Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 04.08.2020 – AN 19 K 20.30277
Titel:

Unzulässiger Folgeantrag

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 32, § 33, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
Leitsätze:
1. Macht der Kläger im Folgeverfahren ausschließlich bereits im Asylerstverfahren bekannte Gründe geltend, ist von der Unzulässigkeit des Folgeantrags auszugehen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens stellt sich als Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags dar, welche mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf das Rechtsschutzziel der Feststellung eines Abschiebungsverbots ist die Verpflichtungsklage die richtige Klageart. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässiger Folgeantrag, Asylantrag, Asylberechtigung, Asylfolgeantrag, Aufenthaltsverbot, iranischer Staatsangehöriger, Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22201

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit und nach eigenen Angaben konfessionslos, reiste am 29. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. April 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylerstantrag. Mit Bescheid vom 27. April 2017 (Az. …) wurde das Asylverfahren des Klägers eingestellt (Ziffer 1). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Kläger wurde darüber hinaus aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen. Gleichzeitig wurde die Abschiebung in den Iran angedroht (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
2
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger, obwohl ihm für den 22. November 2016 und den 12. Dezember 2016 Termine zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden seien, jeweils ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei. Der Asylantrag gelte daher als zurückgenommen, da der Kläger das Verfahren nicht betrieben habe. Daher sei gemäß § 32 AsylG festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei.
3
Ausweislich eines Aktenvermerks des Bundesamtes (Bl. 61 der Bundesamtsakte im Verfahren zum Asylerstantrag) wurde der Bescheid vom 27. April 2017 am 28. April 2017 als Einschreiben zur Post gegeben, unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 VwZVG.
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Laut Aktenvermerk des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 (Bl. 70 der Bundesamtsakte zum Asylerstantrag) habe der Bescheid nicht zugestellt werden können. Die Zustellung des Bescheides gelte jedoch mit Aufgabe zur Post als bewirkt, da der Kläger gemäß § 10 AsylG belehrt worden sei.
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Durch Schriftsatz vom 24. Januar 2020 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten beim Bundesamt einen Asylfolgeantrag stellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach Überzeugung des Bevollmächtigten Abschiebungen in den Iran aufgrund der aktuellen Zuspitzung dort nicht stattfinden dürfen. Die vielen Medienberichte nach der Tötung eines hohen Militärs durch die USA, Flugzeugabschuss etc. seien bekannt.
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Gegenüber dem Bundesamt erklärte der Kläger am 28. Januar 2020 zu seinen Gründen für seinen erneuten Antrag, dass er sich Sorgen um seine Seele und sein Leben mache. Zum Beweis könne er die Verletzungen an seinem Körper vorzeigen und die Namen nennen, die ihn bedrohten. Bei einer Rückkehr in seine Heimat werde er sofort festgenommen und eingesperrt, umgebracht zu werden, sei sehr wahrscheinlich (Bl. 45 f. der Bundesamtsakte zum Asylfolgeantrag).
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Im Rahmen der informatorischen Anhörung am 18. Februar 2020 gab der Kläger zu den Gründen, die ihn zur Stellung eines neuen Asylantrags veranlasst haben befragt, an, dass er im Winter 2014/2015 eine Frau namens … kennengelernt habe. Sie hätten sich ineinander verliebt und miteinander über eine Eheschließung gesprochen. Kurz vor dem iranischen Neujahrsfest am 21. März 2015 habe sie ihm berichtet, dass sie bereits verheiratet sei. Ungefähr im April 2015 sei der Ehemann von … von seiner Dienstreise zurückgekommen, und da hätten die Probleme angefangen. Sie hätten sich nicht mehr beliebig treffen können, vielleicht nur noch einmal in der Woche. Nach einem Treffen mit … sei er von zwei Personen entführt worden und an Händen und Füßen gefesselt irgendwohin gebracht worden. Man habe angefangen, ihn zu verprügeln und gesagt: „Das bekommst du dafür, dass du mit einer verheirateten Frau rummachst“. Dann hätten die Personen ihn am frühen Morgen nackt in einem Dorf in der Nähe seines Heimatortes aus dem Auto geworfen. Zu Hause habe er mit der Schwester seiner Freundin Kontakt aufgenommen, diese habe ihm berichtet, dass der Ehemann von der Beziehung erfahren habe und die Situation so sei, dass er keinen Kontakt mit … aufnehmen könne. Der Kläger führte aus, dass seine seelische Situation sehr schlecht gewesen sei. Auf Empfehlung eines Psychotherapeuten und seiner Familie habe er dann eine Reise nach … unternommen. Dort sei er etwa zwei Monate geblieben. Er habe dort aber keinen Kontakt mit … aufnehmen können, weshalb er nach Hause zurückgekehrt sei. Eines Abends habe er sich betrunken und sich in das Viertel begeben, wo … gewohnt habe. Als er dort angekommen sei, habe er Geschrei veranstaltet. Zu diesem Zeitpunkt sei der Ehemann von … nicht im Hause gewesen. Auf dem Rückweg habe er zum ersten Mal seit langer Zeit einen Anruf von ihr bekommen. Sie habe ihm mitgeteilt, dass ihr Ehemann über die Nachbarschaft erfahren habe, dass er dort gewesen sei. Der Kläger habe sich sodann zu seiner Schwester begeben. Der Ehemann und weitere Personen seien in der Zwischenzeit in sein Elternhaus eingedrungen und hätten damit gedroht, ihn umzubringen. Der Kläger sei sodann in die Türkei gereist und habe dort Asyl beantragt. Er sei etwa zwei Monate lang in der Türkei geblieben. Während dessen hätten seine Familienangehörigen mit der Sippe des Ehemanns von … Kontakt aufgenommen und versprochen, dass er seinen Kontakt zu … einstellen werde. Daraufhin sei er in den Iran zurückgekehrt.
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Der Kläger gab an, dass bei seiner Rückkehr die Erinnerungen wieder in ihm hochgekommen seien und er Kontakt zu … aufgenommen habe. Sie hätten sich dann während des schiitischen Trauermonats heimlich getroffen und seien eine Weile mit seinem Auto herumgefahren. Als er sie in ihre Stadt zurückgebracht habe und sie aus dem Auto ausgestiegen sei, habe ihr Ehemann ihn gesehen. Er sei sodann geflüchtet und nach Hause zurückgekehrt. Am nächsten Morgen habe er eine Nachricht von … Schwester erhalten, diese teilte ihn mit, dass der Ehemann … stark verprügelt und sie sich am selben Tage umgebracht habe, indem sie sich mit Benzin übergossen und angezündet habe. Er sei außer sich gewesen und habe nicht gewusst, was zu tun sei. Am darauffolgende Tag seien einige unbekannte Personen in das Haus seiner Eltern eingedrungen und hätten das ganze Haus auf der Suche nach ihm auf den Kopf gestellt. Sie hätten zu seiner Familie gesagt, dass sie ihn umbringen wollten und gefragt, wo sie ihn antreffen könnten. Seine Schwester habe über die Nachbarschaft einen Schlepper für ihn ausfindig gemacht. Er sei dann in die Türkei geflogen, wo er den Schlepper getroffen und mit seiner Hilfe nach Deutschland gekommen sei. Seine Familie werde von diesen Leuten weiterhin schikaniert und belästigt. Sein Vater sei gezwungen gewesen, vor zwei Monaten das Haus zu verkaufen und jetzt in einem anderen Viertel zu wohnen. Der Ehemann von … sei Militärangehöriger gewesen. Aus Scham und wegen seiner Ehre habe er nicht alles öffentlich machen und ihn bei der Behörde anzeigen wollen. Aber nach dem Selbstmord von … habe er ihn dann doch angezeigt. Der Kläger führte aus, dass er im Falle einer Rückkehr nicht nur Probleme mit einer Person bekommen würde, sondern auch mit dem Staat. Entweder werde er vom Staat getötet oder auch von dieser Gruppe, die zur Sepah gehöre. Der Ehemann von … gehöre der Sepah an, dabei handle es sich um eine staatliche militärische Organisation. Von der Anzeige wisse er, weil bei seinen Eltern eine Vorladung vom Gericht und von Ordnungskräften angekommen sei. Ihm werde Ehebruch und auch die Verantwortung für den Tod von … vorgeworfen. Innerhalb des Iran habe es keine Fluchtmöglichkeiten für ihn gegeben, weil die Sepah im ganzen Iran sei. Egal, in welchem Dorf er gelebt hätte, man hätte ihn dort ausfindig machen können. Die Sepah habe ein starkes Sicherheitssystem. Auch ein Schuster in seiner Straße könne ein Sepahangehöriger sein.
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Zu dem Grund, weshalb er nicht zu der für den 12. Dezember 2016 terminierten Anhörung im Erstverfahren erschienen sei, gab der Kläger an, dass er Probleme mit der Person, wo er geschlafen habe, gehabt habe. Er habe daher dort nicht übernachten können und die Zeit auf den Straßen verbracht. Diese Person habe ihm auch von dem Schreiben nicht erzählt. Er habe vorher keinen neuen Antrag stellen können, weil er im Gefängnis gewesen sei und eine Therapie gemacht habe. Als er aus dem Gefängnis entlassen worden sei, habe er eine Ausreiseaufforderung erhalten.
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Mit Bescheid vom 26. März 2020 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Folgeantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 27. April 2017 (Az. …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde abgelehnt (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag im Asylfolgeverfahren unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien, folglich Wiederaufgreifensgründe vorlägen. § 51 Abs. 1 VwVfG fordere einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht vor vorne herein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein dürfe, zur Asylberechtigung oder Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen (unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3.3.2000, 2 BvR 39/98, DVBl. 2000, 1048 bis 1050). Demzufolge sei ein schlüssiger Vortrag, der ein günstigere Entscheidung möglich erscheinen lasse, ausreichend. Weiterhin sei der Antrag nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande gewesen sei, den Grund für das Wiederaufgreifen in früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Wiederaufgreifengrundes gestellt habe. Der Kläger habe jedoch keine Sachlagenänderung geltend gemacht. So habe er auf Nachfrage seine erneute Antragstellung damit begründet, dass er nach seiner Haftentlassung aufgefordert worden sei, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Der Kläger habe sein Erstverfahren nicht betrieben, so dass ihm die nicht erfolgte Geltendmachung aller ihm während des Erstverfahrens bekannt gewordenen Asylgründe zuzurechnen sei. Den Umzug seiner Eltern habe er auch lediglich damit begründet, dass diese in ihrem Viertel in Verruf gekommen seien. Der Kläger stelle dies also nicht im Zusammenhang mit einer ihm aufgrund einer Sachlagenänderung drohenden Verfolgung oder einer daraus erwachsenen Gefahr eines ernsthaften Schadens. Das Vorbringen des Klägers sei daher von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet, zur Anerkennung der Asylberechtigung oder Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen. Die nach § 51 Abs. 1 VwVfG erforderliche Änderung der Sachlage sei somit nicht gegeben. Die vom Kläger geltend gemachten Verletzungsspuren und Namen, die ihm bekannt seien, stellten bereits keine neuen Beweismittel mit Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dar, da ihm auch diesbezüglich die Geltendmachung bereits im Erstverfahren möglich gewesen sei. Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG seien nicht ersichtlich.
12
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben. Es sei im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt worden, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht bestünden, so sei im Rahmen einer erneuten Befassung im Folgeantragsverfahren zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen. Insoweit bestehe ein Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG seien allerdings nicht erfüllt.
13
Das Verfahren könne jedoch im Interesse der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch das Bundesamt wiedereröffnet und die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen werden (§§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG, Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Insoweit bestehe ein Anspruch des Antragstellers auf fehlerfreie Ermessensausübung (unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21.3.2000, BVerwGE 111,77 und Beschluss vom 15.1.2001, Az: 9 B 475.00). Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen jedoch ebenfalls nicht vor. Hinweise, die ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne der §§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG rechtfertigen würden, ergäben sich nicht aus dem im Folgeverfahren erstmalig vorgetragenen Verfolgungsschicksal.
14
Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG sei unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. In Betracht komme dabei in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK und damit die Prüfung, ob im Falle einer Abschiebung der Betroffene tatsächlich Gefahr laufe, einer dieser absoluten Schutznorm widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dessen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt. So seien die Bedrohungen für den Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland nicht substantiiert vorgetragen worden. Eine dem Kläger relevante Rechtsgutsverletzung durch einen staatlichen Akteur sei nach seiner inzwischen mehr als vier Jahre zurückliegenden Ausreise somit nicht beachtlich wahrscheinlich. Das Bundesamt führte weiter aus, dass dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde, drohe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des Bundesamtsbescheids Bezug genommen.
16
Mit bei Gericht am 6. April 2020 eingegangenem Telefax ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes vom 26. März 2020 (Az. …) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheids vom 27. April 2017 (Az. …) festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
17
Mit Schriftsatz vom 9. April 2020 beantragte die Beklagte
Klageabweisung.
18
Mit Beschluss der 19. Kammer vom 28. April 2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
19
In der mündlichen Verhandlung am 4. August 2020 wiederholte der Kläger seinen zuvor schriftsätzlich gestellten Klageantrag.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil der Kläger weder einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 26. März 2020 hinsichtlich dessen Ziffer 1 hat noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG (Ziffer 2). Denn der angefochtene Bescheid erweist sich nach Prüfung durch das Gericht als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
22
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
23
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten Bescheid des Bundesamtes vom 26. März 2020, § 77 Abs. 2 AsylG, und führt im Hinblick auf den Verlauf und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung ergänzend aus:
24
1. Gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist allein - die vorliegend insoweit erhobene - Anfechtungsklage die statthafte Klageart.
25
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (geltende Rechtslage seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 (BGBl. 2016 I 1939)) stellt sich die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG - hier durch Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides - als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages dar, welche mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016, 1 C 4.16, juris, Rn. 15 ff.).
26
Die zulässige Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bundesamtsbescheides ist jedoch unbegründet. Denn der Bescheid des Bundesamtes vom 26. März 2020 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Bundesamt hat den Folgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorliegen (§§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
27
Gemäß § 71 Abs. 1 AsylG hat der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
28
So muss sich gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung bedingen, (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO vorliegen (Nr. 3)
29
Zudem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Darüber hinaus muss der Antrag binnen drei Monaten nach Kenntniserlangung von dem Wiederaufgreifensgrund gestellt werden, § 51 Abs. 3 VwVfG. Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG beginnt die Frist mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
30
Vorliegend macht der Kläger ausschließlich Gründe geltend, von denen er bereits im Zeitpunkt des Asylerstverfahrens Kenntnis gehabt hat. Grund für seine Ausreise ist nach seinem Vorbringen allein der Konflikt mit dem Ehemann seiner verstorbenen Freundin. Die in diesem Zusammenhang dargelegten Tatsachen und Umstände lagen sämtlich bereits zutage, als der Kläger seinen Asylerstantrag gestellt hatte, und somit auch, als die Einstellungsentscheidung des Bundesamtes ergangen war.
31
Das Asylerstverfahren des Klägers wurde bereits mit Bescheid vom 27. April 2017 gemäß §§ 33, 32 AsylG eingestellt. Ein Rechtsbehelf wurde dagegen nicht erhoben, genauso wenig wurde ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 AsylG gestellt.
32
Der Folgeantrag wurde erst knapp drei Jahre später, nämlich am 24. Januar 2020, durch den Bevollmächtigten des Klägers gestellt. Dass der Kläger etwa mehr als zwei Jahre keine Kenntnis von dem Einstellungsbescheid gehabt haben und damit gehindert gewesen sein soll, seine Fluchtgründe, in einem etwaigen Rechtsbehelfsverfahren oder in einem Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 33 Abs. 5 AsylG darzulegen, wurde im gesamten behördlichen und gerichtlichen Verfahren nicht einmal ansatzweise vorgetragen.
33
Gegenüber dem Bundesamt hat der Kläger insoweit im Rahmen der informatorischen Anhörung am 18. Februar 2020 (Blatt 74 ff. der Bundesamtsakte zum Folgeverfahren) auf entsprechende Nachfrage erklärt, dass er, als er aus dem Gefängnis entlassen worden sei, eine Ausreiseaufforderung bekommen habe. Im Gefängnis bzw. während seines Gerichtsverfahrens habe er keinen neuen Antrag gestellt, weil er bei der Therapie gewesen sei und einen Anwalt genommen habe. Dort habe er eine Abschiebung erhalten. Der Anwalt habe für ihn eine Duldung erreicht, aber er habe kein Schreiben zur Anhörung erhalten. In der mündlichen Verhandlung am 4. August 2020 erklärte der Kläger zu diesem Thema, dass er im entsprechenden Zeitraum in Haft gewesen und zwar willens gewesen sei, sein Asylverfahren weiter zu betreiben, aber nicht gewusst habe, wie er dies hätte bewerkstelligen können.
34
Dieser Einwand ist zum einen nicht hinreichend konkret und substantiiert dargetan worden. Der Kläger hat nach eigenen Angaben einen Rechtsbeistand im Gefängnis gehabt. Zum anderen ist die Dreimonatsfrist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut unabhängig davon zu beurteilen, ob dem Antragsteller ein Verschulden oder ein Verstoß gegen die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vorgehalten werden kann.
35
Vielmehr ist dies allein im Rahmen der Prüfung von § 51 Abs. 2 VwVfG relevant, wonach der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Auf das Problem, ob die Mitwirkungspflichten des Asylantragstellers im Rahmen von § 10 AsylG derart weit gehen, dass auch ein „Umzug“ in eine Haftanstalt dem Bundesamt mitgeteilt werden muss, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an, weil jedenfalls die Dreimonatsfrist gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG abgelaufen ist.
36
Letztlich wurde das Vorliegen eines Grundes für das Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG nicht einmal ansatzweise geltend gemacht. Das Gericht sieht in dem bisherigen Vorbringen des Klägers keinen schlüssigen Vortrag, der eine günstigere Entscheidung als die im Ausgangsverfahren überhaupt möglich erscheinen lässt, so dass auch insoweit von der Unzulässigkeit des Folgeantrages auszugehen ist. Denn letztlich hat der Kläger ausschließlich bereits im Asylerstverfahren bekannte Gründe geltend gemacht.
37
2. Die im Hinblick auf das Rechtsschutzziel der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG richtigerweise erhobene Verpflichtungsklage (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 20) erweist sich ebenfalls als unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, so dass der streitgegenständliche Bescheid auch in seiner Ziffer 2 nicht zu beanstanden ist und der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Unabhängig von der Frage, ob das Bundesamt sich auf die Prüfung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG beschränken durfte oder ob hier unabhängig davon eine Entscheidung in der Sache, d.h. über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hätte erfolgen müssen (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG), ist auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren hinreichend konkret und substantiiert geltend gemacht worden.
38
Nach alledem erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.