher Bedeutung. Auch Supermärkte haben weiterhin geöffnet. In manchen ländlichen Gegenden sind die lokalen Märkte geschlossen, dort verkaufen die Menschen ihre landwirtschaftlichen Güter jedoch von den Türen der Bauernhöfe aus. Anderswo - wie beispielsweise in der Stadt Mekane Selam - finden die Wochenmärkte nicht mehr nur auf dem Marktplatz statt, sondern die einzelnen Stände werden auf das ganze Stadtgebiet verteilt, um die soziale Distanz besser wahren zu können (vgl. Menschen für Menschen, Corona-Tagebuch aus Äthiopien, Eintrag vom 28.4.2020, Stand 25.6.2020). Preiserhöhungen unter Ausnutzung der aktuellen Situation werden bestraft. Ferner stellen Hoteliers der Regierung Unterkünfte zur Verfügung, die als mögliche Quarantäneeinrichtungen benutzt werden können. Auch geschlossene Universitäten wurden zu Quarantänestationen umfunktioniert (vgl. Menschen für Menschen, Corona-Tagebuch aus Äthiopien, Eintrag vom 28.4.2020, Stand 25.6.2020).
45
Infolge des ausgerufenen Ausnahmezustandes sind nunmehr auch die Kirchen, vor denen bislang viele der ärmsten Menschen der äthiopischen Gesellschaft gebettelt hatten, geschlossen - wenngleich in den ländlichen Gegenden nicht überall (vgl. bpb, Aus Politik und Zeitgeschichte Äthiopien, „Am Ende kann nur Gott uns helfen“, 27.4.2020). Zudem schränken die Menschen ihre Kontakte ein. Dies macht es für Arbeitssuchende schwieriger, neue Aufträge zu bekommen. Davon betroffen sind insbesondere alleinerziehende Mütter, die sich gewöhnlich als Wäscherinnen durchschlagen. Deren Einkommenssituation hat sich durch die pandemiebedingten Einschränkungen deutlich verschlechtert, was vor allem für ihre Kleinkinder im Hinblick auf Nahrungsmangel und Hunger zu einer schwierigen Situation führt (vgl. zum Ganzen Stiftung Menschen für Menschen Schweiz, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien, 29.4.2020).
46
Im Kampf gegen das Coronavirus hat sich etwa auch die katholische Kirche schon mit finanziellen Mitteln von knapp 480.000 US-Dollar am nationalen Hilfsfonds beteiligt (vgl. VATICAN NEWS, Äthiopien: Kirche unterstützt Anti-Corona-Fonds, 25.5.2020). Auch erhält Äthiopien internationale Hilfen. So hat der Aufsichtsrat des Afrikanischen Entwicklungsfonds (African Development Fund) einen Zuschuss von 165,08 Millionen US-Dollar genehmigt, um die Antwort Äthiopiens auf die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu unterstützen (vgl. OCHA, Ethiopia: COVID-19 Humanitarian Impact, 25.7.2020, S. 1 f.). Des Weiteren leistet beispielsweise die südkoreanische Agentur für internationale Zusammenarbeit (Korea International Cooperation Agency - KOICA) aufgrund eines mit dem äthiopischen Gesundheitsministerium geschlossenen Abkommens Soforthilfen (vgl. KBS WORLD Radio, KOICA leistet Soforthilfe für Äthiopien wegen Corona-Pandemie, 10.8.2020).
47
Eine allgemein zunehmende Verschlechterung der pandemiebedingten Situation ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht festzustellen. Die meisten Menschen in Äthiopien scheinen sich mit der neuen „Corona-Normalität“ abgefunden zu haben (vgl. Menschen für Menschen, Corona-Tagebuch aus Äthiopien, Eintrag vom 16.6.2020 und 25.6.2020, Stand 25.6.2020).
48
Des Weiteren ist auch im Hinblick auf die Folgen der Heuschreckenplage nicht ersichtlich, dass eine Versorgung mit Lebensmitteln in Äthiopien nicht mehr gewährleistet wäre. Zwar fressen die in Äthiopien vorhandenen Heuschreckenschwärme teilweise ganze Felder und Weideflächen kahl, sodass Ernten zerstört werden und die Preise für Nahrungsmittel und Tierfutter zu steigen beginnen. Zum Schutz vor Ernteverlusten und um steigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern, verteilt die Welthungerhilfe in Äthiopien derzeit gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses „Alliance 2015“ Bargeld (vgl. https://www.welthungerhilfe.de/heuschreckenplage/). Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen) und in der Afar-Region weitere ernährungssichernde Maßnahmen (vgl. zum Ganzen Welthungerhilfe, Heuschreckenplage in Ostafrika, 12.5.2020). Auch die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erbetenen Hilfsgelder in Höhe von 153 Millionen US-Dollar für die betroffenen Regionen Ostafrikas sind bereits zu 117,2 Millionen US-Dollar gedeckt (vgl. WirtschaftsWoche, Was die Heuschreckenplage in Ostafrika anrichtet, 2.8.2020). Am 22.7.2020 startete die FAO in Äthiopien ein Programm zur Sicherung und Wiederherstellung des Lebensunterhalts im Landwirtschaftssektor durch die Bereitstellung landwirtschaftlicher Betriebsmittel, bedingungsloser Geldtransfers und Unterstützung für Schulungs- und Erweiterungsprogramme (vgl. OCHA, Ethiopia: COVID-19 Humanitarian Impact, 25.7.2020, S. 1). Eine akute Ernährungsnotlage ist noch nicht ersichtlich (so auch BayVGH, B.v. 26.6.2020 - 23 ZB 20.31311 - n.v.; VG Würzburg, U.v. 29.5.2020 - W 3 K 19.31490 - juris Rn. 41; U.v. 3.7.2020 - W 3 K 19.31666 - juris Rn. 63).
49
Dem Gericht liegen daher keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Gesundheits- und Ernährungslage bzw. die wirtschaftliche Lage insgesamt in Äthiopien infolge der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage derzeit derart verschlechtert hätte, dass gesunde, erwachsene Rückkehrer ihr Existenzminimum trotz entsprechender Anstrengungen nicht sicherstellen könnten und ihnen im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien - insbesondere auch nach Addis Abeba und aufgrund etwaiger Mobilitätseinschränkungen nicht etwa in ihre Heimatregion - derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende Behandlung drohen würde.
50
Soweit von der Antragstellerseite unter Berücksichtigung von Medienberichten zur Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage auf die Befürchtung einer Katastrophe für den gesamten afrikanischen Kontinent hingewiesen wird, handelt es sich um unbelegte Spekulationen und Zukunftsszenarien. Daraus geht jedoch nichts hervor, was über allgemeine Erwartungen und Befürchtungen hinaus die Schwelle der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten konkret berühren oder gar erreichen könnte. Die Anforderungen an den Maßstab der ernsthaften und stichhaltigen Gründe bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, dem ein gewisser Grad an Zukunftsprognose durchaus immanent ist, sind nicht erfüllt. Insbesondere liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Gesundheits- und Ernährungslage in Äthiopien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits derart verschlechtert hätte bzw. in absehbarer Zeit verschlechtern könnte - wie von der Antragstellerseite befürchtet. Die bloßen Befürchtungen stützen sich gerade nicht auf hinreichend konkrete Tatsachengrundlagen. Auch setzt sich die Antragstellerseite dabei nicht hinreichend mit den vorliegenden Erkenntnismitteln - insbesondere den Bemühungen der äthiopischen Regierung und den internationalen Hilfeleistungen - auseinander. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ist vielmehr festzustellen, dass die bereits seit längerem befürchtete Zuspitzung der Lage in Äthiopien zum derzeitigen Zeitpunkt nach wie vor nicht eingetreten ist (vgl. so auch VG Würzburg, U.v. 29.5.2020 - W 3 K 19.31490 - juris Rn. 44 ff.).
51
Trotz der schwierigen Bedingungen in Äthiopien ist auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich, dass der Antragsteller sich die Existenz in Äthiopien nicht sichern könnte. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des fehlenden familiären Netzwerks in Äthiopien und auch dann, wenn der Antragsteller aufgrund etwaiger Mobilitätsschwierigkeiten nicht zeitnah in seine Heimatregion zurückkehren könnte und zunächst in Addis Abeba verbleiben müsste.
52
Der vorzunehmenden Beurteilung ist eine - wenn auch hypothetische aber - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Es wird daher im Regelfall davon auszugehen sein, dass eine in Deutschland in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern mit ihren minderjährigen Kindern) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt. Dies gilt im Regelfall selbst dann, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. Maßgeblich ist demnach regelmäßig die (hypothetische) Rückkehr der ganzen Kernfamilie. Voraussetzung hierfür ist gleichwohl eine familiäre Gemeinschaft, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits in Deutschland tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und somit die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Für eine in diesem Sinne „gelebte“ Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Maßgeblich ist für die typisierende Betrachtung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht der - nicht auf Kernfamilien beschränkte - Schutzbereich des Art. 6 Grundgesetz (GG) bzw. des Art. 8 EMRK. So mögen bestehende, von familiärer Verbundenheit geprägte enge Bindungen jenseits der Kernfamilie ebenfalls durch nach Art. 6 GG schutzwürdige besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sein. Allerdings rechtfertigen sie für sich allein aber nicht die typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris).
53
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist vorliegend nicht von einer „gelebten“ Kernfamilie in diesem Sinne auszugehen. Zwar liegt ausweislich der beizgezogenen Bundesamtsakten eine Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers für ein in Deutschland geborenes Kind einer Asylbewerberin vor (vgl. Bundesamtsakte der Kindsmutter mit Az. 8028021 - 224, dort S. 35, und des Kindes mit Az. 8029028 - 224, dort S. 31). Allerdings bestehen bereits aufgrund der großen räumlichen Distanz - der Antragsteller lebt in 8..4130 Dingolfing und das Kind mit der Mutter in 9..9510 Apolda - keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Entsprechendes wurde von der Antragstellerseite auch nicht vorgebracht. Da bloße rechtliche Beziehungen aber gerade nicht ausreichen, ist der vorzunehmenden Betrachtung die alleinige Rückkehr des Antragstellers zugrunde zu legen.
54
Der Antragsteller ist gesund und erwerbsfähig. Er hat durch seine Flucht und im Asylverfahren Durchsetzungsvermögen bewiesen. Zwar verfügt der Antragsteller über keine schulische Ausbildung. Allerdings war er auch vor seiner Ausreise aus Äthiopien in der Lage seinen Lebensunterhalt - beispielsweise in den beiden Großstädten Addis Abeba und Awassa - zu bestreiten. Auch wenn er keine geregelte Arbeit gefunden haben will, so hat er sich zumindest mit Gelegenheitsarbeiten die Lebensgrundlage sichern können. Hierbei ist etwa auch zu berücksichtigen, dass es dem Antragsteller sogar als Kind ab seinem sechsten Lebensjahr gelungen ist, allein auf den Straßen Äthiopiens zu leben. Des Weiteren hat der Antragsteller im Rahmen seiner mehrjährigen Aufenthalte im Sudan und in Libyen als Tagelöhner und Tischler gearbeitet. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in der Lage sein wird, seinen eigenen Lebensunterhalt (etwa auch in Addis Abeba) durch eigene - ggf. nur einfache - Arbeit zu bestreiten. Nach alledem ist es dem Antragsteller zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren.
55
Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass der Antragsteller seinen Angaben zufolge nach seiner Einreise nach Deutschland zwischenzeitlich in Portugal und sogar im Sudan sowie in Äthiopien war. Auch diese (mit nicht gerade unerheblichen Kosten verbundenen) Reiseaktivitäten zeigen, dass der Antragsteller offensichtlich auf gebildete Rücklagen oder monetäre Unterstützungsleistungen zurückzugreifen kann. Auch dies spricht dafür, dass der Antragsteller sich eine Existenz in Äthiopien aufbauen können wird.
56
(2) Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
57
Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
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Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungs-konformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 38; BayVGH, U. v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 59).
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Nach diesen Maßstäben ist beim Antragsteller ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend. Insbesondere ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller das Existenzminimum in Äthiopien durch eigene Arbeit sichern können wird, sodass eine extreme Gefahrenlage nicht wahrscheinlich ist.
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Des Weiteren ist auch hinsichtlich der Corona-Pandemie nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass sich der Antragsteller trotz der vermutlich hohen Dunkelziffer an Erkrankten auch in Addis Abeba nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr mit dem Corona-Virus infizieren würde. Außerdem spricht hierfür jedenfalls der in den weit überwiegenden Fällen lediglich milde Krankheitsverlauf, der größtenteils nicht einmal eine medizinische Versorgung erfordert. Nur eine äußerst geringe Anzahl der Erkrankten gerät in einen kritischen Zustand (vgl. zum Ganzen auch VG Würzburg, U.v. 29.5.2020 - W 3 K 19.31490 - juris Rn. 54).
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Auch bestehen keine Anhaltspunkte hinsichtlich individueller Gründe für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen.
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Im Übrigen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts - insbesondere auch zur Abschiebungsandrohung - Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war nach alledem abzulehnen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
… Richter