Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 31.08.2020 – AN 17 S 18.50859
Titel:

Abschiebung Schutzberechtigter nach Griechenland

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36, § 38, § 75 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Es bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, anerkannten Schutzberechtigten die Abschiebung nach Griechenland anzudrohen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Asylbewerber, die in Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, gibt es dort keine speziellen Hilfsangebote. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Zugang zu Sozialleistungen, zum griechischen Arbeitsmarkt und zu medizinischer Versorgung besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. (Rn. 24 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ohne das Vorliegen gefahrerhöhender individueller Besonderheiten können einem erwachsenen gesunden Antragsteller ohne familiäre Verpflichtungen vorübergehend auch schwierige Verhältnisse zugemutet werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebungsdrohung nach Griechenland rechtmäßig für allein reisenden, in Griechenland anerkannten Asylbewerber ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände, einstweiliger Rechtsschutz, syrischer Staatsangehöriger, Schutzstatus, Schutzberechtigter, Griechenland, Abschiebungsandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22189

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
2
Der 1984 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen Angaben am 15. September 2018 in die Bundesrepublik Deutschland von Griechenland kommend ein und stellten 24. Oktober 2018 in Deutschland einen Asylantrag.
3
Die EURODAC-Abfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ergab die Gewährung von internationalen Schutz in Griechenland am 6. Juni 2017.
4
Im Rahmen von vorbereitenden Befragungen vor dem Bundesamt am 8. November 2018 gab der Antragsteller an, sein Heimatland am 29. März 2017 verlassen und am 2. Mai 2017 nach Griechenland eingereist zu sein und sich dort, zuerst auf der Insel Lesbos, wo die Verhältnisse schwierig gewesen seien und er am Beim verletzt gewesen sei, und dann, nachdem er im Juni oder Juli 2017 einen Aufenthaltsstatus und einen drei Jahre lang gültigen Reisepass erhalten habe, in Athen vier Monate auf der Straße bzw. im Garten einer großen Kirche gelebt zu haben. Leistungen habe er dort nicht mehr erhalten. Er habe aus Müllcontainern gelebt. Er habe auf die Insel zurück gesollt, dies aber nicht gewollt und die 50 Euro für den Rücktransfer nicht aufbringen können. Niemand habe sich um ihn gekümmert. Er habe die Sprache nicht gekonnt. Die Kosten für das Flugticket nach Deutschland in Höhe von 260 Euro habe er sich von einem Mann geliehen. Die griechischen Papiere habe er zwischenzeitlich zerrissen. Seine Frau und seine Kinder seien in Syrien. Er möchte sie nach Deutschland nachholen.
5
Mit Bescheid vom 12. November 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einer Woche zu verlassen und droht ihm widrigenfalls die Abschiebung nach Griechenland an; nach Syrien dürfe er jedoch nicht abgeschoben werden (Ziffer 3). Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
6
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten erhob der Antragsteller am 19. November 2018 Klage vor dem Verwaltungsgericht Ansbach und beantragten gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 12. November 2018 anzuordnen.
7
Zur Begründung berief sich die Antragstellerseite auf systemische Mängel im Asylsystem.
8
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 22. November 2018, den Antrag abzulehnen.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
10
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 12. November 2018 ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
11
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids erhoben worden. Der Klage gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG mit korrekter Fristsetzung nach § 36 Abs. 1 AsylG kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der grundsätzlich statthafte und zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist.
12
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nicht bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - juris).
13
Die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 12. November 2018 erscheint nach Aktenlage und dem Vorbringen der Antragstellerseite im gerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung der aktuellen Lage für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland, von der das Gericht nach der Auswertung aktueller Erkenntnisquellen und unter Berücksichtigung der von der Antragstellerseite genannten Quellen ausgeht, und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für anerkannt Schutzberechtigte (U.v. 19.3.2019 - C-163/17 „Jawo“ - NVwZ 2019, 712 ff., C-297/17 „Ibrahim“ u.a. - juris, U.v. 19.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 - „Hamed“ und „Omar“ - NVwZ 2020, 137 ff.) im Ergebnis voraussichtlich als rechtmäßig. Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. U.v. 10.7.2020 - AN 17 K 17.51171 - juris) bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Rückkehr von gesundheitlich nicht eingeschränkten und auch sonst nicht vulnerablen alleinstehenden Männern wie den Antragsteller.
14
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anerkannten Schutzberechtigten grundsätzlich unzulässig und in der Folge eine Abschiebungsandrohung dorthin veranlasst. Nur ausnahmsweise, nämlich nur bei Erreichen der hohen Hürde einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führt eine schwierigere Lage für anerkannt Schutzberechtigte in anderen Mitgliedsstaaten im Vergleich zur Lage in der Bundesrepublik Deutschland zum Klageerfolg. Die ist erst der Fall, wenn - plakativ formuliert - der Anerkannte trotz zumutbarer Eigeninitiative im dem zuständigen Staat nicht in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH Bad-Württ., B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris Rn. 5, EuGH, a.a.O., siehe auch EGMR, U.v. 4.11.2014 „Tarakhel“ - NWvZ 2015, 127 ff.) und ihm deshalb ernsthaft eine Verelendung droht. Hiervon geht das erkennende Gericht nach den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht aus. Es wird dabei von folgender Sachlage ausgegangen:
15
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannt Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
16
Staatliche Integrationsmaßnahmen gibt es kaum. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen bzw. es fehlt an nennenswerten staatlichen Ressourcen zu einer Implementierung (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe vom 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, Ziffer 6. Schutzberechtigte, S. 27 f.). Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.; BFA a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7; BFA a.a.O.).
17
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (OVG SH, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Country Report of Human Rights Practices for 2019, Greece, Section 2. f. Protection for Refugees, S. 14; UNHCR, Fact Sheet Greece, Februar 2020; BFA a.a.O. S. 32). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
18
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; BFA a.a.O., S. 30; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2019, Flüchtlinge und Asylsuchende, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Wohnraum, Stand: 16.4.2020). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (BFA a.a.O., S. 30).
19
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind und zudem nur für einen mehrmonatige Übergangszeitraum (BFA a.a.O., S. 26; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, a.a.O.).
20
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen derzeit ca. 4.600 Appartements und insgesamt ca. 25.500 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Mai 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2; Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece - a case study, Stand 4.1.2019, S. 3). Durch das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. November 2019 in Kraft trat, wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft; sie sollen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben sollte (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
21
Das Helios-2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Griechenland zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: derzeit keine Kenntnisse des AA hierüber; vgl. auch: https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios).
22
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (BFA a.a.O., S. 30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit (Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece - a case study, Stand 4.1.2019, S. 4). Eine Erhebung des Refugee Support Aegean (RSA) vom 16. Juli 2018 ergab beispielsweise, dass in der Stadt Athen zwei Herbergen für Obdachlose bestehen, die zusammen eine Kapazität von 212 Plätzen für Erwachsene aufweisen. Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt sechs Monate. Diese Herbergen werden im Zusammenwirken mit NGOs bzw. durch das Rote Kreuz betrieben. Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten bewerben sich viele Schutzberechtigte erst gar nicht für einen Platz in einer dieser Herbergen. Im Ergebnis bleiben viele anerkannt Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (für alles Vorstehende: Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 6 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
23
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
24
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen - unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr - wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; BFA a.a.O., S. 28: Mindestaufenthalt ein Jahr).
25
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; BFA a.a.O., S. 29).
26
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA a.a.O., S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu tritt regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannt Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (für alles Vorstehende: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; BFA a.a.O., S. 31).
27
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte einschränkungslos gegeben, unterliegt allerdings im Übrigen denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).
28
Unter Heranziehung des oben dargelegten strengen Maßstabs nach der Rechtsprechung und mangels Vorliegens von gefahrerhöhenden individuellen Besonderheiten beim Antragsteller, ist eine unmenschliche bzw. erniedrigenden Situation im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh für ihn in Griechenland nicht anzunehmen. Zwar ist der Zugang zu Sozialleistungen in einer Anfangsphase nicht gewährleistet und ist es allgemein in der Tat äußerst schwierig, an geregelte Arbeit und eine angemessene Unterkunft zu kommen, jedoch können dem Antragsteller als erwachsenen und gesunden Mann vorübergehend auch schwierige Verhältnisse zugemutet werden. Er ist in seiner Eigeninitiative nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt, kann sich ohne Einschränkung der Alltagsbewältigung und Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts widmen. Ihm ist dabei auch eine Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft oder vorübergehend in informellen Strukturen zumutbar. Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und Integration leisten insbesondere auch die NGOs, an die er sich wenden kann. Mit einer hilflosen Lage und Verelendung ist bei zuzumutender Eigeninitiative und bei Inanspruchnahme dieser Hilfeleistungen somit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Der Antragsteller war insbesondere auch während seines Aufenthalts in Athen vor seiner Einreise nach Deutschland im Mai 2018 in der Lage, sich selbst zu helfen und ist insbesondere an ausreichend Geld für seine Ausreise nach Deutschland gelangt. Nach seiner eigenen Aussage wollte er das Geld lediglich nicht für seinen Unterhalt bzw. zur Bewältigung seiner Situation in Griechenland einsetzen. Der Wunsch, seine Familie aus Syrien nachzuholen, ist für das vorliegende Verfahren hingegen nicht maßgeblich und hindert die Rückführung nach Griechenland nicht. Nicht entscheidend ist auch, dass der Antragsteller seine Papiere vernichtet hat und diese überdies zwischenzeitlich auch abgelaufen sein dürften. Der Ablauf der Gültigkeit von Ausweispapieren geht nicht einher mit dem Verlust des Asylstatus. Dafür dass die Anerkennungsentscheidung nicht mehr besteht, ist nichts ersichtlich und nichts vorgetragen.
29
3. Die Kostenentscheidung des erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
30
4. Aus den dargelegten Gründen kamen dem Antrag keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu und wird deshalb auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin abgelehnt, § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
31
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.