Inhalt

VGH München, Urteil v. 09.06.2020 – 10 B 18.1470
Titel:

Anordnungen zur Hundehaltung (Leinen- und Maulkorbpflicht)

Normenketten:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 37, Art. 41 Abs. 5, Art. 43 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 8 Abs. 1 S. 2, Art. 36 Abs. 7
BayJG Art. 42 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
Hauskatzen fallen unter das Schutzgut „Eigentum“ im Sinn des Art. 18 LStVG und dürfen daher auch durch einen „Jagdhund“ nicht gejagt und getötet werden. (Rn. 42)
1. Die Anordnung des Leinenzwangs „innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile“ genügt auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eigenschaft als „großer Hund“ genügt für sich allein für eine Anordnung des Maulkorbzwangs im Außenbereich nicht. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheitsrecht, Anordnungen zur Hundehaltung (Leinen- und Maulkorbpflicht), Zustellung, Bekanntgabe eines Verwaltungsakts, Jagdhund (Deutsch, Drahthaar), Tötung von Hauskatzen durch Hund, Schutzgut Eigentum, Anfechtungsklage, konkrete Gefahr, Leinenzwang, Vollziehung, sofortige Vollziehung
Fundstellen:
BayVBl 2021, 122
BeckRS 2020, 20624
LSK 2020, 20624

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Gegenstand des Verfahrens sind sicherheitsrechtliche Anordnungen des Beklagten betreffend die Haltung eines Hundes durch den Kläger.
2
Der Kläger ist Halter eines Hundes der Rasse „Deutsches Drahthaar“, den er nach eigenen Angaben (auch) als Jagdhund verwendet.
3
Verschiedene Zeugen berichteten dem Beklagten von mehreren Vorfällen mit dem Hund, der am 9. Mai 2015 auf einem Gartengrundstück eine Hauskatze getötet und weggeschleppt und am 17. Mai 2015 auf einer Wiese eine Katze getötet habe. Hierzu angehört, habe der Kläger laut einem Aktenvermerk des Beklagten vom 1. Juli 2015 bei einer Vorsprache die Vorfälle nicht abgestritten.
4
Mit Bescheid vom 24. August 2015 untersagte der Beklagte dem Kläger, den Hund außerhalb seines Grundstücks unangeleint bewegen zu lassen; der Hund müsse außerhalb des Grundstücks mit einer geeigneten, schlupfsicheren Leine geführt werden (Nr. 1); der Hund müsse außerhalb des Haltergrundstücks einen Maulkorb tragen (Nr. 2); falls der Kläger den Hund innerhalb seines Grundstücks unangeleint herumlaufen lassen wolle, habe er sicherzustellen, dass das Grundstück so abgesperrt und mit einem entsprechende hohen Zaun abgesichert sei, dass der Hund nicht entweichen könne (Nr. 3); der Hund dürfe nur durch eine geeignete Person ausgeführt werden (Nr. 4); die sofortige Vollziehung der Nummern 1 bis 4 wurde angeordnet (Nr. 5) sowie Zwangsgeld angedroht (Nr. 6).
5
Der Bescheid wurde auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt. Es sei zu befürchten, dass der Hund in naher Zukunft wieder Tiere reißen und im schlimmsten Fall auch Menschen beißen werde; von ihm gehe also eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens halte der Beklagte ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig. Es habe sich gezeigt, dass der Hund ohne vorhersehbaren Anlass aus seiner ungebändigten Natur heraus zu einer Gefahr für Haustiere und vor allem für die Gesundheit von Menschen werde, wenn sein Aufenthalt nicht auf das Grundstück des Klägers beschränkt werde oder wenn er sich außerhalb des Grundstücks ohne Leine und Maulkorb aufhalte. Die Anordnung hinsichtlich des Leinenzwangs sowie des Maulkorbzwangs entspreche auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
6
Der Bescheid wurde dem Kläger am 24. August 2015 ausgehändigt.
7
Mit Schreiben vom 3. September 2015, per Telefax übermittelt am 9. September 2015, zeigte der Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht dem Beklagten die Vertretung des Klägers an. Am 9. September 2015 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage gegen den Bescheid vom 24. August 2015 (RN 4 K 15.1412).
8
Mit Datum vom 26. Februar 2016 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid. Der Bescheid vom 24. August 2015 werde geändert und erhalte folgende Fassung:
9
Der Hund sei außerhalb des Haltergrundstücks innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile sowie darüber hinaus im Außenbereich bis zu einem Abstand von 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs von einer dazu befähigten und ausreichend kräftigen Person an einer maximal 2 m langen reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband zu führen (Nr. 1); soweit sich der Hund außerhalb zusammenhängender Bebauung sowie außerhalb des Abstandes hiervon von 200 m, für welche jeweils der Leinenzwang gilt, unangeleint bewegen dürfe, sei ihm ein gut sitzender und passender Maulkorb anzulegen (Nr. 2); falls der Kläger den Hund innerhalb seines Grundstücks unangeleint herumlaufen lassen wolle, habe er sicherzustellen, dass das Grundstück so abgesichert sei, dass der Hund nicht entweichen könne (Nr. 3); zu den Gelegenheiten und Zeiten, zu denen der Hund als Jagdhund Verwendung finde, insbesondere bei Teilnahmen an Jagdveranstaltungen, gelten der Leinenzwang und der Maulkorbzwang dann nicht, wenn der Kläger 24 Stunden vor der jeweiligen Gelegenheit (z.B. Jagdveranstaltung) dem Beklagten diese unter Angabe von Örtlichkeit, Zeitraum und Art der Veranstaltung schriftlich mitteile (Nr. 4); die sofortige Vollziehung der Nummern 1 bis 3 wurde angeordnet (Nr. 5) und Zwangsgeld angedroht (Nr. 6).
10
Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen auf die Gründe des Bescheids vom 24. August 2015 verwiesen.
11
Der Bescheid wurde am 2. März 2016 mit Postzustellungsurkunde dem Kläger persönlich zugestellt.
12
Am 7. April 2016 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage gegen den „Änderungsbescheid vom 7. März 2016“ (RN 4 K 16.527).
13
In der Begründung der beiden Klagen wurden vom Beklagten weiter angeführte Vorfälle bestritten; es gebe in der Umgebung zahlreiche völlig gleich aussehende Hunde, der Kläger werde aber bei einem Vorfall immer als erster verdächtigt. Dem Beklagten liege bis heute keine Gefährdungsanalyse des Hundes vor. Von einer sicherheitsrechtlich relevanten Gefährdung könne erst ausgegangen werden, wenn der Hund den sog. Alltagstest nicht bestehen würde, er also in üblichen Alltagssituationen im öffentlichen Verkehrsraum gegenüber Menschen, insbesondere Kindern, nachrangig auch anderen Tieren, dabei nicht zwingend Enten oder Katzen, sondern in der Regel Artgenossen, ein gefahrgeneigtes Verhalten an den Tag legen würde. Es sei daher rechtswidrig, den Hund aus seiner jagdlichen Aufgabe durch die angeordnete Regelung nahezu herauszunehmen. Dies sei jagdpraktisch nicht haltbar. Der Hund sei ordnungsgemäß für seine jagdliche Aufgabe ausgebildet. Der Kläger verkenne nicht, dass für Jagdhunde typischerweise Katzen sog. „Raubzeug“ seien. Er sei daher bereit, einen Anleinzwang innerorts zu akzeptieren, um Hauskatzen Dritter zu schützen. Alles darüber Hinausgehende sei jedoch nicht erforderlich. Außerdem sei der Bescheid in mehrfacher Hinsicht unbestimmt und daher auch wegen Verstoßes gegen Art. 37 BayVwVfG aufzuheben.
14
Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Juni 2016 wurde vorgetragen, Jagdhunde würden sehr kurzfristig für Nachsuchen benötigt. Der Kläger habe mit allen seinen Hunden stets an Hundeführer- und Abrichte-Lehrgängen mit entsprechenden Abschlussprüfungen teilgenommen. Daher sei ein Hund, dessen bedeutendes Rassezuchtkriterium die sog. „Raubwildschärfe“ sei, und der zur Jagd eingesetzt werde, nicht schon per se als gefährlich im Sinn des Gefahrbegriffs, wie er etwa bei Kampfhunden Anwendung finde, einzustufen.
15
Ferner wurde gerügt, dass der Änderungsbescheid (vom 26. Februar 2016) dem Bevollmächtigten des Klägers erst als Anlage zu der gerichtlichen Zuleitung vom 9. März 2016 (und außerdem mit dem Datum 7. März 2016 versehen) zugegangen sei. Die Zustellung an den Kläger persönlich sei unzulässig gewesen, da sich der Bevollmächtigte bereits vorher beim Beklagten unter Vollmachtsvorlage als Vertreter bestellt gehabt habe. Der Änderungsbescheid sei unheilbar unwirksam, auch weil er mit verschiedenem Datum kursiere. Die Rechtswidrigkeit des Erst-Bescheids komme bereits durch den Änderungsversuch des Beklagten zum Ausdruck. Eine sachverständige Stellungnahme, die allein Grundlage einer Einzelanordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG sein könne, sei nie eingeholt worden. Die Ermessensausübung sei nur schematisch begründet, die Auswahl möglicher milderer Anordnungen nicht geprüft worden.
16
Mit Urteil vom 14. Juni 2016 (RN 4 K 15.1412) wies das VG Regensburg die Klage gegen den Bescheid vom 24. August 2015 ab. Die Klage sei bereits unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der streitgegenständliche Bescheid sei in dem Änderungsbescheid vom 26. Februar 2016 aufgegangen, seine Anordnungen hätten sich durch die Neufassung erledigt.
17
Mit Urteil ebenfalls vom 14. Juni 2016 im Verfahren RN 4 K 16.527 hob das VG Regensburg die Ziffern 3 und 6b des Bescheids vom 26. Februar 2016 auf und wies die Klage im Übrigen ab.
18
Die Klage sei fristgemäß erhoben worden. Die Zustellung am 2. März 2016 an den Kläger persönlich verstoße gegen Art. 36 Abs. 7 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, weil der Bevollmächtigte bereits eine schriftliche Vollmacht vorgelegt gehabt habe. Die Vollmacht habe sich auch auf den Änderungsbescheid erstreckt, da es sich um ein einheitliches Verwaltungsverfahren gehandelt habe. Der Zustellungsmangel führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Vielmehr sei durch den tatsächlichen Eingang beim Klägerbevollmächtigten am 10. März 2016 eine Heilung eingetreten, so dass der Bescheid vom 26. Februar 2016 an diesem Tag als zugestellt und bekanntgegeben gelte (Art. 9 VwZVG). Die Tatsache, dass der dem Klägerbevollmächtigten zugegangene Bescheid das Datum 7. März 2016 trage, wirke sich nicht auf die Wirksamkeit des Bescheides vom 26. Februar 2016 aus; es handle sich um eine an diesem Tag ausgedruckte Ausfertigung ohne inhaltliche Änderungen. Rechtsgrundlage für die Anleinpflicht (Nr. 1 des Bescheids) sei Art. 18 Abs. 2 LStVG. Die vom Hund ausgehende Gefahr habe sich zumindest bereits im dem Vorfall vom 9. Mai 2015 realisiert, dieser sei auch ausreichend, um die Gefahrenprognose zu tragen. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig. Rechtsgrundlage für die Maulkorbpflicht (Nr. 2) sei ebenfalls Art. 18 Abs. 2 LStVG. Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Ermessenserwägungen ergänzend erläutert habe, bestünden aus Sicht des Gerichts auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Bedenken. Wie der Vorfall vom 9. Mai 2015 gezeigt habe, besitze der Hund einen ausgeprägten Jagdtrieb, der nicht an der Grenze zum unbebauten Gebiet ende. Es sei daher sicherzustellen, dass der Hund auch außerorts seinem Jagdtrieb nicht uneingeschränkt nachkommen könne. Dies könne nur durch eine generelle Anleinpflicht, durch die der Hund stark in seinem Bewegungsbedürfnis eingeschränkt werde, oder durch das Tragen eines Maulkorbs gewährleistet werden. Der Beklagte habe sich hier für den Maulkorb entschieden, um dem Hund einen Freilauf zu ermöglichen. Bei den Befreiungen von dem Anlein- und Maulkorbzwang (Nr. 4 des Bescheids) handle es sich um ein Zugeständnis an den Kläger, damit er seinen Hund zumindest in gewissem Umfang noch zu jagdlichen Zwecken einsetzen könne. Eine Belastung des Klägers durch diese Anordnung sei nicht zu erkennen. Soweit sich die Klage auf Nr. 3 des Bescheids und die sich darauf beziehende Zwangsgeldandrohung in Nr. 6 b des Bescheids beziehe, sei sie begründet. Die Anordnung sei nicht notwendig, da es keine Hinweise gegeben habe, dass der Hund des Klägers das Grundstück unbeaufsichtigt verlassen habe.
19
Nach der Zulassung der Berufung gegen beide verwaltungsgerichtlichen Urteile durch Beschlüsse des Senats vom 10. Juli 2018 (10 ZB 16.1559 und 10 ZB 16.1564) stellte der Beklagte den Bescheid vom 26. Februar 2016 dem Bevollmächtigten des Klägers am 8. August 2018 mit Postzustellungsurkunde erneut zu. Der Kläger erhob hiergegen am 10. September 2018 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg (RN 4 K 18.1478).
20
Zur Berufungsbegründung trug der Kläger im Wesentlichen vor, der Änderungsbescheid vom 26. Februar 2016 sei nie wirksam bekanntgegeben worden, wenn man überhaupt von seiner Wirksamkeit ausgehen wolle. Zutreffend führe das Verwaltungsgericht aus, dass die Zustellung an den Kläger persönlich gegen Art. 36 Abs. 7 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG verstoße. Es gehe aber rechtsirrig davon aus, dass durch den tatsächlichen Zugang des Bescheids in Kopie (überdies mit abweichendem Datum) als Anhang eines Schriftsatzes des Beklagtenbevollmächtigten beim Klägerbevollmächtigten am 10. März 2016 eine Heilung erfolgt sei. Eine rein zufallsweise Übermittlung einer Bescheidkopie mit anderem Datum und als Anhang an einen Schriftsatz im gerichtlichen Verfahren könne nicht als Bekanntgabe im Rechtssinne angesehen werden, da hier der stets erforderliche Bekanntgabewille der Behörde fehle. Die Rechtsprechung für die Fälle der Bekanntgabe durch eine Zustellung, wie der Beklagte sie hier versucht habe, sehe daher auch folgerichtig vor, dass ein ursprünglicher Zustellungsmangel auch nicht gemäß Art. 9 VwZVG durch Übersenden einer Fotokopie geheilt werden könne. Die Heilungsvorschrift verlange nämlich, dass der tatsächliche Zugang eines zustellfähigen Dokuments, also einer Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift, beim Zustellungsadressaten - hier dem Bevollmächtigten des Klägers - erfolge. Dies sei nicht passiert, so dass bereits deshalb eine Heilung nicht eintreten könne. Die bloß beiläufige Kenntnisnahme auf Seiten des Klägers und seines Bevollmächtigten könne einen Zustellungs- und zudem Bekanngabemangel vorliegend nicht heilen. Vor allem könne eine Heilung allein aus Art. 9 VwZVG nicht erfolgen, da nach dieser Vorschrift lediglich ein Zustellungsmangel, nicht aber bereits ein Bekanntgabemangel, wie er hier zusätzlich und doppelt vorliege, geheilt werden könnte. Das Verwaltungsgericht hätte daher dem Hilfsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bescheids stattgeben müssen. Auch materiellrechtlich sei der Bescheid rechtswidrig. Die angeordnete Anleinpflicht sei unverhältnismäßig. Das Anleinen des Hundes des Klägers innerhalb geschlossener Ortschaften und zusätzlich in einem Umgriff von 200 Metern sei sicherlich zu weitreichend. Der Kläger sehe aber ein, dass eine Anleinung sachgerecht sei und komme dem bereits nach. Für die weiteren Anordnungen bestehe kein sicherheitsrechtliches Bedürfnis; insbesondere sei die Auflage, Jagdereignisse mit langem zeitlichen Vorlauf anzumelden, völlig unpraktikabel. Auch die Ermessensausübung sei rein schematisch; die jagdlichen Belange des Klägers seien nicht berücksichtigt.
21
In der mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 2020 wurde das Verfahren 10 B 18.1471 (betreffend das Urteil RN 4 K 15.1412) übereinstimmend für erledigt erklärt und eingestellt.
22
Im Verfahren 10 B 18.1470 beantragt der Kläger,
23
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Juni 2016 (RN 4 K 16.527) den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2016 (einschließlich der darin in Bezug genommenen Bestandteile des erledigten Bescheids vom 24. August 2015) auch im Übrigen aufzuheben.
24
Der Beklagte beantragt,
25
die Berufung zurückzuweisen.
26
Der Bekanntgabefehler sei zwischenzeitlich geheilt worden. Der Bescheid vom 26. Februar 2016 sei dem Bevollmächtigten des Klägers mit Anschreiben vom 3. August 2018 zugestellt worden.
27
Was die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides angehe, sei unstreitig, dass der Hund bereits andere Tiere getötet und verletzt habe, was der Kläger damit rechtfertige, dass der Hund diese als „Raubzeug“ ansehe. Ausgehend von einer sich derart drastisch und mehrfach bereits realisierten Gefahr halte der Beklagte die von ihm erlassenen Anordnungen weiterhin für ohne weiteres verhältnismäßig. Es stehe fest, dass der Hund des Klägers bei Auslauf ohne Leine nicht hinreichend kontrolliert und „Raubzeug“ verfolgen würde. Ein derartiges Verhalten sei auch dann nicht hinnehmbar, wenn es sich außerhalb geschlossener Ortschaften zutrage. Daher wäre ein Anleinzwang auch außerhalb geschlossener Ortschaften gerechtfertigt. Gerade um dem Hund dort aber einen freien Auslauf zu ermöglichen, sei der Maulkorbzwang angeordnet worden. Die Vorstellung des Klägers, dass der Hund außerhalb geschlossener Ortslage ohne weitere Vorkehrung frei laufen dürfen sollte, sei nicht ohne erhebliche Gefahren umzusetzen.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

29
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht in dem hier noch streitigen Umfang abgewiesen.
30
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2016 ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
31
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage jedenfalls zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zulässig.
32
a) Gegenstand der Anfechtungsklage ist (nur noch) der „Änderungsbescheid“ des Beklagten vom 26. Februar 2016, der den ersten Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 hinsichtlich sämtlicher sicherheitsrechtlicher Regelungen vollständig ersetzt und lediglich hinsichtlich unselbständiger Teile (Kosten, Begründung) in Bezug genommen hat. Der Bescheid vom 24. August 2015 hat damit seine Erledigung gefunden (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Ebenfalls im Berufungsverfahren nicht mehr Verfahrensgegenstand sind die Regelungen in Nr. 3 und Nr. 6b des Bescheids, deren Aufhebung durch das Verwaltungsgericht rechtskräftig geworden ist.
33
b) Der „Änderungsbescheid“ des Beklagten vom 26. Februar 2016 ist auch statthafter Gegenstand der Anfechtungsklage, da er formwirksam bekanntgegeben und damit nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG auch rechtlich wirksam geworden ist.
34
Der Bevollmächtigte des Klägers hatte am 9. September 2015 dem Beklagten unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht die Vertretung des Klägers angezeigt; somit waren ab diesem Zeitpunkt gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG Zustellungen für den Kläger allein an den Bevollmächtigten zu richten. Da der Bescheid vom 26. Februar 2016 auch die Androhung von Zwangsmitteln beinhaltete, erforderte die wirksame Bekanntgabe dieses Bescheids - jedenfalls insoweit - nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 36 Abs. 7 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG die förmliche Zustellung an den Bevollmächtigten des Klägers. Die Zustellung an den Kläger persönlich mit Postzustellungsurkunde am 2. März 2016 genügte daher den dargelegten Anforderungen nicht.
35
Der Bescheid vom 26. Februar 2016 ist jedoch dem Bevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 8. August 2018 - unbestritten - formgerecht zugestellt worden. Damit liegt zum für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts ein ordnungsgemäß zugestellter und damit wirksam bekanntgegebener Bescheid vor. Auf die im Rechtsmittelverfahren erörterten Fragen der Heilung eines Zustellungsmangels nach Art. 9 VwVZG und etwaiger Fehlerfolgen kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
36
c) Die statthafte Anfechtungsklage ist auch fristgemäß (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben worden.
37
Auch wenn man im Hinblick darauf, dass sich die Regelung über die förmliche Zustellung in Art. 36 Abs. 7 VwZVG ausdrücklich nur auf die Zwangsmittelandrohung und nicht auch auf die zugrunde liegenden sicherheitsrechtlichen Verwaltungsakte bezieht, annimmt, dass letztere bereits mit der Zustellung an den Kläger persönlich am 2. März 2016 wirksam geworden sind, wäre in diesem Fall im Hinblick auf den Zugang eines mit dem Bescheid vom 26. Februar 2016 inhaltsgleichen Änderungsbescheids mit dem Datum 7. März 2016 die am 7. April 2016 eingegangene Klage auch hinsichtlich der Grundverfügungen noch fristgerecht erhoben worden; jedenfalls wäre insoweit wegen der wohl unverschuldeten Fristversäumung von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren.
38
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2016 (einschließlich der darin in Bezug genommenen Bestandteile des erledigten Bescheids vom 24. August 2015) ist - mit Ausnahme der bereits vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Verfügungen Nr. 3 und Nr. 6b - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
39
Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Anordnungen ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Danach können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen.
40
a) Eine solche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG darf allerdings nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 19; B.v. 11.2.2015 - 10 ZB 14.2299 - juris Rn. 5 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt gerechnet werden kann. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schutzwürdiger das bedrohte Schutzgut und je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, U.v. 9.11.2010 - 10 BV 06.3053 - juris Rn. 22 m.w.N.). Die Zugehörigkeit eines Hundes zu einer bestimmten Rasse vermag für sich genommen mangels einer in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherten Prognose keine abstrakte oder konkrete Gefahr zu begründen. Der Senat vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (vgl. zuletzt z.B. BayVGH, B.v. 5.6.2020 - 10 ZB 20.961 - juris Rn. 5; B.v. 12.2.2020 - 10 ZB 19.2474 - juris Rn. 4). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (vgl. Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.5.2020, Art. 18 LStVG Rn. 38 ff.).
41
Nach diesem Maßstab geht von dem Hund des Klägers eine konkrete Gefahr für Schutzgüter gemäß Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG aus.
42
Es handelt sich bereits um einen großen Hund im Sinn der Rechtsprechung des Senats, denn ein „Deutsch Drahthaar“ erreicht gemäß dem Rassestandard (FCI-Standard Nr. 98 vom 29.11.2000, S. 6) eine Widerristhöhe von bis zu 68 cm; außerdem handelt es sich auch aufgrund der Züchtung und Ausbildung als Jagdhund um einen kräftigen Hund. Vor allem aber stellt der Hund offensichtlich eine Gefahr für Hauskatzen in seiner Umgebung dar. Auch wenn der Kläger bestreitet, dass sein Hund für alle ihm zugeschriebenen Tötungen von Hauskatzen in der Umgebung verantwortlich gewesen sei, hat er in der mündlichen Verhandlung jedenfalls den Vorfall vom 9. Mai 2015 eingeräumt. Nach Aktenlage hatte er gegenüber dem Beklagten auch den Vorfall vom 17. Mai 2015 nicht bestritten, und für weitere Vorfälle liegen aufgrund der aktenkundigen Zeugenaussagen doch gewichtige Indizien dafür vor, dass der Hund des Klägers jeweils die Katzen getötet hat, auch wenn der Kläger geltend macht, dass es in der Gegend noch weitere gleich aussehende Hunde gebe. Der Kläger selbst weist mehrfach darauf hin, dass sein Hund auf „Raubwildschärfe“ gezüchtet sei und aufgrund seiner Ausbildung als Jagdhund Katzen als „Raubzeug“ ansehe. Auch Hauskatzen unterliegen jedoch als „Eigentum“ dem Schutz des Art. 18 LStVG und dürfen überdies gemäß § 1 Satz 2 TierSchG nicht ohne weiteres getötet werden, wenn sie sich - zumal innerhalb bebauter und bewohnter Bereiche - im Freien aufhalten. Außerdem besteht hier auch eine konkrete Gefahr für die Unversehrtheit von Menschen, da es naheliegt, dass Besitzer versuchen, eine angegriffene Hauskatze gegen den Hund zu verteidigen. Die Ausbildung und Verwendung als Jagdhund dispensiert entgegen der Auffassung des Klägers nicht von der Einhaltung der dargelegten sicherheitsrechtlichen Anforderungen.
43
b) Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen auch fehlerfrei ausgeübt.
44
Der Leinenzwang außerhalb des Haltergrundstücks innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile sowie darüber hinaus im Außenbereich bis zu einem Abstand von 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist im konkreten Fall rechtlich nicht zu beanstanden. Da nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Leinenzwang für große Hunde auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen innerhalb der geschlossenen Ortslage bereits gerechtfertigt ist, wenn es noch nicht zu einem konkreten (Beiß-)Vorfall gekommen ist, gilt dies umso mehr, wenn wie hier außerdem eine konkrete Gefahr für sich im Freien aufhaltende Hauskatzen angenommen werden muss. Die Einbeziehung eines zusätzlichen Abstands vom 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist hier sachgerecht, da auch in derartigen Ortsrandlagen erfahrungsgemäß häufig Hauskatzen ebenso wie Menschen anzutreffen sind.
45
Die Anordnung des Leinenzwangs „innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile“ genügt auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG (BayVGH, B.v. 5.6.2020 - 10 ZB 20.961 - juris Rn. 6; B.v. 3.5.2017 - 10 CS 17.405 - juris Rn. 8; B.v. 10.3.2017 - 10 ZB 17.136 - juris Rn. 7).
46
Auch der Maulkorbzwang für den Außenbereich außerhalb eines Abstands von 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist rechtmäßig. Er rechtfertigt sich nicht schon aus der Eigenschaft des klägerischen Hundes als „großer Hund“ - was nach der Rechtsprechung des Senats für sich allein für eine Anordnung des Maulkorbzwangs im Außenbereich nicht genügt (BayVGH, B.v. 3.5.2017 - 10 CS 17.405 - juris Rn. 9 ff.) -, sondern beruht auf hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die oben dargelegte Gefahr für Hauskatzen und indirekt auch für Menschen sich auch außerhalb des Bebauungszusammenhangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisieren wird. Auch in freiem Gelände sind Katzen kein „Freiwild“, das von einem Hund aus eigener Initiative als „Raubzeug“ getötet werden dürfte, sondern nur vom Jagdschutzberechtigten (Art. 41 BayJG) in einem Jagdrevier (Art. 3 ff. BayJG) im Rahmen des Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 BayJG. Für den Einsatz des Hundes als Jagdhund, insbesondere für die Teilnahme an Jagdveranstaltungen, hat der Beklagte ohnehin in Nr. 4 des Bescheids eine Ausnahme von der Leinenpflicht ebenso wie von der Maulkorbpflicht festgesetzt, wenn der Kläger dies jeweils rechtzeitig schriftlich mitteilt. Auch wenn der Kläger diese „Meldepflicht“ als unpraktikabel empfinden mag, führt sie jedenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der zugrunde liegenden sicherheitsrechtlichen Maßnahmen.
47
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
48
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
49
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.