Titel:
Kein Sachmangel bei Ausfallerscheinungen nur in besonderen Verwendungssituationen
Normenkette:
BGB § 434
Leitsatz:
Effekte und Fehlerbilder, die bei einer Digitalkamera nur in besondere Verwendungssituationen auftreten, die nicht mehr zu der gewöhnlichen Verwendung zählen, begründen keinen Sachmangel, sofern die Parteien keine besondere Verwendungseignung vereinbart haben. (Rn. 11 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sachmangel, Verwendungseignung, Verwendungszweck, Digitalkamera, Kaufvertrag, Ausfallerscheinungen, gewöhnliche Verwendung, Fehlerbild
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 19.11.2020 – 6 S 8834/20
Fundstellen:
BeckRS 2020, 22244
LSK 2020, 22244
MMR 2020, 872
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.799,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über eine Digitalkamera wegen eines Sachmangels.
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Die Beklagte betreibt einen Groß-, Versand- und Einzelhandel u.a.mit Fotoapparaten und sowie einen Internetshop. Der Kläger bestellte bei der Beklagten eine Digitalkamera nebst Objektiv zum Preis von 1.799,00 €. Die Ware wurde ihm am 25.07.2016 geliefert.
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Der Kläger trägt insbesondere vor, die streitgegenständliche Digitalkamera sei dergestalt mangelhaft, dass nach Antippen des Auslöseknopfes ein Pfeifen ertöne und das Objekt vibriere; begleitet werde diese Erscheinung von einem Wackeln im Sucher und im Display; die Probleme würden dann nicht auftreten, wenn der Bildstabilisator deaktiviert sei, wobei der Mangel bei niedrigen Temperaturen auftrete.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.799,0 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über Basiszins seit 11.02.2017 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Rückgabe der Digitalkamera und weiter festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der Digitalkamera in Verzug befindet und weiter die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 32,97 € zu bezahlen und ihm anrechenbare vorgerichtliche Kosten in Höhe von 255,85 € zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte meint, dass die verkaufte Kamera nicht mangelhaft sei.
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Das Gericht hatte zunächst den Gutachter Herrn B mit der Erstellung eines Gut achtens zu den vom Kläger behaupteten Mängeln beauftragt. Nach Vorlage des Gutachtens lehnte der Kläger den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit erfolgreich ab. Der daraufhin bestellte Sachverständige Herrn U erstattete am 02.03.2020 sein schriftliches Gutachten.
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Mit Beschluss vom 29.04.2020 (Bl. 227 d.A.) wurde das schriftliche Verfahren angeordnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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Das Gericht folgt dem Kläger schon nicht darin, dass die von ihm erworbene Digitalkamera einen Sachmangel (§ 434 BGB) aufweist, so dass es auf die Erheblichkeit (§ 323 Abs. 5 BGB) der von ihm gerügten Fehler nicht weiter ankommt.
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In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht davon aus, dass die vom Sachverständigen (SV) U in dessen schriftlichen Gutachten vom 02.03.2020 (Bl. 166 d.A.) festgestellten „Effekte“/“Fehlerbilder“ (pfeifen, summen und vibrieren) beim Gebrauch der Kamera bei niedrigen Temperaturen (Seiten 35 ff = Bl. 198 ff d.A.) in unregelmäßigen Fällen zufällig und nicht vorhersehbar auftreten. In rechtlicher Hinsicht stellt dies jedoch keinen Mangel der Kaufsache nach § 434 BGB dar.
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Eine bestimmte Beschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB wurde nicht vereinbart. Auch ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt nicht vor. Die vom Sachverständigen festgestellten Effekte stehen der Eignung der Kamera für die „gewöhnliche Verwendung“ nicht entgegen und ihre Beschaffenheit weicht auch nicht von Sachen der gleichen Art ab, die der Käufer erwarten darf (Satz 2 Nr. 2). Die gekaufte Kamera ist auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung geeignet (Satz 2 Nr. 1).
13
Eine besondere Verwendungseignung wurde im Vertrag nicht vereinbart. Insbesondere wurden weder die Naturfotografie noch die bevorzugte Verwendung im Freien bei niedrigen Temperaturen als Anforderungen an das Produkt angesprochen. Soweit der Kläger auf den eher hohen Preis der Kamera mit Objektiv von 1.800,00 € hinweist, liegt darin kein besonderer Verwendungszweck. Allein aus dem Preis lässt sich auch keine „professionelle“ Verwendung ableiten, da auch Laien oder Hobbyphotografen sich solche Produkte kaufen. Zudem steht eine lange Verwendung der Kamera im Freien bei niedrigen Temperaturen in keinem Zusammenhang mit dem Preis, da Kameras auch nur zur Nutzung in Räumen (z.B. für Studioaufnahmen) erworben werden können.
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Die vom SV festgestellten Ausfallerscheinungen traten nur in besondere Verwendungssituationen auf, die nicht mehr zu der gewöhnlichen Verwendung zählen. Es fehlt damit an einem Sachmangel.
15
Das Fehlerbild war nur (teilweise) reproduzierbar, nachdem die Kamera mit Objektiv über einen Zeitraum von 14 Stunden auf 4 Grad Celsius oder über 24 Stunden auf 3 Grad Celsius abgekühlt wurden. Keinen Nachweis der Effekte konnte der SV dagegen bei einer Kühlungsdauer von 17 Stunden feststellen. Die Einsatzbedingungen unter denen überhaupt Fehlerbilder erzeugt werden konnten, gehören nach Auffassung des Gerichts aber nicht mehr zu den „gewöhnlichen Nutzungsbedingungen“, denen das Produkt gewachsen sein muss. Eine Einschränkung der Nutzung bei „kalten Orten“ ergibt sich schon aus dem Bedienungshandbuch, das auf allgemeine Probleme in diesem Temperaturbereich hinweist. Die Beklagte hat auch unbestritten vorgetragen, dass es üblich ist und empfohlen wird, eine Kamera nicht über lange Zeit bei kalten Außentemperaturen zu benutzen, diese im Winter über Nacht im Auto liegen zu lassen und bei Nutzung in Kälte warm zu halten (Schriftsatz vom 23.04.2020, Seite 7 f = Bl. 224 f d.A.). Nach den Feststellungen des Sachverständigen kann die Kamera auch bei Temperaturen um 3 Grad Celsius benutzt werden; erst wenn sie dieser Temperatur mehr als 14 Stunden ausgesetzt ist, kann es zu den Auffälligkeiten kommen.
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Eine jederzeitige problemlose Verwendung der Kamera unter diesen Bedingungen kann ein Käufer aber nicht mehr erwarten. Nach den Feststellungen des SV ist eine Nutzung der Kamera auch in den Wintermonaten möglich, wobei sich der Kunde bei niedrigen Plusgraden dazu auch über mehrere Stunden im Freien aufhalten kann. Wenn ihm dieser Nutzungszeitraum für mehr als 12 Stunden zur Verfügung steht, genügt dies den üblichen Erwartungen. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass sich ein durchschnittlicher Käufer in unseren Breiten und den damit verbundenen Lichtverhältnissen im Winter ohne Unterbrechung länger als 12 Stunden im Freien zum Zweck von Fotoaufnahmen aufhalten wird. Dies gilt auch, wenn er ein technisch und preislich hochwertiges Produkt verwendet. Die besonderen technischen Vorzüge, die sich im Preis abbilden, gelten für verschiedene Arten der Nutzung und stehen auch dem Kläger zur Verfügung. Möglicherweise führt sogar die besondere technische Ausgestaltung dazu, dass bei kalten Temperaturen überhaupt erst Probleme auftreten können (vgl. die Überlegungen des SV zum Einfluss des Bildstabilisators).
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Der Kläger trägt nicht vor, dass bei vergleichbaren Kameras anderer Hersteller die hier festgestellten Fehlerbilder nicht auftreten können.
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Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung fußt auf § 3 ZPO.