Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 20.05.2020 – Au 2 K 19.31720
Titel:

Keine Durchführung eines weiteren Asylverfahrens

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Für jeden neuen Wiederaufgreifensgrund, der während eines bereits anhängigen Asylfolgeverfahrens eingetreten ist, läuft eine eigenständige Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Russische Föderation, Folgeantrag (erfolglos), tschetschenische Mutter mit zwei Kindern, Bedrohung durch Brüder wegen unverheiratetem Zusammenleben, kein schlüssiger Sachvortrag, kein Abschiebungsverbot (Diabetes), Asylfolgeantrag, tschetschenische Volkszugehörigkeit, Mutter mit zwei Kindern, unverheiratetes Zusammenleben, Bedrohung durch Brüder, unschlüssiger Sachvortrag, Diabetes, Abschiebungsverbot, Drei-Monats-Frist
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19825

Tenor

I. Soweit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes sowie hilfsweise des subsidiären Schutzes gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem ihr Asylfolgeantrag und der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zum Vorliegen von Abschiebungsverboten abgelehnt worden ist.
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Die Kläger sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten erstmals am 13. September 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 25. September 2014 Asyl.
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Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 23. September 2016 trug die Klägerin zu 1 im Wesentlichen vor, sie habe aus Angst vor ihrem Mann sowie der Angst vor der Nachbarfamilie ihr Heimatland verlassen. Ihr geschiedener Ehemann habe einen Mann aus dieser Nachbarschaft mit dem Messer getötet. Sie habe Angst vor der Rache der Familie des getöteten Nachbarn, die sich an ihren Kindern rächen wolle.
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Für die weiteren Einzelheiten wird auf die beim Bundesamt gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 24. November 2016 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auszureisen, andernfalls würden sie abgeschoben (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Dagegen ließen die Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben (...). Mit Schreiben vom 3. August 2017 an das Verwaltungsgericht Augsburg nahm die Klägerin zu 1 die Klage zurück. Das Verfahren wurde eingestellt.
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Am 11. März 2019 stellten die Kläger einen Asylfolgeantrag verbunden mit dem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zum Vorliegen von Abschiebungsverboten. Bei der informatorischen Anhörung am 28. März 2019 im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gab die Klägerin zu 1 im Wesentlichen an: Sie sei am 22. Juli 2018 in ihr Heimatland zurückgekehrt. Sie sei zunächst in ... in Russland für drei Tage gewesen. Dort lebe ihr Bruder und von dort sei sie weiter mit dem Zug nach ... gereist. Dort habe sie Kontakt zu einer Freundin aufgenommen und da sie keine andere Bleibe gehabt habe, habe die Freundin sie und die Kinder für eine Woche aufgenommen. Danach sei sie zu ihrem Geliebten gezogen. Er heiße, den Nachnamen dürfe sie nicht weitergeben.
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Der Bruder des Vaters ihrer Kinder, der jemanden getötet habe, habe sie in ... aufgespürt und sie aufgefordert nach Hause zu kommen. Er wisse, wo sie sich aufhalten würden und es solle dann entschieden werden, was mit ihnen passiere. Sie habe Angst bekommen und sei nach Hause gefahren. Man habe Blutrache geschworen und sie habe Angst gehabt, dass man die Kinder dafür in die Pflicht nehme. In ... habe sie jetzt mit einem Mann zusammengelebt und habe dann einen Anruf von ihrem Bruder bekommen. Er habe davon erfahren, dass sie mit einem Mann zusammenlebe und habe ihr gedroht, nach Tsch. zu kommen, um sie zu töten. Es seien mehrere Anrufe gewesen und er habe sie angeschrien und habe wissen wollen, mit wem und wo sie zusammen sei. Das Zusammenleben mit dem Mann sei verboten, weil sie nicht verheiratet sei. Ihr Bruder habe verboten, diesen Mann zu heiraten, weil sei dafür zu alt sei und Kinder habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 27. November 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig (Nr. 1) sowie den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 24. November 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2).
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Zur Begründung ist ausgeführt, die Antragsteller hätten keine neuen Tatsachen vorgetragen, die eine günstigere Entscheidung in der Sache ermöglichen könnten. Die Klägerin zu 1 beziehe sich bezüglich der drohenden Blutrache auf Gründe, die bereits im vorherigen Verfahren vorgetragen und geprüft worden seien. Die Klägerin habe im vorherigen Asylverfahren die Möglichkeit gehabt, juristisch gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamts zu gehen. Indes habe die Klägerin zu 1 die Klage zurückgenommen und die Bundesrepublik freiwillig verlassen. Der Vortrag, wegen einer außerehelichen Beziehung alten Traditionen nach mit dem Tod bedroht worden zu sein, sei unsubstantiiert und ungeeignet, Wiederaufgreifensgründe geltend zu machen. Es sei schon nicht nachvollziehbar, weshalb der Bruder aus Angst, seine Autorität zu verlieren, eine etwaige Bedrohung wegen der Aufrechterhaltung der Familienehre gemeinhalten sollte. Zum vermeintlichen Geliebten habe die Klägerin zu 1 auch keine weiteren Angaben machen können. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen in Bezug auf Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Gründe für eine Abänderung der bisherigen Entscheidung gemäß § 49 VwVfG lägen ebenfalls nicht vor. Ermessensentscheidung nach § 51 Abs. 5 VwVfG hinsichtlich eines Widerrufs läge nicht vor. Auch die von der Klägerin vorgetragene Diabetes vom Typ Diabetes Mellitus Typ 2 führe zu keinem anderen Ergebnis, da diese in der Russischen Föderation behandelbar sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen.
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Dagegen ließen die Kläger am 13. Dezember 2019 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und zunächst beantragen,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.11.2019, Az.: ..., wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG vorliegt,
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hilfsweise, festzustellen, dass die Kläger gemäß § 4 AsylG subsidiär Schutzberechtigte sind
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und
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hilfshilfsweise, festzustellen, dass bei den Klägern nationale Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 bis § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte hat die Behördenakten des Asylerst- und des Asylfolgeverfahrens auf elektronischem Weg vorgelegt.
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Mit Schreiben vom 5. März 2020 teilte die Beklagte mit, dass der Tenor des Bescheids vom 24. November 2016 in Ziffer 5 wie folgt konkretisiert werde: Die Antragsteller werden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollten die Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werden sie in die Russische Föderation abgeschoben. Die Antragsteller können auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist.
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In der ursprünglichen Ziffer 5 fehle das Ziel der Abschiebung. Aus der Begründung des Bescheids gehe jedoch eindeutig als Ziel der Abschiebung die Russische Föderation/Tsch. hervor. Es seien Abschiebeverbote nur hinsichtlich dieses Landes geprüft worden. Somit handele es sich lediglich um eine formale Konkretisierung. Auch der in diesem Verfahren beklagte Bescheid gehe laut seiner Begründung nur von einer Rückkehr in die Russische Föderation/Tsch. aus und beziehe sich bei der Frage nach dem Vorliegen von Abschiebeverboten nur auf dieses Land.
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Mit Beschluss vom 22. April 2020 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Am 18. Mai 2020 wurde mündlich verhandelt. Die Klägerin zu 1 wurde informatorisch gehört. Die Klägerbevollmächtigte nahm die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzes zurück und beantragte zuletzt noch, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. November 2019 aufzuheben sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern nationale Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich des Protokolls der mündlichen Verhandlung sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
II.
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Im Übrigen ist die Klage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet. Der Bescheid vom 27. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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1. Die zuletzt noch als Anfechtungsklage im Hauptantrag aufrecht erhaltene Klage gegen den Bescheid vom 27. November 2019 hat keinen Erfolg. Der Folgeantrag der Kläger wurde zu Recht als unzulässig abgelehnt.
27
Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Verfahren nicht durchzuführen ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
28
Der Grundsatz der Rechtssicherheit steht der Durchbrechung der Bestandskraft anfechtbar gewordener Bescheide somit grundsätzlich entgegen. Ausnahmsweise kann ein Verfahren gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG auf Antrag des Betroffenen wieder aufgegriffen werden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind. Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Für jeden neuen Wiederaufgreifensgrund, der während eines bereits anhängigen Asylfolgeverfahrens eingetreten ist, läuft eine eigenständige Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG. Einzelne neue Tatsachen, die lediglich zur Begründung nachgeschoben werden und einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren und deshalb keinen qualitativ neuen Wiederaufgreifensgrund darstellen, brauchen allerdings nicht innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen zu werden (BVerwG, B.v. 31.1.2011 - 10 B 26/10 - juris Rn. 6).
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Aufgrund des Vortrags der Klägerin zu 1 hat sich die dem Bescheid vom 24. November 2016 zugrundeliegende Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die beim Bundesamt noch vorgetragene Blutrache (dort Niederschrift vom 28.3.2019 S. 5) an den Klägern zu 2 und 3 nicht geändert. Diesen Sachverhalt hat die Klägerin zu 1 bereits im Erstverfahren vorgetragen. Soweit nunmehr bei der informatorischen Anhörung vorgebracht wurde, der Onkel der beiden Kläger habe sie aufgefordert nach Hause zu kommen, damit geklärt werde, was dann mit den Klägern passiere, ist jedenfalls die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG versäumt, nach dem sich dies nach Angaben der Klägerin noch vor ihrer Ausreise in die Russische Föderation zugetragen hat, sie aber dennoch zunächst dorthin zurückgekehrt ist.
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Aber auch soweit die Klägerin zu 1 nunmehr einen neuen Sachverhalt geltend macht und erklärt, ihre Brüder würden sie bei einer Rückkehr umbringen, weil sie in Tsch. unverheiratet mit einem Mann zusammengelebt habe, führt dies nicht zu einer Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Von Relevanz könnte dieser Vortrag ohne hin nur im Hinblick auf eine Gewährung zumindest subsidiären Schutzes für die Klägerin zu 1 sein, nicht aber für die Kläger zu 2 und 3, da diese nach eigenem Vortrag der Klägerin zu 1 von dieser angeblichen Bedrohung nicht erfasst sind.
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Eine Änderung der Sachlage erfolgt zugunsten des Betroffenen, wenn sie eine für ihn günstigere Entscheidung erfordert oder ermöglicht. Dafür ist allerdings zunächst erforderlich ein schlüssiger Sachvortrag. Aufgrund der Darlegungs- und Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers muss dieser in glaubhafter Weise nachprüfbare Einzelschilderungen darlegen, um seinen Vortrag hinreichend zu substantiieren (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 91 ff.; BVerfG, B.v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris Rn. 30, 32 f.; BVerwG, U.v. 23.6.1987 - 9 C 251/86 - juris Rn. 8; U.v. 10.2.1998 - 9 C 28.97 - juris; U.v. 17.8.2011 - 6 C 9/10 - juris Rn. 55; U.v. 20.11.2018 - 1 C 23/17 - juris Rn. 13, 18). Die Schilderung ihrer außerehelichen Beziehung und die Behauptung, deswegen von ihren Brüdern mit dem Tod bedroht zu werden, ist unsubstantiiert und insgesamt nicht glaubhaft. Das Gericht schließt sich insoweit zunächst der Würdigung im streitgegenständlichen Bescheid (dort Seite 6, 2. Absatz) an und macht sich diese Ausführungen zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung ist die Einzelrichterin nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass der Vortrag der Klägerin zu 1 glaubhaft ist und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Die Widersprüchlichkeit beginnt schon damit, dass die Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung am 28. März 2019 angab, sie sei nach Hause gefahren, weil eine Bedrohungslage von Seiten des Onkels der Kinder bestanden habe, in der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin nunmehr aus, sie sei ausgereist, weil ihre Mutter krank gewesen sei. Völlig unglaubhaft für das Gericht ist, dass der Bruder, der zur damaligen Zeit in ... gelebt hat, sie lediglich am Telefon bedroht haben soll und nicht nach ... gekommen ist. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, er sei nicht nach ... gekommen, weil sie ja Angst vor ihm gehabt hätte. Dies widerspricht jeglicher Logik. Auch die Angabe, sie habe sich vor ihm bei ihrer Freundin versteckt, erscheint gesteigert, davon hat die Klägerin bei der informatorischen Anhörung nichts angegeben. Dort erklärte sie vielmehr, dass sie ihr damaliger Geliebter, bei dem sie gelebt habe, wieder nach Deutschland geschickt habe. Auch hinsichtlich der Zahl ihrer Brüder, die sie nunmehr angeblich alle bedrohen, bestehen erhebliche Diskrepanzen in ihrem Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung. Beim Bundesamt gab die Klägerin an, sie habe zwei Brüder, die noch leben würden, in der mündlichen Verhandlung erklärte sie, sie habe noch drei lebende Brüder, und zwar in Tsch., Österreich und Finnland. Von einem Bruder in Finnland, der nunmehr auch gedroht haben soll, sie „abzustechen“, war vorher nicht die Rede, dies muss als gesteigerter und damit unglaubhafter Sachvortrag angesehen werden. Auch im Übrigen hat sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung in Widersprüche verwickelt. Während sie zunächst angab, sie sei nicht zu ihrer Schwester nach ... gegangen, weil diese es den Brüdern weitergesagt hätte, wenn sie ihr erklärt hätte, dass sie heiraten wollten, erklärte die Klägerin im weiteren Verlauf der Verhandlung, dass sie ihrer Schwester gesagt habe, dass sie mit dem Mann zusammen sei und diese das dann ihrem Bruder erzählt habe. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr nur das Zusammenleben erzählt hat, oder auch davon, ob sie ihn heiraten wolle.
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Auch bezüglich ihrer Kinder, der Kläger zu 2 und 3, wird das Geschehen nach der Rückkehr nach ... nicht einheitlich dargestellt. Beim Bundesamt erklärte die Klägerin (dort Seite 3 der Niederschrift, Bl. 67 Bundesamtsakte), dass zunächst sie und ein paar Tage später auch die Kinder in die Wohnung des Geliebten gezogen seien. Nunmehr gab sie an, dass sich die Freundin um die Kinder gekümmert habe und die Kinder nur manchmal bei ihr gewesen seien.
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Damit konnte die Klägerin zu 1 keine Änderung der Sachlage glaubhaft zu ihren Gunsten darlegen.
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2. Der Hilfsantrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist nicht begründet.
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Die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids vom 27. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der mit dem Asylfolgeantrag verbundene Wiederaufgreifensantrag (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG) auf Abänderung des Bescheids vom 24. November 2016 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten wurde zurecht abgelehnt. Die Kläger können keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG geltend machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend wird ausgeführt:
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Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es ihm nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632). Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass die von der Klägerin behauptete Bedrohung durch ihre Brüder, und insbesondere auch durch den nunmehr in ... lebenden Bruder nicht besteht, kann die Klägerin mit ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, nach ... zurückkehren. Auch ihre Schwester lebt dort, sodass sie bei ihrer Rückkehr in die Heimat im Familienverband Unterstützung finden können.
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Zugunsten der Klägerin zu 1 besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen ihrer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ - 2.
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Insoweit liegt zwar eine nach Bestandskraft des Erstbescheids eingetretene Änderung der Sachlage vor, da das diesbezügliche Attest vom 13. Juni 2018 datiert.
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Eine erhebliche konkrete Gefahr die einer Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen entgegen steht, liegt jedoch nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dass die Klägerin zu 1 nunmehr wegen ihrer Zuckerkrankheit Insulin spritzen müsste, hat sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Ein den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechendes Attest wurde nicht vorgelegt. Das einzig vorhandene Attest datiert nach wie vor vom 13. Juni 2018 und bestätigt lediglich die Erforderlichkeit einer medikamentösen Behandlung. Diese ist jedoch auch in der Russischen Föderation möglich, wie der Bescheid zutreffend ausführt. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung dort mit der hier in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO (Einstellung), im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.