Titel:
Rechtsanwaltskosten, Versicherungsvertrag, Widerrufsrecht, Versicherungsnehmer, Antragstellung, Gutachterkosten, Lebensversicherung, Widerspruchsbelehrung, Belehrung, Verwirkung, Anlage, Beitragsfreistellung, Zinsen, Vertrag, kein Widerrufsrecht
Schlagworte:
Rechtsanwaltskosten, Versicherungsvertrag, Widerrufsrecht, Versicherungsnehmer, Antragstellung, Gutachterkosten, Lebensversicherung, Widerspruchsbelehrung, Belehrung, Verwirkung, Anlage, Beitragsfreistellung, Zinsen, Vertrag, kein Widerrufsrecht
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 07.09.2020 – 21 U 1983/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 22183
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 40.454,83 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger seine Vertragserklärungen zum Abschluss einer Lebensversicherung widerrufen, ihnen widersprechen bzw. den Rücktritt vom Vertrag erklären konnte.
2
Der Kläger hat bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit der Vertragsnummer … abgeschlossen. Der Kläger stellte den Antrag auf Abschuss des Vertrages mit Datum vom … (Anlage B 1).
3
Auf Seite 4 des Antragsformulars unter der Überschrift „L. Unterschriften“ ist im letzten Absatz die Erklärung enthalten:
„Ich bin darüber belehrt worden, dass ich innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Verbraucherinformation und Policenbedingungen von dem Vertrag zurücktreten kann. Zur Wahrung der Frist genügt rechtzeitiges Absenden der Rücktrittserklärung.“
4
Weiterhin bestätigte der Kläger auf Seite 4 des Antragsformulars unter der Überschrift „L. Unterschriften“ den Erhalt der Verbraucherinformation, der Policenbedingungen und der Musterberechnung.
5
Dem Kläger wurde Versicherungspolice vom … mit Policenbegleitschreiben vom … (Anlagenkonvolut K 1) übermittelt. Der Kläger leistete bis März … Einzahlungen in einem Gesamtbetrag von 39.600,00 €.
6
Der Kläger widersprach ab Oktober … mehrmals der vereinbarten automatischen Beitragserhöhung von jährlich 5 %. Im März … beantragte der Kläger eine Beitragsfreistellung zum … April … (Anlage B 9). Die Beklagte bestätigte die Beitragsaussetzung bis … (Anlage B 10).
7
Mit Schreiben vom … (Anlage K 2) ließ der Kläger zunächst durch seine damalige anwaltliche Vertreterin Lins den Widerspruch respektive den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklären und sodann mit Schreiben des jetzigen Klägervertreters vom … erneut den Widerspruch (Anlage K 5). Es wurde ein Bereicherungsanspruch in Höhe von 41.155,38 € geltend gemacht. Die Beklagte wies die Ansprüche mit Schreiben vom … zurück (Anlage K 6).
8
Der Kläger behauptet, dass die Widerspruchsbelehrung bzw. die Belehrung über das Rücktrittsrecht fehlerhaft sei. Sie enthalte keinen Hinweis darauf, dass für die Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. In den Verbraucherinformationen befinde sich keine Angabe über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds. Die Belehrung über das Rücktrittsrecht sei drucktechnisch nicht hervorgehoben. Sie müsse mit der Lupe gesucht werden.
9
Der Kläger ist der Auffassung, dass dem Vertrag wirksam widersprochen worden sei bzw. wirksam der Rücktritt erklärt worden sei, so dass er Anspruch auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung des Vertrages habe. Die Forderung des Klägers belaufe sich gemäß Berechnung der Firma … (Anlage K 7) auf 39.859,83 €. Weiterhin habe die Beklagte die Kosten der Berechnung der … in Höhe von 595,00 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.965,88 € zu erstatten. Eine Verwirkung der Ansprüche sei nicht ersichtlich.
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 39.859,83 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %Punkten per anno über dem Basiszinssatz seit dem … zu bezahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von Gutachterkosten der …n Höhe von 595,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten per anno hieraus über dem Basiszinssatz seit … freizustellen.
- 3.
-
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.965,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten per anno über dem Basiszinssatz seit dem … freizustellen.
11
Die Beklagte beantragt,
12
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Vertrag im Antragsmodell zustande gekommen sei, da der Kläger bei Antragstellung die vollständigen Vertragsunterlagen erhalten habe. Die Rücktrittsbelehrung entspreche in formeller und inhaltlicher Ausgestaltung den vom Bundesgerichtshof anerkannten Voraussetzungen. Die fehlenden Angaben über die Absicherung der Versicherungspolicen der Beklagten bedinge kein Widerrufsrecht, da die Beklagte einem Sicherungsfonds angehöre. Zudem könne sich der Kläger wegen treuwidrigen Verhaltens und Verwirkung nicht mehr auf ein Rücktrittsrecht berufen.
13
Vorsorglich bestreitet die Beklagte die Höhe der geltend gemachten Forderung. Es seien die Grundsätze zur Rückabwicklung fondsgebundener Versicherungen anzuwenden. Die behaupteten Nutzungen seien unzutreffend ermittelt.
14
Wegen des Vortrags der Parteien im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15
Die zulässige Klage ist unbegründet.
16
Der Kläger ist nicht berechtigt, nach § 812 BGB oder § 346 BGB die Rückabwicklung des im Jahr … geschlossenen Lebensversicherungsvertrages zu verlangen.
17
Zum Zeitpunkt des als Rücktrittserklärung anzusehenden Schreibens vom … (Anlage K 2) war die dreißigtägige Rücktrittsfrist des auf den im Antragsmodell geschlossenen Versicherungsvertrag anwendbaren § 8 Abs. 5 VVG in der ab … gültigen Fassung bereits abgelaufen.
18
Der Kläger hat unstreitig bei Antragstellung am … die Verbraucherinformation und die Policenbedingungen der streitgegenständlichen Versicherung erhalten.
19
Die Belehrung über das Rücktrittsrecht auf Seite 4 des Antragsformulars - deutlich zu sehen auf der von der Beklagten vorgelegten Blankoversion (Anlage B 3) - entspricht in formaler Hinsicht den vom BGH gestellten Anforderungen. Der Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. setzt eine drucktechnische Hervorhebung zwar nicht ausdrücklich voraus, aber es ist eine Form der Belehrung erforderlich, die dem Aufklärungsziel Rechnung trug und darauf angelegt war, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (BGH, Urteil vom 29.06.2016, IV ZR 24/14). Die Belehrung auf Seite 4 des Antragsformulars entspricht diesen Anforderungen. Der Hinweis auf das Rücktrittsrecht befindet sich nicht inmitten eines insgesamt fettgedruckten Vertragstextes, sondern er ist im vorletzten Absatz des Textblocks oberhalb der Unterschriftenzeile abgedruckt. Der vollständige Belehrungstext ist fettgedruckt und mit weißer Farbe hinterlegt. Dieses Feld ist auch das einzige Feld auf der Seite 4 des Antragsformulars, das mit weißer Farbe hinterlegt ist. Die Belehrung hebt sich damit deutlich ab und ist dadurch besonders geeignet, den Versicherungsnehmer, der das Antragsformular nur wenige Zeilen unterhalb der Belehrung unterschreiben muss, aufmerksam zu machen.
20
Die Belehrung über das Rücktrittsrecht ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Insbesondere musste der Versicherer den Versicherungsnehmer nicht über eine etwaige Form des Rücktrittsrechts belehren, weil von ihm nicht verlangt werden kann, die insoweit unklare gesetzliche Bestimmung des § 8 Abs. 5 VVG a.F. auszulegen (BGH, s.o.). Der Hinweis, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung genügt, ist enthalten.
21
Der Kläger hat die Rücktrittsbelehrung entsprechend den Anforderungen des § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. durch seine Unterschrift bestätigt. Hierzu reichte die Unterschrift des Klägers unter den Antrag aus, in dem die Belehrung direkt oberhalb der Unterschriftenzeile enthalten ist, denn dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, dass die Rücktrittsbelehrung durch eine gesonderte Unterschrift zu bestätigen ist.
22
Unerheblich ist, dass sich in den Verbraucherinformationen keine Angabe über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds befindet. Bei diesen Angaben handelt es sich um „reine“ Informationen, deren Unterbleiben ein Widerspruchsrecht nicht auslöst, weil keine Aussagen über die Qualität der Konditionen getroffen werden, sondern lediglich eine gesetzliche Verpflichtung des Versicherers erfüllt wird (OLG München, Beschluss vom 16. November 2017 - 25 U 3439/17, BeckRS 2017).
23
Ansprüche hinsichtlich geltend gemachter Nebenforderungen kommen mangels Begründetheit einer Hauptforderung nicht in Betracht.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.