Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 17.08.2020 – M 10 K 19.5578
Titel:

Sondernutzungsgebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen – Anforderungen an die Rechtsbehelfsbelehrung – Mindestgebühr lautet auf DM-Betrag

Normenketten:
VwGO § 58 Abs. 2
SNGS § 2 Abs. 1
BayAGVwGO § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Sind verschiedene Rechtsbehelfe, wie eine Klage zum Verwaltungsgericht und die Einlegung einess Widerspruchs (hier: gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayAGVwGO), gegen eine Entscheidung statthaft, ist über sämtliche Rechtsbehelfe zu belehren. Wird in der Rechtsbehelfsbelehrung lediglich auf einen Rechtsbehelf hingewisen, ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig iSv § 58 Abs. 2 VwGO, sodass die Jahresfrist gilt. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Trotz fehlender Festlegung (hier: in einer Sondernutzungsgebührensatzung) der Mindestgebühr in Euro (hier: die Mindestgebühr lautete aud einen DM-Betrag) ist diese aufgrund des fixen Umrechnungsfaktors von D-Mark zu Euro hinreichend bestimmt; die Höhe von 5 DM ist auch nicht unangemessen hoch. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Formulierung „pro Auto“ (hier: in einer Sondernutzungsgebührensatzung) ist bei sachgerechter Auslegung dahingehend zu verstehen, dass für die Berechnung der Gebühr bei Veranstaltungen oder Aufführungen die Anzahl der auf der Veranstaltung oder bei der Aufführung (zweckgebunden) eingesetzten und abgestellten Autos, nicht beispielsweise diejenige von Fahrzeugen, die die Veranstaltung beliefern, oder von parkenden Autos der Besucher maßgeblich ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dass es möglicherweise im konkreten Fall im Hinblick auf das Ausmaß der Sondernutzung eines Street Food Festivals angemessener wäre, bei der Ermittlung der Gebührenhöhe auf die in Anspruch genommene Quadratmeterfläche des öffentlichen Raums abzustellen, ist zwar sachlich nachvollziehbar, lässt sich aber mit dem Wortlaut des vorliegenden Gebührenverzeichnis nicht vereinbaren. Die Vorschrift stellt explizit nur auf die Maßeinheit „pro Auto“ ab. Da vorliegend bei der Veranstaltung tatsächlich Autos eingesetzt worden sind, ist diese Vorschrift einschlägig. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sondernutzungsgebühren, Jahresfrist für Klageerhebung, Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung:, Mindestgebühr, Höhe der Gebührenschuld, Berechnung, Bescheid, Gemeingebrauch, Gerichtsbescheid, Sondernutzung, Veranstaltung, Verkauf, fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung, Rechtsbehelfsbelehrung, Jahresfrist, Gebühr, Straßenrecht, Fläche, Auto
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22608

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2019 wird insoweit aufgehoben, als eine Sondernutzungsgebühr über 160 EUR hinaus festgesetzt worden ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 1/12, die Beklagte 11/12 zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Sondernutzungsgebühren durch die Beklagte.
2
Die Beklagte erhebt für Sondernutzungen an ihren öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen Sondernutzungsgebühren auf Grundlage ihrer Satzung über die Erhebung von Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichem Verkehrsraum (Sondernutzungsgebührensatzung - SNGS) vom 15. Februar 2001. Nach § 2 Abs. 1 SNGS bemisst sich die Höhe der Gebühr nach dem der Satzung als Anlage beigefügten Gebührenverzeichnis. Nach Nr. 1a Sondernutzungsgebührenverzeichnis (Stand: 12.3.2010) beträgt die Gebühr für das Aufstellen von Baugerüsten, Bauhütten und Baucontainern sowie die Lagerung von Baustoffen und Materialien aller Art pro Quadratmeter Bodenfläche und Woche 1 EUR. Gemäß Nr. 8 und Nr. 10 Gebührenverzeichnis ist für Warenausstellungs- und Warenverkaufsvorrichtungen sowie für sonstige Verkaufsstände eine monatliche Gebühr in Höhe von 5 EUR pro angefangenen Quadratmeter festgelegt. Nach Nr. 11 Gebührenverzeichnis ist für „Veranstaltungen, Aufführungen, z.B. Autoausstellung“ pro Auto eine Gebühr von 10 EUR vorgesehen. Bei Sondernutzungen, die nicht im Gebührenverzeichnis aufgeführt sind, bemessen sich die Gebühren nach § 2 Abs. 2 SNGS im Einzelfall nach Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch sowie nach dem wirtschaftlichen Interesse des Gebührenschuldners. Gemäß § 2 Abs. 5 SNGS beträgt die Mindestgebühr „5 DM“.
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Unter dem 22. Mai 2019 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Erlaubnis für die Durchführung einer Veranstaltung auf öffentlicher Verkehrsfläche nach § 29 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung für ein Street Food Festival 2019/Schlemmerfest im Zeitraum vom 31. Mai bis 2. Juni 2019 auf einer Teilfläche des …platzes im Stadtgebiet der Beklagten. In der Erlaubnis sind bei der voraussichtlichen Zahl der Teilnehmer 25 Fahrzeuge, 5.000 Personen und 25 Trucks angegeben. Der Erlaubnis war ein Plan vom 22. Mai 2019 beigefügt, in dem die genehmigte Veranstaltungsfläche mit 1.560,75 m² eingezeichnet war.
4
Mit Erlaubnis- und Gebührenbescheid vom 13. Juni 2019 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Sondernutzungserlaubnis für die „Durchführung der Veranstaltung Street Food Festival 2019“ gemäß der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung vom 22. Mai 2019. Für die Sondernutzung wurde im Bescheid eine Gebühr in Höhe von 2.000 EUR festgesetzt. Als Berechnungsgrundlage wurde ein Gebührensatz von 1 EUR pro Quadratmeter Bodenfläche und Woche herangezogen, wobei angenommen wurde, dass der …platz mit 2.000 m² in Anspruch genommen wurde. In der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:wird darauf hingewiesen, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage bei dem Verwaltungsgericht München schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts erhoben werden könne. Es bestehe keine Möglichkeit, gegen diesen Bescheid Widerspruch einzulegen.
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Mit E-Mail vom 3. August 2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass ihm der Erlaubnis- und Gebührenbescheid vorliege. Die festgesetzte Gebühr sei viel zu hoch und unwirtschaftlich. Bei der Veranstaltung seien lediglich 1.100 m² des Viehmarktplatzes in Anspruch genommen worden. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 ergänzte der Kläger, dass nach der Sondernutzungsgebührensatzung bei Veranstaltungen lediglich pauschal 10 EUR pro Fahrzeug zu zahlen seien. Daraus ergebe sich vorliegend bei 14 Fahrzeugen (Foodtrucks) eine Gebühr von maximal 140 EUR. Er bitte um Korrektur des Gebührenbescheids.
6
Mit E-Mail vom 9. Oktober 2019 verwies die Beklagte darauf, dass für die Veranstaltung per verkehrsrechtlicher Anordnung vom 22. Mai 2019 eine Fläche von knapp unter 2.200 m² für den Kläger reserviert worden sei. Dies ergebe sich aus der Anlage zu diesem Bescheid. Diese Fläche sei vom Kläger auch tatsächlich in Anspruch genommen worden. In der Anordnung sei darauf hingewiesen worden, dass für diese Fläche eine Sondernutzungsgebühr berechnet werde.
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Der Kläger hat mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 11. November 2019, Klage gegen diesen Bescheid erhoben und beantragt,
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den Bescheid zu korrigieren.
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Zur Begründung wird ausgeführt, die tatsächlich beim Street Food Festival 2019 genutzte Fläche habe nur 1.139,31 m² betragen. In der verkehrsrechtlichen Anordnung sei von der Beklagten eine Fläche von 1.560,75 m² zugrunde gelegt worden; im Gebührenbescheid seien jedoch 2.000 m² angesetzt worden. In der Gebührensatzung sei unter keinem Punkt, der auf die Veranstaltung zutreffe, eine Gebühr von 1 EUR pro Quadratmeter erwähnt. Nr. 1a Gebührenverzeichnis beziehe sich auf Baustellen u.ä. und sei vorliegend nicht einschlägig. Nr. 11 Gebührenverzeichnis gelte eindeutig für Veranstaltungen und Aufführungen. Da 16 Fahrzeuge vor Ort gewesen seien, dürften auch nur Gebühren in Höhe von 160 EUR erhoben werden. Ferner werde beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da der Gebührenbescheid den Kläger aufgrund des Firmenumzugs und eines eingerichteten Nachsendeauftrags erst verspätet erreicht habe.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 30. Januar 2020 sinngemäß,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage gegen den Gebührenbescheid sei bereits verfristet, da der Kläger den Bescheid ausweislich seiner E-Mail vom 3. August 2019 bereits zu diesem Zeitpunkt erhalten habe. Hinsichtlich der Höhe der Gebühr habe die Beklagte den ortsüblichen Satz von 1 EUR pro Quadratmeter herangezogen (Nr. 1a Gebührenverzeichnis). Dieser Satz sei in der Vergangenheit auch anderen Veranstaltern auferlegt worden (z.B. beim Bierfestival). Der Kläger dürfe nicht besser behandelt werden als andere.
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Mit Beschluss vom 20. Februar 2020 (Az. M 10 S 19.5599) hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13. Juni 2019 insoweit angeordnet, als im Bescheid eine Sondernutzungsgebühr über 160 EUR hinaus festgesetzt worden ist. Im Übrigen ist der Antrag abgelehnt worden. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2020 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass es u.a. entscheidungserheblich darauf ankomme, ob die im Rahmen des Street Food Festivals 2019 aufgestellten Fahrzeuge, insbesondere die Foodtrucks, als Autos im Sinne von Nr. 11 Gebührenverzeichnis anzusehen seien. Die Parteien haben Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Frage erhalten; der Kläger ist gebeten worden, dem Gericht Lichtbilder der aufgestellten Fahrzeuge/Foodtrucks vorzulegen.
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Daraufhin hat der Kläger unter dem 12. Mai 2020 Lichtbilder von Foodtrucks übermittelt und darauf verwiesen, dass Foodtrucks als Fahrzeuge anzusehen seien. Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 27. Mai 2020 dahingehend geäußert, dass die Foodtrucks als Warenverkaufsvorrichtungen zu beurteilen seien, da sie nicht zu Ausstellungszwecken, sondern zum Verkauf von Speisen und Getränken aufgebaut worden seien. Zusätzlich seien Flächen für Biertischgarnituren und eine Bühne geplant gewesen. Auf den beigefügten Zeitungsbericht zur Veranstaltung vom 16./17. Februar 2019 werde verwiesen. Bei der Berechnung der Sondernutzungsgebühren sei die Veranstaltung nicht eindeutig einer Ziffer des Gebührenverzeichnisses zuzuordnen gewesen. Bei vergleichbaren Veranstaltungen sei bisher immer Nr. 1a Gebührenverzeichnis angewandt worden. Dieser Gebührensatz sei der Beklagten günstiger als die Heranziehung von Nr. 10 Gebührenverzeichnis erschienen. Da im Stadtgebiet der Beklagten in der Vergangenheit nicht sehr oft Veranstaltungen privater Anbieter auf öffentlichen Flächen stattgefunden hätten, gebe es keinen eigenen Gebührensatz für Veranstaltungen dieser Art. 
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Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 19. Juni 2020, zugestellt jeweils am 25. Juni 2020, zur beabsichtigten Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 S 19.5599, sowie die vorgelegte Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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2. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
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a) Die Klage ist zulässig; insbesondere ist sie innerhalb der Klagefrist erhoben worden.
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Im vorliegenden Fall gilt abweichend von der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da die Rechtsbehelfsbelehrung:zum Bescheid vom 13. Juni 2019 hinsichtlich der festgesetzten Sondernutzungsgebühr unrichtig war.
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Sind - wie hier - verschiedene Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung statthaft, ist über sämtliche Rechtsbehelfe zu belehren (vgl.: Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 8; Kimmel in BeckOK VwGO, 52. Ed. 1.1.2020, § 58 Rn. 13 jew. m.w.N.). Dies ist vorliegend unterblieben. In der Rechtsbehelfsbelehrung:wurde lediglich auf die Möglichkeit hingewiesen, Klage zum Verwaltungsgericht München zu erheben. Auf die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Ausführungsgesetz zur VwGO bei der Erhebung von Kommunalabgaben daneben bestehende Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs wurde nicht verwiesen; diese wurde vielmehr ausgeschlossen.
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Da dieser Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung:bereits dazu führt, dass diese als unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO anzusehen ist, kommt es vorliegend nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, dass nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einlegung der Klage hingewiesen worden ist (für eine Entbehrlichkeit eines derartigen Hinweises: Kimmel, a.a.O., Rn. 19).
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Die Jahresfrist war im Zeitpunkt der Erhebung der Klage am 11. November 2019 offensichtlich noch nicht verstrichen. Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurfte es demgemäß nicht.
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b) Die Klage ist insoweit begründet, als im Bescheid vom 13. Juni 2019 eine Sondernutzungsgebühr über 160 EUR hinaus festgesetzt worden ist. Der angegriffene Bescheid ist insofern rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er war daher insoweit aufzuheben. Im Übrigen war die Klage abzuweisen, da sie unbegründet ist. Der streitgegenständliche Bescheid ist ansonsten rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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aa) Rechtsgrundlage für die Erhebung der Sondernutzungsgebühren ist die Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten vom 15. Februar 2001.
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Zweifel an der Gültigkeit der Rechtsgrundlage sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
28
(1) Insbesondere ist die Erhebung einer Mindestgebühr in § 2 Abs. 5 SNGS im Umkehrschluss zu Art. 8 Abs. 2 Satz 3 HS. 2 Kommunalabgabengesetz grundsätzlich zulässig (so im Ergebnis auch: BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 8 ZB 14.2702 - BeckRS 2016, 40058). Trotz fehlender Festlegung der Mindestgebühr in Euro ist diese aufgrund des fixen Umrechnungsfaktors von D-Mark zu Euro hinreichend bestimmt; die Höhe von 5 DM ist auch nicht unangemessen hoch.
29
(2) Der Umstand, dass Nr. 11 Gebührenverzeichnis eine Regelung enthält, die aufgrund ihres geringen Anwendungsbereichs weitgehend leerläuft, führt auch nicht zur Teilnichtigkeit dieser entscheidungserheblichen Regelung.
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Nach Nr. 11 Gebührenverzeichnis ist für „Veranstaltungen, Aufführungen, z.B. Autoausstellung“ pro Auto eine Gebühr von 10 EUR vorgesehen.
31
Die Formulierung „pro Auto“ ist bei sachgerechter Auslegung dahingehend zu verstehen, dass für die Berechnung der Gebühr bei Veranstaltungen oder Aufführungen die Anzahl der auf der Veranstaltung oder bei der Aufführung (zweckgebunden) eingesetzten und abgestellten Autos, nicht beispielsweise diejenige von Fahrzeugen, die die Veranstaltung beliefern, oder von parkenden Autos der Besucher maßgeblich ist. Denn nur dieses Verständnis trägt dem Charakter der Sondernutzungsgebühren, die für die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraums außerhalb des Widmungszwecks für den Verkehr erhoben werden, Rechnung. Beliefern und Parken unterfallen grundsätzlich dem Gemeingebrauch; sie sind damit nicht als Sondernutzung anzusehen und nicht sondernutzungsgebührenfähig. Zudem ist angesichts des gewählten Beispiels „Autoausstellung“ davon auszugehen, dass der Satzungsgeberin diese Art von Veranstaltung bei der Formulierung der Maßeinheit „pro Auto“ vor Augen stand. Bei einer Autoausstellung ist es für die Bemessung des Ausmaßes der Sondernutzung gerade sinnvoll, auf die Anzahl der ausgestellten und damit für die Veranstaltung (zweckgebunden) eingesetzten Autos abzustellen.
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Durch diese Maßeinheit ist der Anwendungsbereich von Nr. 11 Gebührenverzeichnis jedoch stark eingeschränkt. Zwar ist der Sondernutzungstatbestand durch die Formulierung „Veranstaltungen, Aufführungen“ grundsätzlich weit gefasst; die Autoausstellung ist nur als beispielhafte Veranstaltung aufgeführt. Aber diese Sondernutzungstatbestände werden durch die ausschließlich gewählte Maßeinheit „pro Auto“ erheblich begrenzt, da keine alternative Maßeinheit zur Berechnung der Gebühr für den Fall geregelt ist, dass bei der Veranstaltung oder Aufführung kein Auto eingesetzt wird.
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Diese erhebliche Einschränkung der Anwendbarkeit der Regelung in Nr. 11 Gebührenverzeichnis bewirkt nicht deren Unwirksamkeit, da es - wie der vorliegende Fall zeigt - einen Anwendungsbereich gibt, mag dieser auch gering sein. Denn in den Fällen einer Veranstaltung, Aufführung oder (gerade auch der beispielhaft genannten) Autoausstellung, bei der mindestens ein Auto (zweckgebunden) eingesetzt wird, kann auf die Maßeinheit „pro Auto“ abgestellt werden. Ob in den Fällen von Veranstaltungen oder Aufführungen, in denen kein Auto verwendet wird, dann der Auffangtatbestand des § 2 Abs. 2 SNGS greift oder in diesen Fällen keine Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Gebühr besteht, weil sich wegen fehlender Maßeinheit in der speziellen, aber grundsätzlich einschlägigen Gebührenregelung in Nr. 11 Gebührenverzeichnis ein Rückgriff auf den allgemeinen Auffangtatbestand in § 2 Abs. 2 SNGS verbietet, kann an dieser Stelle offenbleiben.
34
bb) Der Bescheid ist jedoch insoweit materiell rechtswidrig, als eine Sondernutzungsgebühr über 160 EUR hinaus festgesetzt worden ist. Im Übrigen ist er formell und materiell rechtmäßig.
35
(1) Im konkreten Fall ergibt sich eine Gebührenhöhe von 160 EUR auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 SNGS i.V.m. Nr. 11 Gebührenverzeichnis.
36
Nach § 2 Abs. 1 SNGS bemisst sich die Höhe der Gebühr nach dem der Satzung als Anlage beigefügten Gebührenverzeichnis. Bei Sondernutzungen, die nicht im Gebührenverzeichnis aufgeführt sind, bemessen sich die Gebühren nach § 2 Abs. 2 SNGS im Einzelfall nach Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch sowie nach dem wirtschaftlichen Interesse des Gebührenschuldners.
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Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist § 2 Abs. 1 SNGS i.V.m. Nr. 1a Gebührenverzeichnis nicht einschlägig, da es bei dem Street Food Festival nicht um das Aufstellen von Baugerüsten, Bauhütten oder Baucontainern oder die Lagerung von Baustoffen oder Materialien geht.
38
Das Street Food Festival kann auch nicht unter Nr. 8 oder Nr. 10 Gebührenverzeichnis eingeordnet werden, da hierfür nicht lediglich Warenverkaufsvorrichtungen (Nr. 8) oder Verkaufsstände (Nr. 10) aufgebaut worden sind. Zwar führt die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 27. Mai 2020 zutreffend an, dass an den Foodtrucks Speisen und Getränke verkauft worden seien. Aber die Abgabe von Speisen und Getränken an den Foodtrucks darf bei einem Street Food Festival nicht isoliert betrachtet und bewertet werden.
39
In einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls sowie unter Berücksichtigung des Charakters des Street Food Festivals ist dieses vielmehr als Veranstaltung im Sinne von Nr. 11 Gebührenverzeichnis anzusehen. Die Beklagte selbst ist zunächst von einer Veranstaltung ausgegangen, da sie am 22. Mai 2019 eine Veranstaltungserlaubnis erteilt sowie das Street Food Festival im angefochtenen Gebührenbescheid als Veranstaltung bezeichnet hat. Hinzu kommt, dass nach dem unbestrittenen Sachvortrag des Klägers sowie dem von der Beklagten vorgelegten Zeitungsartikel vom 16./17. Februar 2019 für das Street Food Festival neben den Foodtrucks eine Bühne, ein Trampolin, ein Zelt, Bars sowie Biertische und -bänke aufgebaut worden sind. Nach dem Zeitungsartikel sollte das Street Food Festival ein Fest für die ganze Familie mit Auftritten von Bands und mit Kinderbespaßung sein. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sollte das Street Food Festival nicht nur dem Verkauf von Speisen und Getränken an den Foodtrucks dienen. Vielmehr war es - wie die Bezeichnung als Street Food Festival bereits nahelegt - eine Veranstaltung in Form eines Fests, bei dem sich die Besucher nicht nur Speisen und Getränke kaufen, sondern diese auch auf Sitzgelegenheiten vor Ort verzehren, sich aufhalten und dabei die Konzerte hören sowie die Angebote für Kinder in Anspruch nehmen konnten.
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Auf das damit grundsätzlich von den Sondernutzungsgebührentatbeständen der Nr. 11 Gebührenverzeichnis erfasste Street Food Festival findet auch die dort gewählte Maßeinheit „pro Auto“ Anwendung. Die Foodtrucks sind als Autos im Sinne von Nr. 11 Gebührenverzeichnis anzusehen.
41
Ein Automobil, kurz Auto, ist ein mehrspuriges Kraftfahrzeug (also ein von einem Motor angetriebenes Straßenfahrzeug), das zur Beförderung von Personen (Personenkraftwagen und Bus) oder Frachtgütern (Lastkraftwagen) dient. Umgangssprachlich werden mit dem Begriff Auto meist Fahrzeuge bezeichnet, deren Bauart überwiegend zur Personenbeförderung bestimmt ist und die mit einem Automobil-Führerschein auf öffentlichem Verkehrsgrund geführt werden dürfen (vgl. hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Automobil - abgerufen am 17.8.2020).
42
Wenn man die umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs beiseite lässt, ist der Begriff „Auto“ recht weit zu verstehen. Hiervon ausgehend sind die beim Street Food Festival eingesetzten Foodtrucks als Autos im Sinne von Nr. 11 Gebührenverzeichnis einzuordnen. Hinzu kommt, dass die Foodtrucks nach den vorgelegten Lichtbildern - anders als es ihre Bezeichnung vermuten lässt - keine Lastkraftwagen, sondern eher kleine Busse oder Transporter sind.
43
Da nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers in der Klageschrift tatsächlich 16 Foodtrucks auf dem Festival eingesetzt waren, errechnet sich bei Zugrundelegung des Gebührensatzes von 10 EUR pro Auto gemäß Nr. 11 Gebührenverzeichnis eine Gebühr von 160 EUR. Dem steht nicht entgegen, dass in der verkehrsrechtlichen Anordnung von voraussichtlich 50 teilnehmenden Fahrzeugen ausgegangen wird. Bei der Berechnung der Gebühr kommt es auf die tatsächliche Inanspruchnahme an; nach Aktenlage und unbestrittenem Sachvortrag des Klägers waren 16 Fahrzeuge vor Ort.
44
Dass es möglicherweise im konkreten Fall - wie die Beklagte meint - im Hinblick auf das Ausmaß der Sondernutzung eines Street Food Festivals angemessener wäre, bei der Ermittlung der Gebührenhöhe auf die in Anspruch genommene Quadratmeterfläche des öffentlichen Raums abzustellen, ist zwar sachlich nachvollziehbar, lässt sich aber mit dem Wortlaut von Nr. 11 Gebührenverzeichnis nicht vereinbaren. Die Vorschrift stellt explizit nur auf die Maßeinheit „pro Auto“ ab. Da vorliegend bei der Veranstaltung tatsächlich Autos eingesetzt worden sind, ist diese Vorschrift einschlägig. Dass diese Norm in Fällen von Veranstaltungen, bei denen keine Autos eingesetzt werden, - wie bereits dargelegt - mangels Regelung einer alternativen Maßeinheit leerläuft, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.
45
Nachdem die spezielle Regelung in § 2 Abs. 1 SNGS i.V.m. Nr. 11 Gebührenverzeichnis hier greift, verbietet sich ein Rückgriff auf die generellere Vorschrift in § 2 Abs. 2 SNGS, nach der im Einzelfall auf Art und Ausmaß der Sondernutzung und damit unter Umständen auch auf die in Anspruch genommene Quadratmeterfläche abzustellen wäre.
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(2) Im Hinblick auf die Festsetzung einer Sondernutzungsgebühr von 160 EUR ist die Erhebung rechtmäßig. Die Voraussetzungen von Gebührengegenstand, Gebührenschuldnerschaft, Entstehen und Fälligkeit der Gebührenschuld sind insoweit gegeben, §§ 1 Satz 1, 5 Abs. 1 Nr. a), 6 Abs. 1 Alt. 2 SNGS.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat nach dem Ausmaß seines Unterliegens (160 EUR von 2.000 EUR) 1/12, die Beklagte 11/12 der Verfahrenskosten zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.