Titel:
Schadensersatzansprüche des berechtigten Besitzers einer bei ihrem Betrieb entgleisten Vorspannlok
Normenketten:
BGB § 249, § 278, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 831, § 858
HPflG § 1
ZPO § 32
Leitsätze:
1. Die bei ihrem Betrieb entgleisende Lokomotive stellt keine andere Sache im Sinne des § 1 HPflG dar; die an ihr eingetretene Beschädigung wird nicht vom Schutzzweck des § 1 HPflG erfasst. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der berechtigte Besitz ist ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (vgl. nur BGH BeckRS 9998, 3165). (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Falle einer Verletzung des berechtigten Besitzes ist dem Verletzten als Schaden grundsätzlich dasjenige zu ersetzen, was ihm durch den Eingriff in seine berechtigte Besitzposition entgangen ist, regelmäßig also die Möglichkeit zur Nutzung der Sache (vgl. BGH BeckRS 9998, 3165). Ersatzfähig sein können aber auch ein Haftungsschaden (vgl. BGH BeckRS 1976, 30401150) und ein Erfüllungsschaden (vgl. BGH NJW 1984, 2569). (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Abgrenzung zwischen einem Rechtsverhältnis und einem Gefälligkeitsverhältnis besteht im Vorliegen eines Rechtsbindungswillens, der aus den Umständen und insbesondere aus der Sicht des Leistungsempfängers zu erschließen ist. Von Bedeutung sind dabei vor allem Art und Zweck der Gefälligkeit, erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, eigenes wirtschaftliches oder rechtliches Interesse des Gefälligen oder ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko (vgl. nur BGH BeckRS 2012, 14990 Rn. 14). (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eisenbahnunfall, Schutzzweck, Besitz, sonstiges Recht, Haftungsschaden, Erfüllungsschaden, Nutzungsschaden, Gefälligkeitsverhältnis, Rechtsbindungswille, doppelrelevante Tatsache
Fundstellen:
TranspR 2021, 35
RdTW 2021, 323
BeckRS 2020, 22525
LSK 2020, 22525
Tenor
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 139.857,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, hiervon bezüglich der Beklagten zu 1) auf einen Teilbetrag in Höhe von 71.698,59 € seit dem 26.09.2015 sowie auf den Restbetrag seit 29.04.2016 und bezüglich der Beklagten zu 2) auf den Gesamtbetrag seit dem 24.09.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.084,40 € an vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.04.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis am Güterbahnhof in P. geltend.
2
Die Klägerin war als Eisenbahnverkehrsunternehmen im Gütertransport auf der Schiene tätig. In diesem Zusammenhang mietete sie von der ... mehrere Triebfahrzeuge an. Bei einem der Triebfahrzeuge handelt es sich um den Triebfahrzeugtyp Vectron DAHU mit der Nummer 193-219. Die Beklagte zu 1) führt als Eisenbahnverkehrsunternehmen ebenfalls Gütertransporte auf der Schiene durch und bedient sich dabei sowohl eigener als auch fremder Triebfahrzeuge. Auch bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um ein Eisenbahnverkehrsunternehmen.
3
Am 05.03.2015 kam es gegen 20:15 Uhr im Bereich des Güterbahnhofs in P. zu einer Entgleisung des Triebfahrzeugs Nummer 193-219. Das streitgegenständliche Triebfahrzeug Nummer 193-219 war dabei als Vorspannlok des Zugs Nummer 41130 eingesetzt, um so plangemäß zum Bahnhof P. verbracht und dort hinterstellt zu werden.
4
Die Klägerin stand hierzu im Vorfeld in Kontakt mit der Beklagten zu 2). Diese sollte das später verunfallte Triebfahrzeug nach P. befördern. Die Klägerin und die Beklagte zu 2) stehen schon seit Jahren miteinander in Geschäftsbeziehung und schlossen auch förmliche Verträge über Transportleistungen dergestalt miteinander, dass bei Anfragen förmliche Angebote abgegeben wurden und sodann eine Auftragsbestätigung per E-Mail oder mündlich erfolgte. Hintergrund war, dass die Klägerin selbst die Strecken in Österreich nicht fuhr und für die Fahrt durch Österreich von Grenze zu Grenze bis nach P. bei der Beklagten zu 2) anfragte, ob diese eine Möglichkeit sah, einzelne Züge zurück zu überstellen. So fragte die Klägerin auch am 27.02.2015 bei der Beklagten zu 2) an, ob diese eine Lok der ... von Ungarn (He.) nach P. bzw. Emmerich schleppen könne. Die Beklagte zu 2) fand daraufhin die Beklagte zu 1), welche eine Möglichkeit hatte, die Lok der Klägerin mitzunehmen. Wie in der Vergangenheit auch geschah dies in der Praxis in der Weise, dass die jeweilige Lok als Vorspannlok mitgeschleppt bzw. angehängt wurde. Die Beklagte zu 1) fragte sodann nach, ob die Lok nur „kalt“ geschleppt werden sollte, das heißt ob sie keine Leistung abgibt oder ob sie auch zur Leistungsabgabe genutzt werden könne. Dies beantwortete die Klägerin dahingehend, dass sie aktiv genutzt werden könne. Sie sollte dann in P. gegen 20.00 auf einem Ersatzgleis des sog. Österreichstutzens abgestellt werden. Ein Entgelt wurde weder mit der Beklagten zu 1) noch mit der Beklagten zu 2) vereinbart und auch nicht gezahlt. Es war vereinbart, dass die Beklagte zu 1) die Lok aktiv nutzen durfte. Trassen und Strom sollten ebenfalls auf ihre Kosten laufen.
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Der Lokführer der Beklagten zu 1) steuerte im weiteren Verlauf den Zug Nummer 41130 über das Gleis 323 in die Einfahrt des Güterbahnhofs P.. Hierbei konnte das vordere Drehgestell noch normal in das vorgesehene Gleis laufen, danach stellte sich die Zungenschiene aber entsprechend um, sodass das hintere Drehgestell in die Ablenkung lief und es zu einer Entgleisung kam. Zur Bergung sollte die Lok sodann unter Zuhilfenahme hydraulischer Wagenheber angehoben und dann Richtung Gleis geschoben werden, bis diese die Schienen wieder erreichte. Anschließend sollte sie auf diese abgelassen werden. Jedoch geriet vorliegend der hydraulische Wagenheber bei der Bergung in Schräglage, sodass dieser seitlich umstürzte. Dies führte dazu, dass die Lok (Gewicht ca. 80 t) noch einmal ins Gleisbett stürzte. Die Bergungsarbeiten fanden zur Nachtzeit statt, also bei Dunkelheit. In der am 05.03.2015 um 20:39 per E-Mail an die Klägerin von der Beklagten zu 1) übersandten Entgleisungsmeldung hieß es: „Tfzf Tomic ist in PASSAU mit dem steirischen Tfz 193.219 (entgleist). (...) Das Signal zeigt „Sperrsignal“ an“.
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Es kam zu einem Schaden an dem streitgegenständlichen Triebfahrzeug Nummer 193-219. Der von der Klägerin an ... zu entrichtende monatliche Mietzins für das beschädigte Triebfahrzeug betrug zu dieser Zeit 37.000 € netto. Die Klägerin musste trotz der Beschädigung diesen Mietzins weiter entrichten. Die Klägerin ließ das Triebfahrzeug von P. in die Werkstatt nach Linz überführen. Die Vorbereitung der Überführung erfolgte am 11.03.2015 und 12.03.2015 durch den Wagenmeister vor Ort, die Überführung selbst erfolgte anschließend am 12.03.2015. Die Instandsetzung des beschädigten Triebfahrzeugs erfolgte auf Kosten einer All Risk Versicherung, welche die Eigentümerin des Triebfahrzeugs ... auf eigene Rechnung abgeschlossen hatte. Das Drehgestell des Triebfahrzeugs wurde ebenfalls bei dem Unfall beschädigt. Die vorgenannte Versicherung übernahm auch die Kosten dieses Drehgestells, jedoch musste die Klägerin einen Expresszuschlag in Höhe von 60.000,00 € für die schnelle Lieferung des Drehgestells bezahlen, da die Kosten einer Express-Bestellung nicht von der Versicherung abgedeckt waren. Der Betrag wurde der Klägerin von ... in Rechnung gestellt und sodann von ihr bezahlt. Gemäß Ziffer 12.1.3 des Rahmenmietvertrags zwischen ... und der Klägerin betrug der im Falle eines Schadensereignisses von der Klägerin zu zahlende Selbstbehalt 10.000 €. Dieser wurde der Klägerin von ... ebenfalls in Rechnung gestellt und anschließend vertragsgemäß von ihr beglichen. Mit Schreiben vom 12.03.2015 meldete die Klägerin bei der Beklagten zu 1) einen Ersatzanspruch für die entstandenen Schäden an. Da die Beklagte zu 1) hierauf nicht reagierte, wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragt. Mit Schreiben vom 11.09.2015 wurde die Beklagte zu 1) daher unter Fristsetzung bis zum 25.09.2015 aufgefordert, den aufgrund der Entgleisung entstandenen Schaden zu ersetzen. Eine Zahlung erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 12.09.2016 forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 23.09.2016 auf, für die entstandenen Schäden aufzukommen. Eine Zahlung erfolgte nicht. Für ihr außergerichtliches Tätigwerden verlangten die Prozessbevollmächtigten von der Beklagten zu 1) zunächst 2.305,40 €, später 2.194,90 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Klägerin behauptet, der Triebfahrzeugführer der Beklagten zu 1) habe, nachdem der zuständige Fahrdienstleiter die Zustimmung zum Umsetzen des Zuges auf Gleis 402 erteilte, an der Weiche 377 das Haltesignal am Gruppenausfahrsignal 355 überfahren. Daraufhin sei das Triebfahrzeug Nummer 193-219 mit dem hinteren Drehgestell auf der Weiche 377 entgleist. Die Fahrt in den Rangierabschnitt sei für das Triebfahrzeug nicht freigegeben gewesen. Die zuständige Fahrdienstleitung habe die Weiterfahrt erst freigegeben, nachdem das Triebfahrzeug das Sperrsignal schon überfahren hatte.
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Die Klägerin behauptet, der vorgenannte Sachverhalt sei zwischen den Parteien insoweit unstreitig, da die Beklagte zu 1) diesen im Rahmen ihrer noch am Abend des 05.03.2015 um 20:39 per Email übersandten Entgleisungsmeldung bereits anerkannt habe.
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Die Klägerin behauptet, die Lok sei bei dem Versuch, das entgleiste Triebfahrzeug wieder aufzugleisen, aus geringer Höhe, etwa 400 mm, zurück auf das Gleisbett gerutscht. Der durch die Entgleisung verursachte Schaden sei jedoch derartig groß gewesen, dass das Abgleiten des Triebfahrzeugs aus einer solch geringen Höhe den Schaden nicht merklich verstärkt habe. Die Klägerin behauptet ferner, die Höhe von 400 mm sei nicht ab der Oberkante des Gleises, sondern vielmehr vom Gleisbett aus zu messen. Damit habe sich das Triebfahrzeug vor dem Abrutschen ungefähr auf Höhe der Schienenkante befunden. Der Schaden am Triebfahrzeug sei nahezu vollständig durch das Entgleisen verursacht worden. Die dabei entfalteten Kräfte hätten sogar zu Gleisbrüchen geführt.
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Die Klägerin bringt vor, dass ein Austausch des Drehgestells auch ohne das spätere Abrutschen bei den Bergungsarbeiten erforderlich gewesen wäre. Eine kurzfristige Reparatur sei aufgrund der Beschädigungen nicht möglich gewesen. Es sei stattdessen erforderlich gewesen, ein neues Drehgestell bei der Herstellerin, der Siemens AG Österreich, zu bestellen.
11
Die Klägerin behauptet, um ihrer Schadensminderungspflicht nachzukommen, habe sie das aufgrund der Entgleisung beschädigte Drehgestell im Rahmen eines Expressaustausches vollständig ersetzen lassen. Dies sei zwingend notwendig und auch die kostengünstigste Schadensbeseitigungsmaßnahme gewesen. Die Lieferzeiten für ein solches neues Drehgestell würden in der Regel etwa ein Kalenderjahr betragen. Die Klägerin behauptet, gegen die Zahlung eines Expresszuschlags habe ab 02.04.2015 die Bestellung eines identischen Drehgestells vom 28.03.2014 übernommen werden können, sodass das Drehgestell bereits Anfang April 2015 zur Verfügung stand. Ohne die Übernahme der bereits bestehenden Bestellung sei das Triebfahrzeug für etwa 12 Monate nicht einsatzfähig gewesen. Die Kosten der Expressbestellung in Höhe von 60.000 € seien in Relation zu der Anmietung eines Ersatztriebfahrzeugs für mindestens 10 Monate zu setzen. Unter Berücksichtigung eines monatlichen Mietsitzes in Höhe von 37.000,00 € hätte sich ansonsten infolge der Anmietung eines Ersatztriebfahrzeugs ein Betrag in Höhe von 370.000 € ergeben.
12
Die Klägerin behauptet, der von ihr an die ... im Rahmen der bestehenden All-Risk Versicherung gemäß Ziffer 12.1.3 des Rahmenmietvertrags geschuldete und bezahlte Selbstbehalt in Höhe von 10.000 € sei ebenfalls notwendig gewesen.
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In Ihrer Klageschrift behauptet die Klägerin zunächst, das Triebfahrzeug sei aufgrund der Schäden in der Zeit vom 06.03.2015 bis zum 30.04.2015 vollständig ausgefallen. Die Klägerin habe das Fahrzeug in dieser Zeit nicht einsetzen können. Da das beschädigte Triebfahrzeug trotz Zahlung des Mietzinses im Monat März 2015 nur an 5 von 26 Tagen und im Monat April 2015 an keinem Tag zur Verfügung gestanden haben soll, sei ihr diesbezüglich ein Schaden in Höhe von netto 68.032,26 € entstanden. Später behauptet die Klägerin jedoch, dass das entgleiste Triebfahrzeugführer eines von zwei Triebfahrzeugen gewesen sei, die durch die Klägerin dauerhaft an ... zu einem festen monatlichen Basispreis in Höhe von jeweils 40.000 € weitervermietet gewesen seien. Zwischen der Klägerin und ... sei kein schriftlicher Vertrag geschlossen gewesen. Die Vermietung der beiden Triebfahrzeuge sei dennoch gemäß des vorgelegten Leistungs- und Vertragsentwurfs abgerechnet worden. Für den Zeitraum der Instandsetzung des entgleisten Triebfahrzeugs habe die Klägerin ... ein anderes Triebfahrzeug zur Verfügung stellen müssen. Die Anmietung des Ersatztriebfahrzeugs bei der ... habe monatliche Kosten in Höhe von 36.917,00 € verursacht. Das Ersatztriebfahrzeug sei bereits Anfang März 2015 angemietet worden, da es zunächst für einen anderen Transport der Klägerin eingesetzt worden sei. Ab dem 05.03.2015, dem Tag der Entgleisung, habe der Klägerin das Ersatztriebfahrzeug nicht mehr für andere Transporte zur Verfügung gestanden. Das Ersatztriebfahrzeug sei ... im März für 26 Tage und über den gesamten Monat April 2015 zur Verfügung gestellt worden. In dieser Zeit, so behauptet die Klägerin, habe die Anmietung des Ersatztriebfahrzeugs Kosten in Höhe von 67.879,65 € verursacht.
14
Außerdem behauptet die Klägerin, es sei notwendig gewesen, dass beschädigte Triebfahrzeug von P. in die Werkstatt nach Linz zu überführen. Für den Wagenmeister und die Überführung seien Kosten in Höhe von 1.977,50 € entstanden.
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Die Klägerin meint, sie habe einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 1) aus § 1 I HPflG i.V.m. §§ 249 ff BGB. Ihre geltend gemachten Schadenspositionen seien allesamt erforderlich und kausal gewesen, insbesondere seien auch die angefallenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten mitumfasst. Die Klägerin meint, sie habe auch einen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) aus § 280 I BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB, wobei zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) eine gesamtschuldnerische Haftung bestünde. Daneben meint die Klägerin, sie habe auch einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen gegen die Beklagten.
16
Die Klägerin hat zunächst mit Schriftsatz vom 31.03.2016, eingegangen bei Gericht am 01.04.2016, beim Landgericht P. Klage gegen die Beklagte zu 1) erhoben. Mit Schriftsatz vom 12.09.2016 hat die Klägerin klargestellt, dass sich der der Klägerin infolge des Ausfalls des entgleisten Triebfahrzeugs entstandene Schaden nicht, wie in der Klageschrift zunächst angesetzt, auf 68.032,26 € beläuft, sondern vielmehr auf 67.879,65 € und ihren Klageantrag entsprechend abgeändert. Schließlich hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.12.2016 ihre Klage gegen die Beklagte zu 2) entsprechend erweitert.
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Sie beantragt demzufolge zuletzt:
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 139.857,15 nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank, bezüglich der Beklagten zu 1 auf einen Teilbetrag in Höhe von EUR 71.851,20 seit dem 26.09.2015 sowie auf den Restbetrag seit Rechtshängigkeit und bezüglich der Beklagten zu 2 auf den Gesamtbetrag seit dem 24.09.2016 zu zahlen,
die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 2.194,90 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) beantragen,
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Die Beklagte zu 1) behauptet, der Triebfahrzeugführer habe kein Halte-/Sperrsignal überfahren. Nach dem Eintreffen im Bahnhof P. habe der Triebfahrzeugführer die Lok vom restlichen Zug abgekurbelt und sich per Funk beim Fahrdienstleiter gemeldet. Er habe diesem seine Hinterstellungsabsicht mitgeteilt, was der Fahrdienstleiter auch zur Kenntnis genommen habe. Der Fahrdienstleiter habe den Triebfahrzeugführer angewiesen, am Sperrsignal Sh1 (N355) zu warten, bis die Aufhebung des Haltegebots angezeigt werde. Nach ca. 15 Minuten Wartezeit sei dies der Fall gewesen, sodass der Triebfahrzeugführer mit der Verschubfahrt begonnen habe. Am Hauptsignal 355 habe er aufgrund der Stellung dieses Signals sowie des Sh1 die Befehlstaste der Lok betätigt und sei am Signal vorbeigefahren. Kurz vor Erreichen des dahinter liegenden Wendesignals, in welchem er zum Wenden anhalten wollte, habe er einen Ruck verspürt. Da der Bremsvorgang bereits eingeleitet gewesen war, sei die Lok auch unmittelbar daraufhin stehen geblieben. Er sei von der Lok ausgestiegen und habe bemerkt, dass das hintere Drehgestell über die Weiche 377 entgleist war. Er habe wiederum per Funk sofort den Fahrdienstleiter von diesem Umstand verständigt, woraufhin es zu einem kurzen Meinungsaustausch zwischen ihm und dem Fahrdienstleiter gekommen sei. Der Fahrdienstleiter sei der Ansicht gewesen, der Triebfahrzeugführer hätte das Sperrsignal überfahren. Dies habe der Triebfahrzeugführer zum Anlass genommen, sofort zurückzugehen und von dem Sperrsignal ein Foto zu machen. Auf diesem Foto sei klar zu erkennen, dass das Signal eindeutig in der Stellung „Fahrverbot aufgehoben“ stand. Die Beklagte zu 1) behauptet daher, die Entgleisung sei nicht auf einen Fehler des Triebfahrzeugführers, sondern auf einen Fehler der Fahrdienstleitung zurückzuführen. Letztere habe die Weiche augenscheinlich im Moment des Überfahrens durch die Lok umgestellt.
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Die Beklagte zu 1) behauptet, die Klägerin habe die Entgleisungsmeldung bewusst als Anerkennung missverstanden. Der Inhalt der E-Mail habe nur bedeutet, dass für die Beurteilung der Freigabe der Fahrt das Sperrsignal maßgeblich gewesen sei. Das streitgegenständliche Signal habe an sich aus zwei Signalen bestanden, nämlich das für den Normalbetrieb geltende Haltsignal und das lediglich für Rangierfahrten geltende Sperrsignal. Eine Rangierfahrt könne durch das Sperrsignal freigegeben sein, während das Hauptsignal gleichzeitig Halt anzeigen könne. Im vorliegenden Fall habe das Sperrsignal die Fahrt für die Rangierfahrt freigegeben. Nichts anderes sei in der von der Klägerin angegebenen E-Mail zum Ausdruck gebracht worden. Die zitierte E-Mail habe nichts daran geändert, dass ein Haltesignal nicht überfahren worden sei. Ansonsten habe es auch keine Ankündigung bezüglich einer Umstellung der Weiche gegeben.
21
Die Beklagte zu 1) behauptet, die Lok sei bei der Bergung aus einem guten halben Meter Höhe zurück in das Gleisbett gestürzt. Später behauptet sie, die Lok sei aus einem Meter Höhe in das Gleisbett gestürzt.
22
Die Beklagte zu 1) behauptet weiter, der von der Klägerin geltend gemachte Schaden sei nicht in vollem Umfang auf die Entgleisung zurückzuführen, sondern sei auch durch den Vorfall während der Bergung, insbesondere aufgrund der Fallhöhe, mitverursacht worden.
23
Sie behauptet weiter, der Austausch des kompletten Drehgestells sei nicht erforderlich gewesen, hätte es den Vorfall bei der Bergung der Lok nicht gegeben. Das Drehgestell wäre weit geringer beschädigt gewesen und hätte somit auch kurzfristig repariert werden können. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass eine Reparatur des Drehgestells aufgrund der Entgleisung nicht möglich gewesen sein soll. Sie behauptet auch, die Kosten für die Express-Bestellung seien nicht erforderlich gewesen.
24
Die Beklagte zu 1) behauptet, die Klägerin sei für den Selbstbehalt in Höhe von 10.000,00 € nicht einstandspflichtig gewesen.
25
Die Beklagte zu 1) behauptet, dass es ohne den Zwischenfall bei der Bergung möglich gewesen sei, das Drehgestell kurzfristig zu reparieren, so dass die Ausfallzeit der Lok geringer gewesen wäre. Im Übrigen bestreitet sie mit Nichtwissen, dass die Lok für den von der Klägerin angeführten Zeitraum vom 06.03.2015 bis zum 30.04.2015 schadensbedingt nicht zur Verfügung gestanden haben soll. Im Übrigen bestreitet die Beklagte zu 1) später ebenfalls mit Nichtwissen, dass die Klägerin ein Ersatztriebfahrzeug anmieten habe müssen und dass andere Triebfahrzeuge nach dem Unfall insoweit nicht mehr zur Verfügung gestanden haben sollen.
26
Zum anderen behauptet die Beklagte zu 1), es sei nicht auszuschließen, dass die Lok im Anschluss an die Entgleisung und ohne den Absturz durchaus noch fahrbereit gewesen wäre und deswegen mit eigener Kraft ins Ausbesserungswerk hätte gefahren werden können. Die Überführungskosten von P. in die Werkstatt nach Linz seien deshalb nicht notwendig gewesen.
27
Die Beklagte zu 2) behauptet, dass Anfragen im Hinblick auf derartige Verbringungen von Loks in der Vergangenheit branchenüblich als reine Gefälligkeiten erfolgt seien. Auch zwischen der Beklagten zu 2) und der Beklagten zu 1) sei es gelebte Praxis gewesen, dass solch damit im Rahmen einer Gefälligkeitshandlung erfolgt seien. Verträge über Transportleistungen hingegen seien ausdrücklich nach Vereinbarung von Preis und Leistung geschlossen worden. Die Beklagte zu 2) behauptet, sie sei lediglich vermittelnd tätig gewesen, was zwischen Eisenbahnunternehmen, die ständig in Geschäftsbeziehung miteinander stünden (oder sonst ausdrücklich Verträge miteinander schließen würden), eine durchaus übliche Vorgehensweise sei.
28
Die Beklagte zu 2) behauptet, die Beklagte zu 1) habe den Vorfall vom 05.03.2015 nicht verschuldet. Ein Verschulden des Triebfahrzeugführers der Beklagten sei nicht gegeben. Auch die Beklagte zu 2) behauptet, dass der zugrunde gelegte Komplettaustausch des Drehgestells nicht erforderlich gewesen sei, sondern dieses auch kurzfristig hätte repariert werden können. Die geltend gemachten Schäden der Klägerin seien in dem behaupteten Umfang nicht eingetreten, sondern würden stattdessen auf den Vorfall im Rahmen der Bergung zurückgehen.
29
Die Beklagte zu 1) meint, die Klage sei abzuweisen, weil die Klägerin gegen die Beklagte zu 1) schon aus Rechtsgründen keinen Anspruch nach § 1 HPflG haben könne. Diese Anspruchsgrundlage sei vorliegend nicht anwendbar. Die Beklagte zu 1) meint zudem, die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen stünden in keiner Verbindung zur Entgleisung und seien somit der Beklagten zu 1) nicht zurechenbar. Stattdessen sei der anschließende Absturz der Lok im Rahmen der Bergung kausal für die Schadensentstehung gewesen. Dem folgend seien auch zur Schadenshöhe Einwände zu erheben. Insbesondere meint die Beklagte zu 1), eine formularmäßige Überwälzung einer Haftung auch ohne Verschulden, wie Ziffer 11 des Rahmenmietvertrags vorsieht, scheitere in ihrer Wirksamkeit an § 307 BGB. Die Beklagte zu 1) kann keine wirksame Verpflichtung der Klägerin, die Selbstbeteiligung zu tragen, erkennen.
30
Die Beklagte zu 2) meint, eine Zuständigkeit eines deutschen Gerichts sei nicht gegeben. Die Beklagte zu 2) hätte ihren Firmensitz in Gr. (Österreich). Im Übrigen meint die Beklagte zu 2), die Klage sei unbegründet, da zwischen den Parteien kein haftungsbegründendes Schuldverhältnis mangels Rechtsbindungswille bestehe. Die Beklagte zu 2) sei lediglich in der Vermittlung einer Schleppgelegenheit tätig gewesen. Eine Unterbeauftragung der Beklagten zu 1) durch die Beklagte zu 2) läge nicht vor. Im Übrigen verweist die Beklagte zu 2) auf die Grundsätze des Geschäfts für den, den es angeht. Hilfsweise meint die Beklagte zu 2), es fehle an einer Pflichtverletzung sowie an einem Verschulden der Beklagten zu 2). im Übrigen sei ein konkludenter Haftungsausschluss vereinbart worden.
31
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 19.12.2016 der ... den Streit verkündet. Diese ist in der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2017 dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Klägerin beigetreten.
32
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Zeugenvernehmung von .... Mit Beweisbeschluss vom 03.05.2018 hat das Gericht weiter Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Zum Gutachter hat das Gericht den Sachverständigen bestimmt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 09.03.2017, 28.09.2017 und 16.01.20 sowie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 04.12.2018 verwiesen.
33
Zur Ergänzung und Vervollständigung des Tatbestandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteienvertreter nebst Anlagen sowie auf die oben genannten Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
34
Die zulässige Klage ist gegen die Beklagte zu 1) teilweise und gegen die Beklagte zu 2) vollumfänglich begründet.
35
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht P. sachlich (§§ 23 Nr. 1, 71 I GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Der Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts P.s der Beklagten zu 2) ist damit nicht zu entsprechen. Es ist vorliegend unerheblich, dass die Beklagte zu 2) ihren Sitz in Österreich hat. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Die unerlaubte Handlung, das Überfahren eines Signals, fand im Güterbahnhof P. statt. Bei der Frage, ob tatsächlich eine unerlaubte Handlung (das Überfahren des Signals) vorliegt oder nicht, handelt es sich um eine sog. doppelrelevante Tatsache. Unter diesen Begriff fallen solche Tatsachen, die nicht nur für die Zulässigkeit der Klage, sondern auch für deren Begründetheit erheblich sind. Für die Bejahung der Zulässigkeit genügt deren schlüssige, als wahr zu unterstellende Darlegung durch den Kläger, da ihre abschließende Feststellung erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung erfolgt (BGH NJW 1994, 1413). Ist eine doppelrelevante Tatsache letztlich nicht erweislich, ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet (BGH NJW-RR 2010, 1554). Gegen die Beklagte zu 2) macht die Klägerin einen Anspruch aus § 280 I BGB geltend. Dies ändert jedoch nichts an der örtlichen Zuständigkeit. Der BGH hat mit Beschluss vom 10.12.2002 (BGH NJW 22003, 828) hinsichtlich § 32 ZPO festgestellt, dass das Gericht der unerlaubten Handlung auch über nicht deliktische Anspruchsgrundlagen entscheiden darf. Eine andere Auslegung sei nicht sachgerecht. Wenn über § 17 II GVG ein Gericht schon befugt sei, auch über rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu befinden, müsse dies erst recht für rechtswegeigene Anspruchsgrundlagen gelten (BGH NJW 2003, 828, 829). Das Landgericht P. ist daher bei der inhaltlichen Begründetheitsprüfung nicht auf deliktische Anspruchsgrundlagen beschränkt.
36
Die Klageänderung vom 12.09.2016 ist zulässig gemäß §§ 263, 264 Nr. 2 ZPO. Die subjektive Klageerweiterung vom 19.12.2016 ist ebenfalls zulässig gemäß §§ 263, 267 ZPO.
37
Die Klage ist gegen die Beklagte zu 1) teilweise begründet und gegen die Beklagte zu 2) vollumfänglich begründet. Der Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 1) ergibt sich aus § 823 I BGB sowie aus § 823 II BGB i.V.m. § 858 BGB. Der Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 2) ergibt sich aus § 280 I BGB sowie aus § 831 BGB.
38
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) einen Zahlungsanspruch aus § 823 I BGB und § 823 II BGB i.V.m. § 858 BGB. Entgegen ihrer Ansicht ist § 1 HPflG jedoch nicht anwendbar.
39
Die von der Klägerin angeführte Anspruchsgrundlage, § 1 HPflG, ist vorliegend nicht anwendbar. Die angeführte Norm begründet die Haftung des Bahnbetriebsunternehmers, sofern beim Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird.
40
Ein Betriebsunfall i.S.v. § 1 I HPflG liegt vor, wenn ein unmittelbarer äußerer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Bahn besteht oder wenn der Unfall durch eine dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahr verursacht worden ist. Unter dem Betrieb der Schienenbahn sind die technischen Betriebsvorgänge zu verstehen und zwar die eigentliche Beförderungstätigkeit, die spätestens mit dem Anfahren des Zuges beginnt und frühestens mit dem Abstellen des Zuges auf dem Abstellgleis endet. Unter den Begriff fällt nicht nur die Fortbewegung der Wagen zum Zwecke der Beförderung von Personen oder Gütern, sondern auch ihre Bewegung zur Vorbereitung des Transportes oder im Rahmen der Beendigung der Beförderung (vgl. BGH NZV 2004, 245; NZV 2008, 79). Die Entgleisung hat sich während der Einfahrt des Zugs über das Gleis 323 ereignet. Das Triebfahrzeug befand sich zum Unfallzeitpunkt in Bewegung. Das schädigende Ereignis, die Entgleisung steht damit in einem unmittelbaren äußeren und örtlichen Zusammenhang zu einem technischen Betriebsvorgang der Fahrt.
41
Jedoch wurde bei diesem Betrieb nicht eine andere Sache beschädigt, deren Ersatzpflicht unter das Haftungsregime des HPflG fällt. Die Beschädigung der streitgegenständlichen Lok selbst ist nicht vom Schutzzweck des § 1 HPflG erfasst. Diesbezüglich ist der Rechtsgedanke des § 7 StVG (vgl. BGH NJW 2011, 69) auf § 1 HPflG übertragbar. Die im Unfall realisierte Betriebsgefahr ging von der streitgegenständlichen Lok selbst aus, d.h. das Triebfahrzeug wurde vorliegend infolge seiner eigenen Betriebsgefahr beschädigt. § 1 HPflG ist aber nur dann als Anspruchsgrundlage heranzuziehen, wenn infolge der Betriebsgefahr der Lok ein Mensch oder eine andere Sache beschädigt worden wäre.
42
Stattdessen kann sich die Klägerin aber erfolgreich auf § 823 I BGB berufen.
43
Eine Rechtsgutsverletzung in diesem Sinne ist gegeben.
44
§ 823 I BGB schützt über die explizit aufgezählten Rechtsgüter hinaus auch „sonstige Rechte“. Bei diesen kann es sich in Fortsetzung von Leben, Körper und Gesundheit, Freiheit sowie Eigentum nur um vergleichbar bedeutsame Rechte mit absoluter Wirkung gegenüber jedermann handeln (BGH NJW 2012, 2034). Der Besitz bezeichnet allein die tatsächliche Sachherrschaft (§ 854 I BGB) und ist für sich genommen kein Recht. Gleichwohl gewährt das Gesetz dem Besitzer umfassenden Schutz vor unerwünschten Einwirkungen Dritter, der allerdings primär auf die Beseitigung bzw. Unterlassung von Störungen oder die Wiedereinräumung entzogenen Besitzes gerichtet ist (vgl. §§ 861, 862 BGB). Bereits das RG hat jedoch dem Mieter auf der Grundlage seines vertraglichen Rechts zum Besitz - dem es als bloß obligatorisches, relatives Recht selbst keinen Deliktsschutz gewährte (vgl. RGZ 57, 353 ff.) - in Kombination mit der Übergabe der Mietsache, das heißt anknüpfend am unmittelbaren Besitz, Ansprüche sowohl aus § 823 I BGB als „absolutes Recht“ als auch gem. § 823 II BGB i.V.m. § 858 BGB gewährt. Durch die Besitzverschaffung sei nämlich das Recht des Mieters dem reinen Obligationenrecht „entwachsen“ und es habe nun jedermann „das durch den Besitz erkennbare Mietrecht zu achten“ (RGZ 59, 326; RGZ 170, 1). Dieser Argumentation wird auch in der heutigen Rechtsprechung gefolgt, indem nicht jeder faktische Besitz von § 823 I BGB geschützt wird, sondern nur der unmittelbare, vertraglich berechtigte Besitz (BGH NJW 1998, 377; BGH NJW 1976, 1630; BGH NJW 1962, 1342; BGH NJW 1979, 1358).
45
Die Klägerin war als Mieterin der streitgegenständlichen Lok berechtigte Besitzerin. Durch die Entgleisung wurde das Besitzrecht der Klägerin rechtswidrig verletzt.
46
Diese Rechtsgutsverletzung hat die Beklagte zu 1) verschuldet.
47
Der Lokführer der Beklagten zu 1) steuerte den Zug Nummer 41130 über das Gleis 323 in die Einfahrt des Güterbahnhofs P.. Hierbei konnte das vordere Drehgestell noch normal in das vorgesehene Gleis laufen, danach stellte sich die Zungenschiene aber entsprechend um, sodass das hintere Drehgestell in die Ablenkung lief und es zu einer Entgleisung kam. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Lokführer der Beklagten zu 1) an der Weiche 3777 das Haltesignal am Gruppenausfahrsignal 355 überfahren hat. Diese Überzeugung stützt das Gericht insbesondere auf das eingeholte Sachverständigengutachten vom 04.12.2018. In diesem kommt der Gutachter eindeutig zu dem Ergebnis, dass ausgeschlossen werden kann, dass die Weiche 377 regelwerkswidrig vom Fahrdienstleiter unter der fahrenden Lokomotive umgestellt wurde. Vielmehr ist die einzige Erklärung für die vorliegende Entgleisung des nachlaufenden zweiten Drehgestells der Lokomotive, dass bei Halt zeigendem Signal N355 und noch nicht gelegter Weiche der Verstellvorgang von Weiche 377 regelwerkskonform anlief und die Lokomotive am Halt zeigenden Signal N355 vorbei, zu dem Zeitpunkt auf die Weiche 377 fuhr, als diese gerade umlief. Damit war der Entgleisungsvorgang vom Lokführer der Beklagten zu 1) verschuldet. Ob die Beklagte zu 1) dies im Rahmen ihrer Entgleisungsmeldung vom 05.03.2015 so anerkannt habe oder nicht, ist im Übrigen für das Gericht aufgrund dieses eindeutigen Beweisergebnisses entscheidungsunerheblich.
48
Schließlich ist der entstandene Schaden auch kausal auf die Entgleisung zurückzuführen. Eine Schadensersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden ohne das Verhalten des in Anspruch Genommenen nicht eingetreten wäre. Ein vollständiger naturwissenschaftlicher Kausalitätsnachweis unterbleibt jedoch. Stattdessen wird abgekürzt danach gefragt, ob das Verhalten des in Anspruch Genommenen hinweggedacht werden kann, ohne dass damit zugleich auch der Erfolg entfallen würde (BGH NJW 2013, 2345 Rn. 20 2017, 263 Rn. 14 2018, 541 Rn. 18).
49
Ohne das Überfahren des Sperrsignals wäre das streitgegenständliche Triebfahrzeug nicht entgleist und somit nicht beschädigt worden. Das Überfahren kann also nicht hinweggedacht werden, ohne dass das schädigende Ereignis (die Entgleisung) entfallen würde. Damit ist das Überfahren des Sperrsignals ein kausales Verhalten der Beklagten zu 1), welches zur Schadensverursachung geführt hat. Ob es durch die spätere Bergung der Lok zu einer Schadensausweitung kam oder nicht, ist für die Frage der Kausalität des Fahrverhaltens des Lokführers für die primäre Schadensverursachung irrelevant. Daher kommt es für den vorliegenden Rechtsstreit nicht darauf an, aus welcher Höhe die Lok letztlich in das Gleisbett gestürzt ist und ob der Schaden am Triebfahrzeug ausschließlich auf das Entgleisen oder auch auf die spätere Bergung zurückzuführen ist. Die Frage der Mitverursachung kann daher für den vorliegenden Rechtsstreit unberücksichtigt bleiben.
50
Als Schaden ist dem Besitzer Dasjenige zu ersetzen, was ihm durch den Eingriff in seine berechtigte Besitzposition entgangen ist, regelmäßig also die Möglichkeit zur Nutzung der Sache (BGH NJW 1998, 377; BGH NJW 1991, 2420; BGH NJW 1979, 1358; BeckOGK/Spindler Rn. 170). Es kann allerdings auch ein sog. Haftungsschaden vorliegen, der den Anspruch widerspiegelt, dem der Besitzer von Seiten seines Vertragspartners ausgesetzt ist, weil er die Sache aufgrund Einwirkung Dritter etwa nur beschädigt oder gar nicht mehr zurückgeben kann (BGH BeckRS 1976, 30401150; BGH NJW 1981, 750; OLG Köln NZM 2002, 927). Diesem ähnlich ist auch der sog. Erfüllungsschaden, der dem Besitzer durch Dritte im Zuge seiner Pflichterfüllung gegenüber seinem Vertragspartner entstanden ist, erstattungsfähig (BGH NJW 1984, 2569).
51
Vorliegend macht die Klägerin einen Expresszuschlag, einen Selbstbehalt und Überführungskosten als sog. Haftungsschaden und die Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache als sog. Erfüllungsschaden geltend. Diese Schadenspositionen sind über § 823 BGB grundsätzlich ersatzfähig.
52
Nicht anders als bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen finden auf die gesetzlichen Ansprüche des Deliktsrechts dieselben Regeln des allgemeinen Schadensrechts Anwendung (§§ 249 ff. BGB). Dies gilt nicht nur für grundlegende Wertungen, sondern insbesondere auch für Fragen der Kausalität und der objektiven Zurechnung sowie hinsichtlich Inhalt und Umfang des Schadensersatzes. Formelartig verkürzt ausgedrückt, muss der Schädiger den von ihm kausal und zurechenbar verursachten Schaden dergestalt ausgleichen, dass der Geschädigte hinsichtlich der konkreten Zusammensetzung seines Vermögens so gestellt wird, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Mit anderen Worten ist der Differenzschaden zu ersetzen (BGH NJW 2011, 1962). Auf Seiten des Geschädigten ist dementsprechend auch § 254 BGB zu berücksichtigen (BeckOK BGB/Förster BGB § 823 Rn. 46. Die Klägerin musste bei der Schadensbeseitigung also ihre aus § 254 BGB folgende Schadensminderungsobliegenheit beachten. Nach dem Vortrag der Klägerin war es gerade aus diesem Grund erforderlich, das aufgrund der Entgleisung beschädigte Drehgestell im Rahmen eines Expressaustausches vollständig ersetzen lassen. Diese Auffassung teilt das Gericht. Anhand der Zeugenaussage des Zeugen ... und der durch diesen vorgelegten Unterlagen wurde der Klägervortrag diesbezüglich bestätigt. Laut der Zeugenaussage des Zeugen ... werden die Lieferzeiten für Ersatzteile bei Siemens in Jahre angegeben. Um dem entgegenzuwirken, bestellte die Eigentümerin der Lok bereits im Jahr 2014 unabhängig vom vorliegenden Unfallgeschehen ein Drehgestell, um sich selbst ein Ersatzteillager anzueignen.
53
Aus der vorgelegten Rechnung Nr. 79611001 vom 29.08.2016 ergibt sich, dass unter der Auftragsnummer 2200014711 ein Drehgestell SIF014800018345 am 29.04.2014 bestellt wurde. Dieses sollte ausweislich des Dokuments am 10.05.2016, also wie von der Klägerin angegeben, ca. 24 Monate nach Bestelleingang geliefert werden. Die Lieferzeit wurde auch vom Zeugen ... in der mündlichen Hauptverhandlung vom 16.01.20 bestätigt. Die Bestellung wäre ausweislich der Rechnung Nr. 79611001 nicht, wie von der Klägerin vorgetragen, am 28.03.2014, sondern am 29.04.2014 gewesen. Dies ändert aber nichts an der Richtigkeit der angegebenen Lieferzeit von 24 Monaten. Aus der vorgelegten Rechnung Nr. 79355792 vom 29.05.2015 ergibt sich, dass ein Drehgestell vom 10.04.2015 zu einem Preis von 455.105,00 € abgerechnet wurde. Diese Summe wurde ausweislich der Rechnung zunächst auf den Kreditor (Kto. 71900) und sodann ein Teilbetrag zur Weiterverrechnung (Kto. 5900) verbucht. Aus Anlage K7 ergibt sich sodann, dass aus dem Weiterverrechnungskonto 590029 an die Klägerin 70.000,00 € weiterverrechnet wurden, wobei 60.000,00 € auf den besagten Expresszuschlag entfielen. Dieser Betrag wurde ausweislich der vorgelegten Rechnung Nr. 201500121 (Anlage K7) am 03.12.2015 zur Zahlung freigegeben. Für das Gericht steht somit zur Überzeugung fest, dass durch die Zahlung eines Expresszuschlages die Bestellung aus dem Frühjahr 2014 übernommen und die Lieferung um ca. 11 Monate vorgezogen werden konnte. Nur so stand bereits Anfang April 2015 ein Ersatzdrehteil zur Verfügung. Ohne die Zahlung des Expresszuschlages hätte die Klägerin für die weiteren 11 Monate ein Ersatzfahrzeug anmieten müssen. Aus Anlage K6 und Anlage K11 ergibt sich, dass die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ca. 37.000,00 € monatlich betragen würden. Insgesamt war die Zahlung des Expresszuschlags somit die kostengünstigste Schadensbeseitigungsmaßnahme für die Klägerin.
54
Auch der vertraglich vereinbarte Selbstbehalt in Höhe von 10.000,00 € ist Teil des ersatzfähigen Haftungsschadens. Dieser wurde ausweislich der als Anlage K7 vorgelegten Rechnung Nr. 201500121 vom 30.11.2015 von ... abgerechnet und von der Klägerin bezahlt. In Ziffer 12.1.3 des als Anlage K1 vorgelegten Rahmen-Mietvertrags zwischen und der Klägerin ist ein Selbstbehalt vorgesehen. Danach beträgt der von der Klägerin zu tragende Selbstbehalt der All Risk Versicherung 10.000,00 € je Versicherungsfall und ist im Verhältnis zu ... von ... zu tragen. Im Gegenzug hierfür hat ... gemäß Ziffer 12.1.1 auf eigene Kosten eine All Risk Versicherung abgeschlossen, in welcher die Klägerin und genehmigte Untermieter mitversichert sind. Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass eine formularmäßige Überwälzung einer Haftung auch ohne Verschulden, wie Ziffer 11 des Rahmenmietvertrags zwischen der Eigentümerin und der Klägerin vorsieht, in ihrer Wirksamkeit an § 307 BGB scheitere. In Ziffer 11 des Rahmenmietvertrags geht es um Beschädigungen der Mietsache durch die Klägerin selbst. Eine formularmäßige Überwälzung der Haftung auch ohne Verschulden ist in Ziffer 11 aber nicht geregelt. Stattdessen regelt Ziffer 11.6, dass die Klägerin Reparaturkosten nach Ziffer 11.2 nur bis zu einem Betrag zu tragen hat, der dem Selbstbehalt gemäß Ziffer 12.1.3 entspricht, wobei aber bei darüber hinausgehenden Beträgen auf die Versicherungsbedingungen sowie auf ergänzend zur Anwendung kommende gesetzliche Vorschriften verwiesen wird. Ziffer 11.2 behandelt ausschließlich die von der Klägerin selbst verursachten Beschädigungen. Die Haftung ist daher nicht vom Verschulden der Klägerin losgelöst. Nichtsdestotrotz macht die Klägerin vorliegend aber einen Selbstbehalt nach Ziffer 12 des Vertrags als Schaden geltend, sodass es irrelevant ist, ob Ziffer 11 des Vertrages wirksam oder unwirksam ist.
55
Schließlich sind auch die Überführungskosten Teil des Haftungsschadens. Die Nettokosten für die Überführung in Höhe von 1.977,50 € ergeben sich aus der als Anlage K6 vorgelegten Rechnung Nr. 150198.
56
Erleidet der Geschädigte zwischen dem Schadenseintritt und der Schadensbehebung einen Nutzungsausfall, so entstehen sog. transitorische Schäden (Brand SchadensR § 6 Rn. 21). Als Schadenspositionen können dann unter Umständen die Anmietung einer Ersatzsache, eine Nutzungsausfallentschädigung oder aber ein entgangener Gewinn geltend gemacht werden. Schadensrechtlich stehen die Kosten der Anmietung einer Ersatzsache und der Anspruch auf Nutzungsentschädigung in unmittelbarer Beziehung, denn der Anspruch auf eine Nutzungsentschädigung entfällt, sobald dem Geschädigten eine gleichwertige Ersatzsache zur Verfügung steht und der Schädiger für die Anmietungskosten aufzukommen hat (BGH NJW 2013, 1072 BGH NJW 2008, 913). Ebenso ist der Ersatz der Mietkosten bzw. des Nutzungsausfallschadens vom entgangenen Gewinn klar abzugrenzen (Brand SchadensR § 6 Rn. 21; Soergel/Ekkenga/Kuntz Vor 249 Rn. 108). In inhaltlicher Verbindung stehen dabei die Mietkosten einer Ersatzsache und der entgangene Gewinn insofern, als dass mit der Anmietung einer Ersatzsache der Umfang des entgangenen Gewinns eingeschränkt bzw. ausgeschlossen wird und der Geschädigte auch zur zeitnahen Anmietung nach § 254 II 1 BGB angehalten sein kann.
57
Die Klägerin zahlte weiterhin Miete, obwohl sie das gemietete Triebfahrzeug nicht nutzen konnte. In Ihrer Klageschrift behauptete die Klägerin zunächst, das Triebfahrzeug sei aufgrund der Schäden in der Zeit vom 06.03.2015 bis zum 30.04.2015 vollständig ausgefallen. Die Klägerin habe das Fahrzeug in dieser Zeit nicht einsetzen können. Da das beschädigte Triebfahrzeug trotz Zahlung des Mietzinses im Monat März 2015 nur an 5 von 26 Tagen und im Monat April 2015 an keinem Tag zur Verfügung gestanden haben soll, sei ihr diesbezüglich ein Schaden in Höhe von netto 68.032,26 € entstanden. Bei den Kosten für die Anmietung (monatlich 37.000,00 €) handelt es sich jedoch um sog. Sowieso Kosten. Hierunter fallen Kostenpositionen, welche dem Geschädigten auch ohne das schädigende Ereignis entstanden wären. Solche sind nicht von der Schadensersatzpflicht des § 823 BGB umfasst. Es ist korrekt, dass die Klägerin auch ohne das schädigende Ereignis die Miete für das Triebfahrzeug weiter hätte zahlen müssen.
58
Später behauptete die Klägerin jedoch, dass das entgleiste Triebfahrzeugführer eines von zwei Triebfahrzeugen gewesen sei, die durch die Klägerin dauerhaft an ... zu einem festen monatlichen Basispreis in Höhe von jeweils 40.000 € weitervermietet gewesen seien. Dies machte die Klägerin zumindest plausibel, indem sie im Rahmen der Beweisaufnahme der Klägerin einen Vertragsentwurf zwischen ihr und der ... vorlegte, welcher in Ziffer 2.1 eine derartige Zahlung in Höhe von 40.000,00 € vorsah (Anlage K10). Anhand der als Anlage K11 vorgelegten Rechnungen konnte die Klägerin jedenfalls belegen, dass sie im Zeitraum März und April 2015 monatlich 36.917,00 € an die ... für die Anmietung eines Ersatztriebfahrzeuges zahlen musste. Aus diesen Rechnungen ergibt sich auch, dass das Ersatztriebfahrzeug bereits Anfang März 2015 angemietet wurde. Also auch insofern bestätigen sie die Aussage der Klägerin, da dieses zunächst für einen anderen Transport der Klägerin eingesetzt worden sei. Der Unfall ereignete sich am 05.03.2015. Das neue Drehgestell wurde Anfang April geliefert. Berücksichtigt man die Reparaturzeiten, so ist die von der Klägerin geltend gemachte Ausfallzeit von 26 Tagen im März und der gesamte Monat April 2015 durchaus plausibel dargelegt. In dieser Zeit entstanden der Klägerin damit Kosten für die Anmietung eines Ersatztriebfahrzeugs in Höhe von 67.879,65 €, ((36.917,00 €/30 Tage × 26 Tage) + 36.917,00 €).
59
Ein inhaltsgleicher Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) ergibt sich ebenfalls aus § 823 II BGB i.V.m. § 858 BGB.
60
Die Klägerin hat daneben gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf 2.084,40 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß § 823 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB. Wird bereits in der Hauptsache Schadensersatz geltend gemacht, bilden die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten eine weitere Schadensposition der Schadensersatzanspruchsgrundlage (BGH NJW 2012, 2427). Voraussetzung ist stets, dass die Anwaltskosten auf Maßnahmen beruhen, die eine vernünftige und wirtschaftlich denkende Person in der Situation des Geschädigten nach den Umständen des Falls aus ex-ante-Sicht zur Rechtsdurchsetzung für erforderlich und zweckmäßig erachten durfte (BGH, NJW-RR 2016, 511). Vorliegend verweigerte die Beklagte zu 1) gegenüber der Klägerin eine Zahlung. Die Einschaltung ihrer Prozessbevollmächtigten war daher zur Rechtsverfolgung notwendig. Die Höhe der Kosten richtet sich dabei nach dem RVG, wobei eine Umsatzsteuer bei der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin nicht Teil des Schadensersatzanspruches ist und daher vorliegend außer Betracht bleibt. Der Gegenstandswert liegt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht bei 140.000,00 €, sondern bei 139.857,15 €. Hinsichtlich des von der Klägerin zuviel geforderten Betrages ist die Klage abzuweisen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich vorliegend wie folgt:
Geschäftsgebühr 1,3
|
2.064,40 €
|
Auslagenpauschale
|
20,00 €
|
Gesamt
|
2.084,40 €
|
61
Gegen die Beklagte zu 2) hat die Klägerin einen Zahlungsanspruch aus § 280 I BGB sowie aus § 831 BGB.
62
Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2) liegt vorliegend kein reines Gefälligkeitsverhältnis vor. Bei einem Gefälligkeitsverhältnis handelt es sich um eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen einem uneigennützig handelnden Teil (Gefälliger) und einem anderen (Begünstigter). Die Abgrenzung zu einem Rechtsverhältnis besteht im Vorliegen eines Rechtsbindungswillens, der aus den Umständen und insbesondere aus der Sicht des Leistungsempfängers (BGH NJW 2012, 3366) zu erschließen ist (siehe BGH NJW 1995, 3389). Von Bedeutung sind hierbei vor allem Art und Zweck der Gefälligkeit, die Interessenlage der Beteiligten, erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Angelegenheit (z.B. Wert der anvertrauten Sache; Aufwendungen und Vorleistungen; dem Begünstigten drohende Gefahren und Schäden bei fehlerhafter Leistung), eigenes wirtschaftliches oder rechtliches Interesse des Gefälligen (dann in der Regel rechtliche Bindung; BGHZ 21, 107 88, 382 und 384; 92, 168), unverhältnismäßiges Haftungsrisiko (dann in der Regel keine rechtliche Bindung; BGH NJW 1974, 1705).
63
Vorliegend handelte die Beklagte zu 2) nicht uneigennützig. Aus dem als Anlage K13 vorgelegten E-Mailverlauf zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) ergibt sich, dass ausdrücklich zwischen der Beklagten zu 2) und der Klägerin die Transportmodalitäten besprochen wurden. Die Beklagte zu 1) war hieran nicht beteiligt. Es wurde vereinbart, dass die Lok aktiv benutzt werden darf, das heißt, dass sie während der Fahrt auch zur Leistungsabgabe genutzt werden darf. Im Gegenzug dafür trägt die Klägerin keine Kosten für Trassen und Strom. Es wird aus dem E-Mail-verlauf nicht deutlich, dass die Beklagte zu 2) den Transport der Lok nicht selbst durchführen wird. Es wird nur von einer „Mitnahmemöglichkeit“ gesprochen. Die Beklagte zu 2) bezweckte, durch die Vereinbarung eine Nutzungsmöglichkeit über die Lok zu bekommen. Diese bestand zumindest in der Form der Weitergabe an die Beklagte zu 1). Die Klägerin bezweckte dagegen mit der Vereinbarung eine unentgeltliche Transportmöglichkeit zu bekommen. Zwischen der Nutzungsmöglichkeit und der Transportmöglichkeit besteht ein direkter Zusammenhang im Sinne eines Austauschverhältnisses. Gerade dieser Charakter der Vereinbarung in Kombination mit der beiderseitig vorhandenen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit spricht für das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens auf beiden Seiten. Im Übrigen hat die Klägerin der Beklagten zu 2) eine Sache von erheblichen Wert anvertraut. Ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko der Beklagten zu 2) besteht nicht, da diese ihrerseits vorliegend bei der Beklagten zu 1) Regress nehmen kann.
64
Selbst wenn man im Übrigen vorliegend aber ein Gefälligkeitsverhältnis bejahen würde, so würde eine Haftung der Beklagten zu 2) nicht entfallen, da jedenfalls ein ähnlicher geschäftlicher Kontakt im Sinne des § 311 II Nr. 3 BGB bestanden hätte, was wiederum ebenfalls Schutzpflichten des Gefälligen begründet. Auch in diesem Zusammenhang wäre § 278 BGB anwendbar und eine Haftung gegeben.
65
Anhaltspunkte für die Vereinbarung eines konkludenten Haftungsausschluss sieht das Gericht nicht.
66
Auch der Hinweis der Beklagten zu 2) auf das Vorliegen eines Geschäfts für den, den es angeht, geht fehl. Bei einem offenen Geschäft für den, den es angeht, handelt es sich wegen der Erkennbarkeit der Vertretung um einen Fall der echten Stellvertretung, so dass die §§ 164 ff. BGB zur Anwendung kommen. Der Geschäftsgegner muss selbst entscheiden, ob er sich trotz der Unkenntnis vom Vertragspartner auf das Vertretergeschäft einlässt. Spielt der Vertretene für den Abschluss des Rechtsgeschäfts keine Rolle, kommt der Vertrag mit dem Vertretenen sofort zustande (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 127, 128). Vorliegend war nicht erkennbar, dass noch ein Dritter, hier die Beklagte zu 1), am Vertragsverhältnis beteiligt war. Als Ansprechpartner war stets nur die Beklagte zu 2) erkennbar aufgetreten. Die Beklagte zu 2) hat bezüglich einer erkennbaren Stellvertretung nicht weiter vorgetragen, sondern lediglich pauschal auf die Grundsätze des Geschäfts für den, den es angeht, verwiesen. Es fehlt hier an Sachvortrag, weshalb die Beklagte zu 2) als Vertreter der Beklagten zu 1) aufgetreten sein solle.
67
In dem der Lokführer der Beklagten zu 1) das Signal überfuhr, kam es zur Entgleisung und zur Beschädigung der Lok, also mithin zu einer Pflichtverletzung im Sinne des § 280 I BGB. Die Beklagte zu 2) muss gemäß § 278 BGB das Verschulden der Beklagten zu 1) vertreten.
68
Hinsichtlich des kausalen Schadens gilt das hinsichtlich der Beklagten zu 1) Gesagte entsprechend.
69
Im Übrigen ergibt sich eine inhaltsgleiche Haftung der Beklagten zu 2) aus § 831 BGB. Das Auswahl- und Überwachungsverschulden wird hierbei vermutet. Zur Entlastung hat die Beklagte zu 2) nichts vorgetragen.
70
Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) haften im Außenverhältnis gegenüber der Klägerin gesamtschuldnerisch gemäß § 840 I BGB.
71
Die Klägerin fordert von der Beklagten zu 1) Verzugszinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für den am 11.09.2015 angemahnten Betrag in Höhe von 71.851,20 € seit dem 26.09.2015. Im Schreiben vom 11.09.2015 hat die Klägerin eine Zahlungsfrist bis zum 25.09.2015 gesetzt, welche die Beklagte zu 1) erfolglos verstreichen ließ. Mit Schriftsatz vom 12.09.2016 hat die Klägerin aber klargestellt, dass sich der infolge des Ausfalls des entgleisten Triebfahrzeugs entstandene Schaden nicht, wie in der Klageschrift zunächst angesetzt, auf 68.032,26 € beziffert, sondern vielmehr auf 67.879,65 € und ihren Klageantrag entsprechend abgeändert. Damit ist ein Teilbetrag von 152,61 € im Schreiben vom 25.09.2015 zu Unrecht angemahnt worden. Auf diesen Teilbetrag sind keine Verzugszinsen fällig, da dieser insgesamt nicht geschuldet ist. Damit ergibt sich ein Zinsanspruch nur bezüglich einer um 152,61 € reduzierten Summe, also hinsichtlich 71.698,59 € aus §§ 288 I, II BGB i.V.m. § 286 I BGB. Die Zinshöhe beträgt 5 %-Punkte über dem Basiszinssatz, da sich § 288 Abs. 2 BGB (wie § 286 Abs. 3 BGB) nur auf Entgeltforderungen, nicht aber auf Schadensersatzforderung bezieht. Im Übrigen ist die Klage hinsichtlich der Verzinsung der 152,61 € abzuweisen.
72
Der weitere Zinsanspruch gegen die Beklagte zu 1) ergibt sich aus §§ 291, 288 I, II BGB bzw. hinsichtlich der Verzinsung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 291, 288 I BGB. Die Klage wurde der Beklagten zu 1) am 28.04.2016 zugestellt, so dass an diesem Tag gemäß §§ 253 I, 261 I ZPO Rechtshängigkeit eingetreten ist. Die Zinspflicht beginnt wegen § 187 I BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit, im Streitfall mithin erst ab dem 29.04.2016 (vgl. BGH NJW-RR 1990, 518).
73
Der Zinsanspruch gegen die Beklagte zu 2) ergibt sich aus §§ 288 I, 286 I BGB. Mit Schreiben vom 12.09.2016 forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung bis zum 23.09.2016 auf, für die entstandenen Schäden aufzukommen. Diese Frist ließ die Beklagte zu 2) fruchtlos verstreichen.
74
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 II Nr. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
75
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.