Inhalt

VGH München, Urteil v. 17.01.2020 – 11 B 19.1274
Titel:

Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge

Normenketten:
StVG § 28 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 4, § 29 Abs. 1 S. 1 , S. 2 Nr. 2 lit. a, Abs. 5 S. 2, Abs. 6 S. 1, S. 3, Abs. 7 S. 1, S.2
FeV § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, lit. d
Leitsätze:
1. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, da es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt und sich aus dem materiellen Recht kein anderer Zeitpunkt ergibt. (Rn. 20)
2. Ist die Anlasstat nach der Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens, aber noch vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung getilgt, kann die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden. (Rn. 26)
Schlagworte:
Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, Dauerverwaltungsakt Maßgeblicher, Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung, Tilgung der Anlasstat, Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens vor der Tilgung, Fahrerlaubnis, Fahreignung, Eintragung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.12.2018 – M 26 K 17.5985
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Urteil vom 04.12.2020 – 3 C 5.20
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
RÜ2 2020, 95
DÖV 2020, 338
VRS 2020, 45
BeckRS 2020, 211
DAR 2020, 159
LSK 2020, 211
SVR 2020, 117
ZfS 2020, 175

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Dezember 2018 wird in Ziffer 1 aufgehoben, soweit die Klage gegen Nummer 4 des Bescheids der Beklagten vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von O. vom 23. November 2017 abgewiesen worden ist.
Nummer 4 des Bescheids der Beklagten vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von O. vom 23. November 2017 wird aufgehoben.
II. Ziffer 2 des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 12. Dezember 2018 wird aufgehoben. Der Kläger trägt 5/7 und die Beklagte 2/7 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Verfahrens bis zur Zulassung der Berufung, die danach entstandenen Kosten trägt die Beklagte.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren war hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge erforderlich.
V. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.
2
Mit Urteil vom 4. Juli 2013, rechtskräftig seit 25. Juli 2013, verurteilte ihn das Amtsgericht München wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Dem lag zu Grunde, dass er am 8. Juni 2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 ‰ mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen hatte.
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Mit Schreiben vom 23. September 2013 forderte die Beklagte den Kläger erstmals auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen. Mit Schreiben vom 15. April 2014 forderte die Beklagte den Kläger erneut auf, ein solches Gutachten vorzulegen. Mit Schreiben vom 21. September 2016 forderte die Beklagte wieder die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens. Zuletzt forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 2017 auf, innerhalb von drei Monaten ein medizinischpsychologisches Gutachten vorzulegen. Es sei zu klären, ob der Kläger auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Zusätzlich sei zu klären, ob er zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch unter Alkoholeinfluss mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen werde.
4
Nachdem der Kläger kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2017 die Fahrerlaubnis und untersagte ihm das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe das zu Recht angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die sofortige Vollziehung wurde nicht angeordnet.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2017 wies die Regierung von O. den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Mai 2017 zurück. Die Entscheidung sei rechtmäßig, da der Kläger kein medizinischpsychologisches Gutachten vorgelegt habe. Die sofortige Vollziehung wurde weiterhin nicht angeordnet.
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Die gegen den Bescheid vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2017 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 12. Dezember 2018 abgewiesen. Der Kläger habe das rechtmäßig angeordnete Gutachten nicht vorgelegt. Die Beklagte habe daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Ungeeignetheit schließen dürfen. Die Tat vom 8. Juni 2013 habe der Gutachtensaufforderung vom 10. Januar 2017 zugrunde gelegt werden können. Erst mit Ablauf des 4. Juli 2018 sei sie für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht mehr verwertbar.
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Mit der vom Senat nur bezüglich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, der Bescheid sei insoweit rechtswidrig. Die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sei nicht gerechtfertigt, da die Straftat vom 8. Juni 2013 schon seit 1. Mai 2019 tilgungsreif sei. Es sei auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nicht des Bescheiderlasses abzustellen, da keine bestehende Erlaubnis zum Erlöschen gebracht, sondern ein eigentlich erlaubnisfreies Verhalten untersagt werde.
8
Er beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Dezember 2018 und den Bescheid vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2017 insoweit aufzuheben, als das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
12
Sie führt aus, für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sei hinsichtlich der Verwertbarkeit von Verkehrsverstößen auf den Zeitpunkt der Gutachtensanordnung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Straftat noch im Fahreignungsregister eingetragen und verwertbar gewesen. Der Kläger habe kein Gutachten beigebracht. Dass er seine Alkoholproblematik überwunden habe, habe er nicht vorgetragen. Die Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Tilgung würde unüberwindbare Wertungswidersprüche hervorrufen. Es wäre nicht zu rechtfertigen, dass Betroffene, die sich grundlos und beharrlich weigern, eine Gutachtensanordnung zu befolgen, besser gestellt würden als Personen, die ein negatives Gutachten vorlegten. § 11 Abs. 8 FeV sehe die Nichteignung des Betroffenen vor und stelle die Nichtvorlage eines Gutachtens der Vorlage eines negativen Gutachtens gleich. Es werde daher vermutet, dass der Betroffene ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 25. November 2019 und 4. Dezember 2019 ihr Einverständnis dazu gegeben haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
15
Die Berufung ist zulässig, obwohl der Kläger keinen bestimmten Antrag gestellt hat (§ 124a Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Der Berufungsantrag ist unter Heranziehung der Berufungsgründe auszulegen und braucht nicht zwingend ausdrücklich oder förmlich gestellt werden, sondern es genügt, wenn sich der Inhalt des Berufungsantrags aus dem fristgerechten Berufungsvorbringen ergibt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 25; BVerwG, B.v. 30.6.2016 - 2 B 40.15 - juris Rn. 7).
16
Der Kläger hat mit seiner Berufungsbegründung auf seinen Schriftsatz vom 20. Februar 2019 im Berufungszulassungsverfahren verwiesen, mit dem er schon die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt hatte. In der Zusammenschau der Berufungsbegründung vom 10. September 2019, die sich nur auf die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bezieht und dem in Bezug genommenen Schriftsatz ergibt sich gerade noch hinreichend deutlich, dass der Kläger insoweit die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Aufhebung der Nummer 4 des Bescheids beantragen wollte. Dass er auch Nummer 5 des Bescheids, mit dem ihm die Kosten des Verwaltungsverfahrens auferlegt worden sind, bezüglich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge angreifen wollte, lässt sich jedoch weder dem Schriftsatz vom 20. Februar 2019 noch seiner Berufungsbegründung entnehmen.
II.
17
Die Berufung ist auch begründet und das Urteil vom 12. Dezember 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2017 hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sind aufzuheben, denn diese Untersagung ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) rechtmäßig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung ist hier der Zeitpunkt, zu dem das vollständig abgesetzte Urteil von der Geschäftsstelle zum Zweck der Zustellung zur Versendung gebracht wurde (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, § 101 Rn. 11), da die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben, es sich bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge um einen Dauerverwaltungsakt handelt und sich hinsichtlich des Beurteilungszeitpunkts aus materiellem Recht nichts anderes ergibt.
19
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage richtet sich regelmäßig nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2019 - 6 C 8.18 - juris Rn. 16; U.v. 30.10.1969 - VIII C 112.67 u.a. - BVerwGE 34, 155 = juris Rn. 12; Schübel-Pfister a.a.O. § 113 Rn. 55 m.w.N.; Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/vonAlbedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Auflage 2018, § 113 Rn. 34, 37; Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juli 2019, § 113 Rn. 236). Bei der Überprüfung von Dauerverwaltungsakten ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Schübel-Pfister a.a.O. Rn. 58; Riese a.a.O. Rn. 264), soweit sich aus dem materiellen Recht kein abweichender Zeitpunkt ergibt. Ein solcher Fall liegt hier vor und Veränderungen der Sach- und Rechtslage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz sind daher zu berücksichtigen.
20
Bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, d.h. um einen Verwaltungsakt, bei dem die Verwirklichung des ihm zu Grunde liegenden Sachverhaltes nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt in Form eines einmaligen Gebotes oder Verbotes eintritt, sondern dessen tatbestandliche Voraussetzungen während des gesamten Regelungszeitraumes vorliegen müssen (vgl. Riese a.a.O. Rn. 264). Mit dem Verbot, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, wird keine Erlaubnis zum Erlöschen gebracht (vgl. zur Fahrerlaubnis BVerwG, U.v. 11.4.2019 - 3 C 14.17 - juris Rn. 12 m.w.N.), sondern eine ohne weiteres und für jede natürliche Person zulässige Teilnahme am Straßenverkehr gemäß § 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 23. Dezember 2019 (BGBl I S. 2937), untersagt.
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Aus dem materiellen Recht ergibt sich auch kein anderer Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung, denn in den einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften ist kein Verfahren normiert, wie die Berechtigung zur Teilnahme am Straßenverkehr mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wiedererlangt oder eine diesbezügliche Untersagungsverfügung wieder aus der Welt geschafft werden kann, wie dies z.B. bei einer Gewerbeuntersagung in § 35 Abs. 6 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO) und bei einer Beschränkung eines Passes in § 7 Abs. 2 Satz 3 des Passgesetzes (PassG) geregelt ist und das eine Abweichung von der Grundregel bei Dauerverwaltungsakten rechtfertigen würde (vgl. zur Gewerbeuntersagung BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146.80 - BVerwGE 65, 1 Leitsatz 2; zur Beschränkung eines Passes BVerwG, U.v. 29.5.2019 - 6 C 8.18 - InfAuslR 2019, 404 Rn. 16 ff.). Auch aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. August 2012 (22 ZB 12.949 - juris) ergibt sich nicht anderes. Dort wird ausgeführt, aus dem Vorliegen eines Dauerverwaltungsakts seien keine zwingenden Schlüsse hinsichtlich der Frage des maßgebenden Zeitpunkts zu ziehen, sondern diese Frage richte nach dem materiellen Recht. Im Falle der Gewerbeuntersagung sei wegen § 35 Abs. 6 GewO auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (BayVGH a.a.O. Rn. 18). Eine § 35 Abs. 6 GewO entsprechende Vorschrift existiert aber im Straßenverkehrsrecht bezüglich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht.
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2. Hiervon ausgehend ist die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge rechtswidrig, denn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kann nicht (mehr) auf die Ungeeignetheit des Klägers geschlossen werden. Es kann dabei dahinstehen, ob die Regelung des § 3 FeV, die keinerlei Kriterien für die Wiedererlangung der Fahreignung hinsichtlich fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge und Tiere enthält, in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), überhaupt eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage findet und insgesamt verfassungsgemäß ist (zweifelnd Rebler/Müller, DAR 2014, 690 ff.), denn jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt kann das Verbot, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, keinen Bestand haben.
23
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde - ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zukommt - das Führen von Fahrzeugen oder Tieren zu untersagen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet dafür erweist. Diese Vorschrift gilt auch für Personen, die kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug führen, sondern in anderer Weise am Straßenverkehr teilnehmen, z.B. für Fahrrad- und Mofafahrer und Lenker von Fuhrwerken (vgl. die Verordnungsbegründung zu § 3 FeV [BR-Drs. 443/98, S. 237], BayVGH, U.v. 16.5.2017 - 11 B 16.1619 - juris Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 3 FeV Rn. 10). Nach § 3 Abs. 2 FeV finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und kein Grund gegeben ist, ein Gutachten nicht vorzulegen (vgl. Dauer a.a.O. § 11 FeV Rn. 51 m.w.N.). Hier war die Gutachtensanordnung vom 10. Januar 2017 zwar durch die Tat vom 8. Juni 2013 gerechtfertigt, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt hat der Kläger aber einen beachtlichen Grund, kein Gutachten vorzulegen.
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2.1. Auch die vierte Gutachtensanordnung vom 10. Januar 2017 konnte noch auf die Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2013 gestützt werden, denn zu diesem Zeitpunkt war die Straftat vom 8. Juni 2013 noch im Fahreignungsregister eingetragen und es bestand daher nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV die Pflicht der Beklagten, die dadurch hervorgerufenen Fahreignungszweifel weiter aufzuklären. Die Rechtmäßigkeit einer Gutachtensanordnung bemisst sich dabei zum Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - juris Rn. 14; B.v. 21.5.2012 - 3 B 65.11 - DAR 2012, 482; Dauer a.a.O. § 11 FeV Rn. 55; Hahn/Kalus in Münchner Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 115 m.w.N.) und wird durch eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich nicht rechtswidrig (so aber OVG NW, U.v. 23.10.1980 - 12 A 2981/79 - juris Rn. 18).
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2.2. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte durch den wiederholten Erlass von Gutachtensanordnungen die Möglichkeit, ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zu verbieten, verwirkt habe. Unabhängig davon, ob eine Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2019 - 11 CS 19.199 - juris Rn. 13 m.w.N.), ist durch die Untätigkeit der Beklagten nach Erlass der ersten drei Gutachtensanordnungen beim Kläger kein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden, dass eine Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht mehr erfolgen werde. Es lässt sich den Behördenakten zwar kein nachvollziehbarer Grund für die zögerliche Vorgehensweise der Beklagten entnehmen. Die Beklagte hat dem Kläger aber auch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt oder ihm gegenüber der Eindruck erweckt, sie werde von weiteren Maßnahmen nunmehr absehen, sondern hat wiederholt neue Gutachtensanordnungen erlassen und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie die Sache grundsätzlich weiterverfolgen wollte. Der Kläger konnte daher nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte keine Folgen aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens ziehen wird.
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2.3. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durfte der Kläger die Vorlage des geforderten Gutachtens verweigern, denn die Anlasstat ist mittlerweile getilgt und kann ihm nicht mehr entgegengehalten werden. Der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 FeV ist nur gerechtfertigt, wenn die Weigerung oder Nichtvorlage des Gutachtens ohne ausreichend Grund erfolgt (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 51 m.w.N.). Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 StVG werden Entscheidungen über eine Straftat, vorbehaltlich des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst a StVG, in fünf Jahren getilgt. Die schon vor der Änderung des § 29 StVG zum 30. April 2014 eingetragene Straftat vom 8. Juni 2013 ist daher nach Auslaufen der Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG zum 1. Mai 2019 tilgungsreif geworden und kann dem Kläger nach § 29 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG und darüber hinaus auch nach § 29 Abs. 7 Satz 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Es besteht daher mittlerweile ein Grund für den Kläger, einer Gutachtensanordnung, die sich alleine auf diese Straftat stützt, keine Folge mehr leisten zu müssen.
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3. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass nach Tilgung der Anlasstat weiterhin eine Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach § 11 Abs. 8 FeV erfolgen könnte, weil die Gutachtensanordnung zuvor erlassen worden ist, wäre das Festhalten an der Untersagungsverfügung unverhältnismäßig. Die Untersagungsverfügung müsste auf Antrag sofort wieder aufgehoben werden, denn nach Tilgung der Anlasstat ist die Beklagte nicht mehr berechtigt, in einem Verfahren auf Aufhebung der Untersagungsverfügung (mangels ausdrücklicher Regelung entweder nach Art. 49 Abs. 1 oder Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG) erneut ein Gutachten anzufordern.
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Zwar finden nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Dabei können die §§ 11 bis 14 FeV aber in jedem Fall nur insoweit auf Fälle des Fahrens mit einem Fahrrad erstreckt werden, als sie ihrem Wortlaut nach anwendbar sind und die in Bezug genommene Regelung ihrem Inhalt nach nicht das Führen von Kraftfahrzeugen voraussetzt (BVerwG, B.v. 20.6.2013 - 3 B 102.12 - NJW 2013, 2696 Rn. 6). Die Vorschriften in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV, § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV oder § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 FeV, die beim Entzug der Fahrerlaubnis Aufklärungsmaßnahmen erlauben, können daher nicht entsprechend auf das Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge angewendet werden, denn sie setzen ihrem Inhalt nach die Entziehung der Fahrerlaubnis voraus. Alleine auf die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge kann eine Gutachtensanordnung daher nicht gestützt werden.
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Soweit dem Kläger mittlerweile bestandskräftig die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, kann dies ebenfalls nicht dazu führen, dass hinsichtlich der Frage, ob fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge geführt werden können, nunmehr gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV hinsichtlich der Frage, ob dieses Verbot aufzuheben ist, eine Gutachtensanordnung ergehen könnte. Mangels ausdrücklicher Erstreckung dieser Möglichkeit der Anordnung eines Gutachtens auch auf die Frage, ob fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge wieder geführt werden können, erlaubt es diese Vorschrift nach Entziehung der Fahrerlaubnis nur hinsichtlich der Frage, ob Kraftfahrzeuge sicher geführt werden können, Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen. Falls der Verordnungsgeber eine solche Möglichkeit der Anordnung eines Gutachtens für erforderlich hält, muss er eine entsprechende Regelung erlassen.
30
Es kann daher dahinstehen, ob die Anordnung einer medizinischpsychologischen Untersuchung stets ausscheidet, wenn die Tat wegen Zeitablaufs getilgt ist (so wohl BVerwG, U.v. 9.6.2005 - 3 C 21.04 - DAR 2005, 578 = juris, Leitsatz) oder ob nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d, § 14 Abs. 2 Nr. 1 oder § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 FeV auch die bloße Eintragung der Entziehung der Fahrerlaubnis zur Anordnung eines Gutachtens ausreicht.
31
4. Soweit die Beklagte vorträgt, bei einer solchen Auslegung der Vorschriften würden Personen, die ein negatives Gutachten vorgelegt haben und solche, die kein Gutachten vorlegen, ungleich behandelt, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen.
32
Es trifft zwar zu, dass bei Vorlage eines negativen Gutachtens und darauf gestützter Eintragung eines unanfechtbaren Verbots, ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug zu führen (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 4 StVG), dieses negative Gutachten grundsätzlich als eigenständige Tatsache (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2018 - 11 CS 18.1027 - juris Rn. 9) solange verwertbar ist, wie das Verbot im Fahreignungsregister eingetragen ist (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 2 und 3 StVG). Allerdings erscheint zweifelhaft, ob diese Verwertungsmöglichkeit angesichts fehlender Regelungen zur Wiedererlangung der Berechtigung (vgl. Rebler/Müller, DAR 2014, 690) nach Tilgung der Anlasstat tatsächlich noch fortdauern kann. In Anbetracht des Umstands, dass sich aus der bloßen Eintragung des Verbots im Fahreignungsregister nach den Regelungen der §§ 11 bis 14 FeV keine Eignungszweifel ergeben, erscheinen die Tilgungsvorschriften hinsichtlich des Verbots, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, insgesamt unstimmig und gegenüber den Vorschriften zur Tilgung der Eintragung einer Fahrerlaubnisentziehung teilweise unverhältnismäßig lang (vgl. z.B. die Anlaufhemmung in § 29 Abs. 5 Satz 2 StVG; keine Möglichkeit der vorzeitigen Tilgung nach § 63 FeV).
33
In jedem Fall kann die von der Beklagten zutreffend festgestellte Ungleichbehandlung aber nicht dazu führen, dass die Tilgungsvorschriften hinsichtlich der zugrundeliegenden Delikte unbeachtet bleiben und Verstöße verwertet werden, die schon tilgungsreif sind. Zum einen würden dadurch die Tilgungsvorschriften umgangen und zum anderen andere unlösbare Widersprüche hervorgerufen. Zum Beispiel wäre nicht ersichtlich, wie ein ordnungsgemäßes Gutachten erstellt werden sollte, wenn die Eintragung der Anlasstat im Fahreignungsregister zwar erst nach Erlass der Gutachtensanordnung, aber vor Übersendung der Behördenakten an den Gutachter getilgt wird, die damit zusammenhängenden Unterlagen daher aus den Akten zu entfernen sind und vom Gutachter nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Es wäre wohl unverhältnismäßig, in einem solchen Fall zu verlangen, dass gleichwohl ein Gutachten erstellt wird. Demgemäß ist es Sache der Fahrerlaubnisbehörde, unmittelbar nach Kenntniserlangung eintragungspflichtiger Straftaten und Ordnungswidrigkeiten die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen zügig einzuleiten und umgehend die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Betreffende nicht hinreichend mitwirkt, um das Verfahren rechtzeitig vor Tilgung der Taten rechtskräftig abschließen zu können.
III.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge notwendig i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, da diesbezüglich bisher ungeklärte Rechtsfragen zu beurteilen sind.
IV.
35
Die Revision wird zugelassen, da grundsätzlich klärungsbedürftig ist, auf welchen Zeitpunkt bei der gerichtlichen Prüfung der Untersagung, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, abzustellen ist und ob vor diesem Zeitpunkt getilgte Eintragungen noch berücksichtigt werden können, wenn die Gutachtensanordnung schon vor dem Tilgungszeitpunkt erlassen worden ist.