Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 21.08.2020 – W 10 K 19.32291
Titel:

Fallkonstellation, bei der die Ablehnung des Asylantrages eines nachgeborenen Kindes als unzulässig mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig ist

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2
Dublin III-VO Art. 20 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2
AsylG § 14 Abs. 2
VwVfG § 47
Leitsätze:
1. Ist kein Elternteil der Klägerin mehr Antragsteller iSd Art. 2 lit. c und f Dublin III-VO in einem Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin III-VO, in welches der Antrag der Klägerin gem. Art. 20 Abs. 3 S. 1 und S. 2 Dublin III-VO einbezogen werden könnte, findet diese Vorschrift auf den Fall der Klägerin keine direkte Anwendung (Rn. 21). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sonderregelung in Art. 20 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 Dublin III-VO, wonach es der Einleitung eines „neuen“ Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens für das nachgeborene Kind nicht bedarf, macht ein Aufnahmegesuch – auch für den Fall der analogen Anwendung der Vorschrift – nicht entbehrlich (Rn. 22). (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen anderweitiger Zuständigkeit kann sich die Klägerin auch auf den Fristablauf für die Unterbreitung eines Aufnahmegesuchs berufen (Rn. 23). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Nigeria, nachgeborenes Kind, Mutter in Italien schutzberechtigt, Vater nach Ablauf der Überstellungsfrist im nationalen Verfahren, kein Aufnahmeverfahren für Kind durchgeführt, keine Anwendbarkeit des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO, Asylverfahren, unzulässiger Antrag, Fristablauf, Umdeutung, Nigeria, RL 2013/32/EU, VO (EU) 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21651

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2019, Gz. …, wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrages als unzulässig und die Androhung der Abschiebung nach Italien.
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1. Die Klägerin ist ein am … … 2019 im Bundesgebiet nachgeborenes Kind nigerianischer Staatsangehöriger.
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Die Mutter der Klägerin ist nach der Auskunft des Italienischen Innenministeriums vom 6. April 2018 (Bl. 98 der Akte des Asylverfahrens der Mutter, Gz. …*) in Italien international schutzberechtigt und im Besitz einer bis 27. Juli 2021 gültigen Aufenthaltsgenehmigung für Italien. Demzufolge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag der Mutter der Klägerin vom 2. März 2018 mit Bescheid vom 25. April 2018 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Hiergegen ist beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eine Klage anhängig (Az. M 13 K 18.31938).
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Der Vater der Klägerin hat in Italien Asyl beantragt, der Stand des Asylverfahrens ist nicht bekannt. Nach dem Ablauf der Frist für die Beantwortung des Wiederaufnahmeersuchens des Bundesamtes an die italienischen Behörden wurde der Asylantrag zunächst wegen der Zuständigkeit Italiens mit Bescheid vom 20. Juni 2018 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Vaters der Klägerin nach Italien angeordnet. Nach erfolglosem Überstellungsversuch und Ablauf der Überstellungsfrist lehnte das Bundesamt den Asylantrag mit Bescheid vom 5. April 2019 als unbegründet ab und drohte dem Vater der Klägerin unter anderem die Abschiebung nach Nigeria an. Hiergegen ist beim Verwaltungsgericht Würzburg eine Klage anhängig (Az.: W 10 K 19.32209).
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Am 24. September 2019 wurde für die Klägerin gemäß § 14 Abs. 2 AsylG schriftlich Asyl beantragt.
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2. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen (Ziffer 2), forderte die Klägerin zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides auf und drohte ihr die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde auf die Schutzberechtigung der Mutter der Klägerin in Italien verwiesen. Entsprechend der Regelung des Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO sei Italien der zuständige Mitgliedstaat für das Asylverfahren der Klägerin. Ein neues Aufnahmeverfahren müsse für die Klägerin entsprechend Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO nicht durchgeführt werden.
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Dieser Bescheid wurde am 5. Dezember 2019 als Übergabe-Einschreiben zur Post gegeben (Bl. 119 der Bundesamtsakte).
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3. Hiergegen ließ die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. Dezember 2019 Klage erheben (Az. W 10 K 19.32291).
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Die Klägerin b e a n t r a g t:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration vom 3. Dezember 2019, Gz.: …, zugestellt am 6. Dezember 2019, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien verwiesen und dies näher begründet.
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4. Die Beklagte b e a n t r a g t,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Zudem setzte das Bundesamt gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus.
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5. Mit Beschluss vom 6. Februar 2020, Az.: W 10 S 19.32292, wurde der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt. Auf die Gründe des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll vom 21. August 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat auch in der Sache Erfolg.
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Die streitgegenständliche Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; siehe unten 1.). In der Folge besteht keine Rechtsgrundlage für die negative Feststellung hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote in Bezug auf Italien (siehe unten 2.) sowie für die Abschiebungsandrohung und das befristete Wiedereinreiseverbot (siehe unten 3.). Diese Entscheidungen sind deshalb ebenfalls aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Ablehnung des Asylantrags ist mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
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a) Der Bescheid findet keine Rechtsgrundlage in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG, weil dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
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Zu Unrecht geht die Beklagte davon aus, dass Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig sei, weil die Zuständigkeit Italiens nicht aus den allgemeinen Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Dublin III-VO folgt und weil die Beklagte das erforderliche Aufnahmegesuch an die italienischen Behörden nicht beziehungsweise nicht fristgerecht gestellt hat.
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aa) Da die Zuständigkeit Italiens für den Asylantrag der im Bundesgebiet nachgeborenen Klägerin nicht aus den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 ff.) Dublin III-VO, insbesondere mangels schriftlicher Erklärung eines entsprechenden Willens nicht aus Art. 9 oder 10 Dublin III-VO folgt, kann sich diese nur aus Art. 20 Abs. 3 Sätze 1, 2 Halbs. 1 Dublin III-VO in direkter oder analoger Anwendung ergeben.
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Da kein Elternteil der Klägerin mehr Antragsteller im Sinne des Art. 2 Buchst. c und f Dublin III-VO in einem Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin III-VO ist, in welches der Antrag der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Dublin III-VO einbezogen werden könnte, findet diese Vorschrift auf den Fall der Klägerin keine direkte Anwendung (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 - 1 C 37.19 - juris Rn. 15; OVG SH, U.v. 7.11.2019 - 1 LB 5/19 - juris Rn. 36 ff.; U.v. 3.2.2020 - 1 LB 24/19 - juris Rn. 34 ff.). Hinsichtlich des Vaters der Klägerin ergibt sich dies daraus, dass die internationale Zuständigkeit wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen ist. Hinsichtlich der Mutter der Klägerin ist die direkte Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Dublin III-VO ausgeschlossen, weil diese in Italien schutzberechtigt und das dazugehörige Asylverfahren damit abgeschlossen ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 - 1 C 37.19 - juris Rn. 15). Denn wie sich aus Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO ergibt, kann ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen der in der Dublin III-VO festgelegten Verfahren nicht wirksam um Wiederaufnahme eines Drittstaatsangehörigen ersuchen, der im erstgenannten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem ihm durch den letztgenannten Mitgliedstaat (hier: Italien) internationaler Schutz gewährt wurde (BVerwG a.a.O., m.V.a. EuGH, B.v. 5.4.2017 - C-36/17, Daher Muse Ahmed - juris Rn. 41).
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bb) Ob eine analoge Anwendung der Zuständigkeitsbestimmung des Art. 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Halbs. 1 Dublin III-VO auf nachgeborene Kinder von international Schutzberechtigten in Betracht kommt, kann offenbleiben, da eine etwaige Zuständigkeit Italiens auf dieser Rechtsgrundlage jedenfalls gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO wegen des Ablaufs der Fristen für die Unterschreitung eines Aufnahmegesuchs an Italien gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen ist. Denn die Sonderregelung in Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 Dublin III-VO, wonach es der Einleitung eines „neuen“ Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens für das nachgeborene Kind nicht bedarf, macht ein solches Aufnahmegesuch nicht entbehrlich. Dies gilt auch dann, wenn es im Grundsatz möglich wäre, die Zuständigkeit für das nachgeborene Kind weiter gewanderter schutzberechtigter Eltern aus einer analogen Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO herzuleiten. Dies folgt daraus, dass es insoweit an den Voraussetzungen eines Analogieschlusses, insbesondere an der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit des vorliegenden Sachverhaltes mit dem von Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO geregelten Sachverhalt fehlt (BVerwG, U.v. 23.6.2020 - 1 C 37.10 - juris Rn. 16 ff.). Das ergibt sich bereits aus der Systematik des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO, welche zunächst nur für noch nicht abgeschlossene Zuständigkeitsbestimmungen gilt. In ein noch laufendes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Eltern ist der Schutzantrag des Kindes einzubeziehen. Wird den Eltern dagegen in einem Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt, können diese nach (illegaler) Sekundärmigration und einem erneuten Antrag in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr im Rahmen des Dublin-Regimes, sondern nur auf anderer Rechtsgrundlage (zum Beispiel bilateralen Rückführungsabkommen) in den schutzgewährenden Mitgliedstaat zurückgeführt werden. Des Weiteren widerspräche es auch den Schutzzwecken der für das Aufnahmebeziehungsweise Wiederaufnahmeverfahren vorgesehenen Fristen, wenn es in einer Situation wie der vorliegenden zu einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Systems ohne Durchführung eines Zuständigkeitsverfahrens für das Kind bzw. dessen Eltern käme. Denn zum einen führte dies dazu, dass das nachgeborene Kind ohne die in den Aufnahmebeziehungsweise Wiederaufnahmeverfahren vorgesehenen zeitlichen Grenzen an den anderen Mitgliedstaat überstellt werden könnte. Zum anderen sähe sich der schutzgewährende Mitgliedstaat mit einer Überstellung ohne vorherige Kenntnis von der möglichen Aufnahmesituation konfrontiert und es könnte somit erst im Überstellungsverfahren eine Klärung der Anerkennung der Zuständigkeit und der Aufnahmebereitschaft des schutzgewährenden Mitgliedstaats erfolgen (vgl. BVerwG a.a.O., Rn. 19). In der Folge läge unter Umständen die Situation eines „refugee in orbit“ vor, d.h. eines Asylbewerbers, für den sich kein Mitgliedstaat als zuständig betrachtet. Dies liefe aber dem Ziel der Dublin-Regelungen zuwider, einen effektiven Zugang zum Asylverfahren und eine zügige Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz zu gewährleisten (vgl. BVerwG a.a.O., Rn. 20), und verletzte im Übrigen auch das durch diese Vorschriften der Dublin-Verordnung konkretisierte Grundrecht auf Asyl aus Art. 18 EU-GR-Charta, welches jedenfalls die inhaltliche Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat garantiert.
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cc) Da die Frist für die Unterbreitung eines Aufnahmegesuchs nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO zumindest auch dem Schutz der Rechte der betroffenen Asylbewerber dient, wie aus Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO in Verbindung mit dem 19. Erwägungsgrund folgt, kann sich die Klägerin im Rahmen seiner Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen anderweitiger Zuständigkeit auch auf den Fristablauf berufen (EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-670/16, Mengesteab - juris Rn. 41 ff., 62; BVerwG, U.v. 23.6.2020 - 1 C 37.19 - juris Rn. 21). Dies bedeutet, dass die rechtswidrige Unzuständigkeitsentscheidung die Klägerin - jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt.
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b) Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig kann auch nicht im Wege des Austausches der Rechtsgrundlage bzw. der Umdeutung gemäß § 47 VwVfG auf die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden. Zum einen scheidet eine direkte Anwendung dieser Vorschrift aus, da die Klägerin nicht in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten hat. Zum anderen ist eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt ausgeschlossen, da die Tatbestände einer Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig unionsrechtlich durch Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie n.F.) abschließend geregelt sind (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-297/17, Ibrahim - juris Rn. 76; U.v. 19.3.2020 - C-564/18, Hivatal - juris Rn. 29 ff.). Für den Fall eines Asylantrags eines nachgeborenen Kindes bei internationaler Schutzberechtigung der Eltern in einem anderen Mitgliedstaat sieht Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU keine Ablehnung des Asylantrags des Kindes als unzulässig vor (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 - 1 C 37.19 - juris Rn. 22).
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2. Infolge der Aufhebung der ablehnenden Entscheidungen in Ziffer 1 des Bescheides fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die unter Ziffer 2 getroffene negative Entscheidung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG über das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote. Diese Entscheidung ist daher ebenfalls aufzuheben.
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3. Aufzuheben sind des Weiteren mangels Rechtsgrundlage die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 des Bescheides sowie die (konkludente) Anordnung und Befristung des Wiedereinreiseverbotes gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG unter Ziffer 4 des Bescheides. Fehlt es an einer wirksamen Abschiebungsandrohung, so ist die Bezeichnung Nigerias als des Staates, in den die Klägerin nicht abgeschoben werden darf, gemäß § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG (Satz 4 der Ziffer 3 des Bescheides) gegenstandslos.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylG.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.