Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 03.09.2020 – RN 14 S 20.31446
Titel:

Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen Abschiebungsandrohung

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 1, § 38, § 71a Abs. 1, Abs. 4, § 75
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Der Klage gegen die in einem Zweitbescheid i. S. des § 71a Abs. 1 AsylG enthaltene Abschiebungsandrohung kommt schon von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu, weil die einwöchige Ausreisefrist des § 36 Abs. 1 AsylG nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut nicht im Falle der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gilt. In diesem Fall beträgt die zu setzende Ausreisefrist gem. § 38 Abs. 1 S. 1 AsylG 30 Tage.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Geht das Bundesamt aufgrund seiner unzutreffend festgesetzten Ausreisefrist von der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus, ist ein dagegen gerichteter Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Feststellung begehrt wird, dass der Klage bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutz bei faktischem Vollzug, aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung bei Ablehnung des Asylantrags als unzulässiger Zweitantrag, Voraussetzungen für die Annahme eines Zweitantrags, Abschiebungsandrohung, Asylverfahren, aufschiebende Wirkung, Nigeria, Vollziehbarkeit, faktischer Vollzug, Zweitantrag, Ausreisefrist
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21537

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die am 23.8.2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg erhobene Klage (RN 14 K 20.31447) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.8.2020 (Gesch-Z.: 7* …-232) kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass seiner Klage gegen die in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria aufschiebende Wirkung zukommt.
2
Der am …1998 geborene Antragsteller, nach eigenen Angaben ein nigerianischer Staatsangehöriger vom Volk der Ishan, reiste eigenen Angaben zufolge am 21.1.2018 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 21.3.2018 einen förmlichen Asylantrag stellte.
3
Bei der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und zur Zulässigkeit des Asylantrags beim Bundesamt am 21.3.2018 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe sein Herkunftsland erstmalig im Sommer 2016 verlassen und habe sich 3 Monate in Libyen und ungefähr 1 Jahr und 3 Monate in Italien aufgehalten, bevor er am 21.1.2018 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Er habe in Italien am 22.3.2016 Asyl beantragt und zuerkannt bekommen. Er habe keine neuen Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht wurden und die ein neues Asylverfahren rechtfertigten.
4
Nachdem das Bundesamt im Hinblick auf einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Italien seit dem 21.1.2018 Erkenntnisse hinsichtlich der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats hatte, richtete das Bundesamt mit Schreiben vom 14.3.2018 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-Verordnung) an die italienischen Behörden. Dieses wurde seitens der italienischen Behörden nicht fristgerecht beantwortet. Der Asylantrag des Antragstellers wurde mit einem sog. DublinBescheid vom 3.5.2018 als unzulässig abgelehnt. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
5
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14.12.2018 wurde der Bescheid des Bundesamtes vom 3.5.2018 aufgehoben (M 26 K 18.51366).
6
Am 18.4.2019 richtete das Bundesamt ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nummer 6 104/2013 an die italienischen Behörden. Dies wurde seitens der italienischen Behörden mit Schreiben vom 15.5.2019 dahingehend beantwortet, dass dem Antragsteller am 9.5.2016 Fingerabdrücke genommen worden seien. Sein Asylantrag sei negativ gewesen, ihm sei eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ausgestellt worden, die am 9.3.2019 abgelaufen sei.
7
Ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen wurde dem Antragsteller mit Schreiben vom 28.5.2019 ein Fragebogen betreffend das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat zugesendet. Ein Zustellnachweis befindet sich ebenso wenig in den Akten wie ein Vermerk über die Versendungsart und den Versendungszeitpunkt oder eine Beantwortung der Fragen durch den Antragsteller. Mit Schreiben vom 7.7.2020 an die Vertreterin des Antragstellers wurde der Antragsteller zur Befragung gemäß § 51 VwVfG für den 30.7.2020 geladen. Auch für diese Ladung befindet sich kein Zustellnachweis in den Akten. Der Antragsteller ist zu dem Anhörungstermin am 30.7.2020 nicht erschienen.
8
Mit Bescheid vom 17.8.2020 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Nigeria abgeschoben. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in denen er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist würden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist, und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht Regensburg ausgesetzt (Ziffer 3). Das Einreiseund Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Stelle ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag, handele es sich dabei um einen Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG. Dem Antragsteller sei Gelegenheit gegeben worden, Gründe für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in Deutschland und Gründe, die einer Rückkehr in das Herkunftsland entgegenstünden, geltend zu machen. Eine Begründung des Zweitantrages sei nicht erfolgt und der Antragsteller sei auch zur informatorischen Anhörung am 30.7.2020 unentschuldigt nicht erschienen. Der Asylantrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71 a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Um eine mit der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) zu vereinbarende modifizierte Anwendung zu erreichen, erfolge die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO.
9
Dem streitgegenständlichen Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung:beigelegt, wonach gegen diesen Bescheid innerhalb von einer Woche nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht München erhoben werden könne. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung habe keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO könne innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieses Bescheides bei dem oben genannten Verwaltungsgericht gestellt werden.
10
Am 23.8.2020 ließ der Antragsteller Klage gegen diesen nach einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 19.8.2020 per Einschreiben an die Bevollmächtigte versandten Bescheid erheben, die unter dem Aktenzeichen RO 14 K 20.31447 geführt wird. Zugleich beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung der Beklagten nach Nigeria anzuordnen. Eine Begründung wurde bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht vorgelegt.
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Für den Antragsteller wird sinngemäß beantragt,
festzustellen, dass der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts vom 17.8.2020 aufschiebende Wirkung zukommt.
12
Die Antragsgegnerin hat bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine Stellungnahme abgegeben und keinen Antrag gestellt.
13
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Akte des Bundesamts, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen hat, Bezug genommen. Beigezogen wurden die Akten des Bundesamts betreffend die Lebensgefährtin des Antragstellers und betreffend die Tochter und den Sohn des Antragstellers (Gesch.-Z. 7* …-232 und 8* …-232).
II.
14
Der Antrag hat Erfolg. Die vom Antragsteller begehrte aufschiebende Wirkung der Klage ist bereits kraft Gesetzes eingetreten. Dies ist seitens des Gerichts auf den Antrag des Antragstellers hin festzustellen, weil ein Fall der sogenannten faktischen Vollziehung vorliegt und die Antragsgegnerin erkennbar von der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung ausgeht.
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1. Der Antrag ist nach entsprechender sachgerechter Auslegung analog § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
16
a) Bei dem streitgegenständlichen Bescheid handelt es sich um einen Zweitbescheid im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG. Der Klage gegen diese Entscheidung kommt bereits im Hinblick auf § 75 Abs. 1 i.V.m. § 38 AsylG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zu.
17
Die aufschiebende Wirkung entfällt auch nicht auf der Grundlage des § 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG. § 36 Abs. 1 AsylG ist im vorliegenden Fall nicht entsprechend anzuwenden. Die einwöchige Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG gilt nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut nur in den Fällen der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG sowie im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet. In sonstigen Fällen - wie der hier vorliegenden Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylGbeträgt die zu setzende Ausreisefrist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG 30 Tage (so ausdrücklich VGH München, B. v. 16.7.2020 - 10 ZB 20.31374 - noch nicht veröffentlicht).
18
Der Wortlaut sowohl der Überschrift als auch des Normtextes des § 36 AsylG differenziert zwischen den einzelnen Fällen eines unzulässigen Asylantrages und sieht nur für 2 der 5 in § 29 Abs. 1 AsylG einzeln aufgelisteten Unzulässigkeitsgründe eine kürzere Ausreisefrist als in den sonstigen Fällen vor. Nicht erfasst sind vom Wortlaut die in § 29 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5 AsylG erfassten Fälle. Damit ist weder eine Ablehnung eines Folgeantrages (§ 71 AsylG) noch eines Zweitantrages (§ 71 a AsylG) aufgeführt. Denn diese werden in § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG erfasst. Der Wortlaut und die Systematik sprechen deshalb für eine Differenzierung zwischen den in § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG genannten Unzulässigkeitsgründen und dem Unzulässigkeitsgrund des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (so auch VG Halle, B. v. 12.2.2019 - 5 B 13/19 - juris Rn. 14). Während in ersteren Fällen eine Ausreisefrist von einer Woche zu setzen ist, beträgt die Ausreisefrist in den sonstigen Fällen gem. § 38 Abs. 1 AsylG 30 Tage.
19
Vor der Änderung des § 29 Abs. 1 AsylG durch das Integrationsgesetz hatte § 36 AsylG a.F. die Überschrift „Verfahren bei Unbeachtlichkeit und offensichtlicher Unbegründetheit“. § 29 AsylG a.F. regelte nur, wann ein Asylantrag unbeachtlich war, verhielt sich aber nicht zu Zweitanträgen. Dieser andere Wortlaut und die andere Systematik führten dazu, dass über die in § 71 a Abs. 4 AsylG (dessen Wortlaut sich nicht geändert hat) angeordnete entsprechende Anwendung von § 36 Abs. 1 AsylG in diesem Fall auch die Ausreisefrist aus dieser Regelung zu entnehmen war (VG Halle, B. v. 12.2.2019 - 5 B 13/19 - juris).
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Es mag sein, dass eine Änderung dieser Rechtslage nach der Begründung des Integrationsgesetzes nicht beabsichtigt war (vgl. BT-Drs. 18/8829, S. 9 unter Verweis auf den Text des Gesetzesentwurfes und der Begründung der BT-Drucksache 18/8615, hier S. 52). Diese ist durch den eindeutigen gesetzlichen Wortlaut allerdings eingetreten. Sollte dies nicht beabsichtigt sein, könnte der Gesetzgeber jederzeit eine entsprechende Klarstellung veranlassen.
21
Der Umstand, dass das Bundesamt tatsächlich entgegen dieser Rechtslage gemäß §§ 71 a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt hat führt nicht dazu, dass der Klage gegen die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung zukäme. Maßgeblich für die aufschiebende Wirkung ist im Hinblick auf § 75 Abs. 1 i.Vm. § 38 Abs. 1 AsylG die zu setzende Ausreisefrist, nicht die vom Bundesamt tatsächlich gesetzte Ausreisefrist (VG München, B. v. 29.12.2016 - M 21 S 16.35313 - juris; VG Berlin, B. v. 18.5.2018 - 33 L 210.18 A - juris Rn. 14).
22
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre daher unzulässig, weil die aufschiebende Wirkung bereits kraft Gesetzes besteht.
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b) Der Antrag ist aber im Hinblick auf den faktischen Vollzug gemäß § 80 Abs. 5 VwGO analog zulässig. Geht das Bundesamt im Hinblick auf eine unzutreffend festgesetzte Ausreisefrist von der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus bzw. ist die entsprechende Auffassung strittig, ist zur Verhinderung einer Abschiebung des Ausländers vor der Entscheidung über die Hauptsache in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ein Antrag auf gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft.
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Der wörtlich auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Antrag ist gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Feststellung begehrt wird, dass der Klage bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zukommt.
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Es handelt sich vorliegend um einen Fall sogenannter faktischer Vollziehung. Die Antragsgegnerin bringt durch ihre Verhaltensweise erkennbar zum Ausdruck, dass sie von einer sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung ausgeht. Dies ist zum einen aus der in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids auf der Grundlage des § 80 Abs. 4 VwGO getroffenen Aussetzung der Vollziehung bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht zu schließen als auch aus der dem Bescheid bei gegebenen Rechtsbehelfsbelehrung:.
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Gehen die Beteiligten irrtümlicherweise davon aus, hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids bestehe kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, dann kann ein Antrag auf Aussetzung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO umgedeutet werden in einen Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht möglich, weil der Suspensiveffekt bereits durch die Einlegung des Rechtsbehelfs eingetreten ist. Die Befugnis des Gerichts, die aufschiebende Wirkung anzuordnen, beinhaltet als minus aber auch die Möglichkeit, den gemäß § 80 Abs. 1 VwGO eingetretenen Suspensiveffekt gegenüber (drohenden) Vollziehungsmaßnahmen festzustellen. Gegen die Anwendung des § 123 VwGO in diesem Fall spricht § 123 Abs. 5 VwGO.
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c) Auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Nachdem die dem Bescheid beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung:aus mehreren Gründen unrichtig war (falsche Rechtsbehelfsfrist benannt, falsches Gericht benannt und fehlerhafte Feststellung, dass der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt), gilt gemäß § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist, die zweifelsfrei eingehalten wurde, auch wenn aus den Akten nicht ersichtlich ist, wann der streitgegenständliche Bescheid tatsächlich als Einschreiben zur Post gegeben wurde.
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2. Der Antrag ist allein wegen der drohenden Missachtung der aufschiebenden Wirkung begründet. Nachdem der Antragsgegner - wie oben näher dargestellt - offensichtlich derzeit davon ausgeht, dass der Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung zukommt und die in dem streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach einer Entscheidung im Eilverfahren sofort vollziehbar ist, war vorliegend festzustellen, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat. Die faktische Vollziehung ist allein wegen der offensichtlichen Missachtung des Suspensiveffekts ohne weiteres rechtswidrig. Eine darüber hinausgehende Interessenabwägung findet nicht statt. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat.
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3. Schon heute wird auf Folgendes hingewiesen:
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Auch in der Sache bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Denn es ist voraussichtlich zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als Zweitantrag gemäß § 71a AsylG angesehen und die Prüfung auf das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen beschränkt und den Antrag als unzulässig im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt hat.
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Die Annahme eines Zweitantrages erfordert gemäß § 71a Abs. 1 AsylG den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat. Nach § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
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Die Annahme eines Zweitantrages erfordert den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat. Allerdings ist § 71 a AsylG dahingehend auszulegen, dass ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat nur vorliegt, wenn das betreffende Asylverfahren gemäß der Definition des sicheren Drittstaats in Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchgeführt worden ist (VG München, Urteil vom 26.10.2016 - M 17 K 15.31601 - juris, VG Aachen, Beschluss vom 4.8.2015 - 8 L 171/15.A - juris, VG Hannover, Beschluss vom 19.1.2017 - 11 B 460/17 - juris). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts setzt ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig - d.h. ohne die Möglichkeit der Wiedereröffnung des Verfahrens mit anschließender voller sachlicher Prüfung - eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris = BVerwGE 157, 18). Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann, was nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen ist, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris, Rn. 29; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 13.07.2017 - 6 L 665/17.A - juris, Rn. 5). Der enge Zusammenhang des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft gebietet, die Frage, ob eine ausländische Verwaltungsentscheidung noch anfechtbar bzw. revidierbar ist, nach ausländischem und nicht nach deutschem Recht zu beantworten.
33
Der endgültige erfolglose Abschluss des Asylverfahrens muss dabei gesichert feststehen. Bloße Mutmaßungen genügen nicht. Das Bundesamt muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Entscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Die Rechtsprechung fordert dazu überwiegend, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung, den Entscheidungsgründen und dem Verfahrensablauf haben muss (VG Karlsruhe, U.v. 20.10.2017 - A 4 K 10337/17 - juris, Rn. 21; VG Augsburg, B.v. 13.4.2017 - Au 7 S 17.30833 - juris, Rn. 22; VG München, B.v. 23.3.2017 - M 21 S 16.35816 - juris, Rn. 17; VG Schleswig, B.v. 7.9.2016 - 1 B 54/16 - juris, Rn. 7; VG Lüneburg, B.v. 11.5.2015 - 2 B 13/15 - juris, Rn. 10; VG Regensburg, B.v. 6.6.2017 - 7 S 17.33087 unter Hinweis auf Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Aufl., Rn. 19 zu § 71a AsylG; VG Cottbus, B.v. 9.3.2017 - 1 L 367/16.A - juris; VG München, B.v. 3.1.2017 - M 23 S 16.34080 - juris). Zumindest muss aufgrund der vorliegenden Unterlagen unter Berücksichtigung der Rechtslage im betroffenen Mitgliedsstaat feststehen, dass das Verfahren endgültig erfolglos abgeschlossen ist.
34
Angaben des Ausländers selbst zum Verlauf des in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens stellen in aller Regel keine hinreichend verlässliche Tatsachenbasis dar. Diese haben in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen. Das Bundesamt muss sich grundsätzlich im Zuge der nach § 24 VwVfG gebotenen Amtsermittlung Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags in dem anderen Mitgliedstaat verschaffen. Nur so kann das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen im Sinne des § 51 VwVfG beurteilt werden (vgl. VG Regensburg, B.v. 12.10.2016 - RN 7 S 16.32477; VG Augsburg, B.v. 13.4.2017 - Au 7 S 17.30833 - juris). Etwas anderes kann ausnahmsweise nur dann gelten, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Asylverfahren im Drittstaat noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Auskunft der italienischen Behörden mit den Angaben des Antragstellers vollumfänglich deckt (vgl. VG Gelsenkirchen, B. v. 8.2.2019 - 9a L 139/19.A -juris m.w.N; VG Ansbach, U. v. 14.2.2018 - AN 3 K 16.31917 - juris Rn. 41; VG Regensburg, B. v. 31.3.2020 - RN 14 S 19.32510 - nicht veröffentlicht).
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So liegt der Fall hier aber nicht. Gemessen an den oben genannten Anforderungen liegen vorliegend die Voraussetzungen für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers als Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG zum für das Gericht maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor. Die Antragsgegnerin hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung keine ausreichende Kenntnis über den Ablauf des Asylverfahrens des Antragstellers in Italien. Aus der Antwort der italienischen Behörden vom 15.5.2019 auf das Informationsersuchen nach Art. 34 der Dublin-III-VO ergibt sich nur, dass der Asylantrag des Antragstellers abgelehnt wurde und ihm ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt wurde. Nicht zu entnehmen ist diesem Schreiben allerdings, aus welchen Gründen die Entscheidung über den Asylantrag negativ war, ob dies beispielweise nur deshalb geschehen ist, weil der Antragsteller sich zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Italien aufgehalten hat und deshalb auch eine persönliche Anhörung bei Gericht nicht möglich war oder ob es sich dabei um eine Entscheidung in der Sache gehandelt hat. Außerdem ist aus dieser Auskunft der italienischen Behörden nicht zu entnehmen, ob es sich dabei um eine endgültige Entscheidung gehandelt hat oder ob noch eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich wäre. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln beginnt bei Rückkehrern, die unter Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin-III-VO fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (BFA. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, letzte Kurzinformation eingefügt 26.2.2019, S. 13). Ob dies geschehen ist oder ob noch ein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung möglich ist und diese daher noch nicht endgültig ist, ist den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Auch ein italienischer Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen lässt nicht den tragfähigen Schluss auf das Vorliegen einer Zweitantragssituation zu. Solche Aufenthaltstitel werden nach nationalem italienischen Recht zwar oft im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz verteilt, jedoch sagt ein solcher Aufenthaltstitel jedenfalls nichts darüber aus, ob ein Asylantrag (nach Sachprüfung) entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rückgabe des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (BVerwG, U.v.14.12.2016- 1 C 4/16- juris). Zudem könnten in Italien auch noch Möglichkeiten zu einer Fortführung bzw. Wiederaufnahme des Asylverfahrens bestehen (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 - 13a B 15.50069 - juris; VG München, B. v. 16.1.2018 - M 21 S 17.44077 - juris).
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Die bisher vorliegenden Erkenntnisse sind daher nicht ausreichend, um den endgültigen erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens zum dafür maßgeblichen Zeitpunkt nachzuweisen. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller einen Asylantrag in Italien gestellt hat. Das Bundesamt hatte aber weder Kenntnis von der Entscheidung im Tenor noch von den Entscheidungsgründen.
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Auch über den Verfahrensablauf ist nichts Näheres bekannt. Unabhängig davon, auf welchen Zeitpunkt man für den endgültigen erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens in dem Drittstaat abstellt, hatte das Bundesamt keine Erkenntnisse dahingehend, wann über den Asylantrag des Antragstellers in Italien endgültig entschieden wurde und konnte daher zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses (noch) gar nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers als Zweitantrag überhaupt vorlagen.
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Als maßgebliche Zeitpunkte für die Frage des Vorliegens eines Zweitantrages kommen grundsätzlich sowohl der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland als auch der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland als auch der nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgebliche Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts in Betracht (vgl. zu dieser Thematik beispielsweise VG Hannover, B. v. 7.2.2019 - 3 B 217/19 - juris, Rn. 29 ff.; VG München, B. v. 1.4.2020 - M 13 S 19.33925 - juris, Rn. 17 ff.; VG Cottbus, U. v. 24.4.2020 - 3 K 104/17.A - juris, Rn. 23 ff.). Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.12.2016 kommen als maßgebliche Zeitpunkte in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage letztendlich offengelassen, nachdem es in diesem Fall nicht entscheidungserheblich darauf ankam (1 C 4/16, a.a.O, Rn. 40). Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift des § 71 a AsylG spricht dafür, auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland abzustellen (so auch VG Frankfurt (Oder), B. v. 13.7.2017 - 6 L 665/17.A - juris; VG Augsburg, B. v. 9.7.2018 - Au 4 S 18.31170 Rn. 10 m.w.N.; VG Hamburg, B. v. 20.7.2018 - 8 AE 3383/18 - juris, Rn. 10; VG Regensburg, U. v. 9.4.2019 - RN 13 K 18.31580 - juris, Rn. 31; VG Regensburg, B. v. 8.8.2018 - RN 12 K 18.31824 - juris; Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, Rn. 5 zu § 71a AsylVfG; VG Hannover, U. v. 5.2.2018 - 11 A 11248/17 Rn. 19 f.; a.A. VG Schleswig, B. v. 27.11.2017 - 1 B 190/17 Rn. 27 bei wegen Nichtbetreiben eingestelltem Asylverfahren). § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt ausdrücklich darauf ab, dass ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt.
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Weitere Ermittlungen seitens der Antragsgegnerin wären zwingend gewesen, um den endgültigen Abschluss des Asylverfahrens in Italien zum Zeitpunkt der Asylantragstellung nachweisen zu können. Im Rahmen der dem Bundesamt obliegenden Amtsermittlungspflicht hätte das Bundesamt nach Erhalt der unzureichenden Antwort der italienischen Behörden vom 15.5.2019 nachhaken müssen und Informationen zum Ablauf des Asylverfahrens in Italien, zum Tenor der italienischen Entscheidungen und den Entscheidungsgründen einholen müssen. Kommt das Bundesamt dieser Amtsermittlungspflicht nicht genügend nach, so geht dies zulasten der Antragsgegnerin (so auch VG Cottbus, B. v. 9.3.2017 - 1 L 367/16.A - juris; VG München, B. v. 3.1.2017 - M 23 S 16.34080 - juris; VG Augsburg, B. v. 28.12.2016 - Au 5 S 16.33030 - juris).
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Vorliegend durfte die Antragsgegnerin nach Lage der Akten somit (zumindest derzeit noch) nicht vom erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG ausgehen. Es bestehen daher derzeit auch inhaltlich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützten Ablehnung des Antrags als unzulässig und damit auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
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Dem Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83 b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 80 AsylG.
… Richterin am VG