Titel:
keine unzulässige Abschalteinrichtung durch Einbau eines sog. Thermofensters
Normenketten:
ZPO § 32
StGB § 263
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6, § 27
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Motorsteuerungssoftware, die dazu dient, bei ungünstigen Betriebsbedingungen Motorschäden zu vermeiden (sog. Thermofenster), handelt es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung (OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17247). (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei den Zulassungsvorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB (OLG München BeckRS 2019, 19592). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Motorsteuerungssoftware, Thermofenster, Motor OM 651, Schadensersatz, Sittenwidrigkeit, Hersteller, Schutzgesetz
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.05.2020 – 27 U 1368/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22907
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Abgasmanipulationen.
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Die Klägerin erwarb am 31.08.2011 von der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes-Benz GLK 220 GDI 4Matic zu einem Kaufpreis von EUR 47.999,99 (Anlage K 1). Das Fahrzeug war am 26.08.2011 erstmals zugelassen worden (Anlage K 2). In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 651 verbaut. Herstellerin des Fahrzeugs wie seines Motors ist die Beklagte.
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Der streitgegenständliche Motor ist mit einem Abgasrückführungssystem ausgestattet, bei dem zur Reduzierung umweltschädlicher Stickoxid-(NOx-)Emissionen ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehenden Gase zur erneuten Verbrennung in das Ansaugsystem des Motors rückgeleitet wird. Art und Umfang der Abgasrückführung werden hierbei elektronisch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Parameter (insbesondere Motortemperatur, Motorlast und -drehzahl, Umgebungstemperatur) geregelt, was erheblichen Einfluss auf die Menge des effektiv ausgestoßenen Stickoxids hat.
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Verschiedene Ausführungen des Aggregats OM 651 hat das Kraftfahrtbundesamt in den letzten Jahren technisch überprüft und - soweit sich hierbei eine Gesetzeswidrigkeit der verbauten Motorsteuerungssoftware wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ergab - durch die Herstellerin zurückrufen lassen. Der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist bislang nicht von einem solchen Rückruf betroffen.
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Mit Schreiben vom 22.06.2018 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis 22.07.2018 auf, das streitgegenständliche Fahrzeug Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen (Anlage K 3). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 13.12.2019 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von ca. 136.000 km auf.
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Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Fahrzeug entspreche in Bezug auf die Motorsteuerung nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Die eingebaute Motorsteuerungssoftware optimiere den Ausstoß von Stickoxid unter den Bedingungen des Prüfstandbetriebs (“Neuer europäischer Fahrzyklus“ - NEFZ). Dabei werde die Abgasreinigung nur unter den Bedingungen des Prüfstands vollständig aktiviert. Werde eine bestimmte Temperatur überschritten oder unterschritten (etwa bei kaltem Motor, im Stadtverkehr, im Stau, unter Last oder bei schneller Fahrt), schalte die Elektronik die Abgasreinigung ganz oder teilweise ab, angeblich um Bauteile vor Überhitzung zu bewahren. Infolgedessen würden die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte zwar unter den im Testbetrieb herrschenden Bedingungen eingehalten, im realen Straßenverkehr dagegen um ein Vielfaches überschritten. Dort werde das Fahrzeug mit einer viel geringeren Abgasrückführungsrate betrieben.
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Somit passe das Abgasrückführungssystem die Funktion des Emissionskontrollsystems den Betriebsbedingungen an, weshalb die Abgasrückführung und -reinigung letztlich nur bei bestimmten Temperaturen (innerhalb des sogenannten „Thermofensters“) funktioniere. Dies stelle eine nach dem einschlägigen Unionsrecht unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die grundsätzliche Unzulässigkeit derartiger Thermofenster ergebe sich aus Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Emission-Basis-Verordnung (EBV). Zwar sei gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der EBV die Verwendung von Abschalteinrichtungen ausnahmsweise dann zulässig, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.“ Diese Ausnahmebestimmung sei jedoch eng auszulegen. Eine Notwendigkeit im Sinne dieser Vorschrift sei nur anzuerkennen, wenn eine Abschalteinrichtung technisch unvermeidlich sei; das sei hier nicht der Fall. Folglich hätte für das Aggregat OM 651 schon keine Typgenehmigung erteilt werden dürfen, weshalb auch die Betriebserlaubnis des streitgegenständlichen Fahrzeugs gefährdet sei.
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Der Einbau der illegalen Motorsteuerungssoftware stelle eine sittenwidrige Handlung dar. Die Beklagte habe auch die Klägerin arglistig darüber getäuscht, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die gesetzlichen Abgasvorschriften nicht einhalte, weil diese nur auf dem Prüfstand erreicht würden. Die Typengenehmigung sei arglistig erschlichen worden.
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Die Beklagte sei der Klägerin deshalb nach Deliktsrecht (§ 826 BGB; §§ 823, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB und i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) zum Schadensersatz verpflichtet. Denn dieser sei es beim Kauf gerade auf ein möglichst sparsames und umweltfreundliches Fahrzeug angekommen. Hätte sie von den Manipulationen gewusst oder diese auch nur geahnt, hätte sie den Wagen nicht gekauft.
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Die Klägerin hat deshalb beantragt;
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz GLK 220 GDI 4Matic mit der Fahrgestellnummer an die Klagepartei 36.671,99 € nebst Zinsen
a. in Höhe von 4% aus 47.999,99 € vom 31.08.2011 bis zum 22.07.2018 sowie
b. in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 36.671,99 € seit dem 23.07.2018 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.590,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.06.2018 zu erstatten Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Aus ihrer Sicht ist die Klage bereits unschlüssig und unsubstantiiert. Der klägerische Vortrag lasse nicht erkennen, welchen Vorwurf die Klägerin im konkreten Fall überhaupt gegenüber der Beklagten erhebe, welche konkrete Funktion im streitgegenständlichen Fahrzeug sie für unzulässig halte und inwiefern dies eine Abweichung des Istvom Sollzustand begründen solle. Der Vortrag erschöpfe sich in pauschalen Behauptungen aus Verfahren gegen andere Hersteller.
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Die erteilte EG-Typgenehmigung sei uneingeschränkt wirksam und entspreche der Euro-5-Norm. Ein Rückruf habe dem streitgegenständlichen Fahrzeug zu keiner Zeit gedroht und drohe auch jetzt nicht.
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Die Steuerung der Abgasrückführung aufgrund von Rahmenbedingungen (u.a. temperaturabhängig) stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der Verordnung 715/2007/EG dar, da sie dem Schutz des Motors diene. Im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug werde auch keine Programmierung verwendet, die manipulativ so gestaltet wäre, dass auf der Straße unter normalen Betriebsbedingungen ein anderes Verhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde als auf dem Prüfstand.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2019 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergibt sich aus § 32 ZPO. Die Klägerin macht deliktische Ansprüche gegen die Beklagte geltend und behauptet, durch die Handlungsweise der Beklagten in ihrem Vermögen geschädigt zu sein. Maßgeblich ist folglich der Schädigungs- und Erfolgsort, also der Wohnsitz der Klägerin.
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Allerdings stehen der Klägerin aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, und zwar weder aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder §§ 6, 27 EGFGV.
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Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte hat die Klägerin nicht dargetan.
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a) Objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist nach herrschender Auffassung ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH NJW 2017, 250 Tz. 16). Hierfür ist ein Rechtsverstoß weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung. Ausschlaggebend ist vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich insbesondere aus dem verfolgten Zweck, den hierfür eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung des Handelnden oder den eintretenden Schadensfolgen ergeben kann (vgl. nur Sprau in: Palandt, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 4).
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b) Nach Ansicht der Klägerin besteht eine derartig verwerfliche Handlungsweise der Beklagten im vorliegenden Fall darin, dass diese bewusst einen mangelhaften Motortyp in Verkehr gebracht habe, ohne den Rechtsverkehr und insbesondere die Klägerin über diesen Mangel zu informieren.
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Soweit die Klägerin dabei auf den Einbau einer Motorsteuerungssoftware im Aggregat OM 651 abstellt, geht das Gericht aufgrund des unbestrittenen Sachvortrags der Beklagten davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware nicht um eine solche handelt, die das Abgasverhalten des Fahrzeugs In der Welse gezielt manipuliert, dass sie auf das Erkennen einer Prüfstandsituation programmiert ist und speziell für diese Situation zu Täuschungszwecken einen Arbeitsmodus vorsieht, der im realen Fährbetrieb nicht zur Verfügung steht. Wie ein solcher Mechanismus rechtlich zu bewerten wäre, steht daher hier nicht zur Diskussion. Zwischen den Parteien ist vielmehr unstreitig, dass das streitgegenständliche Fahrzeug einen sogenannten „Thermofenster'-Mechanismus aufweist, der das Abgasrückführungsverhalten des Motors nach Maßgabe der realen Betriebsbedingungen steuert.
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Die Parteien haben sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob dieser Thermofenster-Mechanismus mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht. Diese Frage wird in Rechtsprechung, Literatur und Rechtspolitik nicht einheitlich beantwortet. Umstritten ist nicht nur, ob es sich bei diesem Mechanismus um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen Verordnung (EG) 715/2007 handelt. Unklar ist außerdem, ob der Mechanismus dem Regelverbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung unterfällt oder nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der Verordnung ausnahmsweise als zulässig anzusehen ist, weil er notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen.
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Selbst wenn alle diese Fragen im Sinne der Klägerin zu beantworten wären, wäre damit der Nachweis eines im Sinne des § 826 BGB verwerflichen Handelns der Beklagten nicht geführt. Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, der streitgegenständliche Mechanismus diene dazu, bei ungünstigen Betriebsbedingungen Motorschäden zu vermeiden. Sie nimmt damit Bezug auf eine Zielsetzung, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der einschlägigen Verordnung unionsrechtlich ausdrücklich anerkannt ist und das allgemeine Verbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung insoweit begrenzt.
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Man mag diese Ausnahmeregelung für nicht hinreichend bestimmt und für umweltpolitisch kritikwürdig oder verfehlt halten. Das ändert nichts daran, dass es sich um geltendes Unionsrecht handelt. Eine Auslegung dieser Bestimmung, wonach ein Thermofenster-Mechanismus zulässig sei, wird nach verbreiteter Rechtsauffassung als jedenfalls nicht unvertretbar angesehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az. 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az. 5 U 1783/19; OLG Köln, BeSchluss vom 04.07.2019, 3 U 148/18; OLG Köln, Beschluss vom 10.09.2019, Az. 16 U 193/19; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.09.2019, Az. 12 U 123/18). Selbst dann, wenn sich im Laufe der weiteren Rechtsdiskussion die Auffassung durchsetzen würde, Abschaltmechanismen wie der hier streitgegenständliche seien von der genannten Ausnahmeregelung nicht gedeckt, erschiene es schwerlich vertretbar, die abweichende Auslegung eines offenkundig auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandes (vgl. die Ergebnisse des einschlägigen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in BT-Drs. 18/12900, S. 536 ff.) als „verwerflich“ im Sinne des § 826 BGB zu brandmarken, und dies mit Rückwirkung auf das Jahr 2011.
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c) Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, durch wen und in welcher Weise im vorliegenden Fall der subjektive Tatbestand des § 826 BGB (Vorsatz bezgl. Sittenverstoß und Schaden) erfüllt sein könnte und ob die Beklagte insoweit eine sekundäre Darlegungslast treffen würde. Auch insoweit erschiene es fernliegend, an eine vertretbare Auslegung des Unionsrechts den qualifizierten Verschuldensvorwurf des § 826 BGB zu knüpfen.
2. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB
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Ein Betrugsvorwurf wäre im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil das streitgegenständliche Aggregat nach unwidersprochenem Sachvortrag der Beklagten zum Herstellungszeitpunkt (2011) die seinerzeit maßgeblichen Abgasgrenzwerte des NEFZ einhielt und damit eine diesbezügliche Täuschung des Rechtsverkehrs ausscheidet.
3. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6. 27 EG-FGV
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Bei den Zulassungsvorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (dazu OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19). Denn Schutzgüter dieser Vorschriften sind nach den Erwägungsgründen der einschlägigen Richtlinie 2007/46/EG (dort Nr. 3) Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamer Schutz gegen unbefugte Fahrzeugbenutzung, nicht aber individuelle Vermögensinteressen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.