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AG München, Urteil v. 09.01.2020 – 941 Cs 414 Js 196533/19
Titel:

Alkoholfahrt mit dem E-Scooter

Normenketten:
StGB § 69, § 316 Abs. 1, Abs. 2
StVG § 1 Abs. 2
Leitsatz:
Ein Straßenverkehrsteilnehmer hat sich - gerade bei Nutzung von neu im Verkehrsraum erschienenen Fahrzeugen - vor Fahrtantritt über deren straßenverkehrsrechtliche Einordnung kundig zu machen. Bei der Annahme, E-Scooter seien straßenverkehrsrechtlich nicht wie Autos einzustufen, handelt es sich um einen Verbotsirrtum, der regelmäßig vermeidbar ist.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
E-Scooter, Trunkenheit im Verkehr, Blutalkoholkonzentration, Fahruntüchtigkeit, Entzug der Fahrerlaubnis
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21389

Tenor

1. Der Angeklagte ... ist schuldig der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr.
2. Der Angeklagte wird zur Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 55,00 € verurteilt.
3. Dem Angeklagten wird für die Dauer von 3 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge aller Art auf öffentlichen Straßen zu führen.
4. Die Fahrerlaubnis wird entzogen. Der Führerschein wird eingezogen. Die Verwaltungsbehörde darf dem Angeklagten vor Ablauf von 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen.
5. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 316 Abs. 1, Abs. 2, 44, 69, 69 a StGB

Entscheidungsgründe

I.
...
II.
1
Der Angeklagte fuhr am ... gegen 22:15 Uhr mit dem E-Scooter, Versicherungskennzeichen ..., auf der H. straße in M., obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Er mietete den E-Scooter an der S-Bahn-Haltestelle R. Platz an und fuhr circa 300 m, bevor er angehalten wurde. Er hatte beabsichtigt, den Weg von etwa 300 m - 400 m von der benannten S-Bahn-Haltestelle zu seinem Hotel zurückzulegen.
2
Eine beim Angeklagten am ... um 22:40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,35 ‰ im Mittelwert, mindestens gültig und wirksam auch zum Fahrtzeitpunkt.
3
Der Angeklagte hätte seine Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.
4
Er hat sich durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Tat wurde bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen.
III.
5
Die Feststellungen unter I. beruhen auf den Angaben des Angeklagten und dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug und Fahreignungsregister.
6
Der unter II. festgestellte Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der angaben des Angeklagten, soweit diesen gefolgt werden konnte, sowie der Aussage des Zeugen POM ..., dem verlesenen ärztlichen Untersuchungsbericht und dem verlesenen Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung.
7
Der Angeklagte räumte ein, dass er am ... ab etwa 11:00 Uhr auf dem Oktoberfest gewesen sei und dort zunächst eine Maß Bier getrunken habe, sodann zu Mittag gegessen habe, bevor er eine Radlermaß am Nachmittag und am Abend eine Maß Bier sowie den Rest der Maß Bier seiner Ehefrau getrunken habe. Er habe sich komplett fahrtüchtig gefühlt und keine Ausfallerscheinungen bemerkt. Nachdem er mit seiner Ehefrau aus der S-Bahn-Haltestelle R. Platz nach oben gekommen sei, habe er zwei E-Scooter stehen sehen. Er habe diese angemietet, da er und seine Ehefrau schon bei ihrem letzten Städtetrip in Köln diese hätten ausprobieren wollen, ohne dass dies geklappt habe. Er habe nur bis zum Hotel fahren wollen, circa 300 m bis 400 m, eine gerade Strecke. Sie seien noch vor der Ankunft am Hotel von der Polizei angehalten worden, er habe zunächst gedacht, dass es um das Fahren über den Bürgersteig gehe. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass Roller wie Autos eingestuft würden. Er fahre nicht Auto, wenn er getrunken habe.
8
Der glaubwürdige Zeuge POM ... führte ohne jeglichen Belastungseifer aus, dass er den Angeklagten in Begleitung seiner Ehefrau, jeder auf einem E-Scooter fahrend, in der H. straße angehalten habe und bestätigte damit die insoweit geständigen Angaben des Angeklagten. Der Angeklagte habe - so der Zeuge weiter - zugegeben, dass er Alkohol zu sich genommen habe. Er habe ihn belehrt, einen Atemalkoholtest mit dem Ergebnis 0,67 mg/l durchgeführt und ihn zur Blutentnahme gebracht. Er könne nicht sagen, wie weit der Angeklagte mit dem E-Scooter gefahren sei. Es sei eine schwerpunktmäßige Kontrolle gewesen, keine Anhaltung wegen Ausfallerscheinungen, solche seien nicht erkennbar gewesen. Die Höhe des Wertes sei überraschend gewesen.
9
Die Untersuchung der entnommenen Blutprobe ergab nach dem verlesenen Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung 1,35 ‰ im Mittelwert. Die Blutentnahme erfolgte nach dem verlesenen ärztlichen Bericht am ... um 22:40 Uhr, mithin nur 25 Minuten nach der Anhaltung durch die Polizei. Da dieser Wert auch nicht im offensichtlichen Widerspruch mit den Angaben des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum am Tattag sowie den Angaben des Zeugen ... zum Ergebnis des Atemalkoholtestes steht, ist das Gericht nach einer Würdigung aller Beweise und Indizien (wobei es sich bewusst ist, dass es sich um einen nicht gerichtsfesten Atemalkoholtest handelte) vom Vorliegen einer Blutalkoholkonzentration von 1,35 ‰ im Mittelwert, mindestens gültig und wirksam auch zum Fahrtzeitpunkt, und damit vom Vorliegen absoluter Fahruntauglichkeit überzeugt.
10
Dies hätte der Angeklagte auch erkennen können und müssen, zumal er selbst angab, über den Tag verteilt eine größere Menge alkoholischer Getränke zu sich genommen zu haben, was ihn zu einer gesteigerten Prüfung seiner Fahrtüchtigkeit hätte veranlassen müssen.
IV.
11
Der Angeklagte war daher wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB schuldig zu sprechen.
12
Gemäß § 1 Abs. 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge wie der E-Scooter Kraftfahrzeuge im Sinne von § 1 Abs. 2 StVG.
13
Soweit der Angeklagte anführte, er sei nicht davon ausgegangen, dass E-Scooter straßenverkehrsrechtlich wie Autos einzustufen seien, handelt es sich um einen Verbotsirrtum, der für den Angeklagten vermeidbar war. Als Straßenverkehrsteilnehmer hätte er sich - gerade bei Nutzung von neu im Verkehrsraum erschienenen Fahrzeugen - vor Fahrtantritt kundig machen müssen. Dies gilt umso mehr, als die straßenverkehrsrechtliche Einordnung elektromotorenbetriebener Fahrzeuge, sowohl im Zusammenhang mit E-Scootern, als auch schon zuvor mit ähnlichen Fahrzeugen, in der breiten Öffentlichkeit problematisiert wurde. Schließlich ist anzumerken, dass sich der Angeklagten mit einem Wert von 1,35 ‰ auch nicht allzu weit von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern entfernt befand.
V.
14
Bei der Strafzumessung sprach zu Gunsten des Angeklagten, dass er nicht vorbestraft ist und durch sein Verhalten letztlich keine Gefährdung eingetreten ist. Auch ist die verhältnismäßig überschaubare Fahrstrecke - insoweit folgt das Gericht den glaubhaften Angaben des Angeklagten - von nur etwa 300 m zu berücksichtigen, ebenso der Umstand, dass der Angeklagte nicht mit einem Pkw, sondern einem wesentlich leichteren E-Scooter fuhr.
15
Straferschwerend wurde berücksichtigt, dass sich der Angeklagte mit 1,35 ‰ deutlich in der absoluten Fahruntüchtigkeit befand. Nicht unberücksichtigt bleiben konnte ferner die verkehrsrechtliche Vorahndung im Fahreignungsregister.
16
Ausgehend von einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe hält das Gericht eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen für schuld- und tatangemessen.
17
Angesichts des Nettoeinkommens des Angeklagten von 2150,- € abzüglich der monatlichen Raten in Höhe von 500,- € für den Erwerb von Firmenanteilen war ein Tagessatz von 55,- € festzusetzen.
VI.
18
Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB war die Fahrerlaubnis zu entziehen. Insoweit liegt ein Regelfall vor, wonach sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat.
19
Ein Abweichen vom Regelfall ist vorliegend nicht angezeigt. Zwar handelt es sich um eine Fahrt mit einem E-Scooter, welcher im Verhältnis zu einem herkömmlichen Pkw deutlich leichter ist, und um eine Fahrstrecke von nur circa 300 m. Jedoch handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Abweichen vom Regelfall erfordert.
20
Zur Fahrstrecke ist anzumerken, dass 300 m zwar eine recht überschaubare Entfernung darstellen, aber doch weitaus mehr als eine als Bagatelle einzustufende Strecke. So greift die vom Verteidiger angesprochene Argumentation des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 07.01.1988, Az.: 5 Ss 460/87 - 3/88 I) vorliegend nicht ein, da dort über das Versetzen eines geparkten Pkws um wenige Meter zu entscheiden war und der damalige Angeklagte glaubte, dass sein Fahrzeug nicht ordnungsgemäß abgestellt gewesen sei. Vorliegend fuhr der Angeklagte jedoch nicht nur wenige Meter, sondern wenige hundert Meter. Zudem wollte der Angeklagte nicht etwa eine ordnungswidrige Parksituation beseitigen, sondern - nach den eigenen glaubhaften Angaben - aus Neugier und Spaß an etwas Neuem eine neue Fortbewegungsart ausprobieren. Ebenso wenig kann die vom Verteidiger angesprochene Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 15.10.1986, 5 Ss 683/86) übertragen werden - auch hier war über ein Umparken zu entscheiden.
21
Weiterhin ist aus dem Umstand, dass es sich um eine Fahrt mit einem E-Scooter handelte, nicht zu schließen, dass der Regelfall des § 69 StGB entfallen müsste. Insoweit schließt sich das Gericht der 1. Jugendkammer (Beschluss vom 30.10.2019, Az.: 1 J Qs 24/19 jug) und der 26. Strafkammer (Beschluss vom 29.11.2019, Az.: 26 Qs 51/19) des LG München I an. Die Kammern führten aus, dass E-Scooter durch die Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) grundsätzlich als Kraftfahrzeuge im Sinne von § 1 Abs. 2 StVG eingestuft und damit rechtlich in dieselbe Kategorie eingeordnet wurden wie Pkw. Der Gesetzgeber habe sich bewusst dafür entschieden, weder bei den Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Nr. 241 BKat noch bei den Straftaten in § 69 StGB abweichende Regelung für Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern zu treffen. Dass der Gesetzgeber insoweit bewusst handelte schlussfolgerte die 1. Jugendkammer, der die 26. Strafkammer folgte und der sich auch das erkennende Gericht anschließt, aus dem Umstand, dass der Verordnungsgeber beispielsweise Nr. 132 a BKat einführte und für Rotlichtvertöße mit Elektrokleinstfahrzeugen damit deutlich geringere Regelahndungen ansetzte. Die beiden Kammern des LG München I wiesen darüber hinaus - aus Sicht des entscheidenden Gerichts zu Recht - darauf hin, dass E-Scooter mit einem Gewicht von 20-25 kg und einer möglichen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h erhebliches Verletzungspotential auch für Dritte in sich trügen und die ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors es erfordere, dass der Fahrer diese sicher kontrollieren könne. Beide Kammern folgern, dass Elektrokleinstfahrzeuge im Rahmen des Gefährdungspotentials mit Mofas vergleichbar seien und damit nicht davon auszugehen sei, dass allein die Verwendung eines Elektrokleinstfahrzeuges einen die Regelwirkung aufhebenden Ausnahmefall darstelle. Auch dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht an.
22
Im vorliegenden Fall war mithin - auch bei einer Gesamtschau - vom Vorliegen eines Regelfalles nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB auszugehen und die Fahrerlaubnis mithin zu entziehen.
23
Da der Führerschein bisher nicht in amtliche Verwahrung gelangt ist, war eine Sperre für die Fahrerlaubnis gemäß § 69 a StGB von noch sieben Monaten zu verhängen. Zwar ist ersichtlich, dass der Angeklagte in größerem Maße beruflich auf seinen Führerschein angewiesen ist, jedoch ist davon auszugehen, dass er auch bei Verlust des Führerscheines nicht in seiner Existenz gefährdet ist. Da er mit 20 % Teilhaber der Firma ist, ist davon auszugehen, dass er mit dem geschäftsführenden Partner eine Lösung für die zu überbrückende Zeit finden kann, beispielsweise durch Einbringung des Jahresurlaubs und unbezahlten Urlaub, durch eine gewisse Umverteilung von Außen- und Innendiensten sowie durch die Beauftragung von Fahrdiensten.
24
Überdies war gemäß § 44 StGB zur Einwirkung auf den Angeklagten ein Fahrverbot von drei Monaten zu verhängen, da der Angeklagte durch die Nutzung von E-Scootern gezeigt hat, dass er auch auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zurückgreift. Der Angeklagte hat massiv seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er erheblich alkoholisiert mit dem E-Scooter fuhr. Auch unter Berücksichtigung möglicher Nachteile war daher die Verhängung eines dreimonatigen Fahrverbotes geboten.
VII.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO.