Titel:
Rechtswidrige Anwendung der Experimentierklausel des § 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 StVO
Normenketten:
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6, Abs. 9 S. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 58, § 74, § 88, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Verkehrsteilnehmer kann als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO), die rechtsatzmäßigen Voraussetzungen für eine – auch ihn treffende – Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben. Im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung kann er verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen, abgewogen werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung von Verkehrszeichen als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (bzw. der Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die sog. Experimentierklausel des § 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 StVO erfasst Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Vorausgesetzt ist also eine Gefahrenlage iSd Abs. 1 S. 1 iVm Abs. 9 StVO. Einen Gefahrerforschungseingriff ermöglicht § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 nicht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen gem. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 Alt. 2 StVO setzt voraus, dass die Dauer des Verkehrsversuchs dem Erprobungscharakter der Maßnahme entspricht; weiter, dass das Erprobungsziel konkret bestimmt und die erprobte Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, sowie im Rahmen der Widmung möglich und dauerhaft rechtlich zulässig wäre. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtswidrige verkehrsrechtliche Anordnung, Fehlender Nachweis einer Gefahrenlage, Dauer der Maßnahme nicht angegeben, Ermessensausfall, Einbahnstraßenregelung, verkehrsrechtliche Anordnung, Experimentierklausel, Gemeinde, Leichtigkeit des Verkehrs, Halteverbot, Fahrtrichtung, Gefahrerforschungseingriff, Jahresfrist, Beschilderungsplan, Auslegung, Klagebegehren, maßgeblicher Zeitpunkt, Dauerverwaltungsakt
Fundstelle:
BeckRS 2020, 23951
Tenor
1. Die verkehrsrechtliche Anordnung vom 12. Juli 2017, mit der eine Einbahnstraßenregelung auf der „Gemeinde straße „K.Straße“ von der … bis zum Abzweig in die R. in …“ laut beiliegendem Beschilderungsplan angeordnet wurde, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen eine Einbahnstraßenregelung in der Gemeinde L. (K.Straße). Der Kläger bewohnt ein Hausgrundstück in der H. Straße …, welches auch an der K. Straße liegt. Dort betreibt der Kläger einen Landwirtschaftsbetrieb. Die Hofausfahrt befindet sich an der K. Straße.
2
Die K. Straße diente bis zur Fertigstellung der neuen Kreisstraße … dem überörtlichen Verkehr zwischen K. über L. zur Autobahn … Um dem Durchgangsverkehr zu begegnen, wurde in der K. Straße zunächst ein Verbot für Fahrzeuge aller Art mit Ausnahme des Anliegerverkehrs angeordnet.
3
Die Verwaltungsgemeinschaft S. erließ am 12. Juli 2017 eine Anordnung nach § 44, § 45 StVO: Einbahnstraßenregelung auf der Gemeinde straße K. Straße für den Bereich zwischen der Kreisstraße … bis zum Abzweig in die R. Der Beschilderungsplan enthält zudem Zeichen für ein absolutes Halteverbot und für einen Parkstreifen, beschränkt für Inhaber eines Parkausweises, sowie das Zeichen „Vorgeschriebene Fahrtrichtung Rechts“. Am 2. August 2017 wurden die Schilder hierzu aufgestellt. Unter dem 25. Juni 2018 erging eine weitere verkehrsrechtliche Anordnung für die Orts straße R.: beginnend an der Abzweigung von der K. Straße wurde auf die Länge der ersten beiden Parkbuchten ein absolutes Halteverbot und das Anbringen einer Sperrmarkierung auf den Parkbuchten angeordnet.
4
Auf Einwendungen des Klägers zur verkehrsrechtlichen Anordnung vom 12. Juli 2017 führte die Beklagte mit Schreiben vom 31. Januar 2018 aus, dass die Regelung dem Schutz der Anlieger diene. Es solle der Durchgangsverkehr von H. nach K. eingedämmt werden. Dies sei durch die Einbahnstraßenregelung gelungen, da die Fahrzeuge nun einen Umweg über die R. nehmen müssten, weshalb der Verkehr deutlich zurückgegangen sei. Am Ende der Einbahn straße befinde sich ein VZ 209 (Vorgeschriebene Fahrtrichtung Rechts), sodass man nur in Richtung R. weiterfahren könne. Hier würde man dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit eine Weiterfahrt direkt in die K. Straße möglich sei.
5
Hierauf äußerte die Bevollmächtigte des Klägers, dass die Einbahn straße nur dem Auffangen des verbotenen Durchgangsverkehrs diene. Dies habe nichts mit Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu tun. Die Anlieger würden nicht geschützt, da der Durchfahrtsverkehr nun den Bereich passieren müsse, in dem sich die Wohnbebauung befinde. Es werden Probleme beim Befahren der R. geschildert.
6
Mit Schreiben vom 17. Juli 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben und mit Schreiben vom 27. November 2018 beantragen,
die durch das Aufstellen der Verkehrszeichen 220 und 267 zu § 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit Anlage 2 (dort laufende Nummer 9 und laufende Nummer 41) angeordnete Einbahnstraßenregelung in der K. Straße in der Gemeinde L., Postleitzahl …, wird aufgehoben.
7
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger zur Bewirtschaftung seiner Felder die K. Straße befahren müsse. Dies sei ihm aufgrund der Einbahnstraßenregelung nicht mehr möglich. Der Kläger habe verschiedene Fahrzeuge mit unterschiedlichen Längen und einen Anhänger als Ladewagen und Kipper (Länge insgesamt 13 m). Es würden die Grundstücke in Richtung H. an der Staats straße … (kurz vor N. und V. gelegen) bewirtschaftet. Um zu diesen Grundstücken zu gelangen, müsse der Kläger die H. Straße in Richtung H. befahren, zunächst jedoch müsse er von seinem Grundstück aus in die K. Straße einfahren. Bislang sei der Kläger von seinem Grundstück aus rechts in die K. Straße gefahren. Nun müsse er links einfahren und von dort unmittelbar in die H. Straße nach links abbiegen. Dies sei aber mit großen Landwirtschaftsmaschinen unmöglich, da der Wendekreis zu groß sei. Seine Grundstücke, die in Richtung K. lägen, habe er früher durch die Einfahrt in die K. Straße rechts erreicht. Nun müsse der Kläger links auf die K. Straße einfahren und sodann unmittelbar in die H. Straße nach rechts abbiegen. Dies sei zwar technisch möglich, allerdings nur unter erheblicher Gefahr für sich und die anderen Verkehrsteilnehmer. Der Kreuzungsbereich der H. Straße sei an dieser Stelle in Richtung H. nur eingeschränkt einsehbar. Dies liege an einer Kurve und einem Gefälle der H. Straße. Der Kläger könne von seinem Fahrersitz des Mähdreschers die H. Straße nach links nicht einsehen, sondern müsse sich von seinem Sitz erheben. Erschwert werde die Problematik dadurch, dass es sich bei der H. Straße um den Autobahnzubringer handele und deshalb starker Verkehr herrsche. Der Kläger benötige auch mehr Zeit als ein normaler Pkw, um den Kreuzungsbereich zu passieren. Eine andere Möglichkeit, zu seinen Grundstücken zu gelangen, bestehe nicht. Insbesondere das Befahren der R. sei aufgrund der Breite und Länge der landwirtschaftlichen Maschinen nicht möglich. Dies liege auch an dem Umstand, dass die R. beidseitig verbotswidrig beparkt werde. Die Parkbuchten würden von Lkws des angrenzenden Gewerbebetriebs und nicht von Pkws genutzt. Aufgrund der Breite der Lkws reichten diese in den Straßenkörper hinein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite würden verbotswidrig Fahrzeuge, regelmäßig ein Tanklastwagen, abgestellt. Der Kläger könne entweder überhaupt nicht durchfahren oder nur in Millimeterarbeit. Die Parksituation sei der Beklagten bekannt, Maßnahmen würden nicht ergriffen. Außerdem befände sich auf der R. im Kreuzungsbereich mit der … ein Gerinne, welches ein erhöhtes Gefahrenpotenzial beim Befahren mit den landwirtschaftlichen Fahrzeugen schaffe. Die Situation habe sich insoweit zugespitzt, als die Beklagte einen Blumenkasten an der K. Straße aufgestellt habe. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO lägen nicht vor. Es bestehe keine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung. Der Abschnitt der Straße befinde sich außerhalb der Wohnbebauung. Die Anlieger seien dadurch geschützt, dass es sich um eine Anlieger straße handele (Verkehrszeichen 250), sodass kein Durchgangsverkehr stattfinden dürfe. Soweit es dennoch einen verbotswidrigen Durchgangsverkehr gebe, so biege dieser nun in die R. ab. Das Ermessen sei nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden, insbesondere die Interessen des Klägers nicht berücksichtigt worden.
8
Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 ließ die Beklagte durch ihren Bevollmächtigten ausführen, dass man sich um eine einvernehmliche Lösung bemüht habe. So habe man bei einem Ortstermin im Jahr 2017 auch eine Vollsperrung eines Teils der heutigen Einbahn straße diskutiert. Der Kläger habe hierbei Probleme bei der Einfahrt von K. kommend in die R. oder die H. Straße befürchtet, weshalb er ein „Linksabbiegen“ in die K. Straße - wie derzeit möglich - für die ungefährlichere Alternative gehalten habe. Durch die Einbahnstraßenregelung habe man seinem Wunsch Rechnung getragen, weiterhin von K. kommend links in die K. Straße, jetzt Einbahn straße, abzubiegen. Am Ende der Einbahn straße befinde sich das Verkehrszeichen 209 („Vorgeschriebene Fahrtrichtung Rechts“ in die R.*). Die Beklagte habe mit Schreiben vom 31. Januar 2018 erklärt, dass sie bereit sei, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, die dem Kläger eine direkte Weiterfahrt in die K. Straße ermöglichen würde. Man habe auf das Schreiben des Klägers vom 24. Mai 2018, dass ein Befahren der R.straße mit seinen Fahrzeugen nur möglich sei, wenn in den Parkbuchten Pkws stünden, reagiert und die verkehrsrechtliche Anordnung vom 25. Juni 2018 erlassen, wonach auf Länge der ersten beiden Parkbuchten eine Sperrflächenmarkierung und ein absolutes Halteverbot angebracht worden seien. Durch diese Maßnahme sei dem Kläger die Durchfahrt durch den Bereich R. erleichtert worden. Mit Schreiben vom 19. September 2018 habe die Verwaltungsgemeinschaft S. der Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass nicht mehr beabsichtigt werde, die im Schreiben vom 16. August 2018 angesprochene Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Grund hierfür sei gewesen, dass die Polizeiinspektion H** am 14. September 2018 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass aus Gründen der Verkehrssicherheit eine Ausnahme nicht erteilt werden könne. Ein Befahren entgegen der Einbahnstraßenregelung sei nach Ansicht der Beklagten für den Kläger nicht nötig, da die R. eine zumutbare Ausweichroute darstelle. Ein direktes Abbiegen vom Grundstück des Klägers links auf die K. Straße, um direkt nach rechts auf die H. Straße einzubiegen, sei durch die Nutzung der Route über die R. nicht nötig. Es werde zudem bestritten, dass diese Route mit erhöhten Gefahren verbunden sei. Das Problem, dass landwirtschaftliche Fahrzeuge langsamer als gewöhnliche Pkws seien, bestehe an jeder Kreuzung; die erhöhte Sitzposition verschaffe in der Regel eine bessere Übersicht. Es sei dem Kläger möglich, aus seinem Grundstück nach rechts in die K. Straße abzubiegen. Von dort könne er weiter in die R. und die Kreisstraße … fahren. Die Fotos, die der Kläger beigefügt habe, seien veraltet. Es werde bestritten, dass der Kläger an den verbotswidrig geparkten Fahrzeugen nur in Millimeterarbeit vorbeikäme. Der Durchgangsverkehr habe sich sogar deutlich reduziert, die Breite zwischen den Borden und den seitlichen Einfassungen sei an keiner Stelle geringer als 6,20 m. Die R. könne von den örtlichen Gewerbetreibenden, zum Beispiel einer Spedition mit Gliederzügen (Fahrzeuglängen bis 18,75 m), problemlos durchfahren werden. Das vom Kläger erwähnte Gerinne stelle für landwirtschaftliche Fahrzeuge keine Gefahr dar. Materielle Rechtsgrundlage für die Regelung seien § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 6, § 45 Abs. 9 Satz 1 und Satz 3 StVO. Die Unterbindung verbotswidrigen Durchgangsverkehrs sei aus Gründen der Sicherheit und Ordnung erfolgt. Andere Maßnahmen hätten keinen Erfolg gebracht. Die Interessen des Klägers seien berücksichtigt und in das Ermessen eingestellt worden. Durch das geringere Verkehrsaufkommen werde es dem Kläger zudem erleichtert, seine Hofstelle mit seinen Fahrzeugen zu erreichen oder zu verlassen.
9
Der Kläger ließ mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 17. März 2020 vortragen, dass die Beklagte nicht bewiesen habe, dass das Zusatzzeichen Anlieger straße nicht beachtet worden sei. Hierzu hätte es einer Erforschung des Verkehrsverhaltens bedurft. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO setze voraus, dass besondere Umstände die Beschränkung des fließenden Verkehrs zwingend erforderlich machen. Damit habe sich die Beklagte nicht auseinandergesetzt. Die Einbahnstraßenregelung sei an einer Stelle angeordnet worden, an der sich keine Wohnbevölkerung befinde. Es werde bestritten, dass die Verkehrsbelastung und die Unfallzahlen ermittelt worden seien. Es sei auch kein Ermessen ausgeübt worden. Nicht richtig sei, dass der Kläger die Einbahnstraßenregelung bei einem Ortstermin im Jahr 2017 gewünscht habe. Der von der Beklagten angebrachte Blumenkasten (in der Kurve zur R.*) stelle eine zusätzliche Behinderung dar.
10
Mit Schreiben vom 7. Mai 2020 ließ der Bevollmächtigte der Beklagten ausführen, dass die Sperrung der K. Straße für Fahrzeuge aller Art mit Ausnahme des Anliegerverkehrs nicht Gegenstand der Klage sei. Diese bestehe schon seit 30 Jahren. Sie sei mit dem Neubau der Kreisstraße … mit Anschluss an die Staats straße … verfügt worden, damit eine leistungsfähige Umgehung in Richtung K. geschaffen werde. Gleichwohl sei die Strecke von Ortskundigen genutzt worden. Die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung stütze sich auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO, der Erprobung verkehrsrechtlicher Maßnahmen. Die konkrete Erforderlichkeit ergebe sich daraus, dass andere weniger einschneidende Maßnahmen bisher nicht zum Erfolg geführt hätten. Es habe vor der Anordnung eine Beeinträchtigung und Gefährdung der Anwohner bestanden. Man habe sich mit den Interessen des Klägers durch persönliche Gespräche und Ortstermine auseinandergesetzt. Auf das Schreiben des Klägers vom 24. Mai 2018 hin habe man ergänzende verkehrsregelnde Maßnahmen getroffen (Sperrfläche und absolutes Halteverbot zur besseren Benutzung der R. durch den Kläger). Der Blumenkasten stelle keine Behinderung dar.
11
Die Berichterstatterin nahm die Verkehrssituation der R. und der K. Straße am 14. Mai 2020 in Augenschein. Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Vortrag der Parteien sowie auf den Inhalt der Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
13
Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
14
Das Gericht legt den Klageantrag dahingehend aus, dass der Kläger die Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 12. Juli 2017 begehrt (§ 88 VwGO).
15
Die zulässige Klage ist begründet.
16
Die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung vom 12. Juli 2017, mit der eine Einbahnstraßenregelung auf der Gemeinde straße K. Straße von der … bis zum Abzweig in die R. in … angeordnet wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Klagebefugnis dann zu bejahen, wenn das Klagevorbringen es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Maßnahme eigene Rechte des Klägers verletzt. Ein Verkehrsteilnehmer kann dabei als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtsatzmäßigen Voraussetzungen für eine - auch ihn treffende - Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben. Im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung kann er verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen, abgewogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1993 - 11 C 35/92; U.v. 21.8.2003 - 3 C 15/03 - jeweils juris). Da der Kläger von der Sperrung der Straße als Verkehrsteilnehmer betroffen ist, ist die Klagebefugnis zu bejahen.
18
Auch die Klagefrist (Jahresfrist gemäß § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO, vgl. BayVGH B.v. 4.12.2014 - 11 ZB 14.189 - juris Rn. 8) ist eingehalten.
19
Für die rechtliche Beurteilung von Verkehrszeichen als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kommt es maßgebend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (bzw. den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht) an (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 - 3 C 42/09 - juris Rn. 14 m.w.N).
20
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 StVO haben sie das gleiche Recht zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen.
21
Nach der letzten schriftsätzlichen Einlassung der Beklagten soll die Maßnahme der Erprobung verkehrsrechtlicher Maßnahmen dienen und beruhe auf § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 StVO.
22
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 StVO liegen jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht vor.
23
Die sog. „Experimentierklausel“ erlaubt der Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtliche Anordnungen zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen. Erfasst werden sollen mit dieser Vorschrift Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Vorausgesetzt ist also eine Gefahrenlage im Sinn des Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 StVO. Einen Gefahrerforschungseingriff ermöglicht § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 nicht (BayVGH, B.v. 26.02.2015 - 11 ZB 14.2491 - juris Rn. 20; VG München, U.v. 29.9.2014 - M 23 K 14.3323 - juris Rn. 36).
24
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt und sich damit als „qualifizierte Gefahrenlage“ darstellt.
25
Für das Vorliegen einer solchen Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 9 StVO wurden seitens der Beklagten keinerlei konkrete Erkenntnisse vorgelegt. Diese wird lediglich behauptet. Nach ständiger Rechtsprechung ist hierfür eine konkrete Ermittlung und Dokumentation erforderlich (VG München, U.v. 6.7.2017 - M 23 K 16.1305 - juris; OVG NRW, B.v. 22.10.2003 - 8 B 468/03 - juris).
26
Ferner setzt die Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Alt. 2 StVO voraus, dass die Dauer des Verkehrsversuchs dem Erprobungscharakter der Maßnahme entspricht; weiter, dass das Erprobungsziel konkret bestimmt und die erprobte Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, sowie im Rahmen der Widmung möglich und dauerhaft rechtlich zulässig wäre (BayVGH, B.v. 28.6.2018 - 11 CS 18.964 - juris). Hier wurde das Erprobungsziel nicht genannt. Hinsichtlich der Dauer der Maßnahme enthält die Anordnung die Eintragung „frühestens ab dem 21. Juli 2017“ längstens bis „auf Dauer“, sodass eine zeitliche Beschränkung überhaupt nicht angeordnet wurde, was ebenfalls für sich schon zur Rechtswidrigkeit der Anordnung führt.
27
Nach der Rechtsprechung wird eine maximale Dauer von bis zu einem Jahr als zulässig angesehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 - 11 ZB 14.2491 - juris Rn. 21). Diese Zeitspanne ist bereits erheblich überschritten.
28
Hinzu kommt, dass bei der Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO die zuständige Straßenverkehrsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen etwa betroffener Anlieger in Rechnung zu stellen hat. Die Anordnung der Beklagten lässt nicht erkennen, dass die Auswirkungen der Probesperrung auf den davon in erster Linie betroffenen landwirtschaftlichen Verkehr bei der Entscheidung berücksichtigt und abgewogen wurden.
29
Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten (gemäß dem beigefügten Beschilderungsplan) vom 12. Juli 2017 war antragsgemäß aufzuheben. Die Beseitigung der angebrachten Verkehrszeichen wurde nicht beantragt, weshalb eine entsprechende Tenorierung nicht erfolgte (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das Gericht geht aber davon aus, dass die Beklagte dennoch die angebrachten Verkehrszeichen entfernen wird, da durch die Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung die Rechtsgrundlage für die Verkehrszeichen entfallen ist und die Beklagte sich als Behörde des Freistaats Bayern gesetzestreu verhalten wird und auch ohne explizite Anordnung rechtswidrig aufgestellte Verkehrszeichen entfernen wird.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.