Titel:
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei Klage gegen Feststellung der begrenzten Dienstunfähigkeit
Normenkette:
BeamtStG § 26, § 27
Leitsätze:
1. Ein Rechtsschutzbedürfnis gegen die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit ist nicht gegeben, wenn der Beamte zwischenzeitlich wegen vollständiger Dienstunfähigkeit rechtskräftig in den Ruhestand versetzt worden ist (anders nachfolgend VGH München BeckRS 2022, 18966). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht ersichtlich, welche rechtlichen Vorteile der Beamte erlangen könnte, wenn die Bescheide, mit denen eine begrenzte Dienstfähigkeit festgestellt wurden, aufgehoben würden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, Versetzung in den Ruhestand, Dienstfähigkeit, Feststellung, begrenzte Dienstfähigkeit, dauerhafte Dienstunfähigkeit, Wiedereingliederung, fehlendes Rechtschutzbedürfnis
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 06.07.2022 – 3 B 20.2778
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 12.12.2023 – 2 B 36.22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19537
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der am … 1976 geborene Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand als Verwaltungshauptsekretär in den Diensten der Beklagten. Mit Bescheid vom … Juli 2013 wurde der Kläger mit Wirkung zum … September 2013 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
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Nach einer manifesten psychischen Erkrankung mit Dienstunfähigkeit erfolgte am … Januar 2012 eine amtsärztliche Untersuchung des Klägers, in der eine begrenzte Dienstfähigkeit festgestellt wurde. Mit Schreiben vom … Februar 2012 hörte die Beklagte den Kläger zu der Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit an. Mit Bescheid vom … März 2012 stellte die Beklagte die begrenzte Dienstfähigkeit fest und reduzierte die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers auf … Stunden. Auf Anraten des behandelnden Arztes des Klägers erfolgte ab … April 2012 die schrittweise Wiedereingliederung des Klägers.
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Gegen den Bescheid der Beklagten vom … März 2012 legte der Kläger mit Schreiben vom … April 2012 Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom *. Mai 2012 begründete. Der Kläger sei voll dienstfähig. Der Amtsarzt habe den Kläger in der amtsärztlichen Untersuchung vom … Januar 2012 nicht richtig verstanden. Der Kläger erledige seit … April 2012 seine Arbeit bei einer angeordneten Sollarbeitszeit von vier Stunden bzw. vier Stunden und zwölf Minuten in durchschnittlich weniger als einer Stunde und dreißig Minuten. In der restlichen Sollarbeitszeit widme er sich Fort- und Weiterbildungsmitteln. Er sei daher in der Lage das volle Pensum in Vollzeit zu bewältigen.
4
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom … Mai 2012 zurück. Das Gesundheitszeugnis vom … Januar 2012 führe eindeutig aus, dass der Kläger aufgrund der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seinen Dienstpflichten bis auf weiteres höchstens zur Hälfte nachkommen könne.
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Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2012, eingegangen bei Gericht am 4. Juli 2012, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage erhoben und beantragt,
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„Der Bescheid der Beklagten vom … März 2012 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom … Mai 2012, mit denen eine begrenzte Dienstfähigkeit des Klägers festgestellt wird, werden aufgehoben.“
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Der Kläger fühle sich voll dienstfähig. Es sei weder eine aktuelle amtsärztliche Untersuchung veranlasst worden noch die Dienststundenzahl des Klägers erhöht worden. Auch sei die Erhaltung der vollen Dienstfähigkeit bei einem anderweitigen Einsatz insbesondere außerhalb eines Großraumbüros nicht geprüft worden.
8
Mit Schriftsatz vom … August 2012 hat die Beklagte zur Klagebegründung Stellung genommen. Die Feststellung der begrenzten Dienstfähigkeit des Klägers sei rechtmäßig. Im Gesundheitszeugnis vom … Januar 2012 sei festgestellt worden, dass der Kläger am bisherigen Einsatzort allenfalls mit begrenzter Dienstfähigkeit eingesetzt werden könne und dass eine Wiederherstellung der vollen tätigkeitsbezogenen Leistungsfähigkeit innerhalb des nächsten Jahres nicht zu erreichen sei. Die dem Kläger attestierten Defizite in der sozialen Interaktionsfähigkeit, seien der Beklagten seit geraumer Zeit bekannt gewesen. Es seien bereits Maßnahmen getroffen worden, um dem Kläger ein ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Eine anderweitige Verwendung des Klägers sei nicht möglich. Die Wiedereingliederung des Klägers sei auf Anraten des behandelnden Arztes erfolgt. Von einer Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit könne nicht ausgegangen werden. Dass sich der Beamte subjektiv voll dienstfähig fühle, könne die Prognose des Amtsarztes nicht außer Kraft setzen. Wegen des unkontrollierten Verhaltens des Klägers werde die Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit in Betracht gezogen.
9
Am … September 2012 erfolgte eine Nachuntersuchung des Klägers. Aus dem Gesundheitszeugnis vom … Oktober 2012 geht hervor, dass eine Wiederherstellung der vollen tätigkeitsbezogenen Dienstfähigkeit in Zukunft unwahrscheinlich ist.
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Mit Bescheid vom … Juli 2013 versetzte die Beklagte den Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht München (M 5 K 14.642).
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Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, das Verfahren einstweilen ruhen zu lassen, da der Ausgang des Verfahrens M 5 K 14.642 abgewartet werden solle. Nachdem sich die Beklagte damit einverstanden erklärte, ordnete das Gericht mit Beschluss vom 3. Februar 2014 das Ruhen des Verfahrens an.
12
Mit Urteil vom 21. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht München die Klage gegen die Ruhestandsversetzung ab (M 5 K 14.642). Das Urteil ist rechtskräftig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 18. August 2017 ab (3 ZB 16.1651).
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 10. März 2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage ist bereits unzulässig, da der Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis hat.
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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt insbesondere in Fällen, in denen ein Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, Vor §§ 40 - 53, Rn. 11 m.w.N).
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Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom … März 2012 sowie deren Widerspruchsbescheid vom … Mai 2012, in denen eine begrenzte Dienstfähigkeit des Klägers festgestellt wurde. Der Kläger begehrt die Aufhebung dieser Bescheide. Mit Bescheid vom … Juli 2013 ist jedoch die vollständige Dienstunfähigkeit des Klägers festgestellt und dieser rechtskräftig in den Ruhestand versetzt worden (VG München, U.v. 21.6.2016 - M 5 K 14.642; BayVGH, B.v. 18.8.2017 - 3 ZB 16.1651).
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Es ist daher nicht ersichtlich, welche Vorteile in seiner Rechtsstellung der Kläger mit der beantragten Aufhebung der Bescheide, mit denen eine begrenzte Dienstfähigkeit des Klägers festgestellt wurden, erlangen könnte. Der Kläger befindet sich im Ruhestand; eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit ist weder ersichtlich noch absehbar. Entgegen der Ansicht des Klägers würde die Aufhebung der Bescheide auch nicht zu einer erneuten Überprüfung der Ruhestandsversetzung führen, da diese bereits rechtskräftig ist. Die Rechtswidrigkeit der Bescheide unterstellt, könnte dies die Rechtstellung des Klägers daher nicht (mehr) verbessern.
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2. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).