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VG München, Beschluss v. 28.08.2020 – M 26b E 20.3956
Titel:

Verbot des Konsums von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 8, § 123
BayVwVfG Art. 35 S. 2
Leitsatz:
Ein allgemeines Alkoholkonsumverbot ist unverhältnismäßig, wenn als milderes und gleich effektives Mittel eine Beschränkung des Alkoholkonsumverbots zunächst auf einzelne Örtlichkeiten in Betracht kommt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Allgemeinverfügung, SARS-CoV-2, Infektionsschutz, Erfolgsaussicht, Verhältnismäßigkeit, Alkolholkonsumverbot, Umgehung, milderes Mittel
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.09.2020 – 20 CS 20.1962
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21234

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 27.08.2020 wird bezüglich ihrer Ziffer 1 b) angeordnet.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je die Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die Entscheidung ergeht gemäß § 80 Abs. 8 VwGO angesichts Eilbedürftigkeit durch den Vorsitzenden.
2
Soweit der Antrag (hinsichtlich des Verkaufsverbots von Alkohol) zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren einzustellen.
3
Der Antrag vom 27.8.2020 ist im verbliebenen Umfang zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig insbesondere statthaft, weil die Allgemeinverfügung ein Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 2 BayVwVfG ist.
5
Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, weil er durch das Verbot des Konsums von Alkohol im öffentlichen Raum in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen ist. Er ist Adressat der ihn belastenden Regelung.
6
Die Allgemeinverfügung entfaltet seit heute innere Wirksamkeit, da nach Angaben der Antragsgegnerin der Inzidenzwert für Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 von oder über 35 pro 100.000 Einwohner in der Landeshauptstadt München überschritten ist.
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2. Der Antrag ist auch begründet. Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Klage gegen das unter Ziffer 1b der angegriffenen Allgemeinverfügung vom 27.08.2020 verfügte Verbot des Konsums von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum täglich zwischen 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr des Folgetages ergibt sich, dass die Klage voraussichtlich erfolgreich sein wird.
8
Das verfügte Alkoholkonsumverbot ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
9
Bei summarischer Prüfung ist die festgelegte Geltung der Regelung für das gesamte Stadtgebiet der Antragsgegnerin in räumlicher Hinsicht nicht erforderlich und angemessen, was sie nach der einschlägigen Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Infektionsschutzgesetz sein müsste.
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Die Begründung der Allgemeinverfügung (S. 8 dort) überzeugt auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme der Antragsgegnerin insoweit (dort S. 4) nicht.
11
Als milderes und gleich effektives Mittel kommt eine Beschränkung des Alkoholkonsumverbots zunächst auf einzelne Örtlichkeiten in Betracht. Dazu gehören die von der Antragsgegnerin sogenannten „Hotspots“ wie der G.platz oder die Isarauen im Innenstadtbereich sowie andere stark frequentierte Plätze, Parks und Grünanlagen, die von der Antragsgegnerin als Ausweichmöglichkeiten angesprochen sind.
12
Ein solches räumlich auf bestimmte beim Publikum beliebte Orte begrenztes Verbot würde voraussichtlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den gewünschten Effekt einer deutlich sinkenden Anzahl von Ansammlungen Alkoholisierter im öffentlichen Bereich erzielen, sei es, dass die Feierwilligen sich mangels geeigneter Örtlichkeit gar nicht treffen, sei es, dass sich das Feiern in den Privatbereich verlagert, was ohnehin mit dem zur Zeit bestehenden Instrumentarium nicht zu verhindern ist.
13
Insoweit ist zwar die Befürchtung der Antragsgegnerin, bei entsprechenden Absprachen unter gut vernetzten Jugendlichen könnten in Kürze nicht vorhersehbare und bisher nicht bekannte Hotspots entstehen, nicht von der Hand zu weisen.
14
Dennoch ist ihr entgegenzuhalten, dass die Antragsgegnerin, sollte diese Entwicklung tatsächlich in erheblichem Umfang eintreten, hierauf kurzfristig mit einer Erweiterung der Allgemeinverfügung in räumlicher Hinsicht reagieren könnte.
15
Ohnehin sind auch bei Geltung des stadtweiten Verbots mutwillige Umgehungsversuche dieses Verbots nicht zu verhindern.
16
Gerade angesichts der kurzen Geltungsdauer der Allgemeinverfügung wäre es angemessen, auf die dargelegten Missstände zunächst mit örtlich begrenzten Verboten zu reagieren und zunächst den Erfolg der Maßnahme abzuwarten und zu evaluieren. Unter Infektionsschutzgesichtspunkten ist aus Sicht des Gerichts nach den vorliegenden Fakten zu den Infektionszahlen jedenfalls noch keine Situation erreicht, die das Ergreifen der im Streit stehenden kurzfristigen Maßnahme, die zulasten der Allgemeinheit und zulasten von Nichtstörern geht, rechtfertigt.
17
So wie es die Antragsgegnerin im Hinblick auf die zeitliche Erstreckung der Maßnahmen den zunächst gewählten Zeitraum für das Konsumverbot für erforderlich und verhältnismäßig ansieht, um ihn dann in der Zukunft gegebenenfalls entsprechend anzupassen oder zu erweitern, wäre die Verfügung des Verbots zunächst für nach fachlicher Einschätzung namentlich der Polizei bestimmte gefahrträchtige Orte, um sonach im weiteren Verlauf den räumlichen Geltungsbereich womöglich zu erweitern, die erforderliche und angemessene Vorgehensweise.
18
Das Gericht verkennt im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Regelung nicht, dass der Antragsteller durch das 7-tägige Konsumverbot von Alkohol in der Öffentlichkeit in der Zeit von 23.00 bis 6.00 nicht tiefgreifend in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit betroffen ist.
19
Dennoch erscheint in der Abwägung das Verbot von Konsum von Alkohol jedweder Art im gesamten Stadtgebiet durch Personen aller Art in jeder Situation (also ohne Ansehung der konkreten infektionsschutzrechtlichen Gefahrensituation) auch vor dem Hintergrund des Zwecks des Infektionsschutzgesetzes und der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung, Ansteckungscluster zu vermeiden, als nicht mehr angemessenes Mittel behördlicher Reaktion.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.