Titel:
Corona-Bekämpfung durch Maskenpflicht – einstweilige Anordnung
Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 2
VwGO § 43, § 47 Abs. 6, § 123 Abs. 1
IfSG § 4, § 28 Abs. 1 S. 1, § 32 S. 1
BayAGVwGO Art. 5 S. 1
OWiG § 68
3. BayIfSMV § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 4, § 8
Leitsätze:
1. Sind Antragsteller auf Grundlage einer abstrakt-generellen Verordnungsregelung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verpflichtet, ohne dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Verordnungsbestimmung eine abweichende behördliche Entscheidung im Einzelfall möglich wäre, steht ihnen gegen diese Verpflichtung die vorrangige Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die Verordnung selbst offen, sodass ein Antrag nach § 123 VwGO unstatthaft ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Überprüfung einer Bußgeldvorschrift einer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung kann nicht im verwaltungsgerichtlichen, sondern nur im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren erfolgen, weil gegen die auf diese Norm gestützten Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter Berücksichtigung des weiten prognostischen Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers bei der Eignungsbeurteilung ist die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zumindest geeignet, den legitimen Zweck des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu fördern. Diese Maßnahme greift eine Empfehlung des RKI auf, wonach das Tragen von Behelfsmasken das Übertragungsrisiko insbesondere in öffentlichen Räumen, in denen der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann, vermindern und so dazu beitragen kann, die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen. (Rn. 29 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Vorrangs des Normenkontrollverfahrens, Überprüfung einer Bußgeldvorschrift, ordentliche Gerichte, Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers, Eignungsbeurteilung, Empfehlung des RKI, Übertragungsrisiko
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22620
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,-- festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die Verpflichtung, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
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Mit Verordnung vom 21. April 2020 (GVBl. S. 222) wurde in die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) eine Regelung aufgenommen, wonach Kunden und ihre Begleitpersonen ab dem siebten Lebensjahr in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3). § 6 2. BayIfSMV regelte, dass Personen ab dem siebten Lebensjahr bei der Nutzung von Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs und der hierzu gehörenden Einrichtungen eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben. Die Regelungen traten am 27. April 2020 in Kraft und mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft. Gleichlautende Regelungen finden sich nunmehr in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und § 8 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Mai 2020 (BayMBl. Nr. 239, BayRS 2126-1-7-G, im Folgenden 3. BayIfSMV). Die Verordnung trat gemäß ihrem § 12 am 4. Mai 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft.
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Am 24. April 2020 beantragten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung wie folgt:
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„1. Die Antragsteller sind nicht verpflichtet in den ab 27. April 2020 geöffneten sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels im Sinne des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.“
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2. Die Antragsteller handeln nicht ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 2 Abs. 6 2. BayIfSMV als Kunde oder Begleitperson keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung in sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels im Sinne des § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV zu tragen, verletze die Antragsteller in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 GG. Es sei schon fraglich, ob die gegenständliche Verordnung formell rechtmäßig sei, insbesondere ob die gegenständlichen Maßnahmen von der gesetzlichen Grundlage des §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG gedeckt seien (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 9.4.2020- 1 S 925/20). Gemäß Art. 2 Abs. 2 GG dürfe in die körperliche Unversehrtheit nur aufgrund eines formellen Gesetzes eingegriffen werden. Die Verordnung zur Änderung der 2. BayIfSMV stelle kein Gesetz in diesem Sinne dar. Die Pflicht eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen sei überdies unverhältnismäßig. Sie sei schon weder geeignet noch erforderlich, um die Verbreitung des neuartigen Coronavirus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Die Übertragung sei ausschließlich durch Einhaltung eines gewissen Abstands zwischen den Menschen einzudämmen. Es gebe derzeit keinerlei medizinisch belegbare Tatsachen dafür, dass jedwede Mund-Nasen-Bedeckung - insbesondere Stoffmasken, Schals und Halstücher - die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen oder verhindern könnten. Im Gegenteil sei zu Beginn der Virus-Pandemie vom mittlerweile bundesweit bekannten Virologen Dr. … D* … (am 30.1.2020) und dem Robert-Koch-Institut öffentlich erklärt worden, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung keinerlei Schutz gegen die Ausbreitung des Virus biete. Dies sei soweit ersichtlich die Ansicht des Großteils der Experten, Mediziner und Virologen. Im Gegenteil verwiesen die entsprechenden Experten auf das erhebliche Risiko, dass sich die Nutzer der Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund des vermeintlichen Schutzes sicher fühlen und so den einzig wirklichen Schutz vor Übertragung - die Einhaltung des Abstandes - missachten könnten. Wissenschaftlichen Ausarbeitungen zufolge werde nach Anlegen einer normalen OP-Maske viel mehr ausgeatmetes CO₂ eingeatmet. Schon bei einem Zeitraum von lediglich 30 Minuten komme es zu Müdigkeit, schnellerer Atmung, Herzunregelmäßigkeiten, Konzentrationsschwächen und schlechterer Feinmechanik. Die Verbreitung des Virus habe bereits eingedämmt und halbwegs kontrolliert werden können. Es gebe daher keinerlei Anlass oder irgendwelche Tatsachen, die dafür sprächen, dass eine jetzt zum 27. April 2020 angeordnete Maskenpflicht eine Verbreitung weiter eindämmen könne.
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Die zehnjährige Antragstellerin zu 3. werde durch die Verpflichtung besonders belastet. Das Atemsystem der Altersgruppe der Sieben- bis Zwölfjährigen benötige uneingeschränkten Luftaustausch. Das Einatmen der bereits meist für einen längeren Zeitraum zuvor in die Bedeckung ausgeatmeten Keime bringe eine erhebliche Gesundheits- und Ansteckungsgefahr mit anderen Keimen mit sich. Die gegenständliche Verpflichtung sei somit gerade für diese Altersgruppe völlig absurd und in höchstem Maße rechtswidrig. Auch der Umstand, dass die Pflicht „nur“ bei Betreten eines Geschäfts oder des öffentlichen Nahverkehrs besteht, sei hierbei nicht förderlich. Die entsprechenden Bedeckungen würden mehrfach an- und ausgezogen, was zu Kontaminationen und Berührungen mit dem Gesicht führe, die ja gerade zu vermeiden seien.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
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Die Anträge sind bereits unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet.
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1. soweit die Antragsteller die Feststellung begehren, dass sie nicht verpflichtet sind, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, und dass sie bei einem Verstoß gegen die Verpflichtung keine Ordnungswidrigkeit begehen, ist dies wegen des Vorrangs des Normenkontrollverfahrens einer einstweiligen Anordnung durch das Verwaltungsgericht nicht zugänglich, so dass die Anträge unstatthaft sind. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 der 3. BayIfSMV sind Kunden sowie ihre Begleitpersonen ab dem siebten Lebensjahr in geöffneten Geschäften zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verpflichtet. Eine Befreiungsmöglichkeit von dieser Verpflichtung ist in der Rechtsverordnung nicht vorgesehen. Damit sind die Antragsteller auf Grundlage einer abstrakt-generellen Regelung der Verordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beim Betreten geöffneter Geschäfte verpflichtet, ohne dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Verordnungsbestimmung eine abweichende behördliche Entscheidung im Einzelfall möglich wäre. Es fehlt daher bereits an einem streitigen Rechtsverhältnis, das einer Einzelfallanordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zugänglich wäre. In der Sache wenden sich die Antragsteller mithin unmittelbar gegen die Verordnungsbestimmung in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 der 3. BayIfSMV selbst. Für dieses Rechtsschutzbegehren steht ihnen aber gemäß § 47 Abs. 6 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die Verordnung selbst offen (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.4.2020 - Au 9 E 20.720 - juris). In derartigen Fällen, in denen effektiver Rechtsschutz durch § 47 VwGO möglich ist und sich der Antrag auf die Unwirksamkeitserklärung bzw. die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Rechtsnorm bezieht, ist § 47 VwGO gegenüber einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO bzw. einem Antrag nach § 123 VwGO lex specialis (Sodan/Ziekow, § 123 VwGO Rn. 40 f; Beck OK VwGO, § 123 Rn. 16; Fehling/Kastner/Stürmer, § 123 VwGO Rn. 22). Gleiches gilt für den in Ziffer 2. der Antragsschrift gestellten Antrag auf Feststellung der fehlenden Bußgeldbewährung der Regelung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.
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2. Unabhängig hiervon ist der Antrag auf Feststellung der fehlenden Bußgeldbewährung der Regelung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch deshalb unzulässig, weil Gegenstand einer Feststellung oder einstweiligen Anordnung im Verwaltungsrechtsweg lediglich das Bestehen oder Nichtbestehen einer öffentlich-rechtlichen Pflicht oder eines Rechts sein kann. Eine Überprüfung der Bußgeldvorschrift des § 9 Nr. 5 Buchst. b) 3. BayIfSMV hat allein im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren zu erfolgen, weil gegen die auf diese Norm gestützten Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.2005 - 7 CN 6/04 - juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 27.7.1995 - 7 NB 1/95 - juris Rn. 21, OVG LSA, U.v. 17.3.2010 - 3 K 319/09 - juris Rn. 57).
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3. im Übrigen wäre der Antrag zu 1., im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Antragsteller nicht verpflichtet sind, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, auch unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Bestehen des vom Antragsteller behaupteten materiellen Anspruchs überwiegend wahrscheinlich ist, mithin die Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten des (potentiellen) Hauptsacheverfahrens ergibt, dass der Antragsteller in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen wird.
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In Anwendung dieser Maßstäbe haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist die die Antragsteller treffende Verpflichtung, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, rechtlich nicht zu beanstanden.
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3.1. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 3. BayIfSMV wurde durch die Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt (BayMBl. Nr. 239 vom 1.5.2020) ordnungsgemäß verkündet und trat am 4. Mai 2020 in Kraft. Die Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt (BayMBl.) war vorliegend nach Nr. 2 Satz 2 der Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung vom 15. Dezember 2015 zur amtlichen Veröffentlichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (VeröffBek, B II 2 - G 48/13-6, AllMBl. S. 541) als Ausnahmefall gegenüber der nach Nr. 2 Satz 1 VeröffBek regelmäßig gebotenen Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) zulässig; die Überschrift der Verordnung, das Datum der Ausfertigung und die Fundstelle sind nach Nr. 2 Satz 3 VeröffBek im GVBl. (Nr. 14/2020) veröffentlicht worden. Der bisherige Art. 51 Abs. 2 LStVG, der eine Bekanntmachung bußgeldbewehrter Verordnungen im Gesetz- und Verordnungsblatt erforderte, wurde durch Gesetz vom 27. April 2020 (GVBl. S. 236) mit Wirkung vom 1. Mai 2020 aufgehoben.
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3.2. Die Verordnungsbestimmung findet in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Bei der in Rede stehenden Verpflichtung, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, handelt es sich um eine grundsätzlich von der - nach vorläufiger Beurteilung ihrerseits mit höherrangigem Recht vereinbare - Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckte Schutzmaßnahme. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist umfassend und eröffnet dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird (BayVGH, B.v. 30.3.2020, 20 CS 20.611).
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Weiterhin steht außer Frage, dass die Tatbestandsvoraussetzung der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG - d.h. die Feststellung
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von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern
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- nach der aktuellen Risikobewertung des vom Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert-Koch-Instituts (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, abgerufen am 6.5.2020) und der aktuellen Situationsberichte (vgl. zuletzt den Bericht v. 5.5.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-05-de.pdf? blob=publicationFile) derzeit im ganzen Bundesgebiet und damit auch im Freistaat Bayern erfüllt sind. Das RKI schätzt das Risiko für die Bevölkerung weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Nach dem neuesten Situationsbericht vom 5. Mai 2020 wurden bezogen auf die Einwohnerzahl (Fälle pro 100.000 Einwohner) die höchsten Inzidenzen aus Bayern (330) gemeldet.
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3.3. Im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens kann nicht festgestellt werden, dass die Verpflichtung, in Ladengeschäften des Einzelhandels eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise in die Grundrechte der Antragsteller, namentlich das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) eingreift.
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a) Ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Antragsteller kann nach deren Darlegungen nicht festgestellt werden.
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Die körperliche Unversehrtheit meint die körperliche Integrität und die körperliche Ungestörtheit der Körpersphäre im biologisch-physiologischen Sinne, insbesondere den Schutz gegen die Hervorrufung von Krankheiten und Gebrechen (BVerfGE 56, 54/74). Geschützt ist des Weiteren das psychische Wohlbefinden, soweit es um körperlichen Schmerzen vergleichbare Wirkungen geht (vgl. BVerfGE 56, 54/75), etwa um die Verursachung psychisch-seelischer Pathologien. Im Übrigen wird das bloße Wohlbefinden nicht geschützt (Jarrass/Pieroth, Art. 2 GG Rn. 83).
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Diesen Maßstäben folgend stellt die Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, weder einen unmittelbaren Eingriff noch eine faktische Beeinträchtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gerade der Antragsteller dar. Die Antragsteller haben nicht substantiiert dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass es ihnen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar ist, eine einfache „Alltagsmaske“ zu tragen. Soweit auf wissenschaftliche Ausarbeitungen verwiesen wird, denen zufolge nach Anlegen einer normalen OP-Maske viel mehr ausgeatmetes CO₂ eingeatmet werde und es schon bei einem Zeitraum von lediglich 30 Minuten zu Müdigkeit, schnellerer Atmung, Herzunregelmäßigkeiten, Konzentrationsschwächen und schlechterer Feinmechanik komme, beziehen sich diese Erkenntnisse nach dem Kenntnisstand des Gerichts explizit auf die im medizinischen Bereich verwendeten mehrlagigen OP- und filtrierenden FFP-Masken (vgl. U. Butz, Dissertation „Rückatmung von Kohlendioxid bei Verwendung von Operationsmasken als hygienischer Mundschutz an medizinischem Fachpersonal“, München 2005, abrufbar unter https://mediatum.ub.tum.de/doc/602557/602557.pdf). Dafür, dass ein selbstgenähter Mundschutz zu einem erhöhten CO₂-Anteil im Blut des Trägers oder der Trägerin führen könne, gibt es hingegen nach dem Kenntnisstand des Gerichts keinerlei Erkenntnisse; auch die Antragsteller haben hierfür nichts dargelegt. Dem Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, … M* …, zufolge ist CO₂ ein Gas, das nicht im Stoff hängen bleibt. Mit jedem Atemzug komme wieder ausreichend frische, sauerstoffreiche Luft in die Lungen (vgl. z.B. https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/mundschutz-aufsetzen-tragen-reinigen-entsorgen-100.html).
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Soweit die Antragsteller ausführen, dass gerade bei Kindern wie der Antragstellerin zu 3. Die Gefahr eines unsachgemäßen Gebrauchs von Schutzmasken - beispielsweise durch zu langes Tragen oder unsachgemäßes Berühren - bestehe, was Infektionsrisiken berge, so wäre dies nicht unmittelbar auf den Staat als Grundrechtsverpflichteten, sondern auf ein Verhalten des Grundrechtsberechtigten zurückzuführen. Jedenfalls aber kann und sollte dem durch eine entsprechende Aufklärung der Bevölkerung entgegengewirkt werden. Auch bei (Schul-)Kindern ab dem siebten Lebensjahr erscheint dies nach Einschätzung des Gerichts durch entsprechende Anleitung der Erziehungsberechtigten möglich und erfolgversprechend, zumal die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nur in bestimmten Situationen besteht (in Geschäften des Einzelhandels sowie im öffentlichen Nahverkehr), die von zeitlich vorübergehender und eher kürzerer Dauer sind.
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Individuelle Umstände, die nahelegen, dass es den Antragstellern aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (z.B. chronische Atemprobleme, Schwerbehinderung etc.), wurden nicht dargelegt.
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b) Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt die verfassungsmäßige Ordnung dar, worunter alle Rechtsnormen zu verstehen sind, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen (Murswiek/Rixen in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 89). § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 der 3. BayIfSMV stellt voraussichtlich einen Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung dar, insbesondere wahrt er im Fall der Antragsteller das Gebot der Verhältnismäßigkeit, so dass der Eingriff in ihr Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und Entfaltung der Persönlichkeit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
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(1) die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes dient dem Ziel, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu verlangsamen bzw. einzudämmen und so eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Sie dient daher dem legitimen Ziel des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung.
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(2) Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist zumindest geeignet, diesen Zweck zu fördern. Nicht notwendig ist der Nachweis, dass der
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angegebene Zweck durch das eingesetzte Mittel vollständig erreicht wird; es genügt, dass das Mittel die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der angestrebte
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Erfolg zumindest teilweise eintritt (Grzeszick in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 GG, Abschnitt VII. Rn. 112). Dabei verfügt der Gesetzwie auch der Verordnungsgeber grundsätzlich über einen prognostischen Einschätzungsspielraum bei der Eignungsbeurteilung, wobei genügen kann, dass er seiner Entscheidung eine vertretbare Prognose zugrunde legt, sowie einen politischen Gestaltungsspielraum, wobei die Weite dieses Gestaltungsspielraums von den Eigenheiten der Sachmaterie, den Möglichkeiten der Urteilsbildung des Gesetzgebers und der Bedeutung der beeinträchtigten Rechtsgüter abhängt (Grzeszick in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 89. EL Oktober 2019, Art. 20 GG, Abschnitt VII. Rn. 122 m.w.N.). Als verfassungswidrig erweist sich eine Regelung nur, wenn sie offensichtlich oder schlechterdings ungeeignet ist (Grzeszick, ebd.).
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Nach dieser Maßgabe ist hier mit Blick auf die mit Ungewissheiten behaftete Lage von einem weiten Spielraum auszugehen, den der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise ausgefüllt haben dürfte.
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Unstreitig ist, dass ein einfacher, nicht zertifizierter Mund-Nasen-Schutz dem Träger selbst keinen sicheren Schutz vor Ansteckung bietet, weil einfache Stoffmasken nicht geeignet sind, Viren abzuhalten. Mit der Maßnahme greift der Antragsgegner indes primär eine Empfehlung des RKI auf (RKI, Epidemiologisches Bulletin, Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19. Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen (3. Update), online vorab am 14.4.2020, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_MNB.pdf? blob=publicationFile, abgerufen am 5.5.2020, S. 1). Zwar weist das RKI hinsichtlich der Eignung selbst darauf hin, dass eine Schutzwirkung bisher nicht wissenschaftlich belegt ist, hält eine solche aber für plausibel (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Nasen_Schutz.html, abgerufen am 5.5.2020; vgl. auch detaillierter: RKI, Epidemiologisches Bulletin, ebd.). Es sei zu vermuten (ohne dass es einen wissenschaftlichen Beleg gebe), dass selbst einfache Stoffmasken bei korrekter Anwendung geeignet sind, Tröpfchen des Trägers beim Sprechen, Husten und Niesen aufzufangen und andere so vor einer Infektion zu schützen. Deshalb könne selbst das Tragen einer Behelfsmaske bei bereits erkrankten Personen dazu geeignet sein, das Risiko der Ansteckung anderer Personen zu reduzieren. Angesichts des Umstandes, dass nicht jeder, der mit SARS-CoV-2 infiziert sei, dies auch bemerke, er aber trotzdem Erreger übertragen könne, könne das Tragen von Behelfsmasken das Übertragungsrisiko vermindern. Dies gelte insbesondere in öffentlichen Räumen, in denen der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann, z.B. ÖPNV, Lebensmittelgeschäfte oder auch am Arbeitsplatz. Hier könnten Behelfsmasken dazu beitragen, die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen. Außerdem könnten Behelfsmasken das Bewusstsein für „physical distancing“ und gesundheitsbewusstes Verhalten unterstützen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste.html).
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Entsprechend äußert sich auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Durch das Tragen einer nicht zertifizierten Maske könne die Geschwindigkeit des Atemstromes oder Tröpfchenauswurf beim Husten reduziert werden. Keinesfalls dürfe aber durch eine solche Nutzung die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsvorschriften ersetzt werden (vgl. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html). Eine textile Maske schütze jedenfalls mehr vor Tröpfcheninfektionen als überhaupt keine Maske (Hygienetipp der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. vom 29.3.2020, https://www.krankenhaushygiene.de/informationen/760).
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Zwar mag es unter der Vielzahl von wissenschaftlichen Meinungen zum neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 auch Stimmen geben, die die Wirksamkeit einer Mund-Nasen-Bedeckung gänzlich verneinen. Es ist allerdings nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner sich maßgeblich auf nachvollziehbare Meinungen einiger Wissenschaftler, darunter insbesondere des RKI, vgl. § 4 IfSG, stützt, solange er nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen ignoriert (vgl. VGH Kassel, B.v. 7.4.2020, 8 B 892/20.N, juris Rn. 49).
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Dem Einwand, der Träger einer nicht zertifizierten Maske könnte sich in einer falschen Sicherheit wiegen und die effektiveren Maßnahmen (Abstand, Hustenetikette, Handhygiene) vernachlässigen, lässt sich durch Aufklärung begegnen. Dies gilt ebenso im Hinblick auf die richtige Anwendung. Es ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ersichtlich, dass Gefahren, die durch eine „falsche“ Anwendung der Mund-Nasen-Bedeckung entstehen, die Eignung der Maßnahme vollständig aufheben. Zahlreiche Institutionen bieten Anleitungen zur Nutzung an. Auch der Antragsgegner selbst leistet in den Medien, insbesondere im Rundfunk und Internet, entsprechende Aufklärungsarbeit.
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(3) Die Maßnahme ist auch erforderlich; mildere und gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich. Insbesondere überzeugt vor dem Hintergrund der bestehenden Gefahreinschätzung des RKI (siehe oben) auch das Argument der Antragsteller nicht, es bräuchte mit Blick auf die bereits erlassenen Maßnahmen keiner weitergehenden Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.
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(4) Die Maßnahme ist schließlich auch angemessen. Dabei ist auf Seiten der Adressaten wie den Antragstellern zu berücksichtigen, dass sich die Maßnahme nicht als schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt. Zwar gehört das äußere Erscheinungsbild zur geschützten Privatsphäre. Zu beachten ist aber, dass das Verbot einerseits einen zeitlich eng begrenzten Geltungsbereich hat und andererseits in räumlicher Hinsicht auf wenige öffentliche Orte beschränkt ist, an denen man sich typischer Weise auch nur relativ kurze Zeit aufhält. Demgegenüber handelt es sich bei den Schutzgütern der Maßnahme um hochrangige Rechtsgüter. Die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems als wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge dient mittelbar der Gesundheit der Gesamtbevölkerung. Dabei entspringt ein möglichst weitgehender Gesundheits- und Lebensschutz auch einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG, B.v. 7.4.2020 - 1 BvR 755/20-, juris Rn. 11). In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht isoliert steht, sondern einen Baustein für Lockerungen der zuvor in ihrer Gesamtheit deutlich eingriffsintensiveren Beschränkungen von Freiheitsrechten darstellt.
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4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.