Titel:
Antrag auf Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen wegen Corona-Pandemie – Armenien
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 123
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Die Corona-Situation in Armenien rechtfertigt im konkreten Einzelfall nicht die Annahme eines Abschiebungsverbotes, wenn nicht ersichtlich ist, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit äußerst gravierende Erkrankungen mit einer erheblich konkreten Gefahr für Leib und Leben der Antragsteller auftreten oder dass sie einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung bei einer Rückkehr nach Armenien ausgesetzt würden, gerade wenn die Antragsteller die vom armenischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen. (Rn. 18 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Armenien, einstweilige Anordnung, keine Abänderung früherer Entscheidungen, keine andere Beurteilung infolge Corona-Pandemie, kein Abschiebungshindernis wegen Corona-Situation in Armenien, Abschiebung, Abschiebungsverbot, Erkrankung, Gefahr, Sperrwirkung, Abschiebungshindernis, Corona-Pandemie, Asylantrag, Abschiebestopp
Fundstelle:
BeckRS 2020, 21023
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragsteller sind armenische Staatsangehörige. Ein erster Asylantrag wurde unanfechtbar abgelehnt (vgl. W 8 K 17.33829). Anträge der Antragsteller auf Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Wiederaufgreifensanträge) lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 ab.
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Am 9. Dezember 2019 ließen die Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.32188 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Des Weiteren beantragten sie im Verfahren W 8 S 19.32189 gleichzeitig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass von Abschiebungsmaßnahmen gegen die Antragsteller vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens abzusehen sei. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2019 lehnte das Gericht den Eilantrag ab. Am 20. Januar 2020 ließen die Antragsteller erneut Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bzw. auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin stellen. Diesen Antrag lehnte das Gericht mit Beschluss vom 22. Januar 2020 (W 8 E 20.30099) ab.
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Am 12. August 2020 beantragten die Antragsteller im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage W 8 K 19.32188 anzuordnen.
Des Weiteren beantragten sie hilfsweise,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erfolgte Mitteilung an die zuständige Ausländerbehörde der Regierung von Unterfranken, darüber, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vorläufig - bis zur rechtskräftigen Entscheidung im anhängigen Klageverfahren - zurückzunehmen.
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Zur Begründung nahmen sie auf ihren bisherigen Sachvortrag Bezug, verwiesen auf ein Urteil des VG Würzburg vom 6. Juli 2020 (W 8 K 19.31125 - juris) und führten im Wesentlichen weiter aus: Da die Antragsteller zur Risikogruppe gehörten sei, dem einstweiligen Rechtsschutzantrag stattzugeben, da eine Abschiebung jederzeit durchgeführt werden könne.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte der Verfahren W 8 K 19.32188, W 8 S 19.32189, W 8 S 20.30945 und W 8 E 20.30099) und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Der von den Antragstellern bei interessengerechter Auslegung ihres Begehrens (§§ 88 i.V.m 122 VwGO) gestellte Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Dezember 2019 im Verfahren W 8 S 19.32189 und des Beschlusses vom 22. Januar 2020 im Verfahren W 8 E 20.30099 mit dem Ziel, die rechtlich mögliche Abschiebung vorläufig aufzuschieben, hat keinen Erfolg.
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Wie schon in den vorstehend zitierten Verfahren ausgeführt, ist in der vorliegenden Fallkonstellation, in der es in der Hauptsache W 8 K 19.32188 um eine Verpflichtungsklage geht, ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. in der Folge nun nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - wie von Antragstellerseite primär beantragt - mangels Statthaftigkeit unzulässig und schon aus diesem Grund abzulehnen.
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Statthaft und zulässig ist in der vorliegenden Fallkonstellation nur ein Antrag - wie in der Sache hilfsweise beantragt - auf Abänderung der ursprünglichen Entscheidungen nach § 80 Abs. 7 VwGO analog i.V.m. § 123 VwGO. Im Einzelnen wird auf die betreffenden Ausführungen im Beschluss vom 22. Januar 2020 (W 8 E 20.30099) verwiesen.
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Der Antrag ist jedoch mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs unbegründet.
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Die Auswirkungen der weltweiten COVID-19-Pandemie begründen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Antragsteller hinsichtlich Armenien.
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Denn schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich dabei um zwingende humanitäre Gründe handelt. (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07 - BeckRS 2012, 8036 - Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen.
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Auch im Hinblick auf § 60 Abs. 7 AufenthG ist festzuhalten, dass die COVID-19-Pandemie in Armenien mangels einer allgemeinen Abschiebestopp-Anordnung allenfalls eine allgemeine Gefahr darstellt, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. etwa BVerwG, 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerecht, 13. Auflage 2020, § 60 AufenthG, Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefahr, dass sich der Ausländer im Zielland mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, muss nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 m.w.N. - juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - juris sowie VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 - 9 L 226/20.A - juris mit Bezug auf VG Bayreuth, U.v. 21.4.2020 - B 8 K 17.32211; OVG NRW - U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N.; vgl. auch schon etwa VG Würzburg, U.v. 10.8.2020 - W 8 K 20.30113 - juris).
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Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist vorliegend für die Antragsteller im Hinblick auf die Auwirkungen des „Corona-Virus“ in Armenien für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Die Antragsteller ohne relevante Vorerkrankungen gehören nicht zwingend zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung.
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Insoweit ist anzumerken, dass die pauschale Behauptung der Antragsteller, zu einer Risikogruppe zu gehören, ohne dies weiter zu substanziieren, in der Allgemeinheit nicht nachvollziehbar ist. Denn verschiedenen Einflüsse und deren Kombinationsmöglichkeiten belegen die Komplexität einer Risiko-Einschätzung, so das eine generelle Festlegung zur Einstufung in eine Risikogruppe nicht möglich ist. Vielmehr erfordert dies eine individuelle Risikofaktoren-Bewertung, im Sinne einer (arbeits-)medizinischen Begutachtung (so ausdrücklich das Robert-Koch-Institut, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html).
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Im Übrigen genügt nicht, wie von den Antragstellern vorgebracht, eine allgemeine Behauptung mit dem Hinweis auf die Corona-Pandemie, dass eine Gefahr für Leib oder Leben bei einer Rückkehr nach Armenien bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen. Erforderlich ist, durch Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende etwa zu einer Risikogruppe gehört und in seinem speziellen Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, zu rechnen ist. Anzugeben ist dabei weiter, wie viele Personen im Zielland konkret infiziert sind, einen schweren Verlauf haben und gestorben sind, ob landesweit eine betreffende Gefahr besteht bzw. konkret an dem Ort, an dem der Betreffende zurückkehrt und welche Schutzmaßnahmen der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (OVG NRW, B.v. 23.6.2020 - 6 A 844/20.A - juris).
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An einen entsprechenden substanziierten Vorbringen der Antragsteller fehlt es. Durchgreifende Gründe für eine relevante Gefahr sind auch sonst nicht ersichtlich.
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Die Antragsteller haben vielmehr nur aus einem Urteil der 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Würzburg - konkret des auch im vorliegenden Verfahren zuständigen Einzelrichters - vom 6. Juli 2020 (W 8 K 19.31125 - juris) zitiert, ohne über die nur pauschale Behauptung hinaus, zur Risikogruppe zu gehören, auf ihren individuellen Fall einzugehen.
18
Der von den Antragstellern zitierte Fall der des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. Juli 2020 ist mit der Fallgestaltung der Antragsteller bei Weitem nicht vergleichbar. In dem anderen Fall ging es um ein älteres Ehepaar mit multiplen schweren chronischen Erkrankungen, die dauerhaft einer kostspieligen und aufwändigen medizinischen ambulanten und stationären Behandlung bedurften. Entscheidend war weiter, dass die betreffenden Kläger das Gebiet Armeniens schon vor über 30 Jahren nach dem Erdbeben 1988/1989 verlassen hatten, zum heutigen Armenien keinerlei Bezugspunkt und keinerlei Verwandte in Armenien hatten und auch sonst keinen, der ihnen helfen konnte, sowie, dass sie über kein Obdach verfügten und allenfalls (nur unter gewissen und wenn überhaupt nicht sofort erfüllbaren Voraussetzungen) Anspruch auf minimale staatliche Beihilfen hatten, so dass in ihrem speziellen Fall nicht nur die erforderliche dauerhafte medizinische Versorgung nicht gewährleistet war, sondern auch die Sicherstellung ihres Existenzminimums und die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse nicht gegeben war, so dass sowohl eine Leib- und Lebensgefahr aus medizinischen Gründen als auch eine Verelendung aus sozialen Gründen als beachtlich wahrscheinlich zu beurteilen war. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren in dem Bezug genommenen Fall nicht streiterheblich, sondern verschärften nur Situation der dortigen Kläger zusätzlich.
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Demgegenüber rechtfertigt die Corona-Situation in Armenien für die Antragsteller nicht die Annahme eines Abschiebungsverbotes, weil nicht ersichtlich ist, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit äußerst gravierende Erkrankungen mit einer erheblich konkreten Gefahr für Leib und Leben der Antragsteller auftreten oder dass sie einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung bei einer Rückkehr nach Armenien ausgesetzt würden, gerade wenn die Antragsteller die vom armenischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen.
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Die Antragsteller haben schon nicht vorgebracht, aktuell selbst mit dem neuartigen SARS-CoV-2-(„Corona-Virus“) infiziert und an der dadurch hervorgerufenen Erkrankung COVID-19 erkrankt zu sein.
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Die Corona-Situation in Armenien begründet auch sonst nicht die beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Infizierung der Antragsteller mit dem Virus und zusätzlich des Eintretens eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs.
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Laut den allgemein zugänglichen Quellen (etwa https://www.worldometers.info/coronavirus/country/armenia/ bzw. https://www.worldometers.info/coronavirus/country/germany/) gibt es in Armenien bei ca. 3 Millionen Einwohnern (Deutschland 83 Millionen) zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt 41.663 nachweislich Infizierte (Deutschland 224.997); davon sind 34.584 genesen (Deutschland 202.900). Außerdem gibt es in Armenien 818 Todesfälle (Deutschland 9.290). Wenn auch bei den offiziellen Angaben aus Armenien die Dunkelziffer recht hoch sein und die Zahl der an dem Virus Infizierten bzw. Gestorbenen deutlich höher liegen mag (vgl. AZERTAC vom 10.8.2020; https://azertag.az/de/xeber/Armenische_Regierung_soll_Corona_Zahlen_manipulieren-1557633) ist jedoch festzuhalten, dass der armenische Staat nicht tatenlos geblieben ist. So gelten Abstandsregeln in geschlossenen Räumen und auch im Freien ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Die armenische Regierung hat Quarantäne-Regelungen beschlossen und das Quarantäne-Regime verlängert. Weiter gibt es eine Einreisesperre. Die Einreisenden müssen sich für 14 Tage in Selbstisolation begeben bzw. einen negativen COVID-19-Test nachweisen. Des Weiteren hat die armenische Regierung Ausgangsbeschränkungen erlassen und diese aber mittlerweile schon wieder gelockert bzw. aufgehoben; ebenso gibt es Beschränkungen des öffentlichen Verkehrs. Öffentliche Versammlungen und Veranstaltungen sind untersagt. Weiter wird empfohlen Menschenansammlungen zu meiden und hygienische Vorsichtsmaßnahmen zu wahren. Geschäfte wurden geschlossen und teilweise wieder geöffnet, um der Wirtschaft entgegen zu kommen. Gerade um den sozioökonomischen Risiken entgegenzuwirken, sind die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie teilweise zurückgenommen worden; teilweise wurden die Regeln nicht strikt durchgesetzt. Infolgedessen hat sich die Situation in Armenien auch wieder verschärft. Armenien hat in der Region, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, die meisten bestätigten Infektionsfälle und auch die Todesfälle steigen kontinuierlich. Zeitweise wurde die epidemiologische Situation in Armenien mit der Situation in Italien verglichen (vgl. zum Ganzen Auswärtiges Amt, Armenien, Reise- und Sicherheitshinweise; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 15.7.2020, S. 5 ff.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 25.6.2020, S. 30 ff., 37 ff. sowie ferner VG Würzburg, U.v. 6.7.2020 - W 8 K 19.31125 - juris Rn. 62 mit Verweis auf Österreichisches Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformationen Armenien vom 3.7.2020; GTAI, Germany Trade & Invest, COVID- 19, Allgemeine Situation und Konjunkturentwicklung vom 16.6.2020; WKO, die Wirtschaftskammer Österreich, Corona-Virus: Situation in Armenien vom 16.6.2020; Heinrich-Böll-Stiftung: Das Corona-Virus hat Armenien den Krieg erklärt vom 15.6.2020; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Information vom 9.6.2020, S. 4 f. und vom 25.3.2020, S. 2 f; Stiftung Wissenschaften und Politik, SWP-Aktuell Nr. 28, April 2020, S. 4).
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Der armenische Staat hat nach den vorliegenden - vorstehend zitierten - Erkenntnissen den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gegengesteuert und ist nicht gleichgültig geblieben. Letztlich ist unter Berücksichtigung der tagesaktuellen Fallzahlen auch im Vergleich zum Ansteckungsrisiko in der Bundesrepublik Deutschland in Armenien derzeit nach den oben genannten Maßstäben keine hohe Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welche die Antragsteller angehören, gegeben.
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Die Antragsteller müssen sich dabei letztlich - wie auch schon in den früheren Verfahren ausgeführt - wie etwa bei anderen Erkrankungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren Verlaufs teilweise um ein Vielfaches höher liegen kann als beim „Corona-Virus“ im Bedarfsfall auf die Möglichkeiten des mit dem deutschen Gesundheitssystem nicht vergleichbarem armenischen Gesundheits- und Sozialsystem behelfen.
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Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem „Corona-Virus“ auch in Armenien nicht überall gleich hoch ist. Vielmehr gibt es regionale Unterschiede. Darüber hinaus bestehen - wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland - über die Beachtung der staatlicherseits angeordneten Maßnahmen hinaus individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, die Einhaltung von Hygieneregeln (wie z.B. Händewaschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch zumutbares eigenes Verhalten zu minimieren.
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Gegebenenfalls können die Antragsteller auch auf private Hilfemöglichkeiten oder staatliche Hilfemöglichkeiten und auch Hilfsorganisationen zurückgreifen, so dass sie sich etwa, auch Medikamente, Desinfektionsmittel oder Masken besorgen könnten. Abgesehen davon könnte den Antragstellern bei Bedarf auch Medikamente, Desinfektionsmittel oder auch Masken für eine Übergangszeit mitgegeben werden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 - 19 CS 19.2136).
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Des Weiteren gibt es keine konkreten Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der COVID-19-Pandemie in Armenien in einer Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr im oben zitierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Gerade angesichts der regionalen und lokalen Unterschiede und der weiterhin bestehenden ausreichenden Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, ist eine Rückkehr nach Armenien weiterhin zumutbar, selbst wenn sich die wirtschaftliche Situation aufgrund der Auswirkungen der Pandemie verschlechtert hat und noch weiter verschlechtern mag.
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Letztlich versucht die Regierung, wie schon erwähnt, den Spagat zwischen dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Notwendigkeit, die Wirtschaft offen zu halten, wenn auch nicht alle Bedürfnisse gleichzeitig befriedigt werden können (vgl. schon VG Würzburg, U.v. 6.7.2020 - W 8 K 19.31125 - juris Rn. 62 mwN). In Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vergibt der Staat Hilfspakete für Betroffene, wie Stundungen von Steuern und Gebühren, Zuschüsse zur Versorgungsleistungen, Mieten, Gehälter und zinslose Darlehen für Kleinunternehmer, Arbeitslosenhilfe für entlassene Arbeitnehmer und Geldleistungen für werdende Mütter und pro Kind für informelle Arbeiter, die in Armeniens „Schattenwirtschaft“ beschäftigt sind. Praktisch sind auch alle Hilfspakete online zugänglich (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 25.6.2020, S. 37; Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 15.7.2020, S. 6). Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte/Individuen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe usw. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (vgl. WKO, Die Wirtschaftskammer Österreich, Corona-Virus: Situation in Armenien vom 14.7.2020; vgl. auch Heinrich-Böll-Stiftung „Das Corona-Virus hat Armenien den Krieg erklärt“ vom 15.6.2020).
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Abgesehen davon gilt, wie auch sonst, dass in Armenien die Möglichkeit besteht, sich an zahlreich tätige wohltätige Organisationen und Organisationen mit humanitärer Mission zu wenden, die sich auf alle Bereiche erstrecken. Das armenische Rote Kreuz leistet soziale, ärztliche und psychologische Unterstützung. Des Weiteren können sozialbedürftige Personen in Genuss verschiedener Beihilfen gelangen (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21.12.2017; siehe auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien, vom 25.6.2020, S. 34 ff.). Auch die Caritas-Armenien leistet für Rückkehrer Hilfe für eine Reintegration (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Eriwan, Auskunft vom 15.3.2016 an das VG Bayreuth).
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Weiter ist auf mögliche Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer in Armenien nach dem REAG/GARP-Programm hinzuweisen. Damit ist die Finanzierung eines einfachen Lebensunterhalts in den ersten Monaten nach Rückkehr nach Armenien grundsätzlich möglich. Die Antragsteller können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Staats- oder Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris). Dementsprechend ist es den Antragstellern auch in der heutigen Situation möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr die nach Armenien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
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Letztlich ist den Antragstellern nach richterlicher Überzeugung unter Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnisse zur aktuellen Situation in Armenien - auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie - eine Rückkehr in ihr Heimatland weiterhin persönlich zumutbar, ohne dass rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Das Gericht verkennt auch unter aktuellen Bedingungen nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Armenien. Diese betreffen jedoch armenische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
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Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.