Titel:
Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug
Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, § 10 Abs. 1, Abs. 3, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 99 Abs. 1 Nr. 2
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 1
AsylG § 71
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S.1
Leitsatz:
Entscheidend für die Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ist, dass der Ausländer zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. (Rn. 32)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, Sperrwirkung eines erfolglosen Asylantrags, Erforderlichkeit eines Visumverfahrens, Antragstellung im Bundesgebiet, Asylverfahren, Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Lebensunterhalt, Sinn und Zweck, Visum, Asylbewerber
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 20.09.2016 – Au 1 K 16.579
Fundstelle:
BeckRS 2020, 20621
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug.
2
Der Kläger, ein 1982 geborener iranischer Staatsangehöriger, reiste 1996 zusammen mit seiner Familie in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, in der Folgezeit wurde er geduldet. 2004/2005 besaß er kurzzeitig eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug; ein eigenständiges Aufenthaltsrecht entstand nicht. Sein Asylfolgeantrag wurde 2007 abgelehnt; danach erhielt er weiter Duldungen, weil er nicht im Besitz von Ausweispapieren war. Später reiste er nach England aus, um dort ein Asylverfahren zu betreiben, wurde jedoch am 1. September 2012 im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Deutschland rücküberstellt. Er wurde erneut geduldet, weil er nicht im Besitz von Ausweispapieren war.
3
Am 29. August 2013 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige und beantragte mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 13. Januar 2014 und mit Formblattantrag vom 20. März 2014 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, worauf ihm eine bis 19. März 2015 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt wurde. Am 26. Januar 2015 beantragte er erneut eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wurde am 15. Juli 2015 bis zum 16. Juli 2016 verlängert; über die weitere Verlängerung ist ein Rechtsstreit beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängig (Au 1 K 19.1853).
4
Mit Bescheid vom 7. März 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ab. Der Erteilung stehe § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG greife nicht, da dem Kläger kein strikter Rechtsanspruch zustehe. Der Kläger sei nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
5
Der Kläger erhob Klage mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7. März 2016 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Da er bereits im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei, könne von ihm ein Visumverfahren nicht verlangt werden (§ 39 Nr. 1 AufenthV a.F.). Soweit ein Ausländer nach §§ 39 bis 41 AufenthV den Aufenthaltstitel im Inland einholen könne, komme die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht zum Tragen. Es handle sich in seinem Fall daher nicht um eine Regelerteilungsvoraussetzung. Die übrigen Voraussetzungen seien erfüllt, insbesondere sei der Lebensunterhalt gesichert.
6
Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2016 verpflichtete das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Beklagte, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.
7
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Erteilung der streitgegenständlichen Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG stehe § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Zwar sei der Asylantrag des Klägers unanfechtbar abgelehnt worden, jedoch sei im Fall des Klägers ein strikter Rechtsanspruch gegeben. Das gesetzliche Ausreiseerfordernis finde im Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Unstreitig erfülle der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 AufenthG. Zwar sei er als Asylbewerber nicht mit dem erforderlichen nationalen Visum im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eingereist und habe auch nicht die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Nach Überzeugung der Kammer sei er aber vom Erfordernis der Durchführung eines Visumverfahrens gemäß § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. befreit, wonach ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen könne, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Diese Anforderung erfülle der Kläger, denn er sei im Zeitpunkt der Antragstellung am 26. Januar 2015 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gewesen. Würde auf einen späteren Zeitpunkt abgestellt, etwa den der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung, hätte es die Behörde in der Hand, dies zu beeinflussen, indem sie - wie hier - die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängere, sondern lediglich eine Fiktionsbescheinigung erteile. Auch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses und der Klageerhebung sei der Kläger noch im Besitz der Aufenthaltserlaubnis gewesen. Dass diese nach Klageerhebung zum 16. Juli 2016 abgelaufen sei und dem Kläger auf seinen rechtzeitigen Verlängerungsantrag hin am 16. August 2016 nur noch eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden sei, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Nach Auffassung der Kammer wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ihm die Aufenthaltserlaubnis antragsgemäß zu erteilen. Zeitliche Verzögerungen bei der Behörde und auch bei Gericht könnten nicht dazu führen, dass ihm die Aufenthaltserlaubnis nun nicht mehr erteilt werden könne. Anderenfalls könnte die Behörde durch eine verzögerte Bearbeitung eines Antrags die Vorschrift des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. leerlaufen lassen.
8
Die Kammer teile die Ansicht der Beklagten nicht, die unter Berufung auf das Urteil des VG Potsdam (vgl. VG Potsdam, U.v. 12.1.2016 - VG 8 K 2622/14 - juris Leitsatz) § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. dahingehend einschränkend auslege, dass er diejenigen Fälle nicht erfasse, in denen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis anstelle der dem Aufenthaltszweck entsprechenden Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, weil es für letztere an der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fehle. § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. spreche eindeutig von „Aufenthaltserlaubnis“ und umfasse somit auch die humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Hätte der Gesetzgeber einzelne Aufenthaltserlaubnisse von der
9
Privilegierung der § 39 Abs. 1 AufenthV a.F. ausnehmen wollen, dann hätte er dies ausdrücklich normiert, denn er differenziere an einigen Stellen im Aufenthaltsgesetz und nenne den Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 ausdrücklich (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2, § 9a Abs. 3 Nr. 1, § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). In § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. differenziere der Gesetzgeber demgegenüber nicht, wodurch deutlich werde, dass diese Norm alle Aufenthaltserlaubnisse - auch die aus humanitären Gründen - erfassen solle. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dem Gesetzgeber bei Erlass der Norm die Konstellation unbekannt gewesen sein solle, dass ein Ausländer, dem eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, anschließend eine andersartige Aufenthaltserlaubnis anstreben und beantragen könnte (vgl. VG Aachen, U.v. 10.2.2010 - 8 K 2258/08 - juris Rn. 24). Auch der Sinn und Zweck des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. spreche gegen die Auffassung der Beklagten. Eine Aufenthaltserlaubnis berechtige im Unterschied zu einer Duldung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG werde der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet legalisiert. Die Intention des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. sei es, bei denjenigen Ausländern ausnahmsweise auf die Durchführung eines Visumverfahrens, d.h. auf eine vorherige Steuerung und Kontrolle der Zuwanderung in das Bundesgebiet zu verzichten, die sich bereits berechtigt durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhielten. Nummern 1 und 2 des § 39 AufenthV a.F. träfen die grundsätzliche Regelung, wonach ein Ausländer, der bereits im Bundesgebiet ansässig ist, einen Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde einholen könne, ohne zuvor ausreisen zu müssen. Nach der Gesetzesbegründung habe dies insbesondere für Ausländer Bedeutung, die einen Aufenthaltstitel aus humanitären Zwecken besäßen (z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge). Maßgeblich für die Befreiung vom Visumverfahren sei der Besitz eines Aufenthaltstitels, der die Perspektive für einen Daueraufenthalt eröffne. Auch § 25 Abs. 5 AufenthG eröffne diese Perspektive. Auch aus Ziffer 5.2.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 ergebe sich nichts Gegenteiliges. Das Visumverfahren werde entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht unterlaufen oder obsolet. Sinn und Zweck des Visumverfahrens sei es, eine vorherige Steuerung und Kontrolle der Zuwanderung in das Bundesgebiet sicherzustellen. Der Gesetzgeber habe aber in § 39 AufenthV Ausnahmetatbestände geschaffen und eine Befreiung vom Visumverfahren in bestimmten Fällen ausdrücklich vorgesehen. Eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Erteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegenstehen dürfe, könne nach alldem in § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. nicht hineingelesen werden.
10
Zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung trug die Beklagte im Wesentlichen vor, wie das Verwaltungsgericht selbst ausführe, sei ein strikter Rechtsanspruch nur dann gegeben, wenn er sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben habe. Dies aber sei hier nicht der Fall. Da der Kläger ohne das für den verfolgten Aufenthaltszweck erforderliche Visum eingereist sei, sei für die Bejahung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zweifelsfrei eine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Klägers erforderlich (§ 5 Abs. 2 AufenthG). Der Kläger könne nämlich die begehrte Aufenthaltserlaubnis entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht im Bundesgebiet einholen. Die hier alleinig in Betracht kommende Privilegierungsnorm des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. sei nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts werde eine Anwendung dieser Vorschrift allein nach ihrem Wortlaut deren Sinn und Zweck wie auch deren Einordnung nicht gerecht. Der Wortlaut bedürfe der Interpretation, um einen Wertungswiderspruch auszuschließen.
11
Das Verwaltungsgericht komme zunächst selbst zum Ergebnis, dass eine Anwendung des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. allein nach seinem Wortlaut nicht sachgerecht sei. Es konkretisiere nämlich erweiternd die an sich völlig eindeutige Formulierung, „eine Aufenthaltserlaubnis besitzt“ um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „zum Zeitpunkt der Antragstellung“, da andernfalls der aus seiner Sicht beabsichtigte Zweck der Norm nicht (mehr) erreichbar wäre. Der Kläger besitze jedoch keine Aufenthaltserlaubnis mehr. § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. verlange aber eindeutig nach diesem Besitz, ein fingiertes Aufenthaltsrecht - wie im Fall des Klägers - sei dem Wortlaut nach gerade nicht ausreichend für die Privilegierung. In der Begründung der Aufenthaltsverordnung (BT-Drs 731/04 vom 24.09.04) heiße es zu § 39 AufenthV, es komme darauf an, dass der Ausländer einen Aufenthaltstitel „besitzt“. Damit genügt es nicht, eventuell einen Anspruch auf einen solchen Titel zu haben. Ebenfalls nicht ausreichend für die Privilegierung sei aber auch der Fall, dass der Kläger irgendeine Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Antragstellung hatte, vielmehr sei im Gegensatz zur Annahme des Erstgerichtes zu differenzieren, ob, wie hier, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf anderer Rechtsgrundlage nicht eine Erteilungssperre entgegenstehe.
12
Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass für eine solche einschränkende Auslegung kein zwingender Grund ersichtlich sei, stehe entgegen, dass § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. eine Ausnahmeregelung sei, was gleichzeitig bedeute, dass sie prinzipiell eng auszulegen sei, denn der Gesetzgeber habe es nicht aufgegeben, dass ein Aufenthaltsrecht grundsätzlich erst nach erfolgreichem Visumverfahren möglich sein solle. Ein restriktives Verständnis des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. sei auch deshalb geboten, weil der Gesetzgeber mit § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nur eine Ermächtigungsgrundlage für die Bestimmung, wann der Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde nach der Einreise eingeholt werden kann, geschaffen habe. Er habe aber keine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die der Exekutive Regeln ermöglichen würde, von den Erteilungssperren, die der Gesetzgeber im Aufenthaltsgesetz normiert habe, zu dispensieren. Es könne auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG solches beabsichtigt habe. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass seine Herangehensweise zu einem Wertungswiderspruch führe, von dem nicht angenommen werden könne, dass der Gesetzgeber oder der Verordnungsgeber dies beabsichtigt hätten. Denn § 10 Abs. 3 AufenthG normiere eine Erteilungssperre für Ausländer, deren Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden sei oder die ihren Asylantrag zurückgenommen hätten. Von dieser Erteilungssperre könne nach dem Willen des Gesetzgebers nur für die Erteilung eines humanitären Aufenthaltsrechtes abgesehen werden, wenn die allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen hierfür vorliegen. Es könne aber zweifelsfrei nicht angenommen werden, dass es zugleich Vorstellung des Gesetzgebers gewesen sei, dass die Erteilung eines solchen Aufenthaltsrechts gleichsam zur Beseitigung der Titelerteilungssperre führen solle. Dies sei aber die Folge der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Durch die von der Titelerteilungssperre nicht erfasste Erteilung eines humanitären Aufenthaltsrechtes werde dem Grunde nach die Erlangung eines zunächst durch die Titelerteilungssperre verwehrten Aufenthaltsrechtes eröffnet.
13
Der Kläger trat diesem Antrag entgegen und führte aus, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des von der Beklagten angegriffenen Urteils. Dieses orientiere sich am Gesetzeswortlaut des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F., wonach Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis bereits besitzen, den Antrag auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Inland stellen könnten, ohne ein Visumverfahren durchlaufen zu müssen. Die von der Beklagten unter Bezugnahme auf das Verwaltungsgericht Potsdam vertretene Auffassung, der Kläger müsse zur Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG erneut mit einem entsprechenden Visum einreisen, da er nur dann die Voraussetzungen eines strikten Anspruchs i.S.d. § 10 Abs. 3 AufenthG erfülle, finde im Gesetz keine Stütze. Der Umstand, dass der Kläger derzeit keine Aufenthaltserlaubnis, sondern nur eine Fiktionsbescheinigung besitze, stehe der Anwendung des § 39 AufenthV nicht entgegen. Denn der Kläger habe sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Bescheidung dieses Antrags am 7. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit einer Gültigkeitsdauer bis 16. Juli 2016 besessen. Nach der von der Beklagten vertretenen Auffassung könne der Anwendung des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F. stets alleine dadurch der Boden entzogen werden, dass die Ausländerbehörde mit der Entscheidung über den Antrag zuwarte, bis der vorangegangene Aufenthaltstitel abgelaufen sei. Dies entspreche sicher nicht der gesetzgeberischen Intention.
14
Mit Beschluss vom 5. Juni 2018 (10 ZB 16.2465) ließ der Senat die Berufung zu.
15
In ihrer Berufungsbegründung vom 27. Juni 2018 beantragte die Beklagte,
16
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. September 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung nahm sie auf die Begründung des Zulassungsantrags Bezug. Nach ständiger Rechtsprechung sei bei Verpflichtungsklagen hinsichtlich der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels und bei der Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen. An der Sach- und Rechtslage habe sich seit Antragstellung auf Zulassung der Berufung und seit dem Zeitpunkt der Antragsbegründung nach dem Erkenntnisstand der Beklagten nichts geändert. Die wesentliche Frage, die es im Berufungsverfahren zu klären gelte, sei daher nach wie vor die rechtliche Beurteilung des § 39 Nr. 1 AufenthV a.F., insbesondere wie hier das Tatbestandsmerkmal „besitzt“ auch mit Blick auf § 10 Abs. 3 AufenthG zu definieren sei.
18
Die Klägerseite hat sich im Berufungsverfahren nicht mehr geäußert.
19
Die Landesanwaltschaft hat sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt; sie stellte keinen Antrag, hält aber die Berufung der Beklagten für begründet. Der Beklagten sei - entgegen der Ansicht des Erstgerichts - darin beizutreten, dass § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV nicht aus materiell-rechtlichen Gründen einen anderen für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt definiere, so dass es weder auf den Zeitpunkt der Antragstellung noch des Bescheidserlasses oder der Klageerhebung ankomme, sondern auf den - auch sonst für Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels maßgebenden - Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz. Für die vom Verwaltungsgericht vertretene Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Antragstellung bestehe ebenso wenig eine Rechtfertigung wie in vergleichbaren Fällen, in denen es auf den Besitz eines Aufenthaltstitels ankomme, wie z.B. bei § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a AufenthG. Dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis stehe die derzeit zugunsten des Klägers geltende Fiktion des Fortbestehens eines Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht gleich, sofern - wie auch in § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV - vom Gesetz der „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis gefordert werde. § 81 Abs. 4 AufenthG vermittle nach seinem Sinn und Zweck sowie der Gesamtsystematik des Aufenthaltsgesetzes nur eine vorläufige verfahrensrechtliche, aber gerade keine materiell-rechtliche Position.
20
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
22
Die zulässige Berufung, über die der Senat gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte zu Recht dazu verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu erteilen. Der Kläger hat hierauf einen Anspruch (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
23
Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht nicht die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da dem Kläger die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zugutekommt.
24
a) Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Diese Vorschrift steht daher grundsätzlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug entgegen. Die daraus folgende Erteilungssperre wird auch durch die Erteilung und Verlängerung eines humanitären Aufenthaltstitels - hier einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG - nicht aufgehoben (BVerwG, U.v. 26.5.2020 - 1 C 12.19 - juris Rn. 48).
25
Im Fall des Klägers hat zwar nicht sein im Jahr 1998 erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren diese Sperrwirkung ausgelöst, da ihm im Jahr 2004 nach Durchführung eines Visumverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt worden war. Die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wurde aber ausgelöst durch seinen ebenfalls (ohne Durchführung eines weiteren Asylverfahrens) abgelehnten Folgeantrag aus dem Jahr 2007. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch ein Folgeantrag nach § 71 AsylG oder ein Zweitantrag nach § 71a AsylG ein „Asylantrag“ im Sinn des § 10 Abs. 1 AufenthG (BVerwG, U.v. 12.7.2016 - 1 C 23.15 - juris Rn. 12 ff.; ebenso OVG LSA, B.v. 26.5.2015 - 2 L 18/14 - juris Rn. 15; OVG MV, U.v. 10.3.2010 - 2 L 18/09 - juris Rn. 9). Für den Begriff des „Asylantrags“ in § 10 Abs. 3 AufenthG kann wegen des einheitlichen Regelungsgehalts der Vorschrift nichts anderes gelten. Auch § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG definiert den Folgeantrag als erneuten „Asylantrag“ nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags.
26
b) Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG findet die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG jedoch im Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung.
27
Der Begriff des Anspruchs auf Erteilung bezeichnet allein den gesetzlichen Anspruch, mithin einen strikten Rechtsanspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und der voraussetzt, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Nur dann hat der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen. Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Soll-Vorschriften unterfallen diesem Begriff des Anspruchs ebenso wenig wie eine Ermessensreduzierung auf Null (BVerwG, U.v. 26.5.2020 - 1 C 12.19 - juris Rn. 52, m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 7).
28
c) Im Fall des Klägers besteht ein solcher zwingender Rechtsanspruch.
29
Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 27 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG liegen in der Person des Klägers unbestritten vor. Nach Aktenlage ist insbesondere sein Lebensunterhalt gesichert, er besitzt einen Nationalpass, und einige kleinere Rechtsverstöße aus früheren Jahren können ihm nicht mehr als Ausweisungsinteresse entgegengehalten werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 AufenthG); die Beklagte hat insoweit auch nichts Gegenteiliges vorgetragen.
30
Der Erteilung steht auch nicht die mangelnde Durchführung eines Visumverfahrens im Sinn des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen. Denn ein Visum ist nicht im Sinn dieser Vorschrift „erforderlich“, weil der Kläger nach § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV (i.d.F. durch die Änderung vom 1.8.2017, BGBl I S. 3066) die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen kann. Danach kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er ein nationales Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.
31
Diese Voraussetzung lag im Fall des Klägers vor. Er besaß im Zeitpunkt der Antragstellung am 26. Januar 2015 eine noch bis zum 19. März 2015 gültige (und im Anschluss nochmals bis zum 16. Juli 2016 verlängerte) Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
32
d) Entscheidend für die Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ist insoweit der Zeitpunkt der Antragstellung. Ein Ausländer kann einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck ohne die Durchführung eines Visumverfahrens im Bundesgebiet beantragen, wenn er zu diesem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist (so auch Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Sept. 2018, § 5 AufenthG Rn. 115, und GK-AufenthG, Stand März 2020, § 4 AufenthG Rn. 90; Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 5 AufenthG Rn. 87, 115, 118; Maor in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.3.2020, § 5 AufenthG Rn. 21 ff; zu dem analog strukturierten § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV ebenso: BVerwG, U.v. 11.1.2011 - 1 C 23.09 - juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 16.11.2010 - 1 C 17.09 - juris Rn. 23; OVG LSA, B.v. 21.11.2019 - 2 M 113/19 - juris Rn. 15; OVG RP, B.v. 20.4.2009 - 7 B 10037/09 - juris Ls. 2 u. Rn. 8 u. 11); erforderlich ist dabei der tatsächliche „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Antragstellung, die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG genügt nicht (OVG SH, B.v. 9.2.2016 - 4 MB 6/16 - juris Rn. 13).
33
Insoweit kommt es - abweichend vom Regelfall bei einer Verpflichtungsklage - nicht entscheidend darauf an, dass der Ausländer (auch noch) im Zeitpunkt der behördlichen oder der gerichtlichen Entscheidung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Denn § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV bedeutet im Grunde die „Klarstellung einer Selbstverständlichkeit“ (Maor in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.3.2020, § 5 AufenthG Rn. 21 ff.), dass ein Ausländer vor Ablauf seiner bestehenden Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung und - soweit es nicht im Einzelfall ausgeschlossen ist - auch eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck bei der Ausländerbehörde im Inland beantragen kann, ohne auszureisen und ein Visumverfahren durchlaufen zu müssen. Es ist, wenn nicht der Regelfall, so doch sehr häufig der Fall, dass auch bei einem rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag die Behörde erst nach Ablauf der Geltungsdauer der vorherigen Aufenthaltserlaubnis entscheidet (was der gesetzgeberische Hintergrund für die Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG ist). Wenn man auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung oder gar einen noch späteren Zeitpunkt wie den der gerichtlichen Entscheidung abstellen würde, würde nachträglich aber eine Erteilung nicht mehr möglich und der Antragsteller in diesen Fällen auf das Visumverfahren zu verweisen sein. Die Fiktion der Fortgeltung nach § 81 Abs. 4 AufenthG würde hier nicht weiterhelfen, weil diese kein „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis ist und außerdem mit der Entscheidung der Ausländerbehörde (nicht des Gerichts) endet. Nach seiner Antragstellung hat der Ausländer keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung der Behörde und insbesondere auf deren Zeitpunkt, so dass es vom Zufall abhängen würde, ob trotz rechtzeitiger Antragstellung doch noch ein Visumverfahren durchzuführen wäre.
34
Der Zweck des Visumverfahrens als „wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung“ (BVerwG, U.v. 16.11.2010 - 1 C 17.09 - juris Rn. 19) ist, vorab - also schon vor der Einreise des Ausländers - zu klären, ob der Ausländer das Bundesgebiet betreten darf, also zu verhindern, dass ein Ausländer durch eine bereits erfolgte Einreise vollendete Tatsachen oder jedenfalls „tatsächlichen Druck“ schafft. Dieser Zweck ist aber bereits erfüllt, wenn dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, weil dann sein Aufenthaltsrecht schon geprüft worden und nur noch über sein weiteres Verbleiben im Bundesgebiet zu befinden ist.
35
Insofern liegt der Fall anders als bei den Tatbeständen der § 39 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AufenthV, in denen der Besitz einer Aufenthaltsgestattung bzw. einer Duldung erforderlich ist. Hier wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Besitz der Aufenthaltsgestattung bzw. der Duldung nicht nur bei Antragstellung, sondern auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des (Tatsachen-)Gerichts verlangt (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.2.2013 - OVG 7 N 63.13 - juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 30.4.2010 - 18 B 180/10 - juris Ls. 2 u. Rn. 20 ff.).
36
In den Fällen von § 39 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AufenthV wird jedoch deswegen auf das Visumverfahren verzichtet, weil eine Ausreise ins Heimatland zur Durchführung des Visumverfahrens während eines laufenden Asylverfahrens bzw. wegen Unmöglichkeit der Abschiebung oder Unzumutbarkeit der Ausreise als unzumutbar anzusehen ist. Wird aber im Lauf des Antragsverfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Asylverfahren abgeschlossen oder entfallen die Duldungsgründe, dann entfällt auch der Grund für den Verzicht auf das Visumverfahren. Insofern hat sich der objektive Sachverhalt in der Person des Ausländers geändert. Daher liegt ein Widerspruch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung im Fall des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV nicht vor.
37
e) § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV findet auch für den Fall Anwendung, dass dem Ausländer nach Abschluss des Asylverfahrens zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt wurde und dieser nunmehr die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG begehrt.
38
Diese im Verlauf des vorliegenden Verfahrens vor allem umstrittene Frage ist durch die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr geklärt (BVerwG, U.v. 26.5.2020 - 1 C 12.19 - juris Rn. 54 ff.; ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 20.3.2019 - 11 B 5.17 - juris Rn. 41; VG Aachen, U.v. 10.2.2010 - 8 K 2258/08 - juris Rn. 24 f.; a.A.: VG Potsdam, U.v. 12.1.2016 - 8 K 2622/14 - juris Rn. 25, U.v. 31.5.2017 - 8 K 2926/14 - juris Rn. 20).
39
Die fehlende Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bei der ursprünglichen Einreise steht in den Fällen des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV einem Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen (BR-Drs. 731/04 S. 182). Macht die Ausländerbehörde von der ihr im Zuge der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG eröffneten Möglichkeit eines Absehens von der Verweisung des Ausländers auf das Visumverfahren Gebrauch und erteilt sie diesem nicht allein eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG, sondern legalisiert sie dessen Aufenthalt, so verbleibt für eine einschränkende Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV mit dem Ziel, das Erfordernis der Zuzugssteuerung nicht zu entwerten, kein Raum. Für ein derartiges einschränkendes Normverständnis gibt es weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck oder aus der Systematik einen Anhaltspunkt (siehe zu den Einzelheiten BVerwG, U.v. 26.5.2020 - 1 C 12.19 - juris Rn. 56 ff.).
40
Nach alldem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
42
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
43
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.