Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 14.02.2020 – 207 StRR 8/20
Titel:

Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung im Falle des Verbreitens des Kennzeichens eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins

Normenketten:
VereinsG § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
StGB § 86a Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Auf die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG sind die zu § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze zu übertragen. Danach scheidet ein tatbestandliches „Verbreiten“ oder auch „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwiderläuft. Aufgrund der weiten Fassung auch des Tatbestands des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ist eine restriktive Auslegung erforderlich. Es ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandes stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller Umstände des Falles ermittelt wird (Bestätigung von BGH BeckRS 2015, 17433).                                                           (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbreiten, Kennzeichen, verbotene Organisation, Schutzzweck der Norm, restriktive Auslegung, Meinungsfreiheit, Aussagegehalt
Vorinstanz:
AG Augsburg, Urteil vom 19.08.2019 – 11 Cs 101 Js 112076/18 (2)
Fundstellen:
K & R 2020, 446
MMR 2020, 874
BeckRS 2020, 2232
LSK 2020, 2232

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 19. August 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

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Die statthafte (§§ 333, 335 Abs. 1 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) Sprungrevision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
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I. Teilen der Fotografie in der öffentlich einsehbaren Chronik des Facebook-Accounts am 11. März 2018 Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Zuwiderhandelns gegen ein Verbot gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG durch Verbreiten des Kennzeichens eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins verurteilt. Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt rechtfertigt den Schuldspruch nicht. Dieser wird durch die vorhandenen Feststellungen des angegriffenen Urteils nicht getragen. Es wird die Prüfung eines tatbestandlichen „Verbreitens“ oder „Verwendens“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation nicht abschließend ermöglicht.
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1. Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, ergänzt um das islamische Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019, AK 32/19, juris Rn. 6 und 7). Die Tätigkeit des IS läuft Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Verfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2014, Ziffer 1).
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2. Mit sofort vollziehbarer Verfügung vom 12. September 2014 (a. a. O., Ziffer 2, Ziffer 7) hat der Bundesminister des Innern die Betätigung des IS („Islamischen Staates“) im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten, § 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1, § 18 Satz 2 VereinsG.
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3. Das inkriminierte Prophetensiegel ist ein Kennzeichen des von dem Betätigungsverbot betroffenen IS, § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG (Verfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2014, Ziffer 3).
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4. Der Angeklagte hat das verbotene Kennzeichen durch das Teilen des Beitrags der Deutschen Welle in der öffentlich einsehbaren Chronik seines Facebook-Accounts auch im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG entweder verbreitet oder öffentlich verwendet.
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Die Fotografie, auf der das Prophetensiegel abgebildet ist, ist eine Abbildung im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VereinsG, auf den § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG verweist. Es handelt sich um eine bildliche Darstellung von Geschehnissen der Außenwelt, die unmittelbar, ohne, dass es der Benutzung von Geräten bedarf, visuell wahrgenommen werden kann (Wache in Erbs/Kohlhass, Strafrechtliche Nebengesetze Werkstand: 226. EL August 2019, § 9 VereinsG Rn. 11 und 27; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 74d Rn. 4).
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Verbreiten liegt vor, wenn die Abbildung einem größeren, individuell nicht bestimmten, für den Täter nicht kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht wird (BGHSt 13, 257; Wache in Erbs/Kohlhaas, a. a. O.; Heinrich in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 20 VereinsG Rn. 106). Dies ist hier der Fall. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte die Fotografie durch das Teilen auf seinen persönlichen Facebook-Account gezogen hat und es dadurch auf seiner persönlichen Facebook-Seite erschien (vgl. zum Teilen: VG Regensburg, RO 5 K 17.1402, Urt. v. 21. März 2019, juris Rn. 51). Allerdings setzt das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG im Gegensatz zur Verwendung die körperliche Weitergabe des Kennzeichens an einen anderen voraus, d.h. das Kennzeichen muss seiner Substanz nach an einen anderen gelangen (Heinrich in Münchener Kommentar zum StGB, a. a. O.). § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VereinsG nimmt demgegenüber allerdings ein Kennzeichenverbot bereits dann an, wenn das Kennzeichen des verbotenen Vereins in Abbildungen verwendet wird, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind, zumal sich die Frage stellt, ob infolge der unterschiedlichen Wortwahl für die Auslegung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG überhaupt auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VereinsG Rückgriff genommen werden kann (Heinrich in Münchener Kommentar zum StGB, a. a. O. Rn. 107; Roth in Schenke/Graulich, Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 20 VereinsG Rn. 78).
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Jedenfalls hat der Angeklagte das Kennzeichen aber öffentlich verwendet. Der Begriff ist weit auszulegen und erfasst jeden Gebrauch von Kennzeichen, der dieselben in irgendeiner Weise optisch oder akustisch wahrnehmbar macht, ohne dass es auf eine körperliche Überlassung, wie bei der Verbreitung, ankommt (Heinrich in Münchener Kommentar zum StGB, a. a. O. Rn. 108). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war die Chronik des Facebook-Accounts des Angeklagten öffentlich einsehbar (UA S. 3).
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5. Ein inländischer Tatort ist gegeben. Der Angeklagte hat die Fotografie nach den Feststellungen des Amtsgerichts an seiner Wohnanschrift in Deutschland geteilt (vgl. Fischer, StGB, § 9 Rn. 5b).
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6. Allerdings ist der Schuldspruch rechtsfehlerhaft, weil aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend prüfbar ist, ob ein tatbestandliches „Verbreiten“ oder „Verwenden“ des Kennzeichens des von dem Betätigungsverbot betroffenen IS ausscheidet, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider läuft. Hierzu hätte der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt werden müssen.
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a) Entsprechende Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung folgen aus dem Straftatbestand der Verbreitung bzw. des öffentlichen Verwendens des Kennzeichens selbst, denn auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG sind die zu § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze zu übertragen. Dementsprechend scheidet ein tatbestandliches „Verbreiten“ oder auch „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwiderläuft. Aufgrund der weiten Fassung auch des Tatbestands des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ist eine restriktive Auslegung erforderlich. Es ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandes stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller Umstände des Falles ermittelt wird (BGH, Urt. v. 9. Juli 2015, 3 StRR 33/15, BGHSt 61, 1 Rn. 22 f.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2019, 3 StR 47/19, NStZ 2019, 739, dritter Absatz der ergänzenden Bemerkungen; Beschluss vom 1. Oktober 2008, 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364 Rn. 27 ff.; Beschluss vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, BGHSt 25, 30, juris Rn. 9 f.).
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Anforderungen an die zu treffenden Feststellungen folgen somit insbesondere daraus, dass ein großer Teil potentiell als Verbreitung oder Verwendung eines verbotenen Kennzeichens bewertbarer Handlungen zugleich dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt und der Schutzumfang dabei aber von der näheren Qualifizierung des Sinngehalts einer Aussage abhängt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Grundrecht Vorgaben abgeleitet, die schon dem erforderlichen Ermittlungsvorgang gelten und damit rechtliche Maßstäbe für die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung enthalten. Ihre Einhaltung zu überprüfen ist Teil der revisionsgerichtlichen Kontrolle. So verstößt eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind. Dabei haben die Gerichte insbesondere ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten (siehe z.B. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2017, 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 Rn. 17). Maßstab der Sinnermittlung ist der Horizont eines verständigen Dritten (vgl. z.B. BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, NJW 2005, 1291, juris Rn. 21 m. w. N. zur Rspr. des BVerfG; Fischer, 66. Aufl. 2019, § 185 StGB Rn. 8 m.w.N.).
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Für die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Zuwiderhandlung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG anhand der konkreten Kennzeichenbenutzung gilt allerdings, dass der objektive Tatbestand der Norm - anders als hinsichtlich des Vorwurfs der Strafbarkeit einer reinen Äußerung - bereits dann erfüllt ist, wenn die äußeren Umstände nicht eindeutig sind. Bei Mehrdeutigkeit müssen also im Vergleich zu der zur Verurteilung führenden Deutung zuvor nicht andere, ebenfalls mögliche Deutungen ausgeschlossen werden. Zwar kann bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens einer verbotenen oder mit einem Beschäftigungsverbot belegten Organisation dem Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG eindeutig nicht zuwiderläuft, in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Jedoch fehlt es an einem tatbestandlichen Verbreiten oder Verwenden des verbotenen Kennzeichens nur dann, wenn der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird (vgl. BGH, Urt. v. 9. Juli 2015, a. a. O. Rn. 22 f.; vgl. Beschluss vom 1. Oktober 2008, a. a. O. Rn. 29).
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b) Diesen Anforderungen hat das Amtsgericht nicht Rechnung getragen. Zum Inhalt des Text-Beitrags der Deutschen Welle, sowie möglicherweise noch weiterer Inhalte dieses Artikels, „in welchem“ - nach den Feststellungen des Amtsgerichts (UA S. 3) - mehrere, mit Kalaschnikow bewaffnete IS-Kämpfer zu sehen seien, wobei das Foto nur „Teil dieses Beitrags“ sei, schweigen die Urteilsgründe vollständig.
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Es ist Aufgabe des Tatgerichts, bei der Prüfung der Frage, ob das Kennzeichen als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird, den mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundenen Aussagehalt anhand aller maßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung des situativen Zusammenhangs und des gesamten Kontextes festzustellen. Die daraus zu ziehenden rechtlichen Folgerungen unterliegen in vollem Umfang der revisionsgerichtlichen Kontrolle (zu § 185 StGB: Hilgendorf in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 185 StGB Rn. 9). Die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts, (auch) den „Randumständen wie dem Artikel“ könne nicht eindeutig eine nicht dem Schutzzweck zuwiderlaufende Kennzeichenverwendung entnommen werden (UA S. 4), ersetzt die Untersuchung der einzelnen Umstände der Tat und Feststellungen hierzu nicht. Die (auch) verfassungsrechtlich zu fordernde Prüfung des maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkts, ob die Kennzeichenverwendung durch den Angeklagten dem Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ersichtlich nicht zuwiderläuft, ist auf der Grundlage der vom Amtsgericht getroffenen lückenhaften Feststellungen nicht möglich (vgl. BGH, Urt. v. 18. Oktober 1972, a. a. O. Tenor und Rn. 12). Daran ändert der Umstand, dass der geteilte Artikel von der Deutschen Welle stammt, nichts, solange nicht dessen Inhalt, soweit dieser eingesehen werden kann, festgestellt ist.
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c) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts waren vollständige Feststellungen zu den konkreten Umständen der Verbreitung bzw. öffentlichen Verwendung des Kennzeichens auch nicht deswegen entbehrlich, weil der Beitrag der Deutschen Welle nach der Feststellung des Amtsgerichts, in Russisch gehalten sei (UA S. 4) - wie auch der Kommentar, „Experten haben die Waffen der IS-Milizen in Syrien untersucht, die Ergebnisse sind entmutigend! Die meisten Waffen wurden in den osteuropäischen Ländern der EU hergestellt und dann über die Vereinigten Staaten und Saudi Arabien in die Konfliktzone geliefert“, den das Amtsgericht dem Angeklagten zuordnet (UA S. 3; hierzu siehe unten). Der Aussagegehalt des Gebrauchs eines Kennzeichens gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG ist aus der Sicht eines verständigen und unbefangenen Durchschnittsbetrachters des Facebook-Accounts des Angeklagten zu ermitteln. Das Amtsgericht hat bereits nicht festgestellt, dass es sich bei diesem Personenkreis um Leser handelt, die der russischen Sprache nicht mächtig seien.
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II. Teilen der Videos in der öffentlich einsehbaren Chronik des Facebook-Accounts am 19. März 2018 Die Verurteilung des Angeklagten wegen Gewaltdarstellung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben. Auch insoweit wird der Schuldspruch durch die vorhandenen Feststellungen des angegriffenen Urteils nicht getragen.
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1. Durch das Teilen der beiden Videos in der öffentlich einsehbaren Chronik seines Facebook-Accounts hat der Angeklagte zwei Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht, § 131 Abs. 1 Nr. 1a) StGB.
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2. Ein inländischer Tatort ist gegeben. Der Angeklagte hat die Videos nach den Feststellungen des Amtsgerichts an seiner Wohnanschrift in Deutschland geteilt (vgl. Fischer, StGB, § 9 Rn. 5b).
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3. Jedoch leidet die Annahme des Amtsgerichts, die dargestellten Videos erfüllten den Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 StGB, wonach die Verbreitung einer grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeit gegen Menschen in einer Art, die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstelle, unter Strafe stehe (UA S. 4), an einem wesentlichen Darstellungsmangel. Dieser besteht darin, dass das Amtsgericht seine Interpretation der Videos nicht ausreichend aus deren objektiven Darstellungsinhalt entwickelt und festgestellt hat. Die Sachrüge hat also auch insoweit Erfolg.
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a) Die Verletzung der Menschenwürde kann im Rahmen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB in seiner dritten Variante nicht schon in der Gewalttätigkeit als solcher gesehen werden, die, wenn sie die Merkmale der Grausamkeit oder Unmenschlichkeit erfüllt, stets die Menschenwürde verletze. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Darstellung eine (grausame und unmenschliche) Gewalttätigkeit aus einem der Achtung der Menschenwürde entsprechenden Zusammenhang löst und das Zufügen oder Erleiden der Gewalt zum isolierten und wesentlichen Merkmal der dargestellten Person macht (Fischer, StGB, a. a. O., § 131 Rn. 12). § 131 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 StGB setzt somit eine Darstellung voraus, die ihrer Art nach darauf angelegt ist, eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt, was namentlich der Fall ist, wenn der Mensch als verfügbares Objekt von Gewalt vorgeführt wird. Das geschieht insbesondere dann, wenn grausame oder sonstwie unmenschliche Vorgänge gezeigt werden, um beim Betrachter ein sadistisches Vergnügen an dem Geschehen zu vermitteln, oder um Personen oder Gruppen als menschenunwert erscheinen zu lassen. Eine solche Tendenz schließt die Vorstellung von der Verfügbarkeit des Menschen als bloßes Objekt ein, mit dem nach Belieben verfahren werden kann (BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1992, 1 BvR 698/89, NJW 1993, 1457, juris Rn. 109; BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2002, 2 WDB 1/02, NVwZ-RR 2003, 287, juris Rn. 11). Beispielsweise ist das „genüssliche“ Verharren bei einem unmenschlichen Vorgang als Beispiel für den Anwendungsbereich der Norm angeführt (BT-Drs. 10/2546, S. 21 f.; BVerfG, a. a. O.), während weder die Häufung noch die aufdringliche und anreißerische Darstellung von Gewalttätigkeiten für sich allein den Tatbestand erfüllen (BVerfG, a. a. O. Rn. 110). Es sind Feststellungen erforderlich, dass der Betrachter zur bejahenden Anteilnahme an den Schreckensszenen angeregt wird (BVerfG, a. a. O. Rn. 111).
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b) Das Amtsgericht führt zur Begründung seiner Annahme, die Filme seien tatbestandsmäßig im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB in seiner dritten Variante lediglich aus, in dem Video sei das Erleiden der Gewalt des Kindes alleiniger Inhalt und auch das wesentliche Merkmal der Darstellung. Es fehle zwar an einer verherrlichenden oder verharmlosenden Tendenz, die Darstellung wirke aber „gleichwohl verrohend“. Es liege eine Verletzung der Menschenwürde des Kindes vor, der Inhalt sei menschenverachtend (UA S. 5).
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Eine Überprüfung dieser Interpretation ist dem Senat nicht möglich, da die amtsgerichtlichen Feststellungen zum Darstellungsinhalt der Videos unzureichend sind.
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Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zum Inhalt der Filme beschränken sich darauf mitzuteilen, die Videos seien jeweils 15 Sekunden lang. In diesen sei zu sehen, wie ein Kind von zwei Hunden jeweils auf der linken und rechten Körperseite gebissen würde. Hierbei würden die Hunde von zwei Soldaten bzw. Hundeführern zu den Bissen animiert. Das Kind schreie, während es gebissen werde, vor Schmerzen. Die Videodateien seien mit einem Textbeitrag in arabischer, türkischer und englischer Sprache wie folgt kommentiert: „Terroristische israelische Soldaten zerfetzen in Palästina mit Hunden Kinder“ (UA S. 4). Zur Darstellung wird angegeben, sie diene nicht der Berichterstattung, sondern verfolge politische Ziele (UA S. 5).
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Anhand dieser Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob Gegenstand der Videos (nur) die Darstellung einer die Menschenwürde verletzenden Gewalt ist oder, wie dies § 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB in seiner dritten Variante fordert, eine die Menschenwürde verletzende Darstellung vorliegt.
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Zum Inhalt der Filme werden die einzelnen Szenen der, wenn auch kurzen Videos, nicht genau beschrieben. Es fehlen Ausführungen zum Einsatz filmischer Gestaltungsmittel wie Einstellungsgröße, Kameraperspektive, Kamerabewegung und Kameratechniken. Die Beschreibung, die Hunde würden von zwei Soldaten „bzw.“ Hundeführern zu den Bissen „animiert“, enthält unbestimmte Aussagen. Zum Ton der Filme wird nur ausgesagt, dass das dargestellte Kind schreie; es ist unklar, ob der Betrachter des Films auch weitere Tonelemente vernehmen kann. Soweit das Amtsgericht feststellt, die Videodateien seien mit einem Textbeitrag in arabischer, türkischer und englischer Sprache wie folgt kommentiert: „Terroristische israelische Soldaten zerfetzen in Palästina mit Hunden Kinder“ (UA S. 4), wird nicht ausgesagt, in welcher Weise diese Kommentierung erfolgt und ob der Betrachter der Videos sie als Bestandteil des Films oder des geteilten „Beitrags“, der im Übrigen ebenfalls nicht näher beschrieben wird, wahrnimmt.
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Hinsichtlich der Darstellung wird die Zielsetzung der Gewaltdarstellung nicht ermittelt. Dies kann nur auf der Grundlage einer genauen Feststellung des Inhalts erfolgen. Es wird nicht festgestellt, wie der Betrachter den Film aufnimmt. Zwar hat das Amtsgericht letztlich festgestellt, dass in den Filmen das Kind gequält würde. Es fehlen jedoch Ausführungen dazu, dass die Videos gezielt auf Quälerei eines beliebigen Opfers ausgerichtete Handlungen zeigen, um dem Betrachter ein sadistisches bzw. masochistisches oder sonst perverses Erlebnis bzw. ähnliches Vergnügen der Anschauung des dargestellten Geschehensablaufs zu vermitteln oder um Einzelpersonen bzw. Personengruppen als lebensunwert erscheinen zu lassen (BVerwG, a. a. O. Rn. 11).
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Auf der Grundlage derartig lückenhafter Feststellungen fehlt es der rechtlichen Bewertung des Amtsgerichts, es liege eine Verletzung der Menschenwürde des Kindes vor, an dem erforderlichen Fundament, zumal unklar bleibt, ob das Amtsgericht hierbei auf den Gegenstand oder auch die Art der Darstellung Bezug nimmt.
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III. In Konsequenz hebt der Senat das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf (§ 353 StPO). Für das Eingreifen der angeklagten Straftatbestände bestehen Anhaltspunkte. Nachdem anzunehmen ist, dass fehlende Feststellungen und Wertungen noch nachgeholt werden können, verweist der Senat die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts zurück.
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IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Teilen der Fotografie am 11. März 2018
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Bei der Neuverhandlung der Sache durch das neue Tatgericht wird das Amtsgericht zu prüfen haben, ob es der Angeklagte gewesen ist, der den entsprechend bebilderten, geteilten Artikel der Deutschen Welle mit den Worten „Experten haben die Waffen der IS-Milizen in Syrien untersucht, die Ergebnisse sind entmutigend! Die meisten Waffen wurden in den osteuropäischen Ländern der EU hergestellt und dann über die Vereinigten Staaten und Saudi Arabien in die Konfliktzone geliefert“ kommentiert hat, wie dies im angegriffenen Urteil festgestellt wurde (UA S. 3). Aus dem Screenshot Bl. 52 d. A., auf den in der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen wird (UA S. 3), könnte sich vielmehr ergeben, dass sich dieser im angegriffenen Urteil wiedergegebene Text auf den geteilten Beitrag der Deutschen Welle („DW“) bezieht (vgl. die vier Zeilen direkt über der Fotografie), während der Angeklagte den geteilten Beitrag der Deutschen Welle wohl nur in den aus dem Screenshot ersichtlichen anderthalb Zeilen kommentiert hat. Zudem wird sich das Amtsgericht mit dem Aussagegehalt derjenigen Textzeile zu befassen haben, die sich unter der Fotografie befindet.
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Bei der Ermittlung des Aussagegehalts des Gebrauchs des Kennzeichens wird das nach der Zurückverweisung mit der Sache befasste Amtsgericht auf den Gesamtkontext des Kennzeichengebrauchs unter etwaiger Berücksichtigung einer eigenen Kommentierung durch den Angeklagten sowie den Inhalt des geteilten Beitrags der Deutschen Welle, soweit dieser vom Betrachter eingesehen werden konnte, abzustellen haben.
2. Teilen der Videos am 19. März 2018
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Das Amtsgericht wird die inkriminierten Videos in Augenschein zu nehmen haben, wobei der Datenträger, der zum Abspielen der Filme verwendet worden ist, im Urteil unter Bezugnahme auf die Akte zu bezeichnen sein wird. Der Inhalt der Videos und die Form der Darstellung werden vom Amtsgericht eingehend zu beschreiben sein. Hinsichtlich der Zielrichtung der Filme und dessen Aufnahme durch den Betrachter wird ggf. Sachverständigenbeweis zu erheben sein (vgl. BVerwG, a. a. O. Rn. 12). Der Textbeitrag „Terroristische israelische Soldaten zerfetzen in Palästina mit Hunden Kinder“ wird zu würdigen sein.