Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 31.08.2020 – AN 9 K 17.34754, AN 9 K 19.30727
Titel:

Abschiebungsverbot wegen der Situation in Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage

Normenketten:
AsylG § 3
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. In keiner Region Äthiopiens bestehen aktuell bürgerkriegsähnliche Zustände. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Situation in Äthiopien für eine zurückkehrende alleinerziehende Mutter mit zwei noch sehr kleinen Kindern stellt derzeit aufgrund der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsverheiratung, Asylverfahren, Äthiopien, Coronapandemie, Heuschreeckenplage, alleinerziehende Mutter
Fundstelle:
BeckRS 2020, 23005

Tenor

1. Die Verfahren AN 9 K 17.34754 und AN 9 K 19.30727 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juni 2017 (Klägerin zu 1) und Kläger zu 2)) sowie vom 5. Juni 2019 (Kläger zu 3) werden in Ziffern 4, 5, soweit die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wird und 6 (Kläger zu 1) und 2)) bzw. in Ziffern 2, 3, soweit die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wird und 4 (Kläger zu 3) aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens vorliegen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu ½ und die Kläger zu ½.
4. Das Urteil ist in Ziffer 3 vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin zu 1) ist nach ihren eigenen Angaben äthiopische Staatsangehörige oromischer Volkszugehörigkeit und islamischer Religionszugehörigkeit, sie reiste am 12. August 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. September 2016 Asylantrag. Die Kläger zu 2) und 3) sind in Deutschland geboren und die Kinder der Klägerin zu 1). Für die Kläger zu 2) und 3) wurde ein Asylantrag gemäß § 14a AsylG gestellt erachtet, bezüglich des Klägers zu 3) wurde von der Klägerin zu 1) wirksam auf die Durchführung eines Verfahrens verzichtet.
2
Die persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgte für die Klägerin zu 1) am 7. Februar 2017, dabei gab sie im Wesentlichen an, sie sei wegen einer ihr drohenden Zwangsheirat geflüchtet, sie sei wegen ihrer Weigerung von der Familie geschlagen und verletzt worden. Der Vater ihrer Kinder lebe auch in Deutschland und sei ihr Lebensgefährde. Bezüglich des Klägers zu 3) wurde vorgetragen, er sei im Klinikum … wegen Neugeborenengelbsucht, Rhesus-Inkopatibilität und Eisenmangel behandelt worden, ein Attest der Klinik vom 16. April 2019 wurde vorgelegt.
3
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juni 2017 bezüglich der Kläger zu 1) und 2) wurde den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1), der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3) und in der Ziffer 4 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Kläger wurden in der Ziffer 5 des Bescheides aufgefordert, Deutschland zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
4
Mit Bescheid des Bundesamts vom 5. Juni 2019 betreffend den Kläger zu 3) wurde in Ziffer 1 das Verfahren eingestellt und in den Ziffern 2 bis 4 die Regelungen aus dem Ablehnungsbescheid hinsichtlich der Kläger zu 1) und 2) in den Nummern 4 bis 6 dieses Bescheids wiederholt.
5
Die Kläger erhoben mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17. Juli 2017 (Kläger zu 1) und 2)) sowie 25. Juni 2019 (Kläger zu 3) Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland mit den Anträgen:
6
Der Bescheid des Bundesamts vom 26. Juni 2017 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kläger zu 1) und 2) als Asylberechtigte anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen, sowie bezüglich des Klägers zu 3), den Bescheid des Bundesamts vom 5. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, hinsichtlich des Klägers festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt jeweils,
die Klagen abzuweisen.
8
Zur Begründung der Klagen ließen die Kläger vortragen, der Vater der Kläger zu 2) und 3) und ehemalige Partner der Klägerin zu 1) habe sich von dieser getrennt, er sei psychisch krank, habe das Land verlassen und den Kontakt abgebrochen. Der Klägerin zu 1) drohe geschlechtsspezifische Verfolgung in Äthiopien, auch sei ihr und den Kindern ein Überleben in Äthiopien unter den derzeitigen Verhältnissen nicht möglich.
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Mit Beschlüssen vom 9. Juli 2020 wurden die Verfahren jeweils dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage der Kläger zu 1) mit 3) ist teilweise begründet. Über die Klagen konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
12
Bezüglich der Kläger zu 1) mit 3) sind die streitgegenständlichen Bescheide vom 26. Juni 2017 in Ziffer 4, 5 soweit die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wird und 6 bzw. die gleichlautenden Ziffern 2 bis 4 im Bescheid vom 5. Juni 2019 hinsichtlich des Klägers zu 3) rechtswidrig und verletzen die Kläger entsprechend in ihren Rechten.
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Den Klägern zu 1) und 2) steht zwar weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG oder Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes nach § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu. Jedoch haben die Kläger einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend dem Hilfsantrag. Deshalb werden die Kläger auch durch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, soweit die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wird, sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Kläger zu 1) und 2) im Hinblick auf die Begründung für die Ziffern 1 bis 3 auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist Folgendes auszuführen.
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a) Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind.
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
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§ 3a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
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Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
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Die Furcht vor Verfolgung ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14).
21
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, weil nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14; B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37).
22
Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - C-175/08 - juris Rn. 94). Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23).
23
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.
24
Nachdem die Klägerin zu 1) eine politische Betätigung entweder in Äthiopien noch im Hinblick auf Äthiopien in der Bundesrepublik Deutschland dargetan hat und sich auch auf eine Verfolgung aus politischer, d. h. oppositioneller Tätigkeit gegenüber der äthiopischen Regierung nicht beruft, und nachdem der Kläger zu 2) ein in Deutschland geborenes Kleinkind ist, scheidet eine Verfolgung in Äthiopien aus politischen Gründen durch die äthiopische Regierung aus, eine solche wurde von den Klägern weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
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Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass ihre Eltern sie zwangsweise mit einem älteren Mann verheiraten wollten, wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Die Klägerin zu 1) hat auch keine sogenannten Nachfluchtgründe dargetan oder glaubhaft gemacht, auch bezüglich des Klägers zu 2) sind solche nicht ersichtlich.
26
Auch die Voraussetzungen des § 4 AsylG sind im vorliegenden Fall der Kläger zu 1) und 2) nicht erfüllt.
27
Dass den Klägern bei ihrer Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), machen sie selbst nicht geltend. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass den Klägern in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (hierzu VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff.).
28
Schließlich steht den Klägern zu 1) und 2) auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu.
29
Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
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Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff.)
31
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bei den Klägern zu 1) und 2), die keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweisen, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände.
32
Die Konflikte zwischen Ethnien oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 31645 - juris).
33
b) Die Verpflichtungsklage erweist sich hingegen bezüglich der Kläger zu 1) bis 3) hinsichtlich der begehrten Feststellung auf Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG als erfolgreich.
34
Den Klägern zu 1) bis 3) steht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
35
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
36
Davon ist dann auszugehen, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden, d.h. unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.
37
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können ausnahmsweise eine solch Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung darstellen.
38
Nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG v. 13.6.2013, 10 C 13.12 - juris; BayVGH v. 8.11.2018, 13 a B 17.31918 - juris) können in außergewöhnlichen Ausnahmefällen auch „nicht staatliche“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht kommen.
39
D. h., im Bereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind neben von Staat oder staatsähnlichen Organisationen ausgehenden Gefahren für Leib und Leben auch „nicht staatliche“ Gefahren wegen prekärer Lebensbedingungen zu berücksichtigen, jedoch kommt dies nur in ganz außergewöhnlichen Fällen in Betracht (vgl. z.B. EGMR v. 27.5.2008, 26565.05, NVwZ 2008, 1334; v. 28.6.2011, 8319.07, NVwZ 2012, 681).
40
Zu berücksichtigen sind bei dieser Beurteilung eine Reihe relevanter Faktoren, z.B. die Zugangsmöglichkeiten zu Arbeit, Grundversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden und über finanzielle Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse verfügen zu können (vgl. BayVGH v. 23.3.2017, 13 a B 17.30030 - juris; v. 20.11.2018, 8 ZB 18.32888 - juris).
41
Aus der oben genannten Rechtsprechung geht deutlich hervor, dass insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind, da nur bei Vorliegen „zwingender Gründe“ i.S.d. Art. 3 EMRK ein nach der Rechtsprechung erforderlicher außergewöhnlicher Fall vorliegt, der zur Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen kann (vgl. z.B. BayVGH v. 21.11.2014, 13 a B 14.30284 - juris).
42
Darauf hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch, dass dabei nicht der Maßstab für das Vorliegen einer Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG heranzuziehen ist (BayVGH v. 21.11.2014, a.a.O.).
43
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) nötig, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen ohne Vorhandensein einer hinreichenden Tatsachengrundlage basierende Gefahr vorhanden sein. Diese Gefahr darf nicht nur hypothetisch sein, sondern muss sich aufgrund aller fallrelevant zu berücksichtigenden Umstände als hinreichend sicher im Hinblick auf eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung erweisen.
44
Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützter Rechte bedarf es nicht, vielmehr genügt insoweit das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr, entsprechend dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. EGMR v. 28.2.2008, 37201.06, NVwZ 2008, 1330; BVerwG v. 27.4.2010, 10 C 5.09, NVwZ 11, 51).
45
Bei der Frage des Vorliegens solch einer Gefahr bei Rückkehr geht es demgemäß nicht um einen fernab jedweden Zweifels liegenden Beweis, sondern dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung ein gewisser Grad an Mutmaßung immanent (vgl. BVerwG v. 13.2.2019, 1 B 2.19 unter Verweis auf EGMR v. 9.1.2018, 36417.16, X./Schweden).
46
Aufgrund der sich derzeit bereits dargestellten durch die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der in Äthiopien herrschenden Heuschreckenplage ergebenden landesweiten Verhältnissen in Äthiopien ist das Gericht in Ansehung der in Äthiopien „pandemieunabhängig“ gegebenen Situation unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen der Auffassung, dass im konkreten Falle der Kläger zu 1) bis 3) vorliegend derzeit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sind.
47
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtsituation, wie sie sich dem Gericht insbesondere nach Auswertung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen und in Ansehung der konkreten Besonderheiten des Einzelfalles, hier eine alleinerziehende Mutter mit zwei noch sehr kleinen Kindern, die aufgrund ihres Alters einen starken Betreuungsbedarf haben, darstellt, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine Rückkehr der Kläger zu 1) bis 3) wegen der jetzigen aufgrund der Corona-Pandemie i.V.m. der Heuschreckenplage bestehenden Lebenssituation, auch in Ansehung der unabhängig von Pandemie und Heuschreckenplage für Rückkehrer bestehenden Situation in Äthiopien, derzeit und in überschaubarer Zukunft einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde.
48
Die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berücksichtigenden prekären Lebensbedingungen sind, wie oben bereits ausgeführt, z.Zt. im Hinblick auf die der herrschenden Pandemie immanenten Beschränkungen und die daraus folgenden Probleme der Erlangung eines Zugangs zu Arbeit und adäquater Unterkunft, zu Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung und zur Erlangung der für die Befriedigung elementarer Bedürfnisse nötigen finanziellen Mittel sowie der durch die Heuschreckenplage zusätzlich zur Pandemie verursachten schwierigen wirtschaftliche Situation nach Auffassung des Gerichts gegeben.
49
Insbesondere infolge der durch die bestehende Pandemie veranlassten Beschränkungen wird die Wohnungs- und Arbeitssuche für Rückkehrer zur Überzeugung des Gerichts in einem Maße erschwert, wenn nicht zeitweise weitgehend unmöglich gemacht, dass unter Zugrundelegung der oben dargestellten rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Einzelfall nicht mehr im erforderlichen Umfang von der Sicherung des Existenzminimums ausgegangen werden kann.
50
Nach alldem liegt im konkreten Einzelfall zur Überzeugung des Gerichts hinsichtlich Äthiopien ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
51
Damit war wegen des insoweit einheitlichen Streitgegenstandes nicht mehr über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 sowie analog § 60 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu entscheiden.
52
c) Des Weiteren waren bezüglich der Kläger zu 1) bis 3) im Hinblick auf das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG die dem entgegenstehenden Regelungen in Ziff. 4 bis 6 des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids aufzuheben, für die in Ziff. 5 enthaltene Abschiebungsandrohung bedeutet dies die Aufhebung, soweit darin gerade die Abschiebung nach Äthiopien angedroht ist (vgl. §§ 59 Abs. 3, 75 Nr. 12 AufenthG, 34 Abs. 1 Satz 3 AsylG).
53
d) Nach alldem war den jeweiligen Klagen im Umfange des Urteilstenors stattzugeben, im Übrigen war die Klage der Kläger zu 1) und 2) abzuweisen.
54
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154, 155 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.