Titel:
Verpflichtung zur Entfernung von Gegenständen von einem gemeindlichen Straßengrundstück – Anfechtungsklage gegen Kostenentscheidung der Grundverfügung
Normenketten:
VwGO § 162 Abs. 2
BayStrWG Art. 18b
BayLStVG Art. 9
BayKG Art. 12 Abs. 3, Art. 16 Abs. 5
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2 Var. 5
Leitsätze:
1. Erledigt sich die Grundverfügung ex nunc auf sonstige Weise iSd Art. 43 Abs. 2 Var. 5 BayVwVfG (und nicht etwa durch Aufhebung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren), ist sie iRd Rechtmäßigkeitsprüfung der angegriffenen Kostenentscheidung nicht vollumfänglich, sondern ausschließlich summarisch in analoger Anwendung des § 161 Abs. 2 VwGO zu überprüfen (vgl. VGH München BeckRS 1993, 124564), obwohl demgegenüber vertreten wird, dass sie infolge ihrer eintretenden Bestandskraft und für den Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung im Gerichtsverfahren nicht mehr Bestandteil dieser Rechtmäßigkeitsprüfung sein könne (vgl. VGH München BeckRS 2016, 46951 Rn. 30). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden Gegenstände auf einer Straße ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis abgelagert, ist die Straßenbaubehörde nach Art. 18b BayStrWG berechtigt, die erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Adressat einer solchen Anordnung darf nur der Pflichtige sein, also derjenige, der die Sondernutzung zu verantworten hat. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist insoweit ein Rückgriff auf den Störerbegriff des Art. 9 LStVG zulässig (vgl. VGH München BeckRS 2013, 53452 Rn. 15). (Rn. 27 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Summarische Überprüfung einer erledigten Grundverfügung nach § 162 Abs. 2 VwGO analog im Rahmen der Anfechtung einer Nebenentscheidung der Grundverfügung (hier: der Kostenentscheidung), Rechtmäßigkeitsprüfung einer erledigten Grundverfügung, Bestandskraft, übereinstimmende Erledigungserklärungen, summarische Überprüfung, analoge Anwendung, Ablagerung von Gegenständen, Sondernutzungserlaubnis, Inanspruchnahme des Pflichtigen, Störerbegriff
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21845
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2020 wird in den Nummern 4 und 5 aufgehoben. Hinsichtlich der gegen die Nummern 1 und 3 dieses Bescheids gerichteten Klage wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem ihr unter Androhung eines Zwangsgelds und unter Festsetzung einer Gebühr die Verpflichtung auferlegt wurde,
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mehrere auf dem gemeindlichen (Straßen-)Grundstück Fl.-Nr. … (Gemarkung …*) abgestellte Gegenstände, u.a. eine Absetzmulde, zu entfernen.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.-Nr. … (Gemarkung …*). Das auf diesen Grundstücken stehende Gebäude ist verpachtet. Die Pächterin hat im Rahmen von Bauarbeiten entstandenen Abfall in der auf dem gemeindlichen Grundstück abgestellten Absetzmulde zwischengelagert.
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Vor Erlass des Bescheids wurde die Klägerin telefonisch und durch E-Mail aufgefordert, die abgelegten Gegenstände zu beseitigen. Die Klägerin teilte der Beklagten mit, dass sie die Gegenstände dort nicht gelagert, die Bitte um Beseitigung aber unverzüglich an die Pächter und deren Baufirma weitergeleitet habe.
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Da auf diese Weise eine Beseitigung nicht (vollumfänglich) erreicht werden konnte, hat die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 4. April 2019 verpflichtet, die auf dem Straßengrundstück abgestellte Absetzmulde und weitere Gegenstände (u.a. Bauzaunfüße aus Beton) zu entfernen (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 2). Ferner wurde ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 3) und festgelegt, dass die Klägerin die Kosten zu tragen hat (Nr. 4), sowie eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR und Auslagen in Höhe von 3,50 EUR festgesetzt (Nr. 5).
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Mit Schriftsatz vom 27. April 2019, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid. Dieser trug vor, dass die Klägerin nicht Pflichtige im Sinne des Gesetzes sei. Sie sei weder Eigentümerin der Gegenstände noch habe sie deren Aufstellung vorgenommen oder beauftragt.
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Die Klägerin beantragte zuletzt sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2019 in den Nummern 4 und 5 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 11. Juni 2019,
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Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2019 begründete die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag. Sie teilte ferner mit, dass die Gegenstände zwischen dem 15. und 18. April 2019 entfernt worden seien und sich deshalb der Bescheid erledigt habe. Die Klage sei daher als Anfechtungsklage unzulässig; eine Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe nicht. Im Übrigen sei die Klage jedenfalls unbegründet. Die Klägerin sei Auftraggeberin der auf ihrem Grundstück stattfindenden Bauarbeiten. Sie sei insoweit Verantwortliche und es entspreche dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr sich unmittelbar an die Klägerin als Auftraggeberin zu wenden.
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Die Klägerin trug hierauf mit Schriftsatz vom 3. Juli 2019 vor, dass alleine aus dem Umstand, dass die Klägerin „früher Auftraggeberin der Baumaßnahmen auf ihrem Grundstück“ gewesen sei, sie nicht heute zur richtigen Adressatin mache. Der Container sei von der Pächterin des Gebäudes aufgestellt bzw. bestellt worden. Eine Erledigungserklärung käme nur in Betracht, wenn die Beklagte auf Zwangsgelder und auf die Bescheidskosten verzichten würde.
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Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2020 teilte die Beklagte mit, dass sie keine Zwangsgelder fällig stellen werde, jedoch nicht bereit sei, auf die Bescheidskosten zu verzichten. Sie verteidigte den Bescheiderlass und wies darauf hin, dass die Klägerin Auftraggeberin der auf ihrem Grundstück stattfindenden Bauarbeiten und damit richtige Adressatin gewesen sei.
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Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 mit, dass sich das Interesse der Klägerin nach der Erledigung der Belastung nur noch auf die Kostenforderung beziehe. Zugleich verzichtete die Klägerin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 verzichtet die Beklagte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2020 beschränkte die Klägerin ihren Antrag auf die Aufhebung der Kostenentscheidung. Die Klägerin sei früher zwar Auftraggeberin der Baumaßnahmen gewesen. Nun aber habe die Pächterin die Aufstellung der Container beauftragt. Die Verpachtung finde seit 2018 statt.
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Mit Beschluss vom 30. Juli 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schreiben vom 13. August 2018 stimmte die Beklagte insoweit der Erledigung zu, soweit die Klägerin nicht mehr die übrigen Anträge außer der Aufhebung der Kostenentscheidung verfolge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden,
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weil hierauf die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 und die Beklagte ebenfalls mit Schreiben vom 8. Juli 2020 verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Mit der Beschränkung der erhobenen Klage auf die Überprüfung der Kostenentscheidung in den Nummern 4 und 5 des Bescheids vom 4. April 2019 hat die Klägerin in der Sache hinsichtlich der Nummern 1 und 3 des Bescheids die (teilweise) Erledigung erklärt. Die Beklagte hat der Erledigung mit Schreiben vom 13. August 2018 insoweit zugestimmt. Das Verfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO insoweit einzustellen.
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Die gegen die Kostentscheidung gerichtete Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 4. April 2019 ist in den Nummern 4 und 5 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Voraussetzungen von Art. 18b Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) liegen gegenüber der Klägerin nicht vor.
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1. Die isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung ist statthaft (vgl. Art. 12 Abs. 3 Kostengesetz - KG). Die Kostenentscheidung des Bescheids vom 4. April 2019 hat sich - anders als die Beseitigungsverpflichtung - auch nicht erledigt.
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2. a) Grundsätzlich kommt es wegen Art. 16 Abs. 5 KG für die Rechtmäßigkeit der Kostenentscheidung auch auf die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Sachentscheidung (Grundverfügung) an (vgl. zum Streitstand VGH München, B.v. 10.5.2016 - 10 BV 15.958 - juris Rn. 23). Erledigt sich hingegen die Grundverfügung - wie hier - ex nunc auf sonstige Weise im Sinne des Art. 43 Abs. 2 Var. 5 BayVwVfG (und nicht etwa durch Aufhebung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren), so wird vertreten, dass infolge der eintretenden Bestandskraft der Grundverfügung und für den Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung im Gerichtsverfahren, die Grundverfügung nicht mehr Bestandteil der Rechtmäßigkeitsprüfung der angegriffenen Kostenentscheidung sein könne (vgl. VGH München, B.v. 10.5.2016 - 10 BV 15.958 - juris Rn. 30). Dies hätte allerdings gerade in Fällen, in denen eine Fortsetzungsfeststellungsklage mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht zulässig ist und der Kläger eine prozessbeendende Erklärung abzugeben hat, möchte er die kostenpflichtige Abweisung seiner Klage als unzulässig vermeiden, zur Folge, dass der Kläger stets verpflichtet wäre, die Kosten des erledigten Bescheids (vorbehaltlich der im Übrigen rechtmäßigen Festsetzung) zu tragen. Zwar kann es mit dem Verfassungsgebot des effektiven Rechtsschutzes vereinbar sein, die gerichtliche Überprüfung von bereits erledigten Belastungen eines Verwaltungsakts zumindest in Fällen nicht erheblicher Grundrechtsbeeinträchtigungen durch entsprechende Anforderungen an das Feststellungsinteresse auszuschließen (vgl. für sogar tiefgreifende Grundrechtseingriffe, die sich nicht typischerweise kurzfristig erledigen vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 38/12 - juris Rn. 18 ff.), nicht aber, zugleich in diesen Fällen die Kostenlast ohne jedwede Überprüfung der Grundverfügung dem Betroffenen aufzubürden. Um jedoch keine Umgehung der Voraussetzungen für eine Fortsetzungsfeststellungsklage zu ermöglichen, kommt - solange diese nicht zulässig erhoben worden ist - keine vollumfängliche Überprüfung der Grundverfügung in Betracht. Richtigerweise ist die Grundverfügung ausschließlich summarisch zu überprüfen; § 161 Abs. 2 VwGO in analoger Anwendung fungiert insoweit als Maßstabsnorm (vgl. VGH München, B.v. 18.10.1993 - 24 B 93.92 - NVwZ-RR 1994, 548/549).
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b) Die summarische Überprüfung auf Basis des in den Akten dokumentierten Sach- und Streitstands ergibt im vorliegenden Fall, dass die Inanspruchnahme der Klägerin als Störerin rechtswidrig war.
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aa) In der Ablagerung der Gegenstände lag eine Sondernutzung. Für diese gab es keine Erlaubnis. Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt, ist die Beklagte als Straßenbaubehörde nach Art. 18b BayStrWG berechtigt, die erforderlichen Anordnungen zu erlassen.
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bb) Adressat einer solchen Anordnung darf nur der Pflichtige sein. Pflichtiger ist derjenige, der die Sondernutzung zu verantworten hat. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist insoweit ein Rückgriff auf den Störerbegriff des Art. 9 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) zulässig (vgl. VGH München, B.v. 8.7.2013 - 8 ZB 12.562 - juris Rn. 15).
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Vorliegend hatte die Klägerin die Gegenstände nicht selbst auf der Straße abgelegt. Sie war folglich nicht selbst Handlungsstörerin. Ein Fall des Art. 9 Abs. 1 Satz 4 LStVG lag nach Aktenlage hinsichtlich der Klägerin nicht vor. Zwar hatte offenbar die Klägerin früher einmal Baumaßnahmen am Gebäude beauftragt, nunmehr hatte jedoch die Pächterin den Sanierungsauftrag an die Baufirma, die als Handlungsstörer anzusehen sein dürfte, erteilt; (nur) diese hätte sich das Verhalten der Baufirma zurechnen lassen müssen. Die Klägerin war auch keine Zustandsstörerin. Sie war weder Inhaberin der tatsächlichen Gewalt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG) noch Eigentümerin der die Störung bildenden Gegenstände (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG). Die Klägerin konnte auch nicht nach Art. 9 Abs. 3 LStVG als Nichtstörerin in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 LStVG lagen ersichtlich nicht vor.
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Damit fehlt es an einer Voraussetzung für die zulässige Erhebung von Kosten und der Festlegung der Klägerin als Kostenschuldnerin.
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Die Kosten des Verfahrens trägt dennoch die Klägerin.
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1. Soweit sich die Klage erledigt hat, beruht die Kostenentscheidung auf § 162 Abs. 2 VwGO. Zwar ergibt die summarische Prüfung des Bescheids im Rahmen der Anfechtungsklage dessen Rechtswidrigkeit. Allerdings ist die Erledigung bereits vor Klageerhebung eingetreten. Die Gegenstände wurden zwischen dem 15. und 18. April 2019, die Klage indes erst am 27. April 2019 erhoben. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage wäre mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht zulässig gewesen. Die Klägerin ist in keiner wesentlichen Grundrechtsposition beeinträchtigt worden (vgl. zu den anerkannten Fallgruppen Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 267 ff.). Zulässig ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nur, wenn ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts besteht. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Das Feststellungsinteresse kann nur bejaht werden, wenn die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin zu verbessern (BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 38/12 - juris Rn. 12). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Ein Feststellungsinteresse, dass über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Grundverfügung hinausgeht, lässt sich im vorliegenden Fall nicht erkennen und wird auch selbst von der Klägerin nicht behauptet.
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2. Hinsichtlich der zulässigen Anfechtungsklage gegen die Kostenentscheidung im Bescheid der Beklagten obsiegt die Klägerin. Allerdings betrifft - gemessen am gesamten Streitgegenstand - das insoweit bestehende Unterliegen der Beklagten nur einen sehr geringen Teil (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Daher trägt auch insoweit die Klägerin die Kosten.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).