Titel:
Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wegen zahlreicher Straftaten
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 3, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55
VwGO § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, das das Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet klar überwiegt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Homosexualität eines Asylbewerbers begründet keine relevante Verfolgungsgefahr im Senegal. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten, kein besonderes Bleibeinteresse, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, Senegal, Homosexualität
Fundstelle:
BeckRS 2020, 23301
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
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Der am … Oktober 1988 geborene Kläger ist senegalesischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 5. September 2015 in das Bundesgebiet ein, wo er einen Asylantrag stellte. Der Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. April 2018 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. September 2018 als offensichtlich unzulässig abgewiesen.
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Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 16. November 2017 wurde der Kläger wegen Urkundenfälschung in 49 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Geldwäsche in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren in Tatmehrheit mit Missbrauch von Ausweispapieren in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit Urteil des Landgerichts München I vom 2. Februar 2018 wurde das Urteil des Amtsgerichts München vom 16. November 2017 im Strafausspruch dahin abgeändert, dass der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde.
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Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Kläger im Zeitraum vom 25. Mai 2016 bis zum 13. Oktober 2016 in … in Filialen verschiedener Finanzdienstleister in insgesamt 49 Fällen zum Zweck der Durchführung von Geldtransfermaßnahmen vier gefälschte Ausweise vorgelegt hatte jeweils in der Absicht, sich durch die Tatbegehung eine Einkommensquelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
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Darüber hinaus wurde der Kläger von unbekannten Personen als Finanzagent angeworben. Die unbekannten Personen hatten sich zuvor in der Absicht zusammengeschlossen, sich durch die wiederholte Begehung von Betrugs- und/oder Computerbetrugsstraftaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Zum Aufgabenbereich des Klägers sollte die Weiterleitung von Geldern gegen den Einbehalt einer Provision in nicht bekannter Höhe gehören, die von unbekannter Seite auf einem Konto, auf das der Kläger Zugriff hatte, eingehen würden. Ein entsprechendes Konto wurde vom Kläger bei der … … eröffnet und vom Kläger zum Zweck des Empfangs von Geldern zur Verfügung gestellt. Der Kläger erhielt in mindestens zwei Fällen Gelder, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, dass die Gelder aus gewerbsmäßig begangenen Betrugstaten stammten.
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Weiterhin wollte sich der Kläger von der … … unter Täuschung über seine Identität einen Geldbetrag in Höhe von 1.000 € bar auszahlen lassen. Hierzu unterzeichnete er den Auszahlungsbeleg mit einem falschen Namen. Da der Bankmitarbeiter erkannte, dass es sich beim Kläger nicht um den Berechtigten handelte, erfolgte jedoch keine Auszahlung.
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Der Kläger befand sich vom 21. Februar 2017 bis 9. Februar 2018 in Untersuchungshaft, anschließend bis zur vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe bis zum 13. August 2019 in Strafhaft. Der Kläger hat nach seinen Angaben ein Kind mit einer Äthiopierin, welches in Griechenland zur Welt gekommen sei. Die Frau lebe mittlerweile mit dem Kind in England. Die Eltern des Klägers seien verstorben, im Senegal lebten noch drei Schwestern.
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Nach vorheriger Anhörung wies die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 8. November 2018 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der Bedingung, dass Straffreiheit nachgewiesen wird, auf sechs Jahre beginnend mit der Ausreise; wird die Bedingung nicht erfüllt, beträgt die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot acht Jahre ab Ausreise (Nr. 2). Der Kläger sei gemäß dem Bescheid des Bundesamts vom 25. April 2018 zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verpflichtet. Die Abschiebung aus der Haft in den Senegal oder einen anderen aufnahmebereiten Staat wurde angeordnet (Nr. 3).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass angesichts der Schwere und der Anzahl der von ihm begangenen und abgeurteilten Straftaten die konkrete Gefahr bestehe, dass er nach Haftentlassung weitere Straftaten im Bundesgebiet verübe. Der Kläger habe sich in der Anhörung selbst als Opfer eines bösen Mannes dargestellt und sehe sich selbst nicht als kriminell. Dies lasse auf mangelnde Einsicht in Bezug auf die von ihm begangenen Straftaten schließen. Die Ausländerbehörde sei der Auffassung, dass die von ihm begangenen Straftaten der Schwerkriminalität zuzuordnen seien. Aufgrund der Schwere als auch Anzahl der Straftaten in Verbindung mit seiner mangelnden Einsicht in seine Schuld bestehe eine erhöhte Wiederholungsgefahr. Das Ausweisungsinteresse wiege gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, da er u.a. wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei. Ein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG könne er nicht geltend machen, da keine der genannten Voraussetzungen erfüllt sei. Bei der Abwägung zwischen Ausweisungs- und Bleibeinteresse seien insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob er sich rechtstreu verhalten habe, zu berücksichtigen, § 53 Abs. 2 AufenthG. Er halte sich seit dem 5. September 2015 im Bundesgebiet auf. Er habe zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel innegehabt, sondern nur eine Gestattung für die Dauer des Asylverfahrens. Er habe keinerlei feste soziale oder familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Er habe zu keiner Zeit gearbeitet und somit auch keinerlei wirtschaftliche Bindungen im Bundesgebiet. Seine Angaben, homosexuell zu sein und deshalb im Senegal getötet zu werden, müsse als Schutzbehauptung angesehen werden, da er dies zuvor bei keiner Anhörung oder ähnlichem vorgebracht habe. Das Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer, wohingegen er ein Bleibeinteresse nicht geltend machen könne. Die Abwägung ergebe unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts überwiege.
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Die Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wurde näher begründet. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr werde ein Zeitraum von sechs Jahren für erforderlich erachtet, um dem hohen Gefahrenpotential Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei den von ihm verübten Straftaten sei nicht zu erwarten, dass er die maßgebliche Gefahrenschwelle der §§ 53 ff. AufenthG vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreite. Die Befristung stehe auch in einem angemessenen Verhältnis zu der mit ihr einhergehenden Beeinträchtigung seiner Privatinteressen. Weiter wurde ausgeführt, wie er eine Straffreiheit nachweisen müsse.
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Der Kläger hat mit am 15. November 2018 bei Gericht eingegangenem Schreiben Klage gegen den Bescheid vom 8. November 2018 erhoben. Er führt aus, weil er homosexuell sei und dies in seinem Land verboten sei, könne und wolle er nicht dorthin zurück. Er werde dort verfolgt und ermordet. Er habe nur noch eine Schwester dort. Diese wolle aufgrund seiner Homosexualität auch nichts mehr mit ihm zu tun haben.
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Die Bevollmächtigten des Klägers führten mit Schriftsatz vom 14. April 2020 aus, der Kläger habe die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten inzwischen vollständig verbüßt und sei am 13. August 2019 aus der Haft entlassen worden. Der Strafvollzug sei beanstandungsfrei verlaufen. Der Kläger habe in Haft gearbeitet und seine Verpflichtungen zuverlässig erfüllt. Er habe sich während der Haftzeit weder disziplinarische noch sonstige Verstöße gegen die Anstaltsordnung zu Schulden kommen lassen. Er habe die Zeit der Inhaftierung genutzt, sich intensiv mit seiner Straffälligkeit auseinanderzusetzen. Er habe einen nachhaltigen Hafteindruck erhalten und es sei entsprechend § 57 StGB davon auszugehen, dass er durch die erlittene Strafhaft in Zukunft von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werde, dies umso mehr, weil es sich bei ihm um einen Erstverbüßer und Ersttäter handle. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellen könne, sei nicht ersichtlich. Hinzu komme, dass der Kläger homosexuell sei. Homosexuelle Handlungen seien im Senegal mit hohen Haftstrafen bedroht. Außerdem drohe homosexuellen Männern aufgrund ihrer Orientierung Gefahr für Leib und Leben. Eine Abschiebung dürfe gemäß § 60 AufenthG nicht erfolgen.
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Die Beklagte beantragt,
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seines Bevollmächtigten verhandelt und entschieden werden, da in der form- und fristgerechten Ladung hierauf hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 8. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 117 Abs. 5 VwGO. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Demgegenüber steht nur das allgemeine Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, nicht aber ein in § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG normiertes besonders schwerwiegendes oder insbesondere schwerwiegendes Bleibeinteresse. Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorzunehmenden Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers ergibt sich damit in Übereinstimmung mit der Begründung des angefochtenen Bescheids ein klares Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise.
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Soweit der Kläger Homosexualität geltend macht, derentwegen er im Senegal mit hoher Haftstrafe bedroht sei und aufgrund seiner Orientierung Gefahr für Leib und Leben fürchten müsse, bestehen erhebliche Zweifel an diesem Vortrag, den er erstmals im Ausweisungsverfahren geltend macht. Im Übrigen läge insoweit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor; Abschiebungshindernisse hat das Bundesamt bereits im ablehnenden Asylbescheid vom 25. April 2018 verneint. Zudem sieht das Gericht in ständiger Rechtsprechung bei Homosexualität eines Asylbewerbers keine relevante Verfolgungsgefahr im Senegal.