Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 19.02.2020 – Au 4 K 19.1940
Titel:

Ausnahmegenehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage

Normenketten:
BayBO Art. 56 S. 1 Nr. 5
StVO § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 42 Abs. 3, § 46
Leitsätze:
1. Werbeanlagen iSd Art. 56 S. 1 Nr. 5 BayBO sind auch gerade solche, die an sich nach § 33 StVO unzulässig sind, aber im Wege einer Ausnahme nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 ff., Abs. 2 S. 1 StVO zugelassen werden könnten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der rechtlichen Verschiedenheit des verkehrsrechtlichen Begriffs der „geschlossenen Ortschaft“ und des baurechtlichen Begriffs des „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ ist geschlossene Ortschaft nach § 42 Abs. 3 StVO der durch die Ortstafeln Z 310, 311 umgrenzte Raum ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Bebauung (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 33 StVO setzt keine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs voraus, vielmehr reicht eine abstrakte Verkehrsgefährdung aus, wobei hierfür genügt, dass ganz allgemein nach der Erfahrung des täglichen Lebens mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs eintreten kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werbeanlage, Vorrang straßenverkehrsrechtlicher Ausnahmegenehmigung, abstrakte Verkehrsgefährdung, Ausnahmegenehmigung, Verkehrsgefährdung, Rechtsschutzbedürfnis, Baugenehmigung, geschlossene Ortschaft
Fundstelle:
BeckRS 2020, 2130

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin, ein Unternehmen der Außenwerbung, begehrt auf dem Grundstück Flur-Nr. ... der Gemarkung ... eine Baugenehmigung für eine unbeleuchtete, einseitige 2,82 m hohe und 3,82 m breite Werbeanlage vor einer Wand.
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Mit Beschluss vom 17. Mai 2019 erteilte die Gemeinde ... das gemeindliche Einvernehmen für das Vorhaben. Dieses beeinträchtige als sonstiges Vorhaben keine öffentlichen Belange. Der Fachbereich Verkehr sprach sich in seiner Stellungnahme gegen die Errichtung der Werbeanlage aus, weil sich diese außerhalb geschlossener Ortschaft befinde und demzufolge eine Ausnahmegenehmigung der Straßenverkehrsbehörde erforderlich wäre. Eine solche käme aber nicht in Betracht, weil am Aufstellungsort der dort vorhandenen Gefahrenlage ohnehin schon durch eine Geschwindigkeitsreduzierung habe Rechnung getragen werden müssen. Eine Ablenkung in diesem sensiblen Bereich sei zu vermeiden.
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Der Beklagte hat daraufhin nach erfolgter Anhörung mit Bescheid vom 10. Oktober 2019, zugestellt am 11. Oktober 2019, die beantragte Baugenehmigung abgelehnt. Die Werbeanlage solle im Ortsteil ... der Gemeinde ... errichtet werden. Das für die Bebauung vorgesehene Grundstück befinde sich im Außenbereich. Der Ortsteil ... bilde keine geschlossene Ortschaft im straßenverkehrsrechtlichen Sinn. Die Werbeanlage solle demnach außerhalb geschlossener Ortschaft erreichtet werden, was aber gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO grundsätzlich verboten sei. Für die Errichtung der Werbeanlage sei eine Ausnahmegenehmigung der Straßenverkehrsbehörde erforderlich, welche aber nach deren überschlägiger Prüfung hier nicht in Betracht käme.
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Am 11. November 2019 ließ die Klägerin hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben mit dem (sinngemäßen) Antrag,
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1. den Bescheid des Beklagten vom 10. Oktober 2019 aufzuheben und
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2. den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, hilfsweise, 7 den Beklagten zu verpflichten, den Bauantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, die Klägerin habe einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, weil sich das Vorhaben im Innenbereich befinde. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Dorfgebiet. Ferner diene die Straße auch der Erschließung der anliegenden Grundstücke. Ein fernstraßenrechtliches Anbauverbot dürfte daher nicht bestehen.
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Der Beklagte trat der Klage unter dem 5. Dezember 2019 entgegen. Für ihn ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Baumaßnahme liege im Außenbereich. Durch das Vorhaben würden aber ausweislich der eingeholten Fachstellungnahmen öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Außerdem bedürfe es einer Ausnahmegenehmigung durch die Straßenverkehrsbehörde, da der Ortsteil ... keine geschlossene Ortschaft im straßenverkehrsrechtlichen Sinn (VZ 310/311: gelbe Ortstafeln) bilde.
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Mit Schriftsätzen vom 12. und 17. Februar 2020 erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündliche Verhandlung.
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Hinsichtlich des weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte aufgrund des übereinstimmenden Einverständnisses der Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist bereits unzulässig.
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Der Klägerin fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage. Die geplante Werbeanlage bedarf keiner baurechtlichen Genehmigung, sondern einer Zulassung nach Straßenverkehrsrecht in Form einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO, da sie gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO verstößt.
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Gemäß Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO bedürfen Werbeanlagen, soweit sie einer Zulassung nach Straßenverkehrsrecht bedürfen, keiner Baugenehmigung. Werbeanlagen i.S. dieser Vorschrift sind auch gerade solche, die an sich nach § 33 StVO unzulässig sind, aber im Wege einer Ausnahme nach § 46 Abs. 1 Nr. 9 ff., Abs. 2 Satz 1 StVO zugelassen werden könnten (VG Würzburg, U.v. 18.8.2011 - W 5 K 11.360 - juris Rn. 21 m.w.N.; VG München, U.v. 17.3.2015 - M 1 K 14.3659 - juris Rn. 20; VG Augsburg, U.v. 11.10.2005 - Au 3 K 04.1597 - juris Rn. 15; Dohm in Simon/Busse, BayBO, Stand: Dez. 2019, Art. 56 Rn. 40; König in: Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 56 Rn. 16). Dabei ist zunächst zu klären, ob die konkrete Werbeanlage den Schutzbereich des § 33 StVO berührt. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es bei der bauaufsichtlichen Behandlung. Ist dagegen der Schutzbereich berührt, entscheidet die zuständige Straßenverkehrsbehörde. Für ein bauaufsichtliches Genehmigungsverfahren ist dann grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. VG Augsburg a.a.O.).
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Vorliegend ist der Schutzbereich des § 33 StVO berührt.
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Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO ist jede Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift oder Ton außerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder beeinträchtigt werden können. Aufgrund der rechtlichen Verschiedenheit des verkehrsrechtlichen Begriffs der „geschlossenen Ortschaft“ und des baurechtlichen Begriffs des „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ (vgl. BayVGH, U.v. 4.6.1974 - 232 IV - BayVBl 1975, 79/80) ist geschlossene Ortschaft nach § 42 Abs. 3 StVO der durch die Ortstafeln Z 310, 311 umgrenzte Raum ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Bebauung (Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 3 StVO Rn. 60 m.w.N), so dass es - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht weiter darauf ankommt, ob sich das Vorhaben im Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB befindet.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass § 33 StVO keine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs voraussetzt, sondern eine abstrakte Verkehrsgefährdung ausreicht (BVerwG, U.v. 20.10.1993 - 11 C 44.92 - juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 18.7.2008 - 9 ZB 05.365 - Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.3.2010 - 1 B 35/10 - juris Rn. 7). Es genügt hierfür, dass ganz allgemein nach der Erfahrung des täglichen Lebens mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs eintreten kann. Dabei können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden, wenn die möglicherweise eintretende Störung - wie im modernen Straßenverkehr regelmäßig anzunehmen - sehr groß ist (OVG NW, U.v. 18.9.1992 - 11 A 149/91 - juris; BayVGH, B.v. 18.12.1995 - 14 CS 95.3588 - juris Rn 14).
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Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine abstrakte Verkehrsgefährdung durch die geplante Werbeanlage zu bejahen. Wie aus den in den Behördenakten befindlichen Lichtbildern hervorgeht, ist die Werbeanlage an der in einer leichten Kurve verlaufenden Staats straße 2378 außerhalb geschlossener Ortschaft weithin sichtbar. Auf diese Wahrnehmbarkeit auch für den außerörtlichen Verkehr ist die Werbeanlage gerade ausgerichtet. Aufgrund ihrer Größe und ihrer Positionierung in einem Abstand von 1,5 m vom Fahrbahnrand kommt der außerörtliche Verkehr auch kaum umhin, von der Werbeanlage Kenntnis zu nehmen. Zudem handelt es sich ausweislich der fachlichen Stellungnahme vom 12. Juni 2019 (Verkehr) um einen Gefahrenbereich nahe einer Kreuzung, in dem eine Geschwindigkeitsbegrenzung zum Schutz der Anwohner auf 60 km/h vorgegeben ist. In Kreuzungsbereichen gelten ohnehin erhöhte Aufmerksamkeitsanforderungen, was hier dadurch verstärkt wird, dass in Richtung Süden keine Linksabbiegerspur vorgesehen ist. Hinzu kommt, dass auch von an der Staats straße anliegenden Grundstücken mit Parkplätzen und/oder Zufahrten mit Verkehrsteilnehmern zu rechnen ist. Außerdem ist eine Verkehrsgefährdung durch Ablenkung grundsätzlich zu bejahen, wenn die Werbeanlage nach der Art ihrer Anbringung auf den Kraftfahrer zielt, was hier der Fall ist (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Dez. 2019, Art. 2 Rn. 110; BayVGH, U.v. 4.6.1974 - 232 IV 73 - juris). Im ländlichen Bereich - wie vorliegend - wird der Durchschnittskraftfahrer ohnehin grundsätzlich von einer Werbeanlage überrascht werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.