Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 11.08.2020 – Au 1 K 20.124
Titel:

Ausstellung eines Reiseausweises für eritreischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AufenthV § 5 Abs. 1
RL 2011/95/EU Art. 25
Leitsatz:
Aus der Stellung eines Ausländers als subsidiär Schutzberechtigter ergibt sich nicht pauschal die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Reisepasses. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eritreischer Staatsangehöriger, Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, Keine Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses, Eritrea, subsidiär Schutzberechtigter, Ermessen, Reiseausweis, Unzumutbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 28.12.2020 – 10 ZB 20.2157
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22617

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein eritreischer Staatsangehöriger, begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung des Beklagten, ihm einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
2
Er reiste am 24. Oktober 2014 in die Bundesrepublik ein und stellte am 11. Juni 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 26. Juli 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen aber ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Form von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung drohe.
3
Am 4. August 2016 beantragte der Kläger beim Landratsamt * die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge. Daraufhin wurde ihm am 9. August 2016 ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt, der bis zum 8. August 2017 gültig war. Zugleich wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die in der Folge regelmäßig verlängert wurde und derzeit bis zum 21. August 2020 gültig ist.
4
Am 25. Juli 2018 beantragte der Kläger die Verlängerung seines Reiseausweises. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2019 bat der Bevollmächtigte des Klägers das Landratsamt * ebenfalls, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer zu erteilen. Die Beschaffung eines eritreischen Nationalpasses sei für den Kläger unzumutbar. An die Botschaft seines Herkunftsstaates in der Bundesrepublik Deutschland könne er sich nicht wenden, weil dies für ihn viel zu gefährlich wäre. Nachdem das Bundesamt festgestellt habe, dass ihm vom eritreischen Staat ein ernsthafter Schaden drohe, könne von ihm nicht gefordert werden, mit Vertretern dieses Staates in Verbindung zu treten, um einen Pass zu erhalten.
5
Mit Schreiben vom 25. Juni 2019 teilte das Landratsamt * dem Bevollmächtigten des Klägers mit, dass dem Kläger als subsidiär Schutzberechtigten eine Vorsprache bei den nationalen Behörden zwecks Erlangung eines nationalen Passes nicht per se unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthV sei. Die die Unzumutbarkeit begründenden Umstände seien explizit darzulegen und nachzuweisen. Dem Kläger könne deshalb vorläufig nur ein Ausweisersatz ausgestellt werden.
6
Daraufhin führte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 9. Juli 2019 aus, dass in Eritrea nach wie vor tausende Menschen aus unterschiedlichen Gründen willkürlich inhaftiert würden. Auch Personen, die sich dem Militärdienst entzögen oder das Land verlassen wollten, gehörten dazu. Folter und andere Misshandlungen seien weit verbreitet. Der Kläger habe das Land illegal verlassen und noch keinen Wehrdienst abgeleistet. Er werde als Gegner der Regierung behandelt und müsste bei einer Rückkehr mit asylrechtsrelevanten Repressalien rechnen. Von ihm könne nicht gefordert werden, mit Vertretern seines Heimatstaates in Verbindung zu treten, um einen Pass zu erhalten. Nicht nur er, sondern auch seine Familienangehörigen im Heimatland Eritrea müssten in diesem Fall Repressalien befürchten.
7
Das Landratsamt * teilte mit Schreiben vom 6. August 2019 mit, dass es nicht ersichtlich sei, warum es dem Kläger nicht möglich sei, bei dem eritreischen Generalkonsulat in Berlin einen Reisepass zu beantragen. Nach derzeitig vorliegenden Informationen sei eine Reisepassausstellung in Berlin möglich. Den Antragstellern drohe keinerlei Gefahr. Sollte dies dennoch nicht möglich sein, so sei darüber ein Nachweis zu erbringen. Des Weiteren sei nach der derzeitigen Rechtsprechung die Vorsprache zur Passbeschaffung von einem subsidiär Schutzberechtigten nicht per se unzumutbar.
8
Am 31. Oktober 2019 ließ der Kläger eine Untätigkeitsklage erheben (Au 1 K 19.1852).
9
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 lehnte das Landratsamt * den Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es dem Kläger zumutbar sei, einen eritreischen Reisepass bei der eritreischen Botschaft in Berlin zu beantragen. Die vom Bevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Gründe zur Unzumutbarkeit stellten allgemeine Behauptungen dar und vermögten nicht, die Unzumutbarkeit im Einzelfall des Klägers zu belegen. Eine Unzumutbarkeit ergebe sich nicht aus der erfolgten Zuerkennung des subsidiären Schutzes. Eine dahingehende Bedeutung komme der Schutzgewährung als solcher nach dem geltenden Recht nicht zu. Da vom Kläger nicht die Rückkehr in sein Heimatland verlangt werde, sondern lediglich die Vorsprache bei der eritreischen Botschaft, treffe die Begründung der Unzumutbarkeit der Passbeschaffung nicht zu.
10
Das Klageverfahren (Au 1 K 19.1852) wurde mit Beschluss des Gerichts vom 20. Januar 2020 eingestellt, nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt hatten.
11
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 18. Dezember 2019 ließ der Kläger am 20. Januar 2020 Klage erheben. Für das Verfahren beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung seines Bevollmächtigten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Kläger die Beschaffung eines eritreischen Reiseausweises unzumutbar sei. Er sei vor seiner Ausreise aus Eritrea wegen Verdachts auf illegale Ausreise verhaftet und in ein Gefängnis gebracht worden. Dort habe man ihn misshandelt und geschlagen. Seine Familienangehörigen lebten noch in Eritrea. Würde er zum Zwecke der Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses bei seiner Heimatvertretung in der Bundesrepublik Deutschland vorsprechen, müssten nicht nur er, sondern auch seine Familienangehörigen in Eritrea Repressalien befürchten. Durch die Vorsprache würden der Aufenthalt des Klägers in Europa, die Asylantragstellung sowie auch der noch nicht abgeleistete Wehrdienst aktenkundig werden. Vorliegend sei zu würdigen, dass die Gefährdung bzw. Bedrohung, die zur Anerkennung des subsidiären Schutzstatus geführt habe, von staatlichen Akteuren ausgehe. Die Passerlangung erweise sich daher als definitiv unzumutbar. Das Ermessen der Ausländerbehörde sei auf Null reduziert, sodass dem Kläger ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer zustehe. § 5 Abs. 1 der Aufenthaltsverordnung sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass subsidiär Schutzberechtigten im Sinne der Qualifikationsrichtlinie in der Regel ein Reiseausweis für Ausländer zu erteilen sei, soweit nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstünden. Nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie stellten Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei und die keinen nationalen Pass erhalten könnten, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebietes aus. Die Richtlinie sehe somit einen Anspruch des Ausländers auf Ausstellung von Reisedokumenten vor, der an keine weiteren Voraussetzungen anknüpfe.
12
Der Kläger beantragt,
I.
13
Der Bescheid des Landratsamtes * - Ausländerbehörde - vom 18.12.2019, Gz.:, zugestellt am 20.12.2019, wird aufgehoben.
II.
14
Der Beklagte in Gestalt des Landratsamtes * (Ausländerbehörde) wird verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen,
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hilfsweise den Antrag des Klägers vom 13.6.2019 auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden.
16
Der Beklagte beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
18
Die Ablehnung des Antrags auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer sei rechtmäßig erfolgt. Eine Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, komme nur in Ausnahmefällen in Betracht und solch begründete Umstände seien vom Kläger darzulegen und nachzuweisen. Eine Unzumutbarkeit ergebe sich hier nicht aus der erfolgten Zuerkennung des subsidiären Schutzes. Gründe für eine Unzumutbarkeit seien nicht erbracht worden.
19
Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 lehnte das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ab.
20
Am 11. August 2020 fand in der Sache mündliche Verhandlung statt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
22
1. Gegenstand der Klage ist die begehrte Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer.
23
2. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, noch steht ihm ein Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer liegen beim Kläger nicht vor.
24
a) Nach § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass der Kläger einen Pass nicht auf zumutbare Weise erlangen kann.
25
aa) Die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Reisepasses ergibt sich zunächst nicht pauschal aus der Stellung des Klägers als subsidiär Schutzberechtigter (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 4). Welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen der Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang ist es einem subsidiär Schutzberechtigten auch unter Berücksichtigung von Art. 25 der Richtlinie 2011/95/EU und der intendierten Angleichung des subsidiären Schutzstatus an die Flüchtlingseigenschaft nicht von vornherein und per se unzumutbar, bei den nationalen Behörden zwecks Erlangung eines nationalen Passes vorzusprechen. Im Unterschied zu anerkannten Flüchtlingen stellt Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU für subsidiär Schutzberechtigte ausdrücklich darauf ab, dass die Ausstellung von Reisedokumenten nur dann zu erfolgen hat, wenn diese Personen keinen nationalen Pass erhalten können. Die Frage, ob die Vorsprache bei der Heimatvertretung einem Ausländer zugemutet werden darf, lässt sich dabei nicht allgemeingültig, sondern nur nach Maßgabe der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen. Im Grundsatz können aber nachweislich erfolglose Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses gefordert werden (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 9). Ebenfalls zu berücksichtigen ist hierbei aber, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalls etwa wegen einer Gefährdung von Verwandten in Eritrea und einer möglicherweise zu leistenden Aufbausteuer die Vorsprache bei einer Auslandsvertretung zum Zwecke der Passbeschaffung unzumutbar ist.
26
bb) Dies zugrunde gelegt, kann beim Kläger derzeit nicht angenommen werden, dass er nicht auf zumutbare Weise einen Pass erlangen kann. Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger - wie er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt hat - keinerlei Bemühungen oder Erkundigungen vorgenommen hat, um einen eritreischen Nationalpass zu erlangen. Er ist schlicht vollständig untätig geblieben. Weder ist er bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung in Berlin gewesen, noch hat er sich schriftlich dorthin gewandt. Verwandte oder einen Vertrauensanwalt im Heimatland hat er ebenfalls nicht beauftragt. So teilte er dem Gericht vielmehr mit, er habe noch keinerlei Schritte unternommen, um in den Besitz eines Passes zu gelangen. Hiervon ausgehend kann im Einzelfall des Klägers nicht angenommen werden, dass er einen eritreischen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen kann. Welche konkreten Bemühungen der Kläger hätte erfolglos unternehmen müssen, um von einer Unzumutbarkeit ausgehen zu können, kann vorliegend offenbleiben. Sein vollständiges Untätigbleiben genügt jedenfalls nicht. Denkbar wäre jedenfalls gewesen, dass der Kläger sich schriftlich an die eritreische Auslandsvertretung in Deutschland wendet oder sogar dort persönlich vorspricht. Ebenfalls in Betracht käme die Beauftragung von Verwandten oder zumindest der Versuch der Kontaktierung eines von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Asmara als zuverlässig bekannten Rechtsanwalts (siehe hierzu Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Asmara, Rechtsanwälte in Eritrea - Rk 521.01 - Stand: Februar 2010). Denn nach den aktuellen Erkenntnissen des Auswärtigen Amts können Personenstandsurkunden in Eritrea auch durch bevollmächtigte Personen (Verwandte, Bekannte, Rechtsanwälte) beschafft werden (Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 21.02.2020). Hinzu kommt, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amts Familienangehörige eines eritreischen Staatsangehörigen, die für ihn Personenstandsurkunden oder andere Unterlagen beschaffen, allein aufgrund dieser Tatsache nicht mit Repressalien zu rechnen haben und die Beauftragung eines Vertrauensanwalts in Eritrea zur Beschaffung von Dokumenten möglich und erfolgversprechend ist.
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3. Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Verfahrenskosten zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.