Titel:
Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Nusra-Front; HTS) – Anrechnung der in der Türkei erlittenen Untersuchungshaft
Normenketten:
StGB § 30 Abs. 2 Var. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 51, § 52, § 89a, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, § 211, § 212
StPO § 264
Leitsätze:
1. Die beabsichtigte Teilnahme an Kampfhandlungen, bei denen jedenfalls Soldaten der Regierungstruppen getötet werden, stellt eine Straftat gegen das Leben gem. §§ 211, 212 StGB dar. Sie erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen der Staatsschutzklausel, denn die in Aussicht genommene Tat des Angeklagten ist nach den Umständen dazu bestimmt, das bestehende staatliche System zu zerschlagen und geeignet, den Bestand oder jedenfalls die Sicherheit des syrischen Staates zu beeinträchtigen. (Rn. 160) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff der Sicherheit eines Staates dessen innere und äußere Sicherheit. Die innere Sicherheit ist der Zustand relativer Ungefährdetheit von dessen Bestand und Verfassung gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte, wobei insoweit die Fähigkeit eines Staates im Zentrum steht, sich nach innen gegen Störungen zur Wehr zu setzen. Sie wird in der Regel beeinträchtigt sein, wenn die vorbereitete Tat, so wie der Täter sie sich vorstellt, nach den Umständen geeignet wäre, das innere Gefüge eines Staates zu beinträchtigen. Die erforderliche Eignung ist objektiv anhand der (gleichsam fiktiven) Umstände der vorbereiteten Tat festzustellen. In subjektiver Hinsicht („bestimmt“) ist Voraussetzung, dass der Täter die möglichen Folgen der vorbereiteten Tat in seinen Willen aufgenommen hat. Dazu reicht es aus, dass er die tatsächlichen Umstände, welche die Eignung zur Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben, erkannt und in seinen Willen einbezogen hat (BGH BeckRS 2015, 19542). (Rn. 160) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 89a Abs. 1 iVm Abs. 2a StGB enthält keine Einschränkungen bezüglich des Tatorts, an dem nach der Vorstellung des Täters die schwere staatsgefährdende Gewalttat begangen werden soll. Der Schutzbereich des § 89a StGB umfasst vielmehr alle völkerrechtlich anerkannten Staaten. Hierbei spielt es auch keine Rolle, ob diese Staaten ihrerseits Rechtsstaaten oder Unrechtsregime sind bzw. von der deutschen Außenpolitik unterstützt bzw. gebilligt werden (vgl. OLG Stuttgart BeckRS 2014, 18036). (Rn. 162) (redaktioneller Leitsatz)
4. Einer Verfolgungsermächtigung bedarf es nicht, da es sich bei den Taten nach § 89a Abs. 2a StGB um Inlandstaten handelt. (Rn. 164) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei der HTS handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer jihadistischer Organisationen unter Führung der Nusra-Front und damit um eine terroristische Vereinigung im Ausland iSd § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB. (Rn. 165) (redaktioneller Leitsatz)
6. Eine Anrechnung der Untersuchungshaft hat aufgrund der erweiterten Auslegung des § 51 Abs. 3 S. 1 StGB auch dann zu erfolgen, wenn es sich bei dem der Anklage in dem türkischen Verfahren zugrundeliegenden Tatvorwurf der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS und dem hiesigen Verfahren nicht um dieselbe Tat iSd § 264 StPO handelt, da jedenfalls eine funktionale Verfahrenseinheit gegeben ist. Zwischen der die Untersuchungshaft in der Türkei auslösenden versuchten Einreise des Angeklagten nach Syrien und den im hiesigen Verfahren abgeurteilten Taten besteht ein sachlicher Zusammenhang (vgl. BGH BeckRS 2016, 115558). (Rn. 182) (redaktioneller Leitsatz)
7. Die in der Türkei erlittene Untersuchungshaft ist gem. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB für die Zeit vom 18.6.2017 bis zum 18.7.2017 aufgrund der Gesamtwürdigung der vom Senat festgestellten Erschwernisse im Verhältnis 1:2 und für die Zeit vom 19.7.2017 bis zum 15.2.2018 im Verhältnis 1:1 anzurechnen, da die Haftbedingungen im letztgenannten Zeitraum mit denen in deutschen Haftanstalten vergleichbar sind. (Rn. 183 und 185 – 186) (redaktioneller Leitsatz)
8. Die vom Angeklagten im Zeitraum vom 15.2.2018 bis zu seiner Abschiebung nach Deutschland am 10.1.2019 in der Türkei verbüßte Abschiebehaft war dagegen nicht gem. § 51 Abs. 3 S. 2 StGB anzurechnen, da sie nicht aus Anlass der Tat, etwa infolge internationaler Fahndung durch die deutschen Behörden erfolgte, sondern aufgrund der Tatsache, dass sich der Angeklagte unerlaubt, dh ohne Ausweisdokumente und ohne Aufenthaltserlaubnis in der Türkei aufhielt. Auch bei einer erweiterten Auslegung des § 51 Abs. 3 S. 2 StGB besteht kein sachlicher Zusammenhang zu der hiesigem Verfahren zugrundeliegenden Tat. (Rn. 189) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Staatsschutzklausel, Sicherheit eines Staates, Verfolgungsermächtigung, HTS, Nusra-Front, Anrechnungsmaßstab, funktionale Verfahrenseinheit, Haftbedingungen, Abschiebehaft, erweiterte Auslegung
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.08.2020 – 3 StR 231/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 23706
Tenor
I. Der Angeklagte ist schuldig der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Sichbereiterklären zur Begehung eines Verbrechens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
II. Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.
III. Die vom Angeklagten verbüßte Untersuchungshaft in der Türkei im Zeitraum vom 18.06.2017 (Festnahme) bis zum 15.02.2018 (Entlassung aus der Untersuchungshaft) wird für die Zeit vom 18.06.2017 bis zum 18.07.2017 im Verhältnis 1:2 und für die Zeit vom 19.07.2017 bis zum 15.02.2018 im Verhältnis 1:1 angerechnet.
IV. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.
§§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a, 129a Abs. 1 Nr. 1 in der vor dem 22. Juli 2017 geltenden Fassung, 129b Abs. 1, § 30 Abs. 2, 1. Alt., 23 Abs. 1, 49 Abs. 1, 52 StGB, 51 Abs. 1, Abs. 3 StGB.
Tatbestand
I. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten…7
II. Auszug aus dem Bundeszentralregister…10
1. Entstehung und Entwicklung des Bürgerkrieges in Syrien 12
2. Die Organisationen Nusra-Front / Jabhat Fath ash-Sham/ Hai´at Tahrir ash-Sham …14 a) Entstehung… 14 aa) Gründung und Aufstieg (August 2011 - März/April 2013) 14 bb) Prekäre Koexistenz und Konflikt mit dem ISIS (April 2013 - Juli 2014) 15 cc) Wiederaufstieg und Selbstbehauptung (Sommer 2014 - Sommer 2015) 16 dd) In der Defensive (August 2015 - Dezember 2016) 17 ee) Konflikt mit Ahrar ash-Sham und al-Qaida (Januar 2017 - heute) 18 b) Organisation und Führungsstruktur… 19 aa) Die Anführer von Nusra-Front und Hai´at Tahrir ash-Sahm…19 bb) Der Schura-Rat…19 cc) Die Regionalkommandeure…19 dd) Regionsübergreifende Strukturen…20 c) Personal…21 d) Die Ziele…22 e) Strategie… 23 f) Taktik… 25 g) Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit…25
3. Tathandlungen des Angeklagten 26 a) Radikalisierung des Angeklagten und Entschluss zur Ausreise aus Deutschland. 26 b) Tatgeschehen von der Ausreise aus Deutschland am 02.06.2017 bis zur …28 Festnahme am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet
c) Geschehen nach der Festnahme des Angeklagten…29 aa) Untersuchunghaft des Angeklagten vom 18.06.2017 bis zum 15.02.2018…29 bb) Abschiebehaft des Angeklagten vom 15.02.2018 bis zum 10.02.2019…33 d) Schuldfähigkeit…34
IV. Verfolgungsermächtigungen 35
I. Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten 35
II. Zur Entstehung und Entwicklung des Bürgerkrieges in Syrien und zu den ausländischen terroristischen Vereinigungen 36
III. Zu den Tathandlungen des Angeklagten 37
1. Entschluss des Angeklagten zur Ausreise aus Deutschland und Geschehen von der Ausreise aus Deutschland am 02.06.2017 bis zur Festnahme am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet 37 a) Einlassung des Angeklagten…37 b) Würdigung der Einlassung des Angeklagten…38 c) Telegram Chats des Angeklagten an En. C.…39 d) Chats des Angeklagten mit Da. Ca. und Sa. A. J.… 40 e) Zeuge KHK K2.…41 f) Sachverständiger Dr. S3.…42 g) Gesamtwürdigung der vorgenannten Beweismittel (c bis f)…43
2. Zum Geschehen nach der Festnahme des Angeklagten am 18.06.2017 44
IV. Vorliegen der Verfolgungsermächtigungen 45
D. Rechtliche Würdigung 45
I. Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a StGB 45
II. Sichbereiterklären zur Begehung eines Verbrechens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1 in der vor dem 22. Juli 2017 geltenden Fassung, 129b Abs. 1, 30 Abs. 2, 1. Alt. StGB 48
II. Strafzumessung im engeren Sinne 50
F. Anrechnung der in der Türkei erlittenen Haft…52
I. Anrechnung der Untersuchungshaft des Angeklagten 52
II. Unterbliebene Anrechnung der Abschiebehaft des Angeklagten…54 Kostenentscheidung 55
Entscheidungsgründe
1
Mit am 5. Juni 2019 eingegangener Anklageschrift vom 29. Mai 2019 hat die Generalstaatsanwaltschaft München - Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus - dem Angeklagten im Zeitraum 2017 die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tatmehrheit mit dem Verabreden eines Verbrechens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tatmehrheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in zwei selbständigen Fällen in Tatmehrheit mit Werben um Mitglieder für eine ausländische terroristische Vereinigung im Ausland in zwei selbständigen Fällen zur Last gelegt. Der Senat hat diese Anklageschrift mit Beschluss vom 20. August 2019 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.
2
Der Angeklagte befand sich vom 18.06.2017 bis zum 15.02.2018 in der Türkei in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund vorläufiger Festnahme vom 18.06.2017 bis zum 19.06.2017 im Militärgewahrsam, vom 19.06.2017 bis zum 24.06.2017 im Polizeigewahrsam, nach Vorführung vor den Ermittlungsrichter in Hatay vom 24.06.2017 bis längstens zum 18.07.2017 in Untersuchungshaft im Gefängnis von Hatay/Antakya und ab dem 19.07.2017 in Untersuchungshaft im Gefängnis von Gaziantep. Am 15.02.2018 wurde der Angeklagte von dem Strafgericht der Provinz Hatay vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen und am 15.02.2018 aus der Untersuchungshaft entlassen.
3
Ab dem 15.02.2018 befand sich der Angeklagte in Abschiebehaft im Gefängnis von Gaziantep, von wo aus er am 10.01.2019 nach Deutschland abgeschoben und am gleichen Tag am Flughafen in Stuttgart im hiesigen Verfahren aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 02.08.2017, Az. ER II Gs - 7481/17, festgenommen wurde. Seit dem 10.01.2019 befand sich der Angeklagte für dieses Verfahren zunächst in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen und ab dem 27.09.2019 in der Justizvollzugsanstalt M.-St. ununterbrochen in Untersuchungshaft.
4
Dem Urteil ist eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen. Nach Zustandekommen der Verständigung legte der Angeklagte am 7. Verhandlungstag ein umfassendes Geständnis ab, welches er am 8. Verhandlungstag noch einmal präzisierte. Sämtliche Nachfragen des Gerichts und der Generalstaatsanwaltschaft wurden auch in der Folgezeit vom Angeklagten beantwortet. Der Senat hatte an diesem Geständnis keinen Zweifel; es wurde durch die Ergebnisse der durchgeführten Beweisaufnahme hinsichtlich aller Taten gestützt und untermauert.
5
Das Verfahren wurde im Hinblick auf die Ziffern I. 3., I. 4. und I.5. betreffend die Tatvorwürfe der Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in zwei selbständigen Fällen in Tatmehrheit mit Werben um Mitglieder für eine ausländische terroristische Vereinigung im Ausland in zwei selbständigen Fällen auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Absatz 2 StPO eingestellt.
I. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten
6
Der Angeklagte ist am 15.04.1986 in Augsburg geboren. Sein Geburtsname war R. Ha.-G. H. Der Vater des Angeklagten, W, H. ist 66 Jahre, seine Mutter E. A. 64 Jahre alt. Der Angeklagte hat zwei ältere Schwestern, M. H. (45 Jahre) und S. H. (40 Jahre).
7
Zu seinen Eltern, seinen Schwestern und deren Familien hatte und hat der Angeklagte einen guten Kontakt.
8
Bei dem Angeklagten wurden schon frühzeitig ein Aufmerksamkeitsproblem und Unruhe festgestellt, so dass er nach dem Besuch des Kindergartens von 1989 - 1992 für ein Jahr eine Vorschule besuchen musste, um seine Aufmerksamkeit zu trainieren, ehe er von 1993 - 1997 die Grundschule in Augsburg-Haunstetten besuchte. Von 1997 - 2002 besuchte der Angeklagte die Hauptschule, die er ohne den qualifizierten Hauptschulabschluss verlies.
9
Im Alter von 12 Jahren erkrankte der Angeklagte lebensbedrohlich an einer Lungen- und Nebenhöhlenentzündung, lag zeitweise im Koma und musste daraufhin das Sitzen, Laufen, Essen und das Atmen mit dem Lungenautomaten neu erlernen. Zudem wurde bei dem Angeklagten eine Größenwachstumsstörung festgestellt, die sein Immunsystem stark schwächte. Er musste sich daraufhin einer 1-jährigen Hormontherapie unterziehen, wodurch er bereits mit 13 Jahren zu wachsen aufhörte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte bereits eine Körpergröße von 1,98 m erreicht; ohne eine solche Behandlung wäre er nach Angaben der Ärzte wohl 2,13 m groß geworden.
10
In diesem Zeitraum, mit ca. 13 Jahren, fing der Angeklagte an zu rauchen und Alkohol zu trinken. Insbesondere an den Wochenenden trank er 1-2 Flaschen Vodka und Bier. Mit 14 Jahren begann der Angeklagte zudem regelmäßig Marihuana zu konsumieren und später auch Kokain bzw. Amphetamin, wobei sich sein regelmäßiger Konsum auf 1-2 Gramm täglich belief. Zur Finanzierung seines Drogenkonsums verstrickte sich der Angeklagte zunehmend in kriminelle Aktivitäten, insbesondere den Handel mit illegalen Drogen und rutschte auch in kriminelle Kreise ab.
11
Auch schulisch ging es in dieser Zeit bei dem Angeklagten bergab und er betrieb auch keinerlei sportliche Aktivitäten mehr.
12
Von 2002 - 2003 besuchte der Angeklagte ein Berufsbildungszentrum und absolvierte von 2003 - 2006 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, die er mit der Note 3,1 abschloss. Von 2006 - 2007 arbeitete er als Monteur von Bürostühlen bei der Fa. Topstar und von 2007 - 2009 als Lackierer von Radkappen bei der Fa. WAF. Von 2009 - 2010 war der Angeklagte arbeitslos, absolvierte verschiedene Fortbildungen und hatte einen Nebenjob als Security-Mitarbeiter inne.
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Im Januar 2010, im Alter von 23 Jahren, hatte der Angeklagte das Gefühl, es werde ihm alles zu viel, insbesondere der ständige Konsum von und der Handel mit Drogen, der sich auch negativ auf seine Arbeitsleistungen und in der Folge auf seine Arbeitsverhältnisse auswirkte, bis hin zur Arbeitslosigkeit. Aus diesem Grund fuhr der Angeklagte Anfang Januar 2010 nach Bangladesch, um dort für 2-3 Monate einen Freund zu besuchen. In Bangladesch blieb er 2 Monate und kam erstmals mit bitterer Armut und Leid in Kontakt. Dies, die Freundlichkeit und Zufriedenheit der Menschen und deren familiärer Zusammenhalt beeindruckten ihn zutiefst. Der Angeklagte war von der Religiosität der Menschen ergriffen und dachte viel über das Leben und den Glauben nach. Er begann, sich zunehmend für den Islam zu interessieren, legte das islamische Glaubensbekenntnis ab und wurde Muslim.
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Zurück in Deutschland versuchte der Angeklagte seinen Lebensstil zu ändern, weniger materialistisch zu denken, fand mehrere Moscheegemeinden und auch neue Freunde, die seinen Glauben teilten. Am 26.02.2010 beantragte der Angeklagte beim Bürgeramt in Augsburg die Änderung seiner Vornamen von R. H.-G. auf M. A. U. R. und trug in der Folge diese Vornamen, wobei sein Rufname M. war.
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Der Angeklagte arbeitete in dieser Zeit, von 2010 - 2011, als Monteur für Heizöfen und als Security-Mitarbeiter, im Jahr 2011 als Monteur für Frontrahmen für den BMW Mini bei der Fa. WAFA und von 2011 - 2012 als Monteur für Laptops und Computer bei der Fa. Siemens.
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Am 15. März 2012 wurde der Angeklagte aufgrund des Tatvorwurfs des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Jahr 2009 verhaftet und vom Amtsgericht - Schöffengericht - Augsburg mit Urteil vom 23.05.2012 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Dies war ein Schock für den Angeklagten, der zu diesem Zeitpunkt seit fast 3 Jahren mit Betäubungsmitteln nichts mehr zu tun hatte und auch keinerlei Kontakte zur Betäubungsmittelszene mehr hatte. Im März 2014 wurde der Angeklagte vorzeitig aus der Haft entlassen und arbeitete in der Folgezeit bei einem Freund als Gärtner.
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Nach seiner Haftentlassung engagierte sich der Angeklagte für das Projekt „Lies! Stiftung“, verteilte eine deutsche Version des Koran in der Augsburger Innenstadt, und besuchte Islamseminare.
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Da der Angeklagte heiraten wollte, vermittelte ihm die Moschee die Zeugin S1. A3. J2. Da beide ähnliche Vorstellungen hatten und sich sympathisch waren, heirateten der Angeklagte und die Zeugin A3. J2. am ... Februar 2015. Aus der Ehe ging die am 11.11.2015 geborene Tochter des Angeklagten, Ha. H., hervor.
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Als im Jahr 2015/2016 die großen Flüchtlingswellen nach Deutschland kamen und überall von dem Krieg in Syrien berichtet wurde, begann der Angeklagte Babynahrung, -kleidung, und Geldspenden für den Verein „Ansaar International“ zu sammeln, Spendenflyer zu verteilen und nahm im Jahr 2016 für den Verein „Helfen in Not“ an mindestens 3 für Syrien bestimmten Krankenwagentransporten in die Türkei teil. Zu dieser Zeit hatte der Angeklagte auch schon die Idee Deutschland zu verlassen, da er sich aus verschiedenen Gründen hier nicht mehr wohl fühlte, insbesondere auch, da der Angeklagte und seine Ehefrau sich traditionell islamisch kleideten und deswegen auch angefeindet wurden. Die Ehefrau des Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bereit, aus Deutschland wegzugehen, so dass auch der Angeklagte die Ausreise aufschob.
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In den Jahren 2015 - 2016 war der Angeklagte als Gabelstaplerfahrer bei der Fa. Sonipar tätig. Im Jahr 2016 wurde der Angeklagte erneut arbeitslos und arbeitete in der Folge lediglich noch als Hilfsarbeiter beim Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) in Augsburg.
II. Auszug aus dem Bundeszentralregister
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Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten vom 01.10.2019 enthält zwei Eintragungen:
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1. Mit Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Augsburg, Az. 32 Ls 403 Js 135784/09 vom 04.11.2010, rechtskräftig seit dem 04.11.2010, wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt. Datum der Tat: 05.07.2009. Die Geldstrafe ist vollständig bezahlt.
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2. Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Augsburg, Az. 9 Ls 302 Js 106490/12 vom 23.05.2012, rechtskräftig seit dem 16.10.2012, wurde der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
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Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt Mitte des Jahres 2009 bis Ende des Jahres 2009 verkaufte und übergab der Angeklagte an die anderweitig Verfolgten To1. Me1. und Ju. Be1. in der Wohnung in der S2.-straße 17 in A., mindestens 1 Kilogramm Amphetamin. Der Kilopreis betrug 2.000, … EUR. Das Entgelt wurde dem Angeklagten vom anderweitig Verfolgten To1. Me1. übergeben. Der Angeklagte wollte hierdurch Gewinn erzielen.
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Das Betäubungsmittel war nicht ausschließbar von mittlerer, d.h. 10%iger Qualität. Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
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Das Urteil beruhte auf dem voll umfänglichen Geständnis des Angeklagten und den Ausführungen des unvereidigt gebliebenen Ermittlungsbeamten KHK Rosentreter. Der Angeklagte befand sich in dieser Sache vom 15.03.2012 bis zum 15.10.2012 in Untersuchungshaft und ab dem 16.10.2012 in Strafhaft in der JVA L. am Lech. Die Vollstreckung des letzten Drittels der verhängten Freiheitsstrafe von 3 Jahren wurde mit Beschluss des Landgerichts Augsburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Landsberg am L., Az. 1 LL StVK 197/13 vom 14.02.2014 - ab dem 14.03.2014 zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf 3 Jahre, bis zum 27.02.2017, festgesetzt. Der Beschluss ist rechtskräftig seit dem 28.02.2014, die Entlassung des Angeklagten erfolgte am 13.03.2014. Über den Erlass der Strafrestbewährung wurde noch nicht entschieden, da der Ausgang des hiesigen Verfahrens abgewartet wird.
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1. Entstehung und Entwicklung des Bürgerkrieges in Syrien Anfang des Jahres 2011 kam es unter der Bezeichnung „arabischer Frühling“ in Tunesien, Libyen und Ägypten zu Demonstrationen. In Syrien entwickelte sich ebenfalls eine friedliche Protestbewegung, die aber von der syrischen Regierung unter ihrem alawitischen Herrscher Bashar Al-Assad brutal niedergeschlagen wurde. Die ohnehin schon hohe Zahl politischer Gefangener nahm zu, die vielfach gefoltert und willkürlich hingerichtet wurden. Forderungen nach einer Verbesserung der Haftbedingungen fanden kein Gehör. Es bildeten sich Bürgerwehren, die versuchten, die Demonstranten zu schützen. Teile der syrischen Armee, insbesondere die sunnitischen unteren Dienstgrade, desertierten. Loyal blieben vor allem die alawitischen Teile der Armee.
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Im Jahr 2012 entwickelte sich der Konflikt zu einem Bürgerkrieg, der immer brutaler ausgetragen wurde, so dass auch die Zahl der Opfer stetig zunahm. Für diese Eskalation war in erster Linie das Assad-Regime verantwortlich, das immer rücksichtsloser Artillerie, Kampfflugzeuge, SCUD-Raketen, aus der Luft abgeworfene Fassbomben und sogar Chemiewaffen einsetzte. Auch die Aufständischen waren an der Eskalation beteiligt, insbesondere islamistische Gruppen machten sich ebenfalls schwerer Kriegsverbrechen schuldig.
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In der 2. Jahreshälfte 2011 entwickelten sich die Zusammenstöße zwischen Bürgerwehren und Sicherheitskräften zu einem bewaffneten Aufstand. Seine Träger organisierten sich in lokalen Gruppierungen ohne zentrale Kommandostrukturen. Parallel schrumpfte die syrische Armee, weil vor allem die sunnitischen unteren Dienstgrade desertierten. Die vorwiegend alawitischen Teile der Armee und die paramilitärischen Kräfte der Geheimdienste blieben jedoch loyal und übernahmen neben Milizen die Hauptlast des Kampfes.
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Ab Anfang 2012 erfasste der Aufstand weite Teile des Landes und wurde immer mehr zum Bürgerkrieg. In dieser Phase erstarkten die Salafisten und Jihadisten. Die Ahrar ash-Sham und die Nusra-Front wurden bis Ende 2012 zu zwei der stärksten Organisationen und ausländische Kämpfer reisten in steigenden Zahlen nach Syrien.
31
Im April 2013 rief die irakische al-Qaida den Islamischen Staat in Irak und Syrien (ISIS) aus und wurde rasch zu einem starken Konkurrenten der Nusra-Front. Zwar arbeiteten die beiden Gruppierungen zunächst noch zusammen, jedoch wurde immer deutlicher, dass sie miteinander unvereinbare Ziele verfolgten. Während die Nusra-Front hoffte, dass ISIS gemeinsam mit ihr und den anderen aufständischen Gruppierungen gegen das Assad-Regime kämpfen würde, zielte ISIS auf die Machtübernahme in den bereits von den Rebellen eroberten Gebieten im Norden und Osten Syriens ab. Diese Politik führte im Januar 2014 zum offenen Konflikt zwischen ISIS einerseits und der Islamischen Front, Teilen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der Nusra-Front andererseits.
32
Obwohl die Nusra-Front nach dem Vorbild des IS versuchte, eine territoriale Basis aufzubauen, setzte sie ihre Zusammenarbeit mit anderen islamistischen Gruppierungen fort und legte so den Grundstein für eine Reihe von spektakulären militärischen Erfolgen im Frühjahr 2015. Im März schlossen sich islamistische Gruppierungen unter der Führung der Nusra-Front und Ahrar al-Sham zur Armee der Eroberung (Jaish al-Fath) zusammen und nahmen Ende März 2015 die Provinzhauptstadt Idlib ein. Nach weiteren Erfolgen drohte ein Vormarsch der Rebellen Richtung Süden oder an die Küste, so dass sich die russische Führung entschied, militärisch zugunsten des Assad-Regimes zu intervenieren. Nach einigen Vorbereitungen begannen Ende September 2015 russische Luftangriffe gegen Jaish al-Fath und die FSA, die es den Truppen des Regimes erlaubten, verlorene Positionen im Zentrum und Norden des Landes wiedereinzunehmen.
33
In dieser Situation begannen Friedensverhandlungen, die zunächst in einen von den USA und Russland verabredeten Waffenstillstand mündeten, der am 27. Februar 2016 in Kraft trat und ab Mitte April immer häufiger gebrochen wurde. Die Ahrar ash-Sham waren zumindest implizit Teil der Vereinbarung, während die großen Jihadistengruppen ausgenommen blieben. Dies schürte zwar Konflikte zwischen der Ahrar al-Sham und der Nusra-Front, die das Bündnis jedoch zunächst nicht beendeten.
34
Im Januar 2017 wurde die Organisation Hai´at Tahrir asch-Sham (im folgenden HTS genannt) als Reaktion auf die Friedensgespräche der Ahrar ash-Sham mit der Türkei, dem Iran und Russland gegründet. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörte die Jabhat Fath ash-Sham (vormals der Nusra-Front) als stärkste Gruppierung, die Liwa al-Haqq, die Dschaisch as-Sunna, die Dschabhat Ansar ad-Din sowie die Harakat Nour al-Din al Zenki. Zudem schlossen sich viele jihadistisch orientierte Kommandeure der Ahrar al-Sham der HTS an (siehe auch folgend unter III.3).
2. Die Organisation Nusra-Front / Jabhat Fath ash-Sham / Hai´at Tahrir ashSham (HTS)
a) Entstehung aa) Gründung und Aufstieg (August 2011 - März/April 2013)
35
Im August 2011 schickte der ISI (= Islamischer Staat im Irak) Führer Abu Bakr alBaghdadi eine Erkundungskommission nach Syrien, die feststellen sollte, ob es möglich sei, die Aktivitäten der irakischen Organisation auf das Nachbarland auszuweiten. Die kleine Gruppe wurde angeführt von Abu Muhammad al-Jaulani, einem syrischen Mitglied des ISI, der anschließend den Auftrag erhielt, die Nusra-Front als syrische Filiale der irakischen Organisation aufzubauen. Als Jaulani im August 2011 nach Syrien kam, profitierte er davon, dass die irakische al-Qaida dort über eine gut ausgebaute Infrastruktur verfügte. Syrer hatten im Aufstand gegen die US-Truppen nach 2003 neben den Saudis das größte Kontingent ausländischer Kämpfer gestellt und sie hatten die Reise von Freiwilligen in den Irak, die fast alle über Syrien kamen, organisiert, so dass die Nusra-Front ab 2011 auf diese Netzwerke zurückgreifen konnte. Um die Jahreswende 2011/2012 verübte die Organisation ihre ersten großen Anschläge mit Autobomben in Damaskus und Aleppo. Die Zahl der Mitglieder der Nusra-Front wuchs schnell an und in den folgenden Jahren war die Nusra-Front für viele große Anschläge in den syrischen Städten verantwortlich.
36
Im Laufe des Jahres 2012 weitete die Organisation ihre Aktivitäten auch auf die ländlichen, von arabischen Sunniten bewohnten Gebiete Syriens aus, bis sie im Frühjahr 2013 vor allem im Norden (Provinzen Aleppo und Idlib), entlang des EuphratTals (Raqqa) und im Osten (Deir ez-Zor), aber auch in Damaskus und im Süden des Landes präsent war. Im März 2013 gelang ihr gemeinsam mit Ahrar ash-Sham die Einnahme der Provinzhauptstadt Raqqa am mittleren Euphrat. Nach den Ahrar ash-Sham gehört die Nusra-Front zu den damals stärksten aufständischen Gruppierungen in Syrien. Dies lag auch daran, dass sie sich bemühte, die Fehler der irakischen al-Qaida nicht zu wiederholen, die aufgrund ihres Alleinvertretungsanspruchs und ihrer brutalen Gewalt gegen ihre Gegner die Unterstützung der Bevölkerung und der anderen Aufständischen verloren hatte. Die Nusra-Front setzte vielmehr auf eine enge Zusammenarbeit mit den anderen aufständischen Gruppierungen, konzentrierte sich auf militärische Ziele und bemühte sich nach Kräften, zivile Opfer zu vermeiden. Zudem versuchte sie, die Bevölkerung in den von ihr gehaltenen Orten mit Nahrungsmitteln zu versorgen und wenn möglich auch Wasser und Elektrizität bereitzustellen, wobei sie jedoch bis Herbst 2014 - anders als die Organisation ISI - nicht den Anspruch erhoben, staatliche Strukturen aufzubauen. Die Nusra-Front vermied es auch, ihre enge Bindung an den ISI und die Nähe zur al-Qaida offenzulegen. Sie befürchtete die Unterstützung der Syrer zu verlieren, sollte ihre irakische Herkunft bekannt werden.
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In ihrer Frühzeit operierte die Nusra-Front wie eine herkömmliche städtische Terrorgruppe, indem sie Autobombenanschläge verübte und einzelne Angehörige der Sicherheitskräfte des Regimes in Damaskus und Aleppo ermordete. Ab Sommer 2012 war sie bereits wie eine etwas größere Guerillatruppe aufgestellt und versuchte bei möglichst geringen eigenen Verlusten einen Abnutzungskrieg zu führen. Zu diesem Zweck arbeitete sie eng mit anderen Rebellengruppen wie der Ahrar ash-Sham zusammen. Oft war es die Nusra-Front, die für größere Angriffe auf Einrichtungen des Regimes die Selbstmordattentäter und die Autobomben stellte, mit denen der Zugang zu einem Gelände oder einem Gebäudekomplex freigesprengt wurde. Dies war möglich, weil sich die meisten ausländischen Kämpfer bis Frühjahr 2013 der NusraFront anschlossen und diese überdurchschnittlich bereit waren, ihr Leben zu opfern.
bb) Prekäre Koexistenz und Konflikt mit dem ISIS (April 2013 - Juli 2014)
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Das Auftreten von ISIS (= Islamischer Staat im Irak und in Syrien) im April 2013 stürzte die Nusra-Front in eine schwere Krise. Es war fortan nicht mehr möglich, ihre Verbindung zum ISI zu leugnen. Deshalb ging Jaulani in die Offensive und wandte sich in einer öffentlichen Audiobotschaft an Aiman az-Zawahiri. Darin „erneuerte“ er den Gefolgschaftseid auf al-Qaida und bat den Ägypter, im Streit zwischen ISIS und Nusra eine Lösung zu finden. Zwar entschied der al-Qaida Führer im fernen Pakistan erwartungsgemäß, dass jede der beiden Organisationen weiter in ihrem Heimatland operieren sollte, doch hatte er keine Möglichkeit, seine Anordnung vor Ort durchzusetzen. Als Abu Bakr al-Baghdadi sich weigerte, der Entscheidung Folge zu leisten, begann zwischen den beiden Organisationen eine Auseinandersetzung, die die Nusra-Front stark schwächte, so dass sie viele Stützpunkte im Osten des Landes, im Gebiet nördlich von Aleppo und in Idlib aufgeben musste. Überdies verlor die NusraFront die finanzielle Unterstützung aus dem Irak und die meisten ausländischen Kämpfer schlossen sich fortan ISIS an. Dennoch blieb die Organisation vor allem in den Provinzen Deir ez-Zor und Idlib stark und konnte sich auch in der Stadt Aleppo halten. So kam es zunächst nicht zu offenen Konflikten zwischen der Nusra-Front und ISIS, da die Nusra-Front eine Schwächung des Aufstandes und den Widerstand ihrer eigenen Kämpfer befürchtete.
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Erst Anfang Januar 2014, als die Ahrar ash-Sham und FSA-Einheiten ISIS aus Idlib, Latakia und der Stadt und dem Gebiet nördlich von Aleppo vertrieben, beteiligte sich auch die Nusra-Front am Kampf gegen ISIS, wobei sie im Osten des Landes schwere Niederlagen erlitt.
cc) Wiederaufstieg und Selbstbehauptung (Sommer 2014 - Sommer 2015)
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Der Juli 2014 war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der Nusra-Front. Sie zeigte sich trotz aller Verluste regenerationsfähig und baute ihre Stellung in Idlib zunächst aus. Die Stadt Idlib wurde zur wichtigsten Hochburg der Nusra-Front. Wie stark sie weiterhin war, zeigte sich im folgenden Frühling auch in Kämpfen gegen die Truppen des Regimes. Im März 2015 schlossen sich islamistische Gruppierungen unter der Führung der Nusra-Front und Ahrar ash-Sham in der Provinz Idlib zur Armee der Eroberung (Jaish al-Fath) zusammen.
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Obwohl die Nusra-Front ihre enge Zusammenarbeit mit den Ahrar ash-Sham und anderen islamistischen Gruppierungen bis Ende 2016 fortsetzte, versuchte sie ab der zweiten Hälfte 2014, eine von ihr kontrollierte territoriale Basis zu schaffen. Die Machtübernahme, die vor allem Städte und Ortschaften in Idlib betraf, hatte auch eine intensivere religionspolizeiliche Überwachung der Bevölkerung zur Folge, die häufiger als zuvor angehalten wurde, sich an salafistische Kleider- und Verhaltensvorschriften zu halten.
dd) In der Defensive (August 2015 - Dezember 2016)
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Nach der Eroberung von Idlib bemühte sich die Nusra-Front, ihre Position in ihrer Hochburg weiter zu konsolidieren und zog im August 2015 ihre Einheiten aus dem nördlichen Teil der Provinz Aleppo und aus Damaskus ab, um sie in Idlib zu stationieren.
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Die Stärkung der Basis in Idlib erwies sich als dringend notwendig, denn im September 2015 begann die russische Intervention in Syrien, die vor allem der Nusra-Front, der Ahrar ash-Sham und ihren Verbündeten galt. Die Frühjahrsoffensive der Rebellen in Idlib hatte die Schwäche des syrischen Militärs zum wiederholten Male offengelegt, so dass sich Damaskus mit einem Hilfeersuchen an Moskau wandte. Daraufhin schickte Russland rund 4000 Mann und mehrere Dutzend Kampfflugzeuge nach Syrien. Hinzu kamen Spezialkräfte und Einheiten privater Sicherheitsfirmen. Sie griffen sofort in den Kampf ein und halfen dem Regime auch bei der Umstrukturierung der syrischen Streitkräfte, die trotz geringer Zahlen deutlich an Schlagkraft gewannen. Die NusraFront intensivierte daraufhin ihre Bemühungen um einen Zusammenschluss mit den Ahrar ash-Sham. Entsprechende Gespräche scheiterten Anfang 2016, weil die Ahrar ash-Sham Vorbehalte gegenüber der Nähe der Nusra-Front zum al-Qaida-Netzwerk geltend machte. Angesichts der militärischen Erfolge des Regimes und seiner Verbündeten, reagierte die Nusra-Front, indem sie sich am 28. Juli 2016 in Jabhat Fath ash-Sham (Eroberungsfront Syriens) umbenannte und sich von al-Qaida distanzierte. Doch auch nach diesem Schritt lehnte Ahrar ash-Sham einen Zusammenschluss ab, möglicherweise, weil sie die Reaktion der Türkei fürchtete, die die Ahrar ash-Sham zu dieser Zeit massiv unterstützte.
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Parallel zu diesen Debatten erlitten die Rebellen eine vernichtende Niederlage, als das Regime im Dezember 2016 den Ostteil von Aleppo einnahm, der seit Juli 2012 von den Aufständischen gehalten worden war. Die Kämpfe hatten im Juni 2016 begonnen und gezeigt, dass die Aufständischen den erstarkten Regierungstruppen und ihren Verbündeten wenig entgegenzusetzen hatten. Viele Beobachter hielten die Rückeroberung von Aleppo für den Beleg, dass der Aufstand gescheitert war.
ee) Konflikt mit Ahrar ash-Sham und al-Qaida (Januar 2017 - heute)
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Die Aufständischen befürchteten nach der Niederlage von Aleppo einen Angriff der syrischen Regierungstruppen und ihrer Verbündeten auf Idlib, was sie dazu veranlasste, ihre Position auszubauen. Als die Nusra-Front im Januar 2017 die zur FSA gehörende Gruppierung Jaish al-Mujahidin (Armee der Glaubenskämpfer) angriff, schlossen sich diese und fünf weitere Organisationen (Suqur al-Islam, Jaish al-Islam Qita´Idlib, Jaish al-Mujahidin, Tajammu´fastqim kama umirta, al-Jabha ash-Shamiya fi Rif Halab algharbi) den Ahrar ash-Sahm an, in der heftige Konflikte über die Ausrichtung der Organisation entbrannten. Wenige Tage später verkündete die NusraFront die Gründung von Hai´at Tahrir ash-Sham (Befreiungskomitee Syriens, kurz HTS). Dieser schlossen sich vier kleinere Gruppierungen (Nur ad-Din Zinki, Liwa alHaqq, Jabhat Ansar ad-Din und Jaish as-Sunna) und hunderte Kämpfer sowie wichtige Führungspersönlichkeiten und Kommandeure desjenigen Flügels der Ahrar ash-Sham an, die im Bündnis mit der Nusra-Front die einzige Chance für die Ahrar ash-Sham sahen, in Syrien längerfristig bestehen zu können.
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In den folgenden Monaten blieb der erwartete Angriff auf Idlib zunächst aus, denn die Truppen des Regimes und ihrer Verbündeten marschierten nach Osten vor, wo sie im März 2017 Palmyra zurückeroberten und im November die Provinzhauptstadt Deir ezZor entsetzten. Die HTS nutzte diese Atempause für ein deutlich aggressiveres Vorgehen gegen den gemäßigten Flügel der Ahrar ash-Sham. Im Juli 2017 brachen in Idlib heftige Kämpfe zwischen der HTS und der Ahrar ash-Sham aus, die die HTS für sich entscheiden konnte. Die HTS übernahm die Kontrolle über die Stadt Idlib, den Grenzübergang Bab al-Hawa und weite Teile der Provinz. Ende November machten Berichte über die Verhaftung mehrerer hochrangiger HTS-Anführer wie vor allem Sami al-Uraidi und Iyad Tubasi die Runde, die als jihadistische Hardliner galten. Der Druck auf die Jihadisten wurde jedoch immer größer, denn im Dezember 2017 intensivierte die syrische Armee ihre Angriffe auf Idlib.
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b) Organisation und Führungsstruktur aa) Die Anführer von Nusra-Front und Hai´at Tahrir ash-Sham Der Gründer und Anführer der Nusra-Front war der Syrer Abu Muhammad al-Jaulani. Bei der Gründung der Hai`at Tahiri ash-Sham (HTS) Anfang 2017 übernahm zumindest nach außen hin der ehemalige Ahrar ash-Sham-Anführer Hashim ashShaikh (alias Abu Jabir) die Führung und andere Hardliner innerhalb der Ahrar ashSham schlossen sich ebenfalls der HTS an. Quellen innerhalb der Organisation HTS bezeichneten den Gründer und Anführer der Nusra-Front, Abu Muhammad al-Jaulani als den Militärführer des Zusammenschlusses. Ob es eine vollständige Integration der jihadistischen Organisationen in dem Bündnis HTS gegeben hat, ist unklar, es spricht jedoch vieles dafür, dass sich die jihadistischen Organisationen nicht vollständig aufgelöst haben, sondern innerhalb des Bündnisses eigenständig blieben.
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Wie alle jihadistischen Organisationen verfügte auch die Nusra-Front über einen Schura-Rat, in dem theoretisch alle wichtigen, die Organisation betreffenden Fragen debattiert werden. Ihm gehörten neben dem Emir und seinem Stellvertreter die wichtigsten Religionsgelehrten und Kommandeure der Organisation an.
cc) Die Regionalkommandeure
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Unter dem Führungsrat standen die Kommandeure der Einheiten in den einzelnen Landesteilen. Im Jahr 2016 hatte die Nusra-Front mit Südsyrien, Damaskus, Homs, Hama, Idlib, Aleppo und Lattakia sieben Regionalkommandos, die von je einem Emir angeführt wurden. Einige dieser Kommandeure gehörten auch dem Schura-Rat an. Solange die Nusra-Front bis 2014/2015 in fast allen Landesteilen eine starke Rolle spielte, war die Struktur der Organisation dezentral, und die Regionalkommandeure entsprechend unabhängig in ihren taktischen Entscheidungen. Ab Mitte 2015 dürfte die Unabhängigkeit der Regionalemire deutlich gelitten haben, denn die Nusra-Front konzentrierte damals auch die meisten personellen Ressourcen im syrischen Nordwesten. Neben jedem Regionalkommandeur gab es jeweils eine religiöse Führungspersönlichkeit, die auch als eine Art Oberster Richter fungierte.
dd) Regionsübergreifende Strukturen
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Neben den militärischen Strukturen musste die Nusra-Front auch Verwaltungsaufgaben übernehmen. In der Phase bis Sommer 2014 beschränkte sie sich allerdings vor allem auf humanitäre Aktivitäten. Die Abteilung für humanitäre Hilfe übernahm im Winter 2012/2013 in Aleppo die Kontrolle über Bäckereien und bemühte sich, die Lieferung von Heizöl, Gas, Wasser und Elektrizität sicherzustellen. In dieser Phase bildete die Nusra-Front in ihren Hochburgen gemeinsam mit islamistischen Gruppierungen auch sog. „Scharia-Komitees“. Dabei handelte es sich um Einrichtungen, zu denen ein Scharia-Gericht und Polizeikräfte gehörten, die die öffentliche Ordnung in den von Rebellen gehaltenen Orten gewährleisten sollten. Die beteiligten Organisationen waren neben der Nusra-Front und der Liwa attauhid, die Ahrar ash-Sham und die al-Fajr al-Islamiya. Ab Mitte 2014 wandte sich die Nusra-Front von den bisherigen Partnern ab, baute eigene Verwaltungsstrukturen auf, zog sich aus den „Scharia-Komitees“ zurück und gründete ab Juli 2014 eigene Gerichte. Im Unterschied zur Praxis von 2012-2014 waren die Partnergruppierungen hier nicht mehr beteiligt. Spätestens ab Mitte 2015 zeigte sich, dass die neu gegründeten Gerichte die Ziele der Nusra-Front förderten, so ordneten sie die Festsetzung von FSAPersonal an, dem sie Korruption vorwarfen, lösten Polizeieinheiten auf, die zur FSA gehörten und ersetzten sie durch eigene Kräfte. Ergänzt wurde die Nusra-Justiz durch eine neue Behörde, die „Verwaltung der Befreiten Gebiete“ (Idarat al-Manatiq alMuharrara) genannt wurde und vor allem in Idlib die Grundlage für eine dauerhafte Präsenz der Gruppe schaffen sollte. Sie übernahm immer mehr staatliche Funktionen und hatte auch eine intensivere religionspolitische Überwachung der Bevölkerung zur Folge, die häufiger als zuvor angehalten wurde, sich an die salafistischen Kleider- und Verhaltungsvorschriften der Nusra-Front zu halten. So mussten Läden zur Gebetszeit schließen, Jungen und Mädchen ab der 5. Schulklasse getrennt unterrichtet werden und die Schülerinnen Kopftuch tragen. Außerdem ordnete die Nusra-Front koranische Strafen an, wie beispielsweise Steinigung für Unzucht; Homosexuelle wurden ebenfalls getötet.
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Die Nusra-Front bestand zu Beginn ihrer Aktivitäten Ende 2011 wahrscheinlich nur aus einigen Dutzend Männern, doch wuchs ihre Zahl im Laufe des Jahres 2012 stark an. Durch ihre Anschläge wurde sie schnell bekannt und damit auch für Freiwillige aus Syrien und dem Ausland interessant. Sie profitierte davon, dass sie über genug Geld verfügte, um Waffen und Munition zu kaufen und ihren Kämpfern einen bescheidenen Sold zu zahlen. Bei vielen Syrern genoss sie hohes Ansehen, weil sie als eine der wenigen Gruppierungen betrachtet wurde, die die Bevölkerung effektiv gegen die Truppen des Regimes verteidigte. Die Nusra-Front galt bis Frühjahr 2013 als eine Organisation, die eine besonders hohe Zahl ausländischer Kämpfer aufnahm. Zwar war die Zahl der Ausländer bei ihr höher als in den meisten anderen Gruppierungen, doch stellten die Syrer auch damals schon das mit Abstand größte Kontingent. Zudem waren Iraker und Jordanier vertreten, später auch Libyer, Tunesier und Marokkaner, zusätzlich Saudi-Araber und Türken. Die Ausrufung von ISIS im April 2013 war eine große Zäsur für das Personal der Nusra-Front. Sie verlor in den folgenden Monaten zahlreiche Kämpfer an die neue Organisation, unter ihnen auch die meisten ausländischen Freiwilligen, rund 80% liefen zu ISIS über. Dies veränderte ihre personelle Zusammensetzung stark, und die Organisation bestand ab Sommer 2013 in der überwiegenden Mehrheit aus Syrern. Unter den Ausländern, die auch ab 2013 bei der Nusra-Front blieben, waren vor allem Saudi-Araber, Jordanier, Tunesier, Marokkaner und auch Deutsche stark vertreten. In den folgenden Jahren, bis Ende 2016, soll die Zahl der Kämpfer für die Nusra-Front bei ca. 10.000 Mann gelegen haben. Im Laufe des Jahres 2017, nach dem Zusammenschluss der jihadistischen Gruppierungen zur HTS, waren es wieder ca. 20.000 Kämpfer.
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Die Nusra-Front und in der Folge die HTS verfügte zwar über ein gut ausgebautes Schleusersystem, bei dem junge Freiwillige aus dem Ausland durch Schleuser über die türkische Grenze - zumeist über Hatay - nach Syrien verbracht wurden, auf der anderen Seite hatte die Nusra-Front jedoch auch den Ruf, ihre Mitglieder sehr sorgfältig auszuwählen. Gegenüber ausländischen Freiwilligen bestand sie auf mindestens einer Empfehlung oder Bürgschaft eines ihnen bekannten Jihadisten und möglicherweise auch auf arabischen Sprachkenntnissen, auf die vereinzelt jedoch auch verzichtet wurde. Dies führte dazu, dass viele potenzielle Rekruten nicht aufgenommen wurden und in Gruppierungen im Umfeld der Nusra-Front auswichen.
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Wer aber die Aufnahmebedingungen erfüllte, wurde in organisationseigenen Trainingslagern militärisch ausgebildet. Die bekannten Camps lagen in der Provinz Deir ez-Zor, in Idlib oder Aleppo, nahe der türkischen Grenze.
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Die Grundausbildung dauerte je nach Situation in der Umgebung rund vier Wochen, woraufhin weitere Kurse für eine Spezialisierung (z.B. für Scharfschützen und Bombenbauer) angeboten wurden. In diesen ersten vier Wochen wurde der Schwerpunkt auf körperliche Ertüchtigung, den Umgang mit der AK-47 als Standardwaffe des syrischen Bürgerkrieges, Waffenkunde und taktische Übungen gelegt. Auch Religionsunterricht war Teil der Ausbildung.
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Zur Mitgliedschaft in der Organisation gehörte - wie bei allen jihadistischen Organisationen - ein Gefolgschaftseid, der in der Regel nach der militärischen Ausbildung zu leisten war. Einmal Mitglied in der Organisation zahlte diese auch einen Sold, dessen Höhe variierte. Die Waffen wurden teils gestellt, teils mussten sie jedoch von den Rekruten auch selbst erworben werden. Kost und Logis, medizinische Behandlungen und Krankenhausaufenthalte waren für die Rekruten und ihre Familien kostenlos.
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Das Ziel der Nusra-Front und in der Folge der HTS ist der Sturz des Regimes von Bashar al-Assad, das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer Interpretation der Scharia ersetzen will. In der Selbstdarstellung der Organisation überwiegen nationalistische Züge, so dass kaum ein Unterschied zu tatsächlich stark auf Syrien bezogene Gruppierungen wie vor allem Ahrar ash-Sham zu erkennen ist. Trotz dieser klaren Orientierung auf Syrien hat die Nusra-Front bzw. die HTS keine konkrete Ordnungsvorstellung für den Fall, dass die Aufständischen Assad tatsächlich stürzen sollten. In einem Interview im Dezember 2013 sagte Jaulani, die einzige Vorgabe der Nusra-Front sei, dass die künftige Regierung in Syrien eine sein müsse, die versuchen werde, muslimisches Land zu befreien und die Scharia durchzusetzen.
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Was genau die Forderung nach Anwendung der Scharia bedeutet, wurde ab 2014/2015 sehr viel deutlicher. In zwei Interviews mit al-Jazeera vom Mai 2015 erklärte Jaulani, dass nach einem Sieg über Bashar al-Assad die sunnitische Mehrheit das Land beherrschen werde. Christen dürften weiterhin dort leben, müssten allerdings eine Kopfsteuer (jizya) zahlen. Alawiten und Drusen hingegen müssten zum wahren Islam konvertieren. Noch deutlicher wurde die Schariainterpretation der Nusra im täglichen Leben in den von ihr kontrollierten Gebieten. Dort begann sie ab der zweiten Jahreshälfte 2014, ihre Verhaltens- und Kleidervorschriften je nach Situation vor Ort kompromisslos durchzusetzen und koranische Strafen einzuführen.
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Entgegen der vordergründig nationalistischen Orientierung handelt es sich bei der Nusra-Front um eine jihadistische Gruppe mit internationalistischer Ausrichtung, die auch auf Nachbarländer abzielt. Trotz der bisherigen Selbstbeschränkung auf Syrien und Libanon verstand sich die Nusra-Front zumindest bis 2017 als Teil des al-QaidaNetzwerkes, mit dem sie die Vision einer weitergehenden Expansion zumindest in der arabischen und islamischen Welt teilt. Diese Ausrichtung kann jederzeit dazu führen, dass die Nusra-Front auch außerhalb Syriens Anschläge verübt. Bisher hält sie sich aber an die Vorgaben der al-Qaida-Führung, dass externe Operationen gegen westliche Ziele deren Sache sind. Aus den Interviews des Nusra-Anführers Jaulani mit al-Jazeera geht der Hass der Nusra-Front auf die Alawiten und die Schiiten deutlich hervor. Jaulani behauptete dort, dass der Westen alle Regime in der arabischislamistischen Welt an die Macht gebracht habe und aus den Luftangriffen der Amerikaner schloss er, dass diese gemeinsame Sache mit der syrischen Regierung machen. Seine Ausführungen entsprechen der Sicht vieler sunnitischer Schiitenfeinde, die ein Bündnis der USA, der Schiiten (einschließlich Irans und der Hizbullah) und der Juden (d.h. Israel) am Werk sehen, mit dem Ziel, „den Islam“, also die Sunniten, zu schwächen.
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Den Konflikt zwischen den Aufständischen und dem Assad-Regime sieht Jaulani als einen religiösen zwischen wahren Muslimen einerseits und Schiiten anderseits. Es geht der Nusra-Front darum, die Alawiten von der Macht und wahrscheinlich auch als Volksgruppe aus Syrien zu vertreiben.
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Die Nusra-Front folgte bis 2017 der Strategie des al-Qaida Führers Zawahiri, gemeinsam mit ähnlich gesinnten islamischen Gruppierungen gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen, der unterdrückten Bevölkerung beizustehen und Kollateralschäden zu vermeiden.
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Die Nusra-Front hielt sich lange an die Vorgaben Zawahiris. Ihre Strategie war ganz darauf ausgerichtet, die Unterstützung der Syrer nicht zu verlieren. Deshalb konzentrierte sie sich bei ihren Angriffen und Anschlägen seit Ende 2011 vor allem auf syrische Sicherheitskräfte und militärische Einrichtungen und versuchte, zivile Opfer zu vermeiden. Darüber hinaus versorgte sie die Bevölkerung in den von ihr gehaltenen Orten und Vierteln mit Lebensmitteln, Treibstoff und Heizöl, und stellte - soweit dies möglich war - auch Wasser und Elektrizität bereit und bot kommunale Dienstleistungen an. Bis Mitte 2014 dienten diese Maßnahmen der Nusra-Front lediglich dazu, ihre militärischen Aktivitäten zu erleichtern, und gingen nie so weit wie bei ISIS/IS, der sich schon 2013 bemühte, durch eine eigene Verwaltung möglichst dauerhafte Strukturen zu schaffen.
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Erst als die Nusra-Front von ihren Stützpunkten im Osten des Landes vertrieben worden war und Luftangriffe des US-Militärs einsetzten, änderte die Organisation ihre Vorgehensweise. Sie versuchte ihre wichtigste verbliebene Hochburg, die Provinz Idlib, zu sichern, indem sie konkurrierende Rebellengruppen vertrieb. Gleichzeitig bemühte sie sich, die Kontrolle über die Teile der Region zu übernehmen, in denen sie besonders stark war. Dies zeigte sich zunächst am Aufbau einer eigenen Justiz unter Ausschluss konkurrierender Gruppen und der Einrichtung eines Verwaltungsapparates. Dass die Nusra-Front dabei - ähnlich wie der IS - eine dauerhafte quasistaatliche Struktur plante, zeigte sich in der Praxis in denjenigen Gebieten, in denen die Organisation dominierte. Dort wurden koranische Strafen angewandt, salafistische Kleidungsvorschriften durchgesetzt und sogar religionspolizeiliche Strukturen begründet.
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Da die Reaktionen auf die Pläne der Nusra-Front, ein eigenes Kalifat auszurufen, jedoch sehr negativ waren, gab die Organisation diese Idee wieder auf und bemühte sich stattdessen, durch ihre Distanzierung von al-Qaida und die Umbenennung in Fathash-Sham-Front im Juli 2016, einen größeren Zusammenschluss mit Ahrar ashSham und anderen Gruppen zu ermöglichen. Erst als dies nicht gelang, gründete sie im Januar 2017 zusammen mit der Liwa al-Haqq, Dschaisch as-Sunna, Dschabhat Ansar ad-Din und Harakat Nour al-Din al-Zenki das Bündnis HTS und schaltete anschließend Ahrar ash-Sham als wichtigsten Konkurrenten aus.
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Die Angriffe der Nusra-Front galten von Beginn an in erster Linie militärischen Zielen, d.h. Einrichtungen und Personal der Geheimdienste des Regimes, der Armee und führenden Persönlichkeiten, mit dem Ziel, die Streitkräfte insgesamt zu demoralisieren. Zu Beginn ihrer Aktivitäten Ende 2011/Anfang 2012 musste sich die Nusra-Front mangels Kämpfen auf terroristische Anschläge beschränken.
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Die Nusra-Front entwickelte zwei typische Anschlagsformen. Zunächst war dies der herkömmliche Autobombenanschlag, bei dem ein Selbstmordattentäter einen mit Sprengstoff beladenen PKW oder LKW möglichst nahe an das vorab ausgewählte Ziel fährt und die Bombe dort zur Detonation bringt. Fast typisch für die Nusra-Front wurde jedoch eine Abwandlung dieser Anschlagsform. Dabei sprengt ein Selbstmordattentäter in einem präparierten LKW eine Bresche in Verteidigungslinien des Regimes, die von anschließend anrückenden Infanterieeinheiten gestürmt werden. Diese Taktik wurde insbesondere auch bei dem Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo von Aufständischen, unter der Führung der Nusra-Front, Ahrar ash-Sham, der Jaish al-Muhajirin wa-I-Ansar und der Junud ash-Sham am 06. Februar 2014 angewandt.
g) Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit
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Die Nusra-Front finanzierte sich zunächst mit Hilfe ihrer irakischen Mutterorganisation. Als Abu Bakr al-Baghdadi am 08. April 2013 den ISIS ausrief, gab er an, dass die Nusra-Front bis dahin die Hälfte aller Einnahmen des ISI erhalten hätte. Hinzu kamen Spenden syrischer Geschäftsleute in den Hochburgen des Aufstandes, möglicherweise in der Form von Schutzgeldern und Spenden reicher Sympathisanten aus der Golfregion. Deshalb war es der Nusra-Front möglich, im Laufe des Jahres 2012 sehr schnell von wenigen Dutzend auf mehrere tausend Kämpfer anzuwachsen und diesen sogar einen Sold zu bezahlen.
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Ab Anfang 2013 erlangte die Nusra-Front auch die Kontrolle über einzelne Ölfelder in den Provinzen Deir ez-Zor und Hasaka im Osten des Landes. Diese wurden ab April für die Finanzierung der Organisation immer wichtiger, weil der Geldzufluss aus dem Irak damals versiegte. Zudem ist die Nusra-Front für zahlreiche Entführungen verantwortlich, bei denen Geiseln gegen Lösegelder freigelassen wurden.
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Wie alle jihadistischen Organisationen verfügt die Nusra-Front über eine eigene Medienstelle namens „al-Manara al-Baida“ (Das weiße Minarett), die seit Januar 2012 die Video-, Audio- und Textbotschaften der Nusra-Front verbreitete. Ab Frühjahr 2014 gründete die Nusra-Front zusätzliche Medienstellen wie al-Basira, die im Februar/März 2014 eingerichtet wurde, die Ba`s Medienstelle und die Himam-Agentur.
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Neben jihadistischen Foren, die vor allem 2012 eine wichtige Rolle für die Nusra-Front spielten, nutzte die Organisation ab 2014 und jedenfalls bis mindestens 2017, vermehrt neue soziale Medien wie vor allem Twitter und Facebook.
3. Tathandlungen des Angeklagten
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a) Radikalisierung des Angeklagten und Entschluss zur Ausreise aus Deutschland Nachdem der Angeklagte im Jahr 2010 zum sunnitischen Islam konvertiert war, radikalisierte er sich in der Folgezeit im Sinne eines jihadistischen Salafismus und gehörte seitdem einer salafistischen Szene in Augsburg an. Im Zeitraum vom 25.01.2014 bis zum 14.11.2015 beteiligte sich der Angeklagte an Koranverteilaktionen des Vereins „Lies! Stiftung“ im Stadtgebiet von Augsburg, sammelte Spenden und verteilte Spendenflyer für den Verein „Ansaar International“. Im Jahr 2016 nahm der Angeklagte zudem für den Verein „Helfen in Not“ zumindest an 3 Krankenwagentransporten in die Türkei teil, wobei die Krankenwägen jeweils für die Krisenregion in Syrien bestimmt waren.
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Ebenfalls im Jahr 2015/2016 begann der Angeklagte, sich mit dem Krieg in Syrien und der Sicht islamistischer Gelehrter auf diese Geschehnisse zu beschäftigen. Er sah sich Videos von Predigten bekannter Vertreter des deutschsprachigen salafistischen Spektrums (Hassan Dabbagh, Abu Walaa, Sven Lau und Pierre Vogel), ein Propagandavideo von Dennis Cuspert, der auf Deutsch über Hidschra und den Jihad spricht, ein Video von einem Selbstmordattentat sowie Bücher und Zeitschriften mit jihadistischen Inhalten („Das Buch des Jihads“, „Die Rolle der Frau beim Bekämpfen der Feinde“, „Anschläge auf die Bevölkerung in Dar Al-Harb“) im Internet an. Zudem befasste er sich mit den in Syrien agierenden radikalislamistischen jihadistischen Vereinigungen und identifizierte sich zunehmend mit deren Wertvorstellungen und Zielen. Er begrüßte den Zusammenschluss der jihadistischen Vereinigungen Nusra-Front, Liwa al-Haqq, Dschaisch as-Sunna, Dschabhat Ansar ad-Din und Harakat Nour al-Din al-Zenki und mehrerer hochrangiger Kommandeure der Ahrar ash-Sham zu dem Bündnis HTS im Januar 2017, da dieser seiner Vorstellung nach die Kampfkraft der jihadistischen Opposition gegen das syrische Regime deutlich erhöhte.
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Im April 2017 fasste der Angeklagte den Entschluss zur Ausreise aus Deutschland, um sich in Syrien in einem Ausbildungslager im Umgang mit Schusswaffen ausbilden zu lassen, da er mittlerweile die Teilnahme am bewaffneten Kampf gegen das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad als seine Verpflichtung als gläubiger Moslem ansah. Nach dem Abschluss einer Ausbildung an Kampfwaffen beabsichtigte der Angeklagte, sich „im Namen des Jihads“ auf Seiten der HTS am bewaffneten Kampf gegen das Assad-Regime und dessen Verbündete zu beteiligen.
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Dabei wusste der Angeklagte, dass es sich bei der HTS um ein Bündnis mehrerer jihadistischer Organisationen unter Führung der Nusra-Front und wichtiger Kommandeure der Ahrar al-Sham handelte, die die syrische Regierung mit Waffengewalt bekämpfte, um den Staat Syrien in seiner aktuellen Form zu zerschlagen und in der Folge einen sunnitisch islamischen Gottesstaat unter Geltung ihrer Interpretation der Scharia zu errichten.
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Anfang Mai 2017 nahm der Angeklagte Kontakt zu M. K1. auf, den er aus der salafistischen Szene in Augsburg kannte, mit dem er am 08.03.2016 einen Krankenwagentransport in die Türkei durchgeführt hatte und der mutmaßlich anlässlich dieses Transportes von der Türkei nach Syrien ausgereist war und Mitglied der HTS wurde. In diesem Zusammenhang erklärte sich der Angeklagte M. K1. gegenüber bereit, sich der terroristischen Vereinigung HTS anzuschließen.
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Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt bereits fest entschlossen, sich von der Organisation HTS militärisch und an der Waffe ausbilden zu lassen und sich im Anschluss an die Ausbildung auf Seiten der HTS an Kampfhandlungen gegen syrische Regierungstruppen und deren Verbündete zu beteiligen.
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M. K1. gab diese Bereitschaftserklärung des Angeklagten zusammen mit seiner Empfehlung für diesen, wie vom Angeklagten gewünscht, an einen Repräsentanten der HTS weiter und teilte dem Angeklagten in der Folge mit, dass von der HTS alles für seinen Grenzübertritt nach Syrien organisiert sei.
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b) Tatgeschehen von der Ausreise des Angeklagten aus Deutschland am 02.06.2017 bis zur Festnahme am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet Nachdem M. K1. dem Angeklagten mitgeteilt hatte, dass von Seiten der HTS alles organisiert sei, er in Hatay in einer sogenannten „sicheren Wohnung“ bzw. einem sog. „Gästehaus“ der Organisation unterkommen könne und dann von einem Schlepper über die türkischsyrische Grenze gebracht würde, reiste der Angeklagte am 02.06.2017 zusammen mit den anderweitig Verfolgten Kerim Alis und Wais Ahmad Zai mit einem Fernbus der Fa. Yaizioglu vom Zentralen Omnibusbahnhof in München über Österreich, Italien und Griechenland in die Türkei, wo sie am 10.06.2017 in Istanbul und zwischen dem 10.06.2017 und dem 12.06.2017 in Hatay ankamen. Dort wurden der Angeklagte, Kerim Alis und Wais Ahmad Zai von einem von der Organisation beauftragten Schlepper abgeholt und in die sog. „sichere Wohnung“ verbracht. In den Folgetagen sollte sie der Schlepper über die türkischsyrische Grenze nach Syrien bringen.
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Seinen Reisepass übergab der Angeklagte bereits in Hatay an den Schlepper und auch sein Gepäck wurde bereits am 15.06.2017 nach Idlib verbracht.
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Spätestens am 15.06.2017 erhielt der Angeklagte von M. K1. die Mitteilung, dass dieser für ihn gebürgt habe und er mit seiner Ankunft in Idlib direkt in eine deutsche Gruppe der HTS kommen würde, von denen er 100,-- Dollar monatlichen Sold, Verpflegung und eine Unterbringung erhalten würde. Am 17.06.2017 brachen der Angeklagte, Keri m Alis und Ahmad Zai sowie mindestens 10 weitere Personen zunächst mit dem Bus und später zu Fuß in Richtung der syrischen Grenze auf. In der Nacht vom 17.06.2017 auf den 18.06.2017 wurde die Gruppe im türkischsyrischen Grenzgebiet in der Provinz Hatay vom türkischen Militär am Grenzübertritt gehindert und festgenommen.
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Eine Einreise nach Syrien gelang dem Angeklagten nicht.
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c) Geschehen nach der Festnahme des Angeklagten aa) Untersuchungshaft des Angeklagten vom 18.06.2017 bis zum 15.02.2018 Nach seiner Festnahme am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet befand sich der Angeklagte vom 18.06.2017 bis zum 15.02.2018 in Untersuchungshaft. Dabei war er zunächst 1-2 Tage (vom 18.06.2017 - 19.06.2017) im Militärgewahrsam, 5 Tage (vom 19.06.2017 - 24.06.2017) im Polizeigewahrsam, dann 3 - 3 1/2 Wochen (vom 24.06.2017 - längstens zum 18.07.2017) im Gefängnis in Hatay/Antakya und ab dem 19.07.2017 im Gefängnis in Gaziantep inhaftiert.
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(1) Im Militärgewahrsam wurde der Angeklagte eine Nacht und einen Tag mit 23 Personen in einem Zelt festgehalten. Er war die ganze Zeit über gefesselt und durfte nur 2x täglich auf die Toilette gehen. Der Angeklagte wurde von Militärangehörigen mehrfach geohrfeigt und mit Füßen getreten, am Tag der Festnahme auch einmal mit einem Gewehrkolben in das Gesicht geschlagen, wodurch er Schwellungen im Gesicht und Blutergüsse erlitt. Zudem wurde ihm Geld, Parfüm und Kleidung gestohlen.
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(2) Danach wurde der Angeklagte für 5 Tage in eine Polizeiarrestanstalt gebracht, dort 5 Tage lang vom türkischen Geheimdienst befragt, jedoch nicht mehr geschlagen. In dieser Zeit war der Angeklagte zeitlich wechselnd mit jeweils mindestens 4 bis zu 6 Personen in einer ca. 6qm großen Zelle untergebracht. Dort gab nur ein einziges Bett. Die übrigen Häftlinge mussten auf dem Fußboden schlafen. Die Toilette befand sich innerhalb der Zelle und war optisch nicht abgetrennt. Es gab keine Dusche, keine Wechselkleidung, jedoch Essen und Wasser. Im Polizeiarrest war der Angeklagte 24 Stunden lang in der Zelle eingesperrt.
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(3) Nach Anordnung der Untersuchungshaft durch den türkischen Haftrichter wurde er am 24.06.2017 zunächst in das Gefängnis von Hatay verbracht. Am ersten Tag der Untersuchungshaft in Hatay wurde der Angeklagte von Wärtern mit einem Gürtel und einem Stock geschlagen, so dass er Blutergüsse, blaue Flecke und Schmerzen am ganzen Körper erlitt. Er war deswegen auch bei einem Arzt, der jedoch nicht seine Schmerzen behandelte, sondern ihn nur anschrie. Eine Anzeige des Vorfalls beim türkischen Innenministerium durch den Konsularbeamten der deutschen Botschaft lehnte der Angeklagte aus Angst vor Repressalien ab. In der Folgezeit wurde der Angeklagte nicht mehr geschlagen.
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Nach ca. 1 Woche wurde der Angeklagte in eine ca. 50qm große Zelle verlegt, die er sich mit 33 Personen, später mit 39 Personen teilte. Es gab 8 Doppelbetten und einen abgetrennten Raum mit 1 Dusche und 2 Toiletten für alle Häftlinge. Der Angeklagte schlief 3 Wochen lang auf einer Matratze auf dem Boden, da nicht genügend Betten zur Verfügung standen.
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Der Angeklagte durfte in den ersten 3 ½ Wochen der Untersuchungshaft nicht telefonieren. Zudem hatte er in dieser Zeit aufgrund unbekannter Ursache einmal einen Ausschlag am ganzen Körper, der unbehandelt blieb und ca. 1 Woche andauerte.
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In dem Gefängnis in Hatay wurde zwischen 18.00 Uhr abends und 06.00 Uhr morgens das fließende Wasser abgestellt. Für diese Zeit hatten die Häftlinge einen 50l Wasserkanister zur Verfügung, damit sie abwaschen und die Toilette nachspülen konnten.
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(4) Nach ca. 3 - 3 ½ Wochen, spätestens aber am 19.07.2017 wurde der Angeklagte in ein anderes Gefängnis nach Gaziantep verlegt. Die Haftbedingungen in dem Gefängnis von Gaziantep waren besser als die in Hatay. Dort wurde der Angeklagte von den Wärtern auch nicht mehr geschlagen.
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Der Zellenkomplex, in dem sich der Angeklagte befand, bestand aus 3 jeweils 12qm großen Zellen, mit 3 Duschen und 3 Toiletten, einem 56 qm großen Aufenthaltsraum, einem Gang und einem 65 qm großem Hof. Dort waren 15 - 20 Personen, zumeist 18 Personen untergebracht. 9 der älteren und schon länger inhaftierten Häftlinge schliefen in Betten in den Zellen, die anderen 9 Häftlinge auf Matratzen auf dem Fußboden des gemeinsamen Flurs. In dem Aufenthaltsraum gab es 2 große Tische und 10-15 Stühle sowie einen Kühlschrank mit Gefrierfach, den der Angeklagte und weitere Häftlinge gemeinsam für umgerechnet 80,- Euro gekauft hatten und in dem sie Lebensmittel lagern konnten.
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Der Angeklagte konnte sich 24 Stunden in dem Zellenkomplex und dem Aufenthaltsraum frei bewegen. Zu dem Zellenkomplex gehörte ein Hof. Dieser war 10 Std. täglich für die Häftlinge frei zugänglich.
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Es gab fließendes, jedoch nur für 1 Stunde am Tag warmes Wasser und das Wasser wurde während der Nacht, im Zeitraum von 20.00 Uhr/22.00 Uhr bis 06.00 Uhr morgens, abgestellt. Die Häftlinge hatten jedoch auch in Gaziantep für diese Zeit einen 50l Wasserkanister zur Verfügung, damit sie abwaschen und die Toilette nachspülen konnten.
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Es gab dazwischen Stromausfälle, meistens für 5 - 10 Minuten, manchmal auch für 1 Stunde. Dies hatte zur Folge, dass der Kühlschrank während dieser Zeit nicht in Betrieb war. Zudem war es während des Stromausfalls im Toilettenraum dunkel und die Häftlinge konnten während dieser Zeit beispielsweise nicht fernsehen oder Tee kochen.
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Die Häftlinge konnten sich Lebensmittel, Stühle, Decken, Matratzen und Kleidungsstücke kaufen. Der Angeklagte hatte hierfür ca. 2000,- Euro zur Verfügung, die auf sein Gefängniskonto eingezahlt worden waren. Problematisch für den Angeklagten war es jedoch, Kleidung und Schuhe in seiner Kleidergröße XXL und Schuhgröße 45/46 zu bekommen.
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Der Angeklagte durfte 1x wöchentlich für 10 Minuten mit seiner Mutter, seinem Vater, seiner Ehefrau, seiner Tochter und den Schwiegereltern telefonieren. Die Gespräche musste der Angeklagte zwar selbst bezahlen, sie waren aber mit 1,50 Euro für ein 10-minütiges Telefonat vergleichsweise günstig.
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Es gab einen Fernseher im Aufenthaltsraum, der türkische Sender empfangen konnte. Auch hatten die Häftlinge Zeitungen in türkischer Sprache zur Verfügung.
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Die anderweitig Verfolgten Kerim Alis und Wais Ahmad Zai waren im selben Komplex wie der Angeklagte untergebracht, so dass sie Kontakt zueinander halten konnten.
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In der Untersuchungshaft gab es 2x täglich warmes, schmackhaftes und fleischhaltiges Essen in ausreichender Menge. 1x am Tag gab es Ayran, im Übrigen Leitungswasser. Das Essen wurde von allen zusammen eingenommen, zum Teil saß man während des Essens landestypisch auf dem Boden, da nicht immer ausreichend Stühle für alle zur Verfügung standen.
98
Einmal zog sich der Angeklagte eine Lebensmittelvergiftung zu, die von einer verschimmelten Paprikacreme herrührte. Die Vergiftung wurde nicht behandelt und er war 3 Tage krank.
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Sowohl in der Untersuchungshaft in Hatay, als auch in Gaziantep gab es Ungeziefer in den Zellen, insbesondere Fliegen, Mücken und Kakerlaken, zweimal sah der Angeklagte auch einen Skorpion.
100
Während der Untersuchungshaft in Gaziantep wurde der Angeklagte zwei oder 3mal von einem Konsularbeamten der Deutschen Botschaft in Ankara besucht, der sich nach seiner Haftsituation erkundigte und ihn betreute.
101
Am 15.02.2018 fand die Hauptverhandlung vor dem Strafgericht der Provinz Hatay/Türkei gegen den Angeklagten und die anderweitig Verfolgten Kerim Alis und Ahmad Zai wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS statt, in deren Folge alle drei Angeklagten von diesem Vorwurf freigesprochen und noch am 15.02.2018 aus der Untersuchungshaft entlassen wurden.
102
Dem Angeklagten wurde in dem freisprechenden Urteil zwar eine Haftentschädigung zugesprochen, da ihm das Urteil jedoch nur in türkischer Sprache und keine deutsche Übersetzung ausgehändigt wurde, hat er diese Entschädigung nicht geltend gemacht. Die Anspruchsfrist ist zwischenzeitlich verstrichen.
103
bb) Abschiebehaft des Angeklagten vom 15.02.2018 bis zum 10.02.2019 Nach seinem Freispruch durch das Strafgericht in Hatay am 15.02.2018 befand sich der Angeklagte wiederum in Gaziantep in Abschiebehaft, da er über keinen Pass verfügte und sich unerlaubt in der Türkei aufhielt.
104
In der Abschiebehaft gab es 8 Abteilungen, mit 16 jeweils ca. 15qm großen Zellen pro Abteilung. Seine Zelle teilte sich der Angeklagte mit 6-10 Personen, wobei nur 3 Doppelbetten pro Zelle zur Verfügung standen. Ansonsten schliefen die Häftlinge auf Matratzen auf dem Fußboden. Es gab einen abgetrennten Raum mit einer Toilette und einer Dusche.
105
Auch in der Abschiebehaft gab es 2x tägliches Essen. Das Essen war auch hier ausreichend und gut. Die Häftlinge hatten 1 Tisch und 6 Stühle zur Verfügung, so dass das Essen teilweise landestypisch auf dem Fußboden sitzend eingenommen wurde.
106
Der Angeklagte war während der Abschiebehaft zunächst 23 Std. täglich eingeschlossen; ein Hofgang fand nur einmal am Tag für jeweils 1 Stunde statt. Nach 8 Monaten fand der Hofgang wieder öfters statt.
107
Während der Abschiebehaft wurde der Angeklagte einmal von Wärtern geohrfeigt.
108
Der Angeklagte konnte in der Abschiebehaft hin und wieder deutsch sprechen, da es in dem Gebäudekomplex Syrer gab, die ein bisschen deutsch sprachen und auch andere deutsche Staatsangehörige dort einsaßen, wenn auch in anderen Abteilungen.
109
In der Abschiebehaft durfte der Angeklagte im ersten halben Jahr zunächst nicht telefonieren. Nachdem der Angeklagte und weitere Häftlinge in den Hungerstreik getreten waren, wurden ihm einmal wöchentlich für mindestens 5 Minuten bis hin zu einer halben Stunde Telefonate mit seinen Familienangehörigen genehmigt.
110
Im letzten halben Jahr der Abschiebehaft gab es einen Fernseher für die Häftlinge, mit türkischem Programm.
111
Im März 2018 erhielt der Angeklagte von dem Konsularbeamten der Deutschen Botschaft ein Dokument, das seine Abschiebung ermöglichte, mit einer Gültigkeitsdauer von 6 Monaten. Da die Abschiebung während dieser Zeit jedoch nicht erfolgte, musste ihm erneut ein entsprechendes Dokument ausgestellt werden.
112
Der Angeklagte, der unbedingt nach Deutschland abgeschoben werden wollte, schaltete über seine Mutter das deutsche Konsulat ein. Er wurde auch von einem türkischen Anwalt in der Haft aufgesucht, der die Abschiebung vorantreiben sollte. Der Anwalt verlangte jedoch ein Honorar in Höhe von 1.500 Euro, was sich der Angeklagte nicht leisten konnte.
113
Am 10.01.2019 wurde der Angeklagte von den türkischen Behörden nach Deutschland abgeschoben und reiste noch am selben Tag am Flughafen in Stuttgart nach Deutschland ein.
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Seitdem befindet sich der Angeklagte zunächst in der JVA Augsburg - Gablingen und seit dem 27.09.2019 in der JVA München - Stadelheim in Untersuchungshaft.
115
Der Angeklagten war im Tatzeitraum vollumfänglich schuldfähig.
IV. Verfolgungsermächtigungen
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Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 26.11.2015 gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Straftaten erteilt, die durch Mitglieder oder Unterstützer der ausländischen terroristischen Vereinigung Jabhat al-Nusra begangen werden. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 29.05.2019 die genannte Strafverfolgungsermächtigung erneuert und dahingehend erweitert, dass die Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung Jabhat al-Nusra erteilt wird.
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Ferner hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 22.05.2018 gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Straftaten erteilt, die durch Mitglieder oder Unterstützer der ausländischen terroristischen Vereinigung Hai´at Tahrir al-Sham begangen werden. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 29.05.2019 die genannte Strafverfolgungsermächtigung erneuert und dahingehend erweitert, dass die Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung Hai´at Tahrir al-Sham erteilt wird.
I. Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
118
1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (B.I) beruhen auf seinen eigenen Angaben.
119
2. Den Sachverhalt über die Vorstrafen hat der Senat dem Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 01.10.2019 entnommen, der verlesen und vom Angeklagten als richtig anerkannt wurde, sowie den verlesenen Urteilen des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Augsburg vom 04.11.2010, Az. 32 Ls 403 Js 135784/10 jug., rechtskräftig seit dem 04.11.2010 und des Amtsgerichts - Schöffengericht - Augsburg vom 23.05.2012, Az. 09 Ls 302 Js 106490/12, rechtskräftig seit dem 16.10.2012.
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II. Zur Entstehung und Entwicklung des Bürgerkrieges in Syrien und zu den ausländischen terroristischen Vereinigungen Die Feststellungen zu der politischen Situation in Syrien sowie zu den terroristischen Vereinigungen Nusra-Front und Hai´at Tahrir al-Sham (B. III. 1. - 3.) beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S3.
121
Das Gutachten des Sachverständigen Dr. S3. ist geprägt von umfassender Sachkenntnis, klarer Struktur, guter Nachvollziehbarkeit und Plausibilität. Es hat sich auch bei kritischer Überprüfung in allen Punkten als belastbar erwiesen.
122
Der Sachverständige hat an der Freien Universität Berlin sowie in Damaskus Islamwissenschaften studiert und hat wiederholt die Krisenregion bereist. Er ist seit vielen Jahren für die Stiftung Wissenschaft und Politik im Forschungsbereich Naher und Mittlerer Osten tätig und befasst sich in dieser Funktion insbesondere eingehend mit den Verhältnissen vor Ort und den dort agierenden Gruppierungen. Grundlage seines Gutachtens sind neben allgemein zugänglichen Quellen wie Zeitungen und Nachrichtenbeiträgen nicht nur die persönliche Auswertung deutscher, englischer, spanischer, türkischer und arabischer Quellen, sondern auch Erkenntnisse aus zahlreichen Strafverfahren in Gestalt von Beschuldigten- und Zeugenaussagen, Telekommunikationsüberwachungsprotokollen und persönlichen Gesprächen mit Beteiligten.
123
Die Sachkunde des Sachverständigen steht für den Senat daher außer Zweifel. Der Sachverständige erläuterte sein Gutachten äußerst detailliert, nachvollziehbar und stichhaltig. Der Senat macht sich daher die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S3. nach umfassender Würdigung und kritischer Prüfung vollumfänglich zu Eigen.
III. Zu den Tathandlungen des Angeklagten
1. Entschluss des Angeklagten zur Ausreise aus Deutschland und Geschehen von der Ausreise aus Deutschland am 02.06.2017 bis zur Festnahme am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet
a) Einlassung des Angeklagten
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Die Feststellungen zur Radikalisierung des Angeklagten, seiner Bereitschaftserklärung sich der terroristischen Organisation HTS anschließen und für diese - nach einer militärischen Ausbildung - kämpfen zu wollen, des daraus folgenden Entschlusses zur Ausreise aus Deutschland sowie dem Geschehen von der Ausreise aus Deutschland am 02.06.2017 bis zur Festnahme des Angeklagten am 18.06.2017 im türkischsyrischen Grenzgebiet beruhen auf dem umfänglichen Geständnis des Angeklagten, welches dieser am 7. Verhandlungstag abgab und am 8. Verhandlungstag nochmals präzisierte, wobei er Nachfragen des Senats und der Generalstaatsanwaltschaft beantwortete.
125
Insbesondere gab der Angeklagte an, sich im April 2017 zur Ausreise nach Syrien entschlossen zu haben, um sich dort in einem Ausbildungslager im Umgang mit Schusswaffen ausbilden zu lassen, da er die Teilnahme am bewaffneten Kampf gegen das syrische Regime und Machthaber Bashar al-Assad als seine Verpflichtung als gläubiger Moslem ansah.
126
Seine Entscheidung, nach Syrien zu gehen, habe auf 2 Aspekten beruht. Zum einen habe er ein muslimisches Leben führen wollen und habe diesbezüglich in Deutschland negative Erfahrungen gemacht; er sei insbesondere wegen seines Bartes, seines Namens, seines traditionellen Gewandes und der Verschleierung seiner Frau auf Ablehnung gestoßen, so dass er sich in Deutschland nicht mehr wohl gefühlt habe. Zum anderen habe er aufgrund seiner Empörung über die Kriegsführung von Assad gegen unschuldige Menschen zur Verteidigung der muslimischen Brüder, Schwestern und Kinder nach Syrien gehen wollen.
127
Da er kein Gelehrter sei und den Islam nicht studiert habe, sei ihm klar gewesen, dass er seiner Pflicht als Moslem nur dadurch nachkommen könne, dass er sich als Kämpfer im bewaffneten Kampf zur Verfügung stelle. Anfang Mai habe er Kontakt zu Mohamed - den er namentlich jedoch nicht weiter benennen wolle - aufgenommen, der sich bereits in Syrien befunden und über Kontakte zum sog. „Deutschen Haus“ in Idlib verfügt habe und, wie der Angeklagte gewusst habe, Mitglied der HTS gewesen sei. Die Informationen, die er über die HTS habe sammeln können, hätten ihn für diese Gruppe eingenommen, weil er gedacht habe, ein großer breiter Verband aus vielen ursprünglich einzelnen Organisationen könne etwas bewirken, und die Ziele dieser Gruppierung aus seiner Sicht edel gewesen seien. Er habe die Gruppe gut gefunden und habe sich bei seiner Ankunft in Idlib dieser Gruppierung anschließen wollen, sich ausbilden lassen und am bewaffneten Kampf teilnehmen wollen.
128
Dies habe er Mohamed mitgeteilt und als dieser ihm seinerseits signalisiert habe, es gehe seitens der Organisation alles in Ordnung und er könne in dem sog. „Deutschen Haus“ unterkommen, sei er am 02.06.2017 mit den anderweitig Verfolgten Kerim Alis und Wais Ahmad Zai mit einem Fernbus der Fa. Yaizioglu vom Zentralen Omnibusbahnhof in München über Österreich, Italien und Griechenland in die Türkei eingereist und dort von Istanbul weiter nach Hatay gereist, wo er am 12.06.2017 von dem Schleuser abgeholt und in einer sog. „Sicheren Wohnung“ untergebracht worden sei.
129
Dort habe er bis zum 17.06.2017 auf seine Weiterreise nach Syrien gewartet. In der Nacht vom 17.06.2017 auf den 18.06.2017 habe er mit einer Gruppe von ca. 10 Personen zu Fuß den Grenzübertritt nach Syrien versucht, sei dann jedoch im türkischsyrischen Grenzgebiet vom türkischen Militär festgenommen worden.
b) Würdigung der Einlassung des Angeklagten
130
Der Einlassung des Angeklagten konnte der Senat vollumfänglich folgen, zumal sich diese auch durch die durchgeführte Beweisaufnahme im Wesentlichen bestätigt hat.
131
Dies ergibt sich insbesondere aus den verlesenen Chats des Angeklagten an den Engin Ceribasi und der Aussage des polizeilichen Sachbearbeiters KHK K2.. Zudem ist der Senat aufgrund der verlesenen Chats des Angeklagten mit seiner Ehefrau Sarah Amin Jan und Damir Causevic sowie den Angaben des Zeugen KHK K2. davon überzeugt, dass es sich bei dem Bürgen Mohamed um den anderweitig Verfolgten M. K1. gehandelt hat (vgl. C.III.1.g).
132
c) Telegram Chats des Angeklagten an Engin Ceribasi Im Zeitraum vom 11.05.2017 bis zum 01.06.2017 versandte der Angeklagte mehrere Telegram-Chatnachrichten an Engin Ceribasi, die von Ceribasi jedoch allesamt unbeantwortet blieben.
133
Der Angeklagte leitete dabei im Wesentlichen Nachrichten aus anderen TelegramChats an Engin Ceribasi weiter, die er teilweise jedoch auch mit einem eigenen Kommentar oder auch mit seinem „Kampfnamen“ „Uthman Al Almani“ versah. In diesen Chats, die in der Hauptverhandlung verlesen wurden, befürwortete der Angeklagte u.a. den Jihad für die Sache Allahs und den Kampf gegen die Schiiten, das syrische Regime unter Machthaber al-Assad und dessen Verbündete.
134
So leitete der Angeklagte am 11.05.2017, 14:15:05 (UTC+2) einen Chat folgenden Inhalts an Ceribasi weiter: „Möge Allah diesen jungen Muslim beschützen, der den Tauhid im Herzen trägt. Er weigert sich in dem von den Schiiten besetzten Teil Mosuls die Kurf-Wörter „Ya Ali“ zu sagen. Dies ist der Irak. Und Syrien ist auf dem Weg dorthin. Und die arabische Halbinsel ist nicht fern davon. Möge Allah Männern die Herzen und den Verstand geben zu erkennen, wann die Zeit des Predigens, wann die der Bücher und wann die der Schwerter ist.“
135
Am 14.05.2017, 00:17:39 (UTC+2) leitete er einen Telegram-Chat weiter, den der Angeklagte mit der Überschrift „WICHTIG!!!“ versah: „Damit es jeder kapiert wie wichtig die Ereignisse in Syrien sind. Wenn der Iran und Hizbshaitan in Syrien gewinnen gibt es ein scheue Schiiten Reich von Libanon - Syrien - Irak - Iran (Grenzgebiete Afghanistan/Aserbaischan/Pakistan). Im Iran herrschen die Mullahs der Schiiten.
136
Im Libanon herrschen inoffiziell die Hizbshaitan Schiiten. Im Irak herrschen die Rafidah Schiiten. In Syrien herrschen defakto Iran/Hizbshaitan weil ohne die 100.000 tausenden Schiitenkämpfer aus Afghanistan/Pakistan/Iran/Libanon währe Assad schon gestürzt, auch sind alle sunnitischen Moscheen in Schiiten Tempel umgewandelt worden und überall Predigen dort nur noch Iranische Mullahs. Das heisst wenn Syrien fällt ist als nächstes Jordanien und Kuwait an der Reihe, dann gibt es eine Verbindung zum Bahrain wo 90% Schiiten sind und schon Aufstände machen…Die Schiiten Sekten und Gruppenführer (Nasrallah co.) haben schon angekündigt in welche Richtung es nach dem „Sieg“ in Syrien kommen soll. Der Führer der Hizbshaitan die Schia Führer aus Afghanistan und die Mullah aus dem Iran und Azzad Führer der größten Schiiten Miliz im Irak haben alle angekündigt das Saudi Arabien das nächste Ziel ist und sie Medina und Mekka erobern wollen. Das heisst eine Katastrophe noch gewaltigeren Ausmaß als es jetzt den Muslimen widerfährt könnte kommen. Die Zukunft unserer Umah hängt von Syrien ab also bereitet eich vor alles ermögliche zu unternehmen um den Muslimen zum Sieg zu verhälfen.“
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Am 22.05.2017, 22:20:42 (UTC+2) leitete er einen Text des Shaykh Ali al-Khudayr weiter, welchen er mit der Überschrift versah: „Dürfen die Kuffar (z.B. Trump/Obama usw.) auf die arabische Halbinsel kommen?“: „Shaykh Ali al-Khudayr DE: … Ich werde ganz gewiss die Juden und Christen von der Arabischen Halbinsel vertreiben, bis ich niemanden zurücklasse außer einen Muslim (überliefert bei Muslim). Daher ist ihre Vertreibung verpflichtend und das gilt allgemein für alle Kuffar.“
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d) Chats des Angeklagten mit Damir Causevic und Sarah Amin Jan In einem Telegram Chat vom 15.06.2017 schrieb der Angeklagte an Damir Causevic „Elhamduillah die haben WLAN dort und die ganzen Brüder sind bei Tahir Al Sham und ist eine rein deutsche Gruppe“ und in einem weiteren Chat vom 16.06.2017 „Mohamed Libanon gibt Igazza für mich damit ich sofort in die Gruppe kommen.“
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In einem Telegram Chat an seine Ehefrau Sara Amin Jan vom 15.06.2017 schrieb der Angeklagte ebenfalls „Die Gruppe wo ich komme Haya Tahrir Al Sham und die sprechen alle deutsch…10 Brüder bin dann in einer deutschen Abteilung. Der Mohamed hat für mich Ijazza damit ich sofort in die Gruppe komme. Die anderen beiden müssen sich beweisen bzw. jemand finden der für sie bürgt.“
140
Sämtliche Chats wurden im Rahmen der Hauptverhandlung verlesen.
141
Der Zeuge KHK K2. hat als polizeilicher Hauptsachbearbeiter der Ermittlungen gegen den Angeklagten bekundet, dass bei der Auswertung eines bei dem Angeklagten am 15.11.2016 sichergestellten und beschlagnahmten Mobiltelefons Samsung S4 auf diesem jihadistisches Propagandamaterial festgestellt werden konnte. So hat der Angeklagte sich zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Zeitraum vor der Beschlagnahme des Handys Videos von Predigten bekannter Vertreter des deutschsprachigen salafistischen Spektrums (Hassan Dabbagh, Abu Walaa, Sven Lau und Pierre Vogel), ein Propagandavideo von Dennis Cuspert, der auf Deutsch über Hidschra und den Jihad spricht, ein Video von einem Selbstmordattentat sowie Bücher und Zeitschriften mit jihadistischen Inhalten („Das Buch des Jihads“, „Die Rolle der Frau beim Bekämpfen der Feinde“, „Anschläge auf die Bevölkerung in Dar Al-Harb“) auf dem Handy angesehen.
142
Zudem wurden mit dem Zeugen KHK K2. die Lichtbilder der Infostände „Lies!Stiftung“ in Augenschein genommen, an denen der Angeklagte im Zeitraum vom 25.01.2014 bis zum 27.12.2014 teilgenommen hat. Darauf waren gemäß den Ausführungen des Zeugen KHK K2. auf 6 Lichtbildern der Angeklagte zusammen mit dem anderweitig Verfolgten M. K1. gemeinsam an den Infoständen zu sehen.
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Darüber hinaus hat der Angeklagte entsprechend den Ausführungen des KHK K2. am 08.03.2016 zusammen mit M. K1. an einem Hilfskonvoi teilgenommen, bei dem Krankenwägen in die Türkei gebracht wurden, die für das syrische Kriegsgebiet bestimmt waren. Von diesem Transport sei M. K1., wie der Zeuge K2. bekundete, nicht zurückgekehrt und mutmaßlich nach Syrien ausgereist.
144
Zudem stamme M. K1. entsprechend den Ausführungen des Zeugen KHK K2. gebürtig aus dem Libanon.
145
Des Weiteren konnten entsprechend den Ausführungen des Zeugen KHK K2. im Rahmen der Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten unmittelbar vor dem Grenzübertritt am 17.06.2017 um 17.17 Uhr und um 17.18 Uhr zwei Anwählversuche mit dem Handy des Angeklagten zu dem Nutzer des syrischen Anschlusses +963949975991 festgestellt werden. Die syrische Telefonnummer sei im Handy des Angeklagten unter dem Namen „Abu Saad“ abgespeichert gewesen. Der anderweitig Verfolgte M. K1. habe gemäß den Ausführungen des Zeugen KHK K2. einen Sohn mit dem Vornamen Saad, wobei „Abu Saad“ übersetzt „Vater des Saad“ bedeute.
f) Sachverständiger Dr. S3.
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Der Sachverständige Dr. S3. hat neben seinen Ausführungen zur Entstehung des Aufstandes in Syrien schwerpunktmäßig Angaben zur terroristischen Organisation Nusra-Front und zum Zusammenschluss mehrerer jihadistischer Organisationen zur Hai´at Tahir asch-Sham (HTS) gemacht. Der Sachverständige führte aus, die NusraFront habe sich um einen Anschluss an die Ahrar al-Sham bemüht, die jedoch Vorbehalte gegen die Nusra-Front gehabt habe, wegen deren Nähe zu Al-Qaida. Durch die Umbenennung in Jabhat Fath al-Sham (Eroberungsfront Syriens) ab Juli 2016 habe sich die Nusra-Front auch nach außen hin deutlich von Al-Qaida distanzieren wollen. Als jedoch im Jahr 2016 Friedensgespräche zwischen den Ahrar ash-Sham einerseits und der Türkei, dem Iran und Russland andererseits stattgefunden hätten, an denen die Jabhat Fath al-Sham nicht beteiligt gewesen sei und sie diese Friedensgespräche auch abgelehnt habe, habe die Jabhat Fath al-Sham zusammen mit der Liwa al-Haqq, der Dschaisch as-Sunna, der Dschabhat Ansar adDin und der Harakat Nour al-Sin al Zenki die HTS gegründet, der sich auch einige hochrangige Mitglieder und Kommandeure des jihadistischen Flügels der Ahrar ashSham angeschlossen hätten. Nach Auffassung des Sachverständigen Dr. S3. sei jedoch innerhalb der HTS jede Organisation eigenständig geblieben und die ehemalige Nusra-Front habe mit ihrem Führer al-Jaulani stets die eigentliche Führungsrolle innegehabt. Ob der Zusammenschluss HTS heute noch existiere oder sich wieder aufgelöst habe, konnte der Sachverständige nicht abschließend beurteilen.
147
Der Sachverständige führte weiter aus, die Nusra-Front habe zu den größten und bekanntesten jihadistischen Organisationen in Syrien gehört und sei innerhalb des Zusammenschlusses HTS die einzige Organisation gewesen, die im Jahr 2017 ausländische Kämpfer aufgenommen habe.
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Des Weiteren habe die Organisation HTS den Grenzübertritt nach Syrien von der Türkei - meistens von Hatay - aus organisiert, insoweit, als die HTS ihren ausländischen Kämpfern in Hatay sog. „Gästehäuser“ zur Verfügung gestellt habe, von wo aus diese durch von der Organisation zur Verfügung gestellte Schleuser über die Grenze nach Syrien und dort in ein Ausbildungslager gebracht wurden.
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Allerdings habe es sich bei der Nusra-Front und dementsprechend auch bei der HTS um eine elitäre und professionelle Gruppe gehandelt, mit strengen Aufnahmekriterien. So habe die Nusra-Front mindestens eine Empfehlung eines Mitgliedes der Organisation, welches sich für den Aufnahmewilligen verbürge, und in der Regel darüber hinaus auch arabische Sprachkenntnisse verlangt, wobei auf diese zunehmend auch verzichtet worden sei. Nach Abschluss der militärischen Ausbildung sei darüber hinaus auch die Abgabe eines Gefolgschaftseides eingefordert worden. Im Gegenzug dazu habe die Organisation ihren Kämpfern eine freie Unterkunft und Verpflegung, einen Sold in Höhe von 50,00 - 100,00 Dollar monatlich, sowie Waffen zur Verfügung gestellt.
g) Gesamtwürdigung der vorgenannten Beweismittel (c bis f)
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Aufgrund der Gesamtwürdigung der vorgenannten Beweismittel ist der Senat davon überzeugt, dass der Angeklagte nicht nur nach Syrien ausgereist ist, um den dortigen Muslimen zu helfen, sondern auch, um im bewaffneten Kampf, im sog. „Jihad“ als Mujaheddin gegen die aus seiner Sicht ungläubigen Schiiten und das Regime um Machthaber al-Assad und dessen Verbündete zu kämpfen.
151
Zudem ist der Senat davon überzeugt, dass der Angeklagte seine Bereitschaftserklärung, Mitglied der HTS werden zu wollen, im Mai 2017 gegenüber dem anderweitig Verfolgten M. K1. abgegeben hat, der sich in der Folge für den Angeklagten gegenüber einem Repräsentanten der HTS verbürgt und die Aufnahme des Angeklagten in die terroristische Vereinigung HTS vorbereitet hat. Der Angeklagte wäre nach Überzeugung des Senats nicht im Juni 2017 aus Deutschland ausgereist, wenn er nicht bereits zu diesem Zeitpunkt von M. K1. darüber informiert worden wäre, dass seitens der Organisation alles vorbereitet sei, er in einer sog. „Sicheren Wohnung“ unterkommen könne und von einem von der Organisation zur Verfügung gestellten Schleuser über die türkischsyrische Grenze verbracht würde.
152
Der Angeklagte, der sich bereits im Vorfeld umfassend mit den jihadistischen Organisationen beschäftigt hatte, wusste sowohl um die Ziele und Strategien der Nusra-Front und der Nachfolgeorganisation bzw. des Zusammenschlusses HTS und auf welche Art und Weise, nämlich durch den bewaffneten Kampf, diese ihre Ziele zu erreichen versucht.
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2. Zum Geschehen nach der Festnahme des Angeklagten am 18.06.2017 Die Feststellungen zu den Geschehnissen nach der Festnahme des Angeklagten am 18.06.2017, insbesondere den Haftbedingungen während des Militär- und Polizeigewahrsams, der Untersuchungshaft in Hatay und Gaziantep und der Abschiebehaft in Gaziantep beruhen im Wesentlichen auf der Einlassung des Angeklagten.
154
Die Einlassung konnte zum Teil abgeglichen werden mit Angaben, die der Angeklagte gegenüber dem Zeugen KK Fodermeyer unmittelbar nach seiner Festnahme am 10.01.2019 in Stuttgart getätigt hat. Der Zeuge KK Fodermeyer hatte den Angeklagten unmittelbar nach der Festnahme zu seiner mentalen und psychischen Verfassung befragt, hierüber einen Aktenvermerk angefertigt und dies in der Hauptverhandlung bekundet. Dem Zeugen F. gegenüber berichtete der Angeklagte teils auf Nachfrage, teilweise auch aus eigenem Antrieb über die Geschehnisse in der türkischen Haft, die sich mit den Angaben des Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung decken.
155
Darüber hinaus wurde ein Vermerk des Mitarbeiters der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara, Meyer-Tesch, vom 03.08.2017 verlesen, der den Angeklagten am 01.08.2017 in der Untersuchungshaft im Gefängnis in Gaziantep aufgesucht und hierüber einen Vermerk angefertigt hat. Auch die darin niedergelegten Angaben des Angeklagten gegenüber dem Mitarbeiter der Botschaft zu den Umständen seiner Verhaftung, den Haftbedingungen während des Militär- und Polizeigewahrsams, der Untersuchungshaft in Hatay und der ersten zwei Wochen der Untersuchungshaft in Gaziantep decken sich mit den Angaben des Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung.
156
Anhaltspunkte, die für eine Einschränkung oder Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sprechen würden, haben sich nicht ergeben.
IV. Vorliegen der Verfolgungsermächtigungen
157
Die Feststellungen zum Vorliegen der Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit den ausländischen terroristischen Vereinigungen Nusra-Front und Hai´at Tahrir al-Sham gemäß § 129b Abs. 1 S. 3 StGB beruhen auf den im Selbstleseverfahren eingeführten Erklärungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 22.05.2018 und vom 29.05.2019.
I. Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a StGB
158
Aufgrund der getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte durch seine Ausreise aus Deutschland der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2a StGB schuldig gemacht. Der Angeklagte hat es unternommen, aus der Bundesrepublik auszureisen und hatte bereits die Türkei erreicht. Der Angeklagte hatte die Absicht, sich nach Syrien zu begeben, um dort an bewaffneten Kampfhandlungen teilzunehmen. Zu diesem Zweck wollte er sich zunächst im Umgang mit Schusswaffen ausbilden lassen. Er war zudem fest entschlossen, sich nach Abschluss dieser Ausbildung als Mitglied der islamistischen Organisation HTS an Kampfhandlungen in Syrien zu beteiligen. Ziel der HTS ist es, wie der Angeklagte wusste, den Staat Syrien in seiner jetzigen Form zu zerschlagen und einen sunnitischen islamischen Gottesstaat unter Geltung der Scharia aufzubauen.
159
Der Angeklagte war fest entschlossen und hatte die Absicht, sich in einem Ausbildungscamp militärisch ausbilden zu lassen, insbesondere den Umgang mit einer Schusswaffe und das Schießen mit scharfer Munition zu erlernen, um nach der Ausbildung gegen das Assad-Regime und deren Verbündete zu kämpfen, mit dem Ziel der Errichtung eines sunnitisch islamischen Gottesstaates unter Geltung der Scharia.
160
Die beabsichtigte Teilnahme an Kampfhandlungen, bei denen jedenfalls Soldaten der Regierungstruppen getötet werden, stellt eine Straftat gegen das Leben gemäß der §§ 211, 212 StGB dar. Sie erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen der Staatsschutzklausel, denn die in Aussicht genommene Tat des Angeklagten ist nach den Umständen dazu bestimmt, das bestehende staatliche System zu zerschlagen und geeignet, den Bestand oder jedenfalls die Sicherheit des syrischen Staates zu beeinträchtigen. Danach umfasst der Begriff der Sicherheit eines Staates dessen innere und äußere Sicherheit. Die innere Sicherheit ist der Zustand relativer Ungefährdetheit von dessen Bestand und Verfassung gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte, wobei insoweit die Fähigkeit eines Staates im Zentrum steht, sich nach innen gegen Störungen zur Wehr zu setzen. Sie wird in der Regel beeinträchtigt sein, wenn die vorbereitete Tat, so wie der Täter sie sich vorstellt, nach den Umständen geeignet wäre, das innere Gefüge eines Staates zu beinträchtigen. Die erforderliche Eignung ist objektiv anhand der (gleichsam fiktiven) Umstände der vorbereiteten Tat festzustellen. In subjektiver Hinsicht („bestimmt“) ist Voraussetzung, dass der Täter die möglichen Folgen der vorbereiteten Tat in seinen Willen aufgenommen hat. Dazu reicht es aus, dass er die tatsächlichen Umstände, welche die Eignung zur Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben, erkannt und in seinen Willen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 27.10.2015, 3 StR 218/15).
161
Diese Teilnahme an bewaffneten Kampfhandlungen gegen das syrische Regime ist nicht nur bestimmt, sondern zugleich geeignet, jedenfalls die innere Sicherheit des Staates Syrien zu beeinträchtigen. Denn durch die Angriffe der gegen das Regierungsregime kämpfenden Gruppierungen werden nicht nur Angehörige der staatlichen Regierungstruppen, sondern auch Zivilisten getötet und Regierungsstrukturen zerstört oder zumindest beeinträchtigt. Dies hat insbesondere auch zur Folge, dass Rechtsregeln faktisch außer Kraft gesetzt werden und wesentliche Rechtsgüter der Bevölkerung konkret gefährdet werden.
162
Die Anwendung dieser Vorschrift scheidet nicht bereits deshalb aus, weil es sich bei dem potenziell betroffenen Staat um Syrien handelt. § 89a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2a StGB enthält keine Einschränkungen bezüglich des Tatorts, an dem nach der Vorstellung des Täters die schwere staatsgefährdende Gewalttat begangen werden soll. Der Schutzbereich des § 89a StGB umfasst vielmehr alle völkerrechtlich anerkannten Staaten. Hierbei spielt es auch keine Rolle, ob diese Staaten ihrerseits Rechtsstaaten oder Unrechtsregime sind bzw. von der deutschen Außenpolitik unterstützt bzw. gebilligt werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2014, 4 Ws 16/14).
163
Der Angeklagte hat den Tatbestand nach Überzeugung des Senats auch in subjektiver Hinsicht erfüllt. Der Angeklagte hat sich bereits vor seiner Ausreise aus Deutschland über die dortigen terroristischen Gruppierungen informiert und wusste insbesondere, mit welchen Mitteln die Gruppierungen gegen das Regime vorzugehen versuchen. Er hatte die Absicht, an einem militärischen Training teilzunehmen und sich an Schusswaffen ausbilden zu lassen, ihm war dabei bewusst, dass die Ausbildung an Schusswaffen und das Schießen mit scharfer Munition auf das Töten oder zumindest Verletzen von Menschen gerichtet ist.
164
Einer Verfolgungsermächtigung bedarf es nicht, da es sich bei den Taten nach § 89a Abs. 2a StGB um Inlandstaten handelt. II. Sichbereiterklären zur Begehung eines Verbrechens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1 in der vor dem 22. Juli 2017 geltenden Fassung, 129b Abs. 1, 30 Abs. 2, 1. Alt. StGB Durch seine Mitteilung an den anderweitig Verfolgten M. K1., sich durch die HTS an der Waffe ausbilden zu lassen, sich sodann dieser anschließen und für sie kämpfen zu wollen, hat sich der Angeklagte zur Mitgliedschaft an einer ausländischen terroristischen Vereinigung bereiterklärt. § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ist auf den Verbrechenstatbestand der Mitgliedschaft an einer ausländischen terroristischen Vereinigung anwendbar.
165
Bei der HTS handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer jihadistischer Organisationen unter Führung der Nusra-Front und damit um eine terroristische Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 StGB.
166
Vereinigung im Sinne der §§ 129ff StGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens 3 Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. Konstitutiv für das Vorliegen einer Vereinigung ist das Bestehen eines Mindestmaßes an fester Organisation mit einer gegenseitigen Verpflichtung der Mitglieder, die sich unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen den Zielen der Organisation und deren Willensbildung unterwerfen (so BGH in NJW 2009,3448 (3459f.)).
167
Dies trifft auf die Organisation Nusra-Front und den Zusammenschluss HTS ohne weiteres zu. Bei der Nusra-Front und dem Zusammenschluss HTS handelt es sich um eine streng hierarchisch gegliederte Gruppierung, die von einer obersten Führung, bestehend aus einem Anführer und seinem Stellvertreter geleitet wird. Die Tätigkeiten der Organisation sind auf die Begehung von Mord und Totschlag mindestens in Syrien gegenüber Anhängern des Assad-Regimes gerichtet, dessen Polizei und Militär sowie der die Regierung unterstützenden ausländischen Truppen (Hisbollah, Russische Föderation), mit dem Ziel, in Syrien einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer Interpretation der Scharia zu errichten. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um ein theoretisches Konstrukt, sondern ein durch zahlreiche Mitglieder seit vielen Jahren fortwährend umgesetztes terroristisches Handeln, das bis heute in zahlreichen Anschlägen und Kämpfen in Syrien seinen Niederschlag findet.
168
Als Mittel zur Erreichung ihrer Ziele dient der Nusra-Front bzw. der HTS die Begehung schwerster Straftaten, namentlich die Begehung von Mord- und Totschlagsdelikten im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB durch militärische Operationen, Selbstmordattentate und gezielte Hinrichtungen von Repräsentanten des von der Organisation abgelehnten Assad-Regimes und dessen Unterstützern.
169
Die Erklärung des Angeklagten war zudem ernsthaft und darauf gerichtet, sich gegenüber dem Adressaten der Erklärung, der terroristischen Vereinigung HTS, zu binden. Ob es sich bei dem anderweitig Verfolgten M. K1., dem gegenüber der Angeklagte die Erklärung abgegeben hat, um einen Repräsentanten der HTS handelt, konnte hier offen bleiben, da der Angeklagte den anderweitig Verfolgten Kreide, der seinerseits bereits Mitglied der Organisation HTS war, jedenfalls als Boten für seine Erklärung gegenüber der Organisation eingesetzt hat.
170
Die Erklärung des Angeklagten ist der Organisation HTS nach Überzeugung des Senats auch zugegangen, da der Angeklagte erst als er von M. K1. die Mitteilung erhalten hatte, seitens der Organisation sei alles für die Einreise organisiert und er könne in einer sog. „Sicheren Wohnung“ unterkommen, den Entschluss zur Ausreise gefasst hat. Ohne diese Mitteilung des M. K1. wäre der Angeklagte, der weder der türkischen noch der arabischen Sprache mächtig ist, nach Überzeugung des Senats nicht aus Deutschland ausgereist, da er weder die Unterkunft und schon gar nicht den Grenzübertritt nach Syrien eigenständig hätte organisieren können.
171
Der Angeklagte hat auch mit dem erforderlichen Vorsatz gehandelt. Der Angeklagte hatte sich bereits vor seiner Ausreise nach Syrien ausführlich mit den verschiedenen in Syrien agierenden Organisationen beschäftigt und wusste, dass es sich bei der HTS, unter Führung der vormaligen Nusra-Front, um eine bewaffnete Gruppierung handelt, die Anschläge und militärische Operationen gegen Institutionen und Vertreter der Regierung Assads und der die Regierung unterstützenden Truppen verübt, mit dem Ziel, das Regime von Bashar al-Assad zu stürzen, durch einen islamischen Staat zu ersetzen und die Scharia durchzusetzen. In Kenntnis dessen und insbesondere, weil es sich bei dem Zusammenschluss HTS um eine schlagkräftige Gruppierung handelte, wollte sich der Angeklagte der Organisation HTS anschließen.
172
Der Grenzübertritt nach Syrien erfolgte nicht, da der Angeklagte zuvor im türkischsyrischen Grenzgebiet vom türkischen Militär festgenommen wurde, so dass für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB keinerlei Anhaltspunkte bestehen, insbesondere die Aufgabe der ursprünglichen Absicht nicht freiwillig erfolgt war.
173
Die Voraussetzung des § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB ist erfüllt, da der Angeklagte deutscher Staatsangehöriger ist. Die erforderliche Ermächtigung gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB liegt vor (vgl. C. IV.).
174
Der Strafrahmen ist dem § 89 a Abs. 1 StGB zu entnehmen und beträgt 6 Monate bis zu 10 Jahren.
II. Strafzumessung im engeren Sinne
175
Die Milderungsmöglichkeit des § 89a Abs. 5 StGB kam als Strafzumessungsgesichtspunkt nicht in Betracht. Eine zusammenfassende Würdigung der Person des Angeklagten und aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat hat ergeben, dass die Schuld des Angeklagten nicht im Sinne von § 89a Abs. 5 StGB gering ist, insbesondere da der Angeklagte es nicht nur unternommen hat, die Bundesrepublik zum Zwecke einer militärischen Ausbildung zu verlassen, sondern sich bereits im türkischsyrischen Grenzgebiet aufgehalten hat und nur durch das türkische Militär am Übertritt der Grenze zu Syrien gehindert worden war.
176
Bei der Strafzumessung im engeren Sinne spricht zu Gunsten des Angeklagten
- dass der Angeklagte den ihm zur Last gelegten und durch das Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesenen Sachverhalt umfänglich eingeräumt und auch Nachfragen des Senats und der Generalstaatsanwaltschaft beantwortet hat,
- er jedenfalls auch aufgrund der desolaten humanitären Lage in Syrien zu einer mitgliedschaftlichen Betätigung gegen das Assad-Regime motiviert und sich durch die jihadistische Propaganda hat beeinflussen lassen,
- er sich in der Hauptverhandlung von jihadistischen Organisationen und deren Gedankengut distanziert und seine Bereitschaft erklärt hat, an einem Aussteigerprogramm teilzunehmen und
- sich der Angeklagte insgesamt 31 Monate in Untersuchungs- und Abschiebehaft befunden hat. Dabei war die Untersuchungshaft in der Türkei für den Angeklagten als Ausländer, der die türkische Sprache nicht spricht und fern von seiner Familie inhaftiert war, mit besonderen Erschwernissen verbunden. Auch die Untersuchungshaft in Deutschland war im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, da diese für den Angeklagten wegen der gesteigerten Sicherungsmaßnahmen (keine Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen, keine Arbeitsaufnahme, besondere Schutzvorrichtungen) ebenfalls mit besonderen Erschwernissen verbunden war.
177
Insbesondere war jedoch die nicht anrechnungsfähige Abschiebehaft in der Türkei strafmildernd zu berücksichtigen, da diese für den Angeklagten im Vergleich zur türkischen Untersuchungshaft wiederum erschwerte Haftbedingungen mit sich brachte, er sich insbesondere in den ersten 8 Monaten 23 Std. täglich in seiner Zelle aufhalten musste und mit seiner Familie nicht telefonieren durfte.
178
Zu Lasten des Angeklagten war jedoch zu berücksichtigten
- dass der Angeklagte zwei tateinheitlich begangene Straftaten verwirklicht hat,
- er sich der terroristischen Vereinigung HTS angeschlossen hat, in der sich mehrere terroristische Organisationen zusammengeschlossen hatten, wobei die Nusra-Front die größte Organisation war und es sich bei dieser um eine besonders gefährliche und schlagkräftige terroristische Vereinigung handelte, die seit Jahren für zahlreiche Anschläge und Todesopfer in Syrien mitverantwortlich ist,
- er bereits wegen eines Gewaltdeliktes vorgeahndet war und zum Tatzeitpunkt unter offener Strafrestbewährung stand, die, wenngleich er die Bewährungszeit bereits durchgestanden hatte, noch nicht erlassen worden war.
179
Unter nochmaliger Abwägung sämtlicher vorstehender Umstände kam der Senat zu dem Ergebnis, dass eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten tat- und schuldangemessen ist.
F. Anrechnung der in der Türkei erlittenen Haft
I. Anrechnung der Untersuchungshaft des Angeklagten
180
Die vom Angeklagten in der Türkei verbüßte Untersuchungshaft war hinsichtlich eines Zeitraumes vom 18.06.2017 (Festnahme) bis zum 15.02.2018 (Entlassung aus der Untersuchungshaft) gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB anzurechnen, da der Angeklagte sie aus Anlass einer Tat erlitten hat, die auch Gegenstand des hiesigen Strafverfahrens ist.
181
Ausweislich des verlesenen Urteils des Strafgerichts der Provinz Hatay vom 15.02.2018 wurde der Angeklagte in diesem Verfahren vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen. Aus dem verlesenen Urteil ergab sich, dass der Angeklagte seitens der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS angeklagt wurde, die Staatsanwaltschaft jedoch im Rahmen der Hauptverhandlung weder einen Nachweis für eine Mitgliedschaft beim IS noch bei den terroristischen Organisationen Al-Nusra, Fetih Cephesi oder HTS erbringen konnte. Das Gericht hat zudem festgestellt, dass der Versuch, sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen, noch keinen Straftatbestand erfülle, da die Personen noch jederzeit die Möglichkeit gehabt hätten, zurückzukehren.
182
Bei dem der Anklage in dem türkischen Verfahren zugrundeliegenden Tatvorwurf der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS und dem hiesigen Verfahren handelt es sich zwar nicht um dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO. Eine Anrechnung der Untersuchungshaft hatte aufgrund der erweiterten Auslegung des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB dennoch zu erfolgen, da jedenfalls eine funktionale Verfahrenseinheit gegeben ist. Zwischen der die Untersuchungshaft in der Türkei auslösenden versuchten Einreise des Angeklagten nach Syrien und den im hiesigen Verfahren abgeurteilten Taten besteht ein sachlicher Zusammenhang (vgl. hierzu Münchener Kommentar, StGB, 3. Auflage, § 51 StGB, Rz. 21 und BGH, 3. Strafsenat, Beschluss vom 13.12.2016, 3 StR 440/16).
183
Der Senat hat gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB die in der Türkei erlittene Untersuchungshaft für die Zeit vom 18.06.2017 bis zum 18.07.2017 im Verhältnis 1:2 und für die Zeit vom 19.07.2017 bis zum 15.02.2018 im Verhältnis 1:1 angerechnet.
184
Dabei hat der Senat bei der Bemessung des Anrechnungsmaßstabes die vom Angeklagten vorgetragenen Erschwernisse in den ersten beiden Tagen der Haft beim Militär, den 5 Tagen Haft bei der Polizei und der ersten Wochen Untersuchungshaft im Gefängnis von Hatay berücksichtigt, in denen der Angeklagte zum Teil geschlagen wurde, mit vielen Häftlingen in einer kleinen Zelle und zum Teil ohne eine abgetrennte Toilette inhaftiert war, auf dem Fußboden schlafen musste, zum Teil 24 Stunden eingesperrt war und nicht mit der Familie telefonieren konnte.
185
Eine Gesamtwürdigung der vom Senat festgestellten Erschwernisse hat dazu geführt, dass die in der Türkei erlittene Untersuchungshaft im Zeitraum vom 18.06.2017 bis zum 18.07.2017 im Verhältnis 1:2 anzurechnen war.
186
Die weitere Untersuchungshaft ab dem 19.07.2017 im Gefängnis von Gaziantep wurde aufgrund der vom Angeklagten geschilderten Haftbedingungen dagegen im Verhältnis 1:1 angerechnet, da die sie mit denen in deutschen Haftanstalten vergleichbar sind.
187
Nach den Schilderungen des Angeklagten wurde er in der Untersuchungshaft in Gaziantep nicht geschlagen, wurde in einer ausreichend großen Zelle mit einer abgetrennten Dusche und Toilette untergebracht, konnte sich täglich für mehrere Stunden im Hof aufhalten, durfte regelmäßig einmal wöchentlich - zwar auf eigene Kosten aber kostengünstig - mit der gesamten Familie telefonieren und es gab ausreichendes und gutes Essen. Dieses sei sogar besser gewesen, als das jetzige Essen in der JVA München-Stadelheim.
188
Die vom Angeklagten geschilderten Erschwernisse, es habe zwar einen Fernseher, allerdings nur mit türkischen Programmen gegeben, das Wasser sei während der Nachtzeit abgestellt gewesen, der Strom sei des Öfteren für 10 Minuten, manchmal auch für 1 Stunde ausgefallen und es habe in der Zelle Ungeziefer, insbesondere Fliegen, Mücken und Kakerlaken, 2mal auch einen Skorpion gegeben, konnten nach Auffassung des Senates keinen anderen Anrechnungsmaßstab rechtfertigen. Auch deutsche Justizvollzugsanstalten sind in den Sommermonaten jedenfalls nicht frei von Fliegen und Mücken, hinsichtlich des während der Nachtzeit abgestellten Wassers gab es für die Inhaftierten einen 50 Liter Wassereimer, mit dem das Geschirr abgewaschen und die Toilette nachgespült werden konnte, der vom Angeklagten geschilderte Stromausfall, der in der Regel 5-10 Minuten, manchmal auch 1 Stunde dauerte, führte lediglich dazu, dass die im Kühlschrank befindlichen Lebensmittel kurzzeitig nicht stark gekühlt wurden, nicht jedoch verdarben und das türkische Fernsehprogramm bzw. die türkischen Zeitschriften konnte dem Angeklagten jedenfalls auch von dem der türkischen Sprache mächtigen anderweitig Verfolgten Kerim Alis, der sich mit dem Angeklagten im gleichen Zellentrakt befand, übersetzt werden, so dass der Angeklagte nicht völlig von den Geschehnissen in der Welt abgekoppelt war. Weitergehende Erschwernisse wurden vom Angeklagten nicht geschildert.
II. Unterbliebene Anrechnung der Abschiebehaft des Angeklagten
189
Die vom Angeklagten im Zeitraum vom 15.02.2018 bis zu seiner Abschiebung nach Deutschland am 10.01.2019 in der Türkei verbüßte Abschiebehaft war dagegen nicht gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB anzurechnen, da sie nicht aus Anlass der Tat, etwa infolge internationaler Fahndung durch die deutschen Behörden erfolgte, sondern aufgrund der Tatsache, dass sich der Angeklagte unerlaubt, d.h. ohne Ausweisdokumente und ohne Aufenthaltserlaubnis in der Türkei aufhielt. Auch bei einer erweiterten Auslegung des § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB besteht kein sachlicher Zusammenhang zu der hiesigem Verfahren zugrundeliegenden Tat.
190
Der Angeklagte verfügte über kein gültiges Ausweisdokument und hielt sich unerlaubt in der Türkei auf. Nach eigenen Angaben erhielt er jedoch bereits im März 2018 von der deutschen Botschaft in Ankara ein Dokument, mit welchem er unverzüglich nach Deutschland hätte abgeschoben werden können. Da die Abschiebung jedoch nicht erfolgte, musste dieses Dokument nach 6 Monaten ein weiteres Mal verlängert werden. Die fast 11-monatige Abschiebehaft erfolgte somit nicht aus Anlass der hier vorliegenden Tat.
191
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 S. 1 StPO.