Titel:
Erfolglose Asylklage eines kasachischen Staatsangehörigen
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 77 Abs. 2
AufentG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Eine religiös motivierte staatliche Verfolgung der Zeugen Jehovas in Kasachstan ist nicht zu befürchten. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kasachstan, Verfolgung als Zeuge, Jehovas, Abschiebungsverbot, Freiheitsstrafe, Lebensunterhalt, Zeugen Jehova, Einreise, Anerkennung, Religionsgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2020, 2382
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger ist nach eigenen Angaben kasachischer Staatsangehörigkeit und gehört zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen J1. Er reiste am 14. März 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 17. April 2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
2
Im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. Juni 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, 2012 mit seiner damaligen Ehefrau nach Russland ausgereist zu sein. Die mehrheitlich muslimische Bevölkerung in Kasachstan verhalte sich gegenüber den Zeugen J1. aggressiv. 2009 habe ihn ein Mann seine Hefte aus der Hand gerissen und sich ihm gegenüber aggressiv verhalten. Andere Zeugen J1. hätten vergleichbare Probleme gehabt. Staatliche Behörden unternehmen hiergegen nichts. Weiter sei ihm nichts passiert. Bei den Zeugen sei er seit 2002 als offizielles Mitglied. Seine Mutter und seine Brüder seien auch Zeugen J1., leben aber noch in Kasachstan. In Russland werde Stimmung gegen die Zeugen J1. gemacht und seine damalige Frau sei dort bedroht worden.
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Mit Bescheid vom 14. Februar 2017 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1). In Ziffer 2 wurde der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt. In Ziffer 3 wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und in Ziffer 4 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. In Ziffer 5 wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und die Abschiebung in die Ukraine angedroht. In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
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Hiergegen hat der Kläger mit bei Gericht am 2. März 2017 eingegangenem Schreiben Klage erhoben und beantragt,
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 14.02.2017 wird aufgehoben.
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Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
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Hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 4 AsylG vorliegen und subsidiären Schutz zu gewähren.
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Weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG gegeben sind.
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Weiter hilfsweise wird beantragt, die Befristungsentscheidung aufzuheben, soweit mit ihr eine 6 Monate übersteigende Frist festgesetzt ist.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger der Religionsgemeinschaft der Zeugen J1. zugehörig sei (unter Vorlage einer Bescheinigung der Jehovas Zeugen in Deutschland vom 17. Juli 2018). Aufgrund seines Glaubens fühle er sich moralisch verpflichtet, an den Gottesdiensten und der missionarischen Tätigkeit teilzunehmen. Bei seiner Rückkehr nach Kasachstan befürchte er, während einer weiteren missionarischen Tätigkeit von den staatlichen Geheimdiensten oder Sicherheitsbehörden festgenommen zu werden. Während seiner früheren missionarischen Tätigkeit in Kasachstan sei er einige Male von der Polizei kontrolliert worden und seine Daten seien dabei dienstlich erfasst und gespeichert worden. Die staatliche Verfolgung der Zeugen J1. in Kasachstan habe erheblich zugenommen (unter Verweis auf einen Bericht auf www.j...org vom 5. Juli 2017 und einen Bericht auf www.e...de vom 7. Februar 2017). Zudem habe er aufgrund der zunehmenden Aggression seitens der zivilen Bevölkerung gegenüber Zeugen J1. Angst um sein Leib und Leben. Er habe sich wegen der erlittenen Bedrohungen und Beleidigungen nicht an die staatlichen Sicherheitsbehörden gewandt, weil diese den Schutz von Zeugen J1. mit der Begründung verweigert hätten, dass diese als Provokateur selbst für die Überfälle verantwortlich seien. Infolgedessen müsste sich der Kläger in Kasachstan ständig versteckt halten und werde nicht in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
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Mit Schreiben vom 9. März 2017 beantragt die Beklagte,
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Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 6. Februar 2020, auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (§ 4 AsylG) oder auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, denen sich das Gericht anschließt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Hierzu ist gerichtlicherseits, mit Blick auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG), folgendes zu ergänzen:
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1. Das Gericht verkennt nicht, dass die Lage für die Zeugen J1. in Russland sich anders darstellt als in Kasachstan.
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Für den Kläger als kasachischen Staatsangehörigen ist die Rückkehr in sein Heimatland jedoch zumutbar. Eine asylverfahrensrelevante Bedrohung liegt unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags des Klägers nicht vor. Eine relevante individuelle Bedrohung ist aus ihm schon nicht erkennbar. Hinweise auf eine religiös motivierte staatliche Verfolgung der Zeugen J1. sind vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nicht zu befürchten.
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a) Der klägerseitig angeführte Bericht auf www.j...org vom 5. Juli 2017 steht im Zusammenhang mit den regelmäßigen Inspektionen von religiösen Einrichtungen durch das kasachische Ministerium für religiöse und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten. Dabei wird die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen gemäß dem Terrorismusbekämpfungsgesetz überprüft. Diese Inspektionen werden von mehreren religiösen Gemeinschaften als Belästigung empfunden.
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Unter Berücksichtigung der Auskunftslage, insbesondere des U.S. Department of State sowie der U.S. Commission on International Religious Freedom geht das Gericht nicht von einer asylverfahrensrelevanten Bedrohungslage aus. Die staatlichen Maßnahmen erreichen nicht die relevante Schwelle der beachtlichen Gefahr einer Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG oder eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Das gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung der administrativen Einstufung der Zeugen J1. Bezogen auf das Jahr 2018 wurde von einer verbesserten Atmosphäre für Zeugen J1. in Kasachstan berichtet. Die Religionsgemeinschaft blieb legal und Gemeinden konnten sich offiziell registrieren (U.S. Commission on International Religious Freedom, 2019 Annual Report, Country Reports, Tier 2, Kazakhstan, April 2019). Individuelle Zeugen J1. konnten insbesondere erfolgreich staatlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen.
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Am 8. Februar wurden gegen drei Zeugen J1. in …, … …,… und … wegen illegaler Missionstätigkeit Bußgelder von jeweils 168.350 KZT (ca. 450 USD) verhängt. Am 13. Februar wurde gegen eine Zeugin J2. in …, … …, ein Bußgeld von 85.000 KZT (ca. 230 USD) verhängt, weil sie religiöse Versammlungen in ihrem Haus abhielt und sich die Nachbarn über ihre beharrlichen Missionierungsversuche beklagten (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Kazakhstan 2018, S. 11). Am 10. Juli ordnete das Verwaltungsgericht Kokshetau infolge einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs an, das im Jahr 2013 gegen den Zeugen J2. … wegen illegaler Missionstätigkeit verhängte Bußgeld von 173.100 KZT (ca. 460 USD) zurückzuerstatten. Vier seit 2017 ergangene Urteile des Obersten Gerichtshofs hoben untergerichtliche Entscheidungen auf und bestätigten das Recht der Zeugen J1., ihre Religion frei auszuüben, einschließlich des Rechts, Proselytismus zu betreiben (U.S. Department of State, a.a.O. S. 13).
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b) Der klägerseitig angeführte Bericht auf www.e...de vom 7. Februar 2017 betraf die Verhaftung von zwei Zeugen J1., … und …, in … im Januar 2017 wegen Anstiftung zu religiöser Zwietracht. Diese trafen sich mit einer Gruppe junger Männer, die geheime Informanten der Polizei waren, sich aber als Studenten ausgegeben hatten und an Diskussionen über ihren Glauben teilnahmen. Die Gespräche wurden heimlich aufgezeichnet und später als Beweismittel gegen sie verwendet. … erhielt fünf Jahre Freiheitsbeschränkung. Der 60-jährige … wurde zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wurde jede Form von religiöser Predigt verboten (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Kazakhstan 2017, S. 9; U.S. Commission on International Religious Freedom, 2018 Annual Report, Country Reports, Tier 2, Kazakhstan, April 2018). In der Folge forderte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung mehrmals die sofortige Freilassung von …, damit er wegen seiner Krebserkrankung stationär behandelt werden konnte. … wurde am 4. April 2018 infolge einer umfassenden Begnadigung durch den Präsidenten freigelassen (U.S. Commission on International Religious Freedom, 2019 Annual Report, Country Reports, Tier 2, Kazakhstan, April 2019; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Kazakhstan 2018, S. 13).
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Dem Gericht sind keine Berichte bekannt, denen zufolge es in Kasachstan in der Vergangenheit oder in der Folgezeit zur Verhängung einer Freiheitsstrafe oder Freiheitsbeschränkung gegen weitere Zeugen J1. gekommen ist. Aktuell sind nach eigenen Angaben der Religionsgemeinschaft keine Zeugen J1. in kasachischer Haft (www.j...org/de/a.../, abgerufen am 3. November 2019).
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2. Damit war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 83 b AsylG, 154 Abs. 1 VwGO.