Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 17.04.2020 – B 5 K 18.364
Titel:

Fehlerhafte Beurteilung aufgrund unvollständiger Tatsachengrundlage in einem Konkurrentenstreitverfahren

Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
LlB Art. 57, Art. 58
VwGO § 84
Leitsatz:
Der Umstand, dass keine Pflicht zur formalisierten Einholung einer Zwischenbeurteilung oder eines Beurteilungsbeitrags besteht, befreit nicht von der Pflicht, dass eine periodische Beurteilung den gesamten Beurteilungszeitraum erfassen muss und der Beurteilende Kenntnis über diesen gesamten Zeitraum über die Eignung, Leistung und Befähigung des zu Beurteilenden haben muss. Soweit dem Beurteilenden eigene unmittelbare Erkenntnisse der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des zu Beurteilenden fehlen, sind Stellungnahmen von Vorgesetzten einzuholen und sonstige Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob die Beurteilungsrichtlinien oder allgemeinen Rechtsgrundlagen eine Pflicht zur Einholung von Beurteilungsbeiträgen vorsehen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dienstpostenvergabe und Beförderung zum Akademischen, Oberrat, Beurlaubung zur Professurvertretung, fehlende Erkenntnisgrundlage für die dienstliche Beurteilung, Professurvertretung, Dienstposten, Besoldungsgruppe, Akademischer Rat, Altersteilzeit, Dienstherr, Auswahlentscheidung, dienstliche Beurteilung, Beurlaubung, Beurteilungsfehler, unvollständige Tatsachengrundlage, Beurteilungsrichtlinien, Beurteilungsbeitrag, Beurteilungszeitraum, Kenntnis, Stellungnahme, Erkenntnisquelle
Fundstelle:
BeckRS 2020, 23965

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 09.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2018 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers auf Stellenbesetzung und Beförderung zum Akademischen Oberrat an der …Universität … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
4. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung des Beklagten, einen Dienstposten als Akademischer Rat der Besoldungsgruppe A 14 mit dem Beigeladenen zu besetzen und diesen in das entsprechende Statusamt einzuweisen.
2
Der Kläger steht als Akademischer Rat am Lehrstuhl für Schulpädagogik der …Universität … (A 13) in Diensten des Beklagten. Die siebenjährige Beförderungswartezeit erfüllte er am 16.04.2015. Vom 01.10.2013 bis 31.03.2016 befand sich der Kläger in Sonderurlaub zur Wahrnehmung einer Professurvertretung an der … Hochschule … Seit seiner Rückkehr wird dem Kläger Altersteilzeit im Teilzeitmodell (60%/ 24 Stunden) gewährt. Er wurde zuletzt im Jahr 2016 (Beurteilungszeitraum 01.06.2013 bis 31.05.2016) mit einem auf 14 Punkte lautenden Gesamtergebnis beurteilt.
3
Der Beigeladene erfüllte die siebenjährige Beförderungswartezeit zum 01.09.2018. Er ist seit dem 01.07.2014 dem …-Institut für … zur Wahrnehmung der kommissarischen Leitung der Abteilung 3 zugewiesen. In seiner periodischen dienstlichen Beurteilung für den Zeitraum 01.06.2013 bis 31.05.2016 erhielt er ein Gesamturteil von 16 Punkten.
4
Im Juli 2017 wurden dem Präsidenten der …Universität … die aktuellen Beförderungsmöglichkeiten mit den beiden Bewerbern vorgelegt, die die siebenjährige Wartezeit erfüllen oder demnächst erfüllen würden, sowie die bei der letzten Beurteilung erreichte Punktezahl. Mit Schreiben vom 12.07.2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Beförderung auf den Dienstposten eines Akademischen Oberrates der Besoldungsstufe A 14. Die Entscheidung des Präsidenten fiel auf den Beigeladenen, der eine im Gesamtergebnis um 2 Punkte bessere Beurteilung erzielt hatte, auch wenn dieser die Beförderungswartezeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht hatte.
5
Mit E-Mail vom 09.08.2017 wurde dem Kläger über seine unmittelbare Vorgesetzte, Frau Prof. Dr. S. R., mitgeteilt, dass sein Antrag vom 12.07.2017 abschlägig verbeschieden wurde. Als Begründung für die ablehnende Entscheidung wurde die Altersteilzeit des Klägers angeführt.
6
Hiergegen ließ der Kläger unter dem 22.08.2017 Widerspruch einlegen, der jedoch erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid vom 15.03.2018).
7
Mit am 10.04.2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenen Schreiben ließ der Kläger Eilantrag und Klage gegen den Bescheid vom 09.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2018 einlegen. Dem Eilantrag (Az. B 5 E 18.363) gab das Gericht mit Beschluss vom 18.10.2018 statt und untersagte dem Beklagten, sämtliche freien Planstellen/Dienstposten zum Akademischen Oberrat mit einem Mitbewerber zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des Klägers rechtskräftig entschieden sei. Die hiergegen durch den Beklagten eingelegte Beschwerde nahm dieser am 22.03.2019 zurück.
8
Mit der am 10.04.2018 eingelegten Klage beantragt der Kläger,
1.
den Bescheid vom 09.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2018, mit E-Mail übermittelt am 19.03.2018 und postalisch zugestellt am 21.03.2018 aufzuheben und
2.
den Beklagten zu verpflichten, über den Bewerbungsantrag des Klägers auf Stellenbesetzung und Beförderung zum Akademischen Oberrat (Besoldungsgruppe A 14) bei der …Universität … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
9
Zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung sei der Kläger nach den maßgeblichen Auswahlvoraussetzungen der bestgeeignete Bewerber gewesen. Dem Widerspruchsbescheid lasse sich entnehmen, dass Voraussetzung für eine Beförderung zunächst eine Mindestbeförderungswartezeit von sieben Jahren und eine Beurteilung mit mindestens 14 Punkten sei und lediglich auf Antrag erfolge. Erst danach sei auf die aktuelle dienstliche Beurteilung abzustellen. Der Aktennotiz vom 3.07.2017 sei zu entnehmen, dass der Mitkonkurrent zwar im Gesamturteil seiner periodischen Beurteilung 16 Punkte aufweise. Gleichwohl habe der Mitkonkurrent zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung weder die Mindestwartezeit von sieben Jahren erfüllt noch einen Antrag auf Beförderung gestellt. Die Mindestbeförderungswartezeit erfülle der Mitkonkurrent erst am 10.09.2018. Die vom Dienstherrn selbst gesteckten Voraussetzungen für eine Beförderung müssten zum Auswahlzeitpunkt vorliegen. Ein zeitlich späterer Eintritt dieser Anforderung könne über diesen Makel nicht hinweghelfen.
10
Zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung im Juli 2017 habe es nur den Kläger gegeben, der die oben genannte Voraussetzung vollständig erfüllt habe, was bedeute, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert gewesen sei. Auf die bessere Beurteilung des Mitkonkurrenten komme es nicht an, weil dieser in das Auswahlverfahren überhaupt nicht hätte einbezogen werden dürfen, weshalb der Kläger der bestgeeignete Bewerber für den Dienstposten sei. Der Beklagte habe sich ausdrücklich für eine Besetzung der Stelle zum aktuellen Zeitpunkt entschieden. Eine Auswahlentscheidung sei im Juli 2017 durch den Präsidenten getroffen worden, auch wenn eine schriftliche Niederlegung der wesentlichen Auswahlerwägungen nicht erfolgt sei. Mit der Durchführung der Auswahlentscheidung gebe der Dienstherr eindeutig zu erkennen, dass er sich für eine Besetzung der Planstelle entschieden habe. Hieran müsse sich der Dienstherr, so auch der Beklagte, festhalten lassen. Es scheine, als solle lediglich der Kläger nicht als Auswahlsieger hervorgehen. So sei der Antrag auf Beförderung des Klägers zunächst noch unter Hinweis auf seine Altersteilzeit abgelehnt worden. Nach Einlegung des Widerspruchs sei dem Kläger plötzlich die vermeintliche Existenz eines weiteren Mitkonkurrenten offengelegt worden, der als Auswahlsieger hervorgegangen sein solle, obwohl dieser niemals einen Antrag auf Beförderung gestellt habe und auch die Mindestbeförderungswartezeit nicht erfüllt habe. Im Widerspruchsbescheid heiße es plötzlich, dass die Planstelle zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht besetzt werden solle; jedenfalls nicht mit dem Kläger. Zudem überzeugten die Ausführungen hinsichtlich der Beförderung von Personen, die sich in Altersteilzeit befänden, nicht. Mit Blick auf den Leistungsgrundsatz sei das Auswahlverfahren in erster Linie anhand der aktuellen dienstlichen Beurteilung vorzunehmen und nicht von besonderen Umständen und vom Vorliegen herausragender Leistungen abhängig zu machen. Ein solches Vorgehen stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung sowie Ungleichbehandlung dar.
11
Zudem sei die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung fehlerhaft. In der Zeit vom 01.06.2013 bis 31.05.2014 sei Frau Prof. Dr. A. S. Vorgesetzte des Klägers gewesen. In der Zeit vom 01.10.2013 bis 31.05.2016 habe der Kläger eine Professurvertretung an der … Hochschule … wahrgenommen. In dieser Zeit sei der Kläger zum 01.04.2014 von dem Lehrstuhl für … (Frau Prof. Dr. A. S.) an den Lehrstuhl für … (Frau Prof. Dr. S. R.) versetzt worden. Die Zeit der Professurvertretung sei laut Angaben von Frau Prof. Dr. S. R. überhaupt nicht in die dienstliche Beurteilung 2016 einbezogen worden. Eine Zwischenbeurteilung oder ein Beurteilungsbeitrag von Seiten der … Hochschule … sei nicht eingeholt worden. Die … Hochschule … habe die Leistung, Eignung und Befähigung des Klägers wesentlich besser als 14 Punkte im Gesamturteil und in den Einzelmerkmalen bewertet. Die Beurteilung 2016 basiere also lediglich auf einem Beurteilungszeitraum von sechs Monaten, wobei Frau Prof. Dr. A. S. erst seit dem Sommersemester 2016 unmittelbare Vorgesetzte des Klägers gewesen sei. Sie habe sich also lediglich zwei Monate ein Bild über die Leistung, Eignung und Befähigung des Klägers machen können. Laut eigenen Angaben gegenüber dem Kläger habe sie sich deshalb in ihrer Bewertung weitestgehend der dienstlichen Beurteilung 2013 angeschlossen. Eine Zwischenbeurteilung oder ein Beurteilungsbeitrag von Frau Prof. Dr. A. S. sei ebenfalls nicht eingeholt worden. Im Ergebnis sei daher festzuhalten, dass der dienstlichen Beurteilung 2016 des Klägers ein unzureichender und damit fehlerhafter Sachverhalt zu Grunde gelegt worden sei.
12
Für den Beklagten beantragt die …Universität …,
die Klage abzuweisen.
13
Der Beklagte habe die Altersteilzeit des Klägers bei der Entscheidung über den Antrag auf Beförderung berücksichtigen dürfen, ohne dass damit eine unzulässige Diskriminierung verbunden gewesen sei. Der Beklagte habe in seine Entscheidung mit einbeziehen dürfen, dass bei einer Entscheidung für den Kläger das Amt im Hinblick auf seine absehbar anstehende Pensionierung eben nicht möglichst auf Dauer funktionsgerecht ausgeübt werden würde. Auch bei Würdigung der dienstlichen Beurteilung des Klägers sei kein Ermessensfehler des Beklagten festzustellen.
14
Die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung sei fehlerfrei erstellt worden, insbesondere bilde sie den maßgeblichen, in die Bewertung einzubeziehenden Zeitraum korrekt ab. Um die Professurvertretung in Baden-Württemberg wahrzunehmen, sei der Kläger vom 01.10.2013 bis 31.03.2016 aus seinem Beamtenverhältnis vollumfänglich unter Wegfall der Dienstbezüge beurlaubt gewesen. Aufgrund der Beurlaubung läge demnach gerade keine Dienstzeit vor, die habe berücksichtigt werden müssen. Anders wäre die Situation zu beurteilen gewesen, wenn der Kläger nach … dienstlich abgeordnet worden wäre. Nur für einen solchen Fall sehe 11.2 VV-BeamtR ausdrücklich vor, dass die Beurteilung durch die Stammbehörde „im Benehmen“ mit der außerbayerischen Dienststelle erfolge. Eine Abordnung im beamtenrechtlichen Sinne habe jedoch nicht stattgefunden. Die periodische Regelbeurteilung sei auch nicht wegen der Kürze des unter Abzug der Beurlaubungszeit verbleibenden Beurteilungszeitraumes zu verschieben gewesen. Die Fallkonstellation einer zwischenzeitlichen Beurlaubung erfülle nicht die Voraussetzungen, unter denen die periodische Beurteilung zurückzustellen sei.
15
Der Beigeladene äußerte sich nicht zum Verfahren und stellte keinen Antrag.
16
Mit Schreiben des Gerichts vom 03.04.2020 wurden die Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gehört.
17
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18
1. Weil die Sache keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist, kann das Gericht gem. § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entscheiden.
19
2. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die zu Lasten des Klägers getroffene Auswahlentscheidung verletzt seinen aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerberverfahrensanspruch jedenfalls deshalb, weil die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung rechtsfehlerhaft ist und die Auswahl des Klägers in einem erneuten Auswahlverfahren zumindest möglich erscheint.
20
a) Der beamtenrechtliche Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Die Auswahl unter mehreren Bewerbern muss demgemäß ermessensfehlerfrei geschehen. Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen. In Bezug auf die Vergabe höherer Dienstposten handelt es sich um Kriterien, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amtes genügt (BVerwG, U.v. 30.6.2011 - 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83). Der geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um einen höher bewerteten Dienstposten muss anhand aussagekräftiger, das heißt aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden (BVerwG, U.v. 19.12.2001 - 2 C 21.01 -; U.v. 4.11.2010 - 2 C 16.09 -; U.v. 30.6.2011 - 2 C 19.10 - alle juris). Damit die Auswahlentscheidung selbst den grundgesetzlichen Anforderungen genügt, müssen auch die zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen gewissen Anforderungen genügen, nämlich frei von Beurteilungsfehlern sein. Im Streit um eine unter anderem auf Beurteilungen gestützte Auswahlentscheidung hat das Gericht daher auch diese zu überprüfen.
21
Dabei ist die gerichtliche Inzidentprüfung der dienstlichen Beurteilung auf denjenigen Maßstab beschränkt, der auch sonst für die Überprüfung einer Beurteilung als Akt wertender Erkenntnis gilt: Um den Beurteilungsspielraum des Dienstherren zu wahren, ist das Gericht darauf beschränkt, zu überprüfen, ob der anzuwendende Begriff oder der gesetzliche Rahmen, in dem sich der Beurteilende bewegen kann, verkannt wurde, ob ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt oder allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt wurden. Soweit der Beurteilung Richtlinien zugrunde liegen, wird auch überprüft, ob sich der Beurteilende an die Richtlinien gehalten hat, die Richtlinien im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung bleiben und sie auch sonst mit höherrangigem Recht in Einklang stehen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1980 - 2 C 8/78 - BVerwGE 60, 245/246; BayVGH, B.v. 29.1.1997 - 3 B 95.1662; U.v. 22.5.1985 - 3 B 94 A.1993).
22
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung, denn es kommt auf die Erwägungen an, die der Dienstherr hierfür in Ausübung seines Auswahlermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2012 - 2 A 7.09 -; B.v. 16.12.2008 - 1 WB 19.08 -; U.v. 25.4.2007 - 1 WB 31.06 - alle juris).
23
b) Gemessen daran ist die der streitgegenständlichen Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung des Klägers über den Zeitraum 01.06.2013 bis 31.05.2016 fehlerhaft, weil sie auf einer unvollständigen und unzureichenden Erkenntnisgrundlage beruht.
24
Rechtsgrundlage für die dienstliche Beurteilung des Klägers sind die zum Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung gültigen Richtlinien für die dienstliche Beurteilung und die Leistungsfeststellung der Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst im Bereich Wissenschaft und Kunst (Ergänzende Beurteilungsrichtlinien - Wissenschaft und Kunst - im Folgenden: BeurtRL - Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kutlus, Wissenschaft und Kunst vom 25.02.2014, Az.: A 3-M1324.3) sowie die allgemein für die die dienstliche Beurteilung von Beamten des Freistaats Bayern geltenden Bestimmungen der Art. 54 ff. des Leistungslaufbahngesetzes (LlbG) und des Abschnitts 3 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR), soweit sie nicht von den spezielleren Vorschriften für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst im Bereich Wissenschaft und Kunst verdrängt werden.
25
Die angefochtene dienstliche Beurteilung wurde durch Prof. Dr. S. R. als der unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers gemäß Satz 3 der Ziffer 11.1 VV-BeamtR erstellt. Diese war weder gehalten, die frühere unmittelbare Vorgesetzte des Klägers zur Erstellung der Beurteilung förmlich anzuhören (dazu unter aa), noch musste im Zusammenhang mit der zwischenzeitlichen Beurlaubung des Klägers ein Beurteilungsbeitrag eingeholt oder eine Zwischenbeurteilung erstellt werden (dazu unter bb). Auch eine Zurückstellung der dienstlichen Beurteilung insgesamt resultiert aus der Beurlaubung nicht (dazu unter cc). Jedoch lag zur Leistungseinschätzung des verbleibenden Beurteilungszeitraums keine tragfähige Erkenntnisgrundlage vor, sodass die dienstliche Beurteilung jedenfalls aus diesem Grund fehlerhaft ist (dazu unter dd).
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aa) Die frühere unmittelbare Vorgesetzte des Klägers musste nicht nach Satz 5 der Ziffer 11.1 VV-BeamtR förmlich gehört werden. Gemäß Ziffer 11.1 Satz 5 VV-BeamtR soll die Behördenleitung - oder die mit der Erstellung eines Beurteilungsentwurfs beauftragte jetzige unmittelbare Vorgesetzte - nach Möglichkeit die früheren unmittelbaren Vorgesetzten hören, wenn der zu Beurteilende während des Beurteilungszeitraumes den Dienstposten innerhalb der Behörde gewechselt hat, sofern der Einsatz auf dem früheren Dienstposten wenigstens sechs Monate betragen hat. Wenn auch die Versetzung an den Lehrstuhl für … von Frau Prof. Dr. S. R. erst zum 01.04.2014 stattfand, war der Kläger im Beurteilungszeitraum lediglich vier Monate, mithin vom 01.06.2013 bis 30.09.2013, am Lehrstuhl für … unter seiner unmittelbaren Vorgesetzten Frau Prof. Dr. A. S. tätig. Denn ab dem 01.10.2013 war der Kläger unter Wegfall der Dienstbezüge beurlaubt.
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bb) Auch musste aufgrund des Eintritts in die vollumfängliche Beurlaubung des Klägers zum 01.10.2013 weder ein Beurteilungsbeitrag eingeholt noch eine Zwischenbeurteilung erstellt werden.
28
Zwar sieht Satz 1 der Ziffer 5.2 BeurtRL u.a. die Erstellung einer Zwischenbeurteilung unmittelbar nach einem Behördenwechsel oder dem Beginn der Beurlaubung vor, wonach für den Kläger eine Zwischenbeurteilung zu erstellen gewesen wäre. Allerdings gilt Ziffer 5.2 Satz 1 BeurtRL wie die gesamten Beurteilungsrichtlinien gemäß Ziffer 1.2 BeurtRL lediglich ergänzend zu Art. 57 und 58 LlbG sowie Abschnitt 3 der VV-BeamtR. Daraus lässt sich folgern, dass auch in den Fällen des Beginns einer Beurlaubung entsprechend Ziffer 11.1 Satz 5 VV-BeamtR nur Zeiträume von wenigstens sechs Monaten relevant werden. Dies verdeutlichen Ziffer 11.2 Satz 2 und Satz 3 VV-BeamtR, die auch im Fall einer Abordnung für die Erstellung eines Beurteilungsbeitrags nur Zeiträume relevant werden lassen, die länger als sechs Monate sind. Art. 57 LlbG setzt sogar voraus, dass für die Zwischenbeurteilung, die vor Beurlaubungsbeginn zu erstellen ist, ein Beurteilungszeitraum von mindestens einem Jahr zur Verfügung steht. Dies bringt zum Ausdruck, dass ein Beurteilungszeitraum von einem Jahr für eine dienstliche Beurteilung ausreicht, aber grundsätzlich auch erforderlich ist, wobei zugleich Ausgangspunkt der Regelung des Art. 57 LlbG ist, dass die dienstliche Beurteilung den gesamten Beurteilungszeitraum umfassen soll. Da jedoch der Zeitraum bis zur vollumfänglichen Beurlaubung - wie oben dargelegt - nur vier Monate betrug, war für den Zeitraum bis zum Beginn der Beurlaubung kein Beurteilungsbeitrag einzuholen.
29
Ebenso wenig besteht für den Zeitraum der vollumfänglichen Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge vom 01.10.2013 bis 31.03.2016 eine Pflicht zur Einholung eines Beurteilungsbeitrages. Weder das Leistungslaufbahngesetz noch die VV-BeamtR noch die diese ergänzenden Beurteilungsrichtlinien selbst enthalten Vorgaben für die Einholung von Beurteilungsbeiträgen während des Zeitraums einer vollumfänglichen Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge.
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Die Regelungen über abgeordnete Beamtinnen und Beamte sind auf die vollumfängliche Beurlaubung des Klägers unter Wegfall der Dienstbezüge nicht analog anwendbar bzw. übertragbar. Nach Satz 1 der Ziffer 11.2 VV-BeamtR werden abgeordnete Beamtinnen und Beamte von der Stammbehörde im Einvernehmen mit der aufnehmenden Behörde beurteilt, sofern die Abordnung nicht zu einer außerbayerischen oder nichtstaatlichen Dienststelle besteht; in diesem Fall erfolgt die Beurteilung durch die Stammbehörde im Benehmen mit der aufnehmenden Behörde. Nach Satz 2 der Ziffer 11.2 VV-BeamtR hat die beurteilende Stammbehörde bei der aufnehmenden Behörde einen Beurteilungsbeitrag einzuholen, wenn die oder der zu Beurteilende am Beurteilungsstichtag bereits länger als sechs Monate abgeordnet ist. Gleiches gilt nach Satz 3 der Ziffer 11.2 VV-BeamtR, wenn die oder der zu Beurteilende während des Beurteilungszeitraumes länger als sechs Monate abgeordnet war.
31
Eine Abordnung im beamtenrechtlichen Sinne selbst hat jedoch nicht stattgefunden. Die vollumfängliche Beurlaubung des Klägers unter Wegfall der Dienstbezüge ist auch nicht mit der Situation einer Abordnung vergleichbar. Während bei einer Abordnung dem Beamten vorübergehend bei einer anderen Dienststelle seines Dienstherrn oder bei einer Dienststelle im Bereich eines anderen Dienstherrn (ganz oder teilweise) ein anderes Amt im konkret-funktionellen Sinn übertragen wird, sind unter einer Beurlaubung Zeiträume zu verstehen, in denen Beamtinnen und Beamte mit Genehmigung des Dienstherrn von der Verpflichtung befreit sind, Dienst zu leisten, das zugrundeliegende Beamtenverhältnis aber bestehen bleibt. Die Gründe für die Beurlaubung können dabei unterschiedlicher Art sein. Gemein ist diesen jedoch, dass während der Beurlaubung nicht zwingend einer der Tätigkeit in der Stammbehörde vergleichbaren Tätigkeit nachgegangen wird, so dass die Situation einer Beurlaubung nicht mit der einer Abordnung vergleichbar ist. Dass vorliegend an der Beurlaubung ein besonderes dienstliches Interesse bestand, das eine anderweitige Wertung unter Umständen rechtfertigen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies ergibt sich auch nicht allein aus dem Umstand, dass der Kläger während der vollumfänglichen Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge eine Professurvertretung ausübte. Für den Fall, dass der Kläger z.B. aus familienpolitischen Gründen beurlaubt gewesen wäre, wäre auch kein Beurteilungsbeitrag einzuholen gewesen.
32
cc) Schließlich war auch die periodische Beurteilung des Klägers nicht zurückzustellen. Der vorliegende Fall einer vollumfänglichen Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge während einer Professurvertretung an der … Hochschule … kann nicht unter die in Ziffer 2.4.1 BeurtRL und Ziffer 2.4.2 BeurtRL genannten Fälle, in denen eine periodische Beurteilung zurückzustellen ist bzw. eine Zurückstellung in Betracht kommt, subsumiert werden. Auch sind die Sachverhalte für vorzunehmende Zurückstellungen - mithin eine Beförderung im letzten halben Jahr des Beurteilungszeitraumes, die Nachholung der letzten periodischen Beurteilung in diesem Zeitraum oder ein Verfahren im Sinne des Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LlbG, wenn dieses für die Beurteilung prägend sein kann - nicht vergleichbar mit einer vollumfänglichen Beurlaubung unter Wegfall der Dienstbezüge während einer Professurvertretung.
33
dd) Jedoch befreit der Umstand, dass keine Pflicht zur formalisierten Einholung einer Zwischenbeurteilung oder eines Beurteilungsbeitrags besteht, nicht von der Pflicht, dass eine periodische Beurteilung den gesamten Beurteilungszeitraum erfassen muss und der Beurteilende Kenntnis über diesen gesamten Zeitraum über die Eignung, Leistung und Befähigung des zu Beurteilenden haben muss. Soweit dem Beurteilenden eigene unmittelbare Erkenntnisse der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des zu Beurteilenden fehlen, sind Stellungnahmen von Vorgesetzten einzuholen und sonstige Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob die Beurteilungsrichtlinien oder allgemeinen Rechtsgrundlagen eine Pflicht zur Einholung von Beurteilungsbeiträgen vorsehen. Vorliegend ergibt sich allerdings weder aus den vorgelegten Unterlagen noch aus dem Vortrag des Beklagten, dass die Vorgesetzte des Klägers zur Erstellung der Beurteilung irgendwelche Erkenntnisquellen ausschöpfte.
34
Im Beurteilungszeitraum vom 01.06.2013 bis 31.05.2016 war der Kläger in der Zeit 01.06.2013 bis 30.09.2013 am Lehrstuhl für … unter seiner damaligen Vorgesetzten Frau Prof. Dr. A. S. tätig. Vom 01.10.2013 bis 31.03.2016 nahm der Kläger eine Professurvertretung an der … Hochschule … wahr. Währenddessen war der Kläger unter Wegfall der Dienstbezüge vollumfänglich beurlaubt. Während seiner Abwesenheit wurde der Kläger ab dem 01.04.2014 an den Lehrstuhl für … versetzt, dessen Inhaberin Frau Prof. Dr. S. R. war. An diesem Lehrstuhl war der Kläger erst nach Rückkehr von der Professurvertretung an der … Hochschule …, mithin im Beurteilungszeitraum lediglich in der Zeit vom 01.04.2016 bis 31.05.2016 tätig. Eigene unmittelbare Kenntnisse konnte sich die Beurteilende Frau Prof. Dr. S. R. demnach lediglich in den letzten zwei Monaten des insgesamt drei Jahre umfassenden Beurteilungszeitraumes verschaffen. Eine Beurteilungserstellung auf Grundlage eines eigenen unmittelbaren Eindrucks über einen Zeitraum von nur zwei Monaten ohne Beiziehung weiterer Erkenntnisquellen, insbesondere auch über die Tätigkeit des Klägers an der Universität … vor seiner Beurlaubung, ist jedenfalls unzureichend.
35
Da bereits die tatsächliche Beurteilungsgrundlage unvollständig ist, kann dahinstehen, ob die periodische Beurteilung des Klägers an die Beurteilung 2013 angeglichen wurde und ob für diesen Fall die Beurteilung 2013 als Grundlage zur Angleichung der Beurteilung 2016 - vor allem vor dem Hintergrund anderer die Tätigkeit prägender Aufgabenbereiche - dienen durfte.
36
c) Aufgrund der bereits nicht ordnungsgemäß zustande gekommenen dienstlichen Beurteilung des Klägers kann des Weiteren dahinstehen, ob die Beförderungspraxis bzw. die Regelungen über das Beförderungsverfahren, die - wie Art. 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 LlbG - Beförderungsaussichten von einem Mindestdienstalter abhängig machen, wie vorliegend die Mindestbeförderungswartezeit von sieben Jahren, die vom Beklagten für eine Beförderung vorausgesetzt wird, mit Art. 33 Abs. 2 GG in Einklang steht. Ebenso kann die Frage offenbleiben, ob der Beklagte bei seiner Entscheidung auf die Altersteilzeit des Klägers abstellen durfte.
37
3. Als unterlegener Beteiligter hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene, der sich mangels eigener Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO), trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
38
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.