Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.08.2020 – 8 CE 20.1374
Titel:

Unterlassung von Schneeablagerungen im Zuge des gemeindlichen Winterdienstes 

Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 1, Abs. 4, § 147
BGB § 276, § 278, § 906 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 1004
BayStrWG Art. 9 Abs. 3, Art. 51 Abs. 1
Leitsatz:
Ablagerungen von Räumschnee auf private Grundstücke im Zuge des gemeindlichen Winterdienstes sind in mehr als nur geringfügigem Umfang allenfalls dann zulässig, wenn sie ortsüblich und nicht durch andere, der Gemeinde zumutbare Maßnahmen vermeidbar sind. (Rn. 30 – 33)
Schlagworte:
Beschwerdeverfahren, einstweilige Anordnung, Rechtsschutzinteresse, öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, gemeindlicher Winterdienst, Eigentumsgrundrecht, Zulässigkeit von Schneeablagerungen auf Privatgrundstücken, Duldungspflicht des Grundstückseigentümers (verneint), Ortsüblichkeit, Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 18.05.2020 – Au 6 E 20.479
Fundstellen:
RÜ2 2020, 263
BeckRS 2020, 20607
NJW 2020, 3189
LSK 2020, 20607

Tenor

I. Ziff. I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Mai 2020 werden geändert.
Dem Antragsgegner wird es bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache untersagt, im Rahmen des Winterdienstes Schnee vor dem Treppenzugang des Wohngebäudes auf dem Grundstück des Antragstellers FlNr. ... Gemarkung E … abzuladen oder durch Dritte abladen zu lassen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Unterlassung von Schneeablagerungen auf seinem Grundstück durch den Antragsgegner im Zuge des gemeindlichen Winterdienstes.
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1. Der Antragsteller ist Eigentümer des im Gemeindegebiet des Antragsgegners an der …straße gelegenen Grundstücks FlNr. ... Gemarkung E …, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Die ca. 5 m breite und insgesamt 86 m lange …straße (FlNr. ...) ist öffentlich-rechtlich als O.-straße gewidmet; sie mündet im weiteren Verlauf in den W …weg. Zwischen dem Wohngebäude und der …straße befindet sich auf dem Grundstück des Antragstellers eine ca. 8 m breite Freifläche, auf der der Hauptzugang zum Gebäude mit Treppe sowie Stellplätze für Kraftfahrzeuge vorhanden sind. Im Südosten grenzt an das Grundstück des Antragstellers eine Grünfläche mit Bäumen (FlNr. ...), die im Grundeigentum des Antragsgegners, einer Marktgemeinde, steht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinden sich eine ebenfalls im Eigentum des Antragsgegners stehende Freifläche mit Buswartehäuschen und Parkplatz (FlNr. ...) sowie zwei private Wohnanwesen.
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Mit Schreiben vom 17. Februar 2020 forderte der Antragsteller den Antragsgegner unter Fristsetzung auf, eine Verpflichtungs- und Unterlassungserklärung dahingehend abzugeben, es zu unterlassen, Schnee von dem gegenüber liegenden Parkplatz oder der Bushaltestelle auf sein Grundstück zu schieben oder lagern zu lassen. Zur Begründung gab er an, er habe in der Vergangenheit den Antragsgegner unzählige Male aufgefordert, es zu unterlassen, Schnee auf seinem Grundstück zu sammeln oder zu lagern, da die Fläche nicht genutzt werden könne und das Mauerwerk durch den salzhaltigen Schnee Schaden nehme. Trotz der geringen Schneemengen in der vergangenen Woche sei der gesamte Schnee von Teilen des Parkplatzes und der Straße auf sein Grundstück geschoben worden.
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Nachdem der Antragsgegner dieser Aufforderung nicht nachkam, hat der Antragsteller am 2. März 2020 beim Landgericht K … den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, dass es der Antragsgegner unter Androhung eines Ordnungsgeldes im Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen habe, im Rahmen des Winterdienstes Schnee vom W …weg (gemeint wohl von der …straße), dem dort befindlichen Parkplatz oder der Bushaltestelle auf das Grundstück des Antragstellers zu schieben, zu lagern oder sonstigen Schnee dort zu lagern oder dorthin zu schieben oder lagern zu lassen. Das Landgericht hielt den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit durch Beschluss vom 11. März 2020 an das Verwaltungsgericht Augsburg.
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Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei wegen Fehlens eines Anordnungsgrunds unzulässig. Bereits im Zeitpunkt der Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht sei infolge des frühen Frühlingsbeginns nicht mehr mit erheblichen Schneefällen zu rechnen. Jedenfalls habe der Antragsteller die drohende Gefahr einer Beeinträchtigung aufgrund des frühen meteorologischen Frühlingsbeginns nicht mehr glaubhaft machen können, sodass der Antrag unzulässig geworden sei. Ob darüber hinaus das Rechtsschutzinteresse entfallen sei, weil der Antragsgegner die Hintergründe der Schneeablagerungen erläutert und die Verantwortung für einen Fehler des Auftragsunternehmens für die Schneeräumung übernommen habe, sei nicht mehr entscheidungserheblich.
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Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege ein Anordnungsgrund vor. Die Schneemengen könnten für den streitgegenständlichen Ort, der 800 m bis 900 m hoch liege, nicht vorhergesehen werden. Zudem sei das Verwaltungsgericht wegen der Belastung durch das Corona-Virus nicht in der Lage, eine Entscheidung im Hauptsachverfahren zu treffen, bevor im Oktober die Schneeräumsaison wiederbeginne. Auch ein Anordnungsanspruch sei weiterhin gegeben. Die Erklärung der vom Antragsgegner mit dem Winterdienst beauftragten Firma, dass sie einen nicht eingewiesenen Mitarbeiter zum Schneeräumen eingesetzt habe, der die Schneeablagerung fehlerhaft verursacht habe, sei nicht glaubwürdig. Der Mitarbeiter habe das Räumgut wider jeder Vernunft vor der Treppe des Anwesens des Antragstellers abgelagert, obwohl es dafür zahlreiche andere Möglichkeiten gegeben hätte. Dieses Verhalten sei als vorsätzlich schädigend zu werten. Der Antragsgegner könne sich nicht hinter einem angeblich neuen Mitarbeiter verstecken, da das gleiche Problem jedes Jahr bestehe. Wegen der permanent wiederkehrenden Störungen sei es nicht glaubhaft, dass die Schneeräumpflicht sorgfältig durchgeführt und die beauftragte Firma sorgfältig ausgewählt sei. Es sei nicht hinnehmbar, dass, wenn der Schnee schon auf dem Grundstück des Antragstellers gelagert werden müsse, dies ausgerechnet vor der Eingangstreppe geschehe.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2020 aufzuheben und dem Antragsgegner aufzugeben, es zu unterlassen, im Rahmen des Winterdienstes Schnee vom W …weg (gemeint wohl von der …straße), dem dort befindlichen Parkplatz oder der Bushaltestelle auf das Grundstück des Klägers zu schieben, zu lagern oder sonstigen Schnee dort zu lagern oder Schnee dorthin zu schieben oder lagern zu lassen und den Hauptzugang zum Haus des Antragsgegners zu behindern.
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Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Beschwerde zurückzuweisen sei. Zutreffend habe das Verwaltungsgericht einen fehlenden Anordnungsgrund angenommen. Aufgrund der meteorologischen Voraussagen für die nächsten Wochen sei die Wahrscheinlichkeit für Schneefälle in einer Intensität, die Maßnahmen des Winterdienstes erforderlich machten, zu verneinen. Rechtsschutzbedürfnis und Anordnungsanspruch lägen ebenfalls nicht vor. Der Antragsgegner habe die mit dem Winterdienst beauftragte Firma nicht angewiesen, das Grundstück des Antragstellers und insbesondere den Bereich vor der Treppe zur Eingangstüre zum Ablagern des Schnees zu verwenden. Im Gegenteil sei mehrfach darum gebeten worden, das Grundstück des Antragstellers nicht in Anspruch zu nehmen. Ein Fehlverhalten bzw. die Unerfahrenheit einzelner Mitarbeiter einer Firma könne aber niemals absolut ausgeschlossen werden. Der Antragsgegner gehe auch davon aus, dass die Mitarbeiter bisher stets ordnungsgemäß angewiesen wurden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich über das Gemeindegebiet verteilt um einige Informationen handle, die die Mitarbeiter aufnehmen und umsetzen müssten. Es sei nicht verwunderlich, dass ein unerfahrener Mitarbeiter dabei Fehler mache. Außerdem müsse der Schwerpunkt der Einweisung bei Sicherheitsaspekten liegen. Bei dem Vorfall, auf den sich der Antragsteller berufe, habe ein Nachbar des Antragstellers eine falsche Auskunft erteilt. Dies könne weder dem Antragsgegner noch der beauftragten Firma zum Vorwurf gemacht werden. Bei der Auswahl des Beauftragten müsse für den Antragsgegner die Effektivität der Gefahrenabwehr im Vordergrund stehen. Der Grundrechtsschutz des Antragstellers bezüglich der ungehinderten Nutzung seines Grundstücks, das an einzelnen Tagen in den letzten Jahren geringfügig und vorübergehend eingeschränkt gewesen sei, überwiege nicht den Schutz von Gesundheit und Leben der Verkehrsteilnehmer. Der Antragsgegner müsse den Winterdienst gewährleisten und dabei in Kauf nehmen, dass notfalls vereinzelt das Grundstück des Antragstellers in Anspruch genommen werde. Ebenso müsse er in Kauf nehmen, dass es vereinzelt zu Einschränkungen komme, auch wenn keine Notsituation gegeben sei, sofern er damit seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr effektiv nachkomme. Er sichere für die Zukunft ausdrücklich zu, solche Situationen soweit wie möglich zu vermeiden. Er könne allerdings nicht zusichern, dass bei besonders starken Schneefällen das Grundstück des Antragstellers nicht in Anspruch genommen werden müsse, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Ebenso sei es dem Antragsteller nicht möglich, absolut sicherzustellen, dass im Einzelfall vor Ort keine Fehler durch die Mitarbeiter der beauftragten Firma gemacht würden.
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Mit Schriftsatz vom 3. August 2020 hat der Antragsgegner gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof folgende Erklärung „mit der Wirkung des Art. 38 BayVwVfG“ abgegeben:
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„Der Antragsgegner wird jährlich zu Beginn der Wintersaison (spätestens zum 31.10., bei Bedarf früher) sowie im Rahmen des Abschlusses neuer bzw. der Verlängerung bestehender Verträge über die Vergabe der Räum- und Streupflichten in seinem Gemeindegebiet die ausführende Firma (derzeit die Firma F…) schriftlich darauf hinweisen, private Grundstücke, insbesondere das des Antragstellers (…FlNr. 108) nicht zur Ablagerung von geräumtem Schnee heranzuziehen, sofern sich die umliegenden gemeindeeigenen Grundstücke (in der Umgebung des Grundstücks des Antragstellers also der Bereich um die Bushaltestelle, die Grünfläche des Parkplatzgrundstücks FlNr. 108/2 und die Grünfläche FlNr. 108/3) als ausreichend und unter den gegebenen Bedingungen hinreichend schnell erreichbar für die Ablagerung darstellen. Es wird in diesem Zusammenhang außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass in Fällen, in denen eine Ablagerung auf dem Grundstück des Antragstellers unvermeidbar ist, besonders darauf zu achten ist, dass der Eingangsbereich (namentlich die Treppe zur Haustüre) freigehalten wird, solange und soweit dies unter den Umständen möglich ist. Dieser Hinweis wird mit der Aufforderung versehen, diesen unbedingt an alle Mitarbeiter, insbesondere solche ohne Ortskenntnisse bzw. Erfahrung im Bereich des Ortsteils E* … in geeigneter Weise weiterzugeben.“
II.
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Die nach § 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO zulässige Beschwerde hat Erfolg.
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Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO regelmäßig beschränkt ist, als unrichtig. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist zulässig (A.) und begründet (B.).
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A. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zulässig.
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1. Die Antragsbefugnis des Antragstellers (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) ist gegeben. Sie ergibt sich aus der schlüssigen Behauptung eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs sowie der schlüssigen Behauptung eines Anordnungsgrunds, also der Eilbedürftigkeit einer einstweiligen Anordnung. An Letzterer fehlt es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht von vornherein schon deswegen, weil im Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts am 11. März 2020 oder im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2020 wegen des einsetzenden Frühlings nicht mehr mit erheblichen Schneefällen zu rechnen war. Denn der Antragsteller hat seinen Antrag nicht allein auf den Winter 2019/2020 beschränkt, sondern macht den Anspruch auf Unterlassung der Schneeablagerung ohne zeitliche Begrenzung für die Zukunft geltend. Da im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO jedoch eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht zulässig wäre, vielmehr nur eine vorläufige Regelung getroffen werden kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 13 m.w.N.), ist der Antrag sachgerecht dahingehend auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die gerichtliche Anordnung der Unterlassung der Schneeablagerungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens erfolgen soll. Mit diesem Begehren ist der Antrag auch geboten, weil mit einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, das sich gegebenenfalls durch mehrere Gerichtsinstanzen ziehen kann, vor dem nächsten Schneefall im kommenden Winter nicht zu rechnen ist.
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2. Für den Antrag besteht auch ein Rechtsschutzinteresse.
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Nach der Rechtsprechung fehlt es am Rechtsschutzinteresse nur dann, wenn der gerichtliche Rechtsschutz für den Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann, wenn also die Nutzlosigkeit eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2020 - 8 CS 19.1633 - juris Rn. 15 m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.
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Zwar hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 13. Juli 2020 erläutert, dass die Schneeablagerung vor der Treppe zur Eingangstür des Grundstücks des Antragstellers im vergangenen Winter auf ein Fehlverhalten eines Mitarbeiters der mit dem Winterdienst beauftragten Firma zurückzuführen sei, und mit Schriftsatz vom 3. August 2020 ausdrücklich zugesichert, dass er jährlich zu Beginn der Wintersaison die den gemeindlichen Winterdienst ausführende Firma schriftlich darauf hinweisen werde, das Grundstück des Antragstellers nicht zur Ablagerung von geräumtem Schnee heranzuziehen, sofern sich der Bereich um die Bushaltestelle, die Grünfläche des Parkplatzgrundstücks FlNr. 108/2 und die Grünfläche FlNr. 108/3 als ausreichend und unter den gegebenen Bedingungen hinreichend schnell erreichbar für die Ablagerung darstellen. Darüber hinaus hat er zugesichert, dass die beauftragte Firma ausdrücklich darauf hingewiesen werde, in Fällen, in denen eine Ablagerung auf dem Grundstück des Antragstellers unvermeidbar sei, besonders darauf zu achten, dass der Eingangsbereich zum Gebäude freigehalten werde, solange und soweit dies unter den Umständen möglich sei.
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Es ist jedoch bereits fraglich, ob diese Zusage im Hinblick auf die Formulierungen „sofern sich die umliegenden gemeindeeigenen Grundstücke…als ausreichend und unter den gegebenen Bedingungen hinreichend schnell erreichbar für die Ablagerung darstellen“ sowie „solange und soweit dies unter den Umständen möglich ist“ den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG genügt (vgl. dazu BayVGH, B.v. 10.8.2017 - 8 ZB 15.1428 - BayVBl 2018, 385 = juris Rn. 11). Jedenfalls trägt diese Erklärung dem antragsgemäßen Begehren des Antragstellers nicht ausreichend Rechnung, weil sie unter Vorbehalten steht (keine Ablagerung von Schnee „sofern sich die umliegenden gemeindeeigenen Grundstücke… als ausreichend und unter den gegebenen Bedingungen hinreichend schnell erreichbar für die Ablagerung darstellen“; Freihaltung des Eingangsbereichs „…solange und soweit dies unter den Umständen möglich ist“). Zudem berücksichtigt sie nicht, dass Ablagerungen von Räumschnee im Zuge des gemeindlichen Winterdienstes auf privaten Grundstücken in mehr als nur geringem Umfang, wenn überhaupt, dann nicht nur unter der Voraussetzung der Unvermeidbarkeit anderweitiger Maßnahmen zulässig ist, sondern auch die Ortsüblichkeit solcher Grundstücksnutzungen voraussetzt (vgl. dazu unten Rn. 31).
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B. Der Antrag ist auch begründet.
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Aufgrund der vom Antragsteller durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten und vom Antragsgegner nicht infrage gestellten Tatsachen besteht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO gebotenen summarischen Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass für die begehrte einstweilige Anordnung sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund gegeben sind (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO; vgl. zum Prüfungsmaßstab Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rn. 24 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2019, § 123 Rn. 94, 99 jeweils m.w.N.).
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1. Dem Antragsteller steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein (Anordnungs-) Anspruch auf Unterlassung von Schneeablagerungen vor dem Hauptzugang seines Grundstücks zu.
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Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren, Schneeablagerungen auf seinem Grundstück zu unterlassen, ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch. Dessen Herleitung aus den Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip (Folgenbeseitigung) oder einer analogen Anwendung der §§ 906, 1004 BGB ist zwar umstritten, seine Voraussetzungen sind in der Rechtsprechung ungeachtet dieser umstrittenen Herleitung jedoch seit langem geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87 - BVerwGE 79, 254 = juris Rn. 12). Der Anspruch richtet sich gegen hoheitliche Maßnahmen und setzt die begründete Besorgnis voraus, der Hoheitsträger werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des betroffenen Bürgers eingreifen (vgl. U.v. 23.5.1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 = juris Rn. 48 ff.; U.v. 22.10.2014 - 6 C 7.13 - NVwZ 2015, 906 = juris Rn. 20 f.; BayVGH, B.v. 25.11.2010 - 8 ZB 10.192 - BayVBl 2011, 476 = juris Rn. 5; B.v. 26.6.2018 - 8 CE 18.1059 - juris Rn. 21). Diese Voraussetzungen sind vorliegend mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt.
24
a) Bei den Schneeablagerungen handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme.
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Die vom Antragsgegner im Bereich der …straße durchgeführten Schneeräummaßnahmen stellen - unabhängig von Art. 9 Abs. 3 BayStrWG - eine schlicht-hoheitliche Verwaltungstätigkeit in Erfüllung seiner hoheitlichen, gemäß Art. 51 Abs. 1 BayStrWG bestehenden Winterdienstpflicht dar. Nach dieser Bestimmung haben die Gemeinden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung innerhalb der geschlossenen Ortslage nach ihrer Leistungsfähigkeit unter anderem die öffentlichen Straßen von Schnee zu räumen, wenn das dringend erforderlich ist und nicht andere auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften (insbesondere der Verkehrssicherungspflicht) hierzu verpflichtet sind. Zwar zählt zu dieser sicherheitsrechtlichen Winterdienstpflicht schon nach dem Wortlaut der Bestimmung in erster Linie die Pflicht, den Schnee zu räumen, ihn also vom öffentlichen Straßengrund zu beseitigen; sie ist nach ihrem sachlichen Gehalt und Umfang mit der aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht begründeten Räumpflicht deckungsgleich (vgl. VerfGH Berlin, B.v. 14.11.2012 - VerfGH 8/11 - NVwZ 2013, 424 unter Bezugnahme auf BGH, U.v. 21.11.1996 - III ZR 28/96 - NVwZ-RR 1997, S. 709 f.; Schmid in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand März 2020, Art. 51 Rn. 15 und 34). Als Nebenpflicht gehört hierzu aber auch die ordnungsgemäße Entsorgung und Ablagerung des im Zuge des Winterdienstes mit Räumwerkzeugen gesammelten Schnees (zweifelnd VG Freiburg, B.v. 7.3.1984 - 1 K 37/84 - S. 4).
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b) In den Schneeablagerungen liegt ein Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Grundeigentum des Antragstellers.
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Die Nutzung des Eigentums nach den eigenen Vorstellungen des Eigentümers gehört grundsätzlich zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen (vgl. BVerfG, B.v. 8.2.2001 - 1 BvR 719/99 - WM 2001, 778 = juris Rn. 20 m.w.N.; BGH, U.v. 28.11.2003 - V ZR 129/03 - BGHZ 157, 144 = juris Rn. 16; Hösch, GewArch 2002, 305). Zwar stellt nicht jede Einwirkung auf das Grundstückseigentum auch eine Beeinträchtigung des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Eine solche Beeinträchtigung erfordert vielmehr einen dem Inhalt des Eigentums widersprechenden Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers (vgl. AG München, U.v. 28.7.2017 - 213 C 7060/17 - BeckRS 2017, 125858). Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt, weil durch die Ablagerungen von Schnee auf dem Grundstück des Antragstellers die Nutzung der betreffenden Fläche zumindest vorübergehend, bis der Schnee geschmolzen ist, eingeschränkt wird. Zudem macht der Antragsteller eine Beeinträchtigung der Grundmauern im Keller seines Wohngebäudes durch das dem Schnee beigefügte Streusalz geltend, die vom Antragsgegner nicht in Abrede gestellt wird.
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c) Der Eingriff in das Grundeigentum ist aller Voraussicht nach rechtswidrig. Insbesondere ist der Antragsteller nicht nach der im öffentlichen Recht grundsätzlich entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 906 BGB (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87 - BVerwGE 79, 254 = juris Rn. 12; U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87 - BVerwGE 81, 197 = juris Rn. 17) zur Duldung der Schneeanhäufungen auf seinem Grundstück verpflichtet.
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aa) Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch ist vorliegend nicht wegen einer nur unwesentlichen Nutzungsbeeinträchtigung des Grundstücks des Antragstellers ausgeschlossen. Nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnlicher von einem anderen Grundstück ausgehender Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Es ist bereits fraglich, ob die Bestimmung hier ohne Weiteres entsprechend herangezogen werden kann, weil es sich bei Räumschnee, der von einem anderen Grundstück auf das Nachbargrundstück verbracht wird, nicht um einen unwägbaren Stoff und damit nicht um eine mit Imponderabilien vergleichbare „ähnliche Einwirkung“ im Sinn des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handeln dürfte (vgl. Brückner in Münchner Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl. 2017, § 906 Rn. 44 ff., 166 ff.; Thole in Staudinger, BGB, 17. Aufl. 2019, § 1004 Rn. 73; Hess VGH, U.v. 6.5.1993 - 6 UE 876/92 - NJW 1993, 3088 = juris Rn. 36). Wendet man dennoch den Rechtsgedanken dieser Regelung an, kann aber vorliegend jedenfalls nicht von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung gesprochen werden, weil, wie die vorgelegten Bilder eindrücklich zeigen, durch die Ablagerungen von zusammengedrücktem Schnee in einer Höhe von geschätzt ca. 40 bis 50 cm vor der Eingangstreppe des Wohngebäudes die Nutzung des Grundstücks und insbesondere die Zugänglichkeit des Wohnhauses - nicht nur für die Bewohner, sondern auch etwa für Rettungsdienste - unzumutbar erschwert werden.
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bb) Dem Anspruch dürfte auch nicht der Rechtsgedanke des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB entgegenstehen, wonach der Grundstückseigentümer von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten kann, als wesentliche Beeinträchtigungen durch eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks herbeigeführt werden und nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind.
31
Ortsüblichkeit im Sinn dieser Bestimmung setzt voraus, dass im maßgeblichen Vergleichsbereich, der in der Regel das gesamte Gemeindegebiet umfasst, mehrere Grundstücke mit nach Art und Umfang annähernd gleich beeinträchtigender Wirkung auf anderen Grundstücken wiederholt benutzt werden, wofür der Antragsgegner darlegungs- und beweispflichtig ist (Herrler in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl. 2020, § 906 Rn. 23, 26). Dass diese Voraussetzung hier gegeben ist, erscheint unwahrscheinlich. Zwar hat sich der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren (Schriftsatz vom 19.3.2020, Blatt 35 f. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) darauf berufen, dass die Schneeablagerungen ortsüblich seien. Sein Vorbringen beschränkt sich insoweit aber auf eine bloße pauschale Behauptung, ohne diese näher zu belegen, obwohl der Antragsteller die Üblichkeit von Schneeablagerungen vor den Hauseingängen anderer Anlieger ausdrücklich in Abrede gestellt hat (vgl. Schriftsatz vom 24.3.2020, Blatt 45 ff. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts). Auch ist es nach Auffassung des Senats kaum wahrscheinlich, dass der Antragsgegner in seinem Gemeindegebiet oder im Ortsteil E* … den Räumschnee von den öffentlichen Straßen und Plätzen tatsächlich üblicherweise auf die Privatgrundstücke seiner Gemeindebürger gerade vor deren Hauseingänge verbringen lässt.
32
Soweit sich der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. Schriftsatz vom 19.3.2020, Blatt 35 f. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) auf die Entscheidung des Senats vom 25. November 2010 (8 ZB 10.192 - BayVBl 2011, 476 = juris Rn. 5) beruft, wonach es der Inhaber einer Sondernutzungserlaubnis für die Zufahrt eines Außenbereichsanwesens auf der freien Strecke einer Staats- oder Kreisstraße grundsätzlich hinnehmen muss, dass er den durch den Winterdienst in der Zufahrt angehäuften Schnee selbst zu beseitigen hat, kann diese Rechtsprechung für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden, da sie sich lediglich zu Schneeablagerungen im Außenbereich und auf öffentlichem Straßengrund verhält. Auf innerörtlich gelegene Privatgrundstücke wie das Grundstück des Antragstellers kann diese Rechtsprechung mangels Vergleichbarkeit nicht übertragen werden.
33
Im Übrigen dürfte die Benutzung des Grundstücks des Antragstellers für Schneeablagerungen jedenfalls im Regelfall, wenn nicht ganz außergewöhnlich hohe, nicht anders zu bewältigende Schneemengen anfallen, durch andere, dem Antragsgegner zumutbare Maßnahmen vermeidbar sein. In Betracht kommt nach dem vom Antragsteller vorgelegten Lageplan vor allem eine Ablagerung des Schnees auf der dem Grundstück des Antragstellers unmittelbar benachbarten, unbebauten Grünfläche (FlNr. 108/3), die im Grundeigentum des Antragsgegners steht und mit einer Fläche von ca. 1.300 m² ausreichend Platz für Ablagerungen von auf der …straße und dem Parkplatz mit Buswartehäuschen (FlNr. 108/2) anfallenden Räumschnee bieten dürfte.
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2. Ein die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtfertigender Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor.
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Dem Antragsteller droht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei Schneefall im nächsten Winter ein rechtswidriger Eingriff in sein Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) durch Schneeanhäufungen auf seinem Grundstück. Angesichts der wiederholt vorgenommenen Schneeablagerungen vor dem Hauseingang seines Gebäudes, die nach dem vom Antragsgegner nicht infrage gestellten Vortrag des Antragstellers in den vergangenen Jahren immer wieder stattgefunden haben, sowie der (fehlerhaften) Annahme des Antragsgegners, er sei allein aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht zu Schneeablagerungen auf Privatgrundstücken ohne Weiteres berechtigt (vgl. Schriftsatz vom 19.3.2020, Blatt 34 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts), sind unzulässige Schneeablagerungen auf dem Grundstück des Antragstellers durch den Antragsgegner bzw. der von ihm beauftragten Firma auch in den kommenden Wintern zu erwarten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Zusage vom 3. August 2020, weil diese nicht berücksichtigt, dass die Schneeablagerungen jedenfalls vor den Hauptzugängen von Privatgrundstücken mangels Ortsüblichkeit generell unzulässig sein dürften. Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile des Antragstellers erforderlich. Soweit der Antragsteller geltend macht, in der Wintersaison 2019/2020 sei bei der mit dem Winterdienst beauftragten Firma ein neuer Fahrer eingesetzt worden, der „offenbar nicht sicher (gewesen sei), wo er den Schnee ablagern soll“ und dass „davon ausgegangen (werde), dass es sich um ein einmaliges Versäumnis handle“ (vgl. Schriftsatz vom 30.4.2020, Blatt 51 Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts), geht er nicht ausreichend auf das Vorbringen des Antragstellers ein, dass die Scheeablagerungen wiederholt und jedes Jahr erfolgen (vgl. u.a. Schriftsatz vom 24.6.2020, Blatt 16 der Gerichtsakte). Im Übrigen kommt es beim öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch auf ein Verschulden des Antragsgegners oder der von ihm beauftragter Personen (vgl. §§ 276, 278 BGB entsprechend) nicht an.
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C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.