Titel:
Erfolglose Klage zu Abschiebungsverbot für den Irak
Normenketten:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Die Verwaltungsgerichte sind bei allgemeinen Gefahren im Zielstaat nur dann befugt die Sperrwirkung des § 60a AufenthG durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zu umgehen, wenn sich sonst eine verfassungswidrige Schutzlücke im Asylrecht eröffnen würde (Anschluss an BVerwG BeckRS 2001, 30193066). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Irak, Sunnitische Kurden, Abschiebungsverbot, Flüchtlingseigenschaft, Irak, konkrete Gefahr, Kurde, wirtschaftliche Lage, allgemeine Gefahr, verfassungskonforme Auslegung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19509
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise eines subsidiären Schutzstatus und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Oktober 2016.
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Die Kläger zu 1) und 2) sind miteinander verheiratete irakische Staatsangehörige, Kurden und sunnitischen Glaubens. Bei den Klägern zu 3) und 4) handelt es sich um deren Kinder, die im Jahr 2008 und 20011 geboren sind. Die Familie reiste am … … 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … … 2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).
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In der Anhörung beim Bundesamt am … … 2016 gab der Kläger zu 1) im Wesentlichen an, dass er zuletzt vor seiner Ausreise mit seiner Familie in der Stadt … gewohnt habe. Im Irak lebten noch seine Mutter, drei Schwestern, drei Brüder und die Großfamilie. Der Kläger sei acht Jahre zur Schule gegangen und sei im Bereich der Innen- und Außendekoration für Wohnungen angestellt gewesen. Nach einem Berufsunfall im Jahr 2013 habe er den Beruf nicht mehr ausüben können. Bis zu seiner Ausreise sei er selbstständiger Taxiunternehmer gewesen; für die Finanzierung der Ausreise habe er sein Taxi verkauft. Er habe von 2008 bis 2011 den Peschmergakämpfern gedient. Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, trug der Kläger vor, dass er sich vom Leben im Irak nichts mehr erhofft habe. Er sei vor einiger Zeit nach einem Berufsunfall an der Wirbelsäule operiert worden. Vier Monate habe er danach in der Wohnung seiner Mutter im Bett gelegen. Seine wirtschaftliche Situation sei nicht gut gewesen, er habe all sein Hab und Gut in seinem Pickup gelagert und zuletzt nicht einmal mehr die Miete für die Familienwohnung zahlen können. Die soziale Ungerechtigkeit im Irak habe stark zugenommen, deshalb hätte er sich zur Ausreise entschlossen. Er sei nicht persönlich bedroht, verfolgt oder angegriffen worden.
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In der Anhörung beim Bundesamt am … … 2016 gab die Klägerin zu 2) an, dass sie bis zur Ausreise in der Stadt … gewohnt habe. Sie habe noch beide Eltern, vier Schwestern, zwei Brüder und die Großfamilie im Irak. Sie habe die Schule bis zur elften Klasse besucht und einen Mittelschulabschluss. Sie habe nicht gearbeitet, sondern sei Hausfrau gewesen. Sie seien wegen der Armut aus dem Irak geflohen. Sie hätten nichts zum Leben gehabt. Aufgrund eines Arbeitsunfalls habe ihr Mann die Tätigkeit auf der Baustelle nicht mehr ausführen können. Vor dem Unfall habe ihr Mann täglich 20.000 irakische Dinar verdient, damit hätten sie in sehr bescheidenen Verhältnissen leben können. Danach seien es nur noch höchstens 15.000 irakische Dinar am Tag gewesen. Die Familie des Mannes habe sie, so gut es ging, unterstützt. Persönlich bedroht, verfolgt oder angegriffen seien sie nicht worden.
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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Oktober 2016 erfolgte die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), der Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 2.) und der Gewährung subsidiären Schutzes (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Ziff. 4). Die Kläger wurden deshalb aufgefordert, die BRD innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; für den Fall des Nichteinhaltens der Ausreisefrist werden die Kläger in den Irak abgeschoben (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde gegen Postzustellungsurkunde am 22. Oktober 2016 zugestellt.
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Die Klägerbevollmächtigten erhoben mit Schriftsatz vom 2. November 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit den Anträgen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 19.10.2016 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiterhin hilfsweise für die Kläger festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Bundesamt übersandte am 9. Dezember 2016 die Behördenakte, die am 3. März 2020 aktualisiert wurde.
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Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erfolgte mit Beschluss vom 14. November 2019.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2020 teilten die Klägerbevollmächtigten mit, dass das jüngste Kind der Kläger (geboren am … … 2016) ein eigenes Asylklageverfahren mit Aktenzeichen M 19 K … beim Bayerischen Verwaltungsgericht München führt.
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Die Hauptsache wurde am 4. August 2020 mündlich verhandelt. Die Kläger zu 1) und 2) legten ärztliche Atteste vor. Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die vorgelegte Behördensowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2020 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne, § 102 Abs. 2 VwGO. Die Beklagte ist formgerecht geladen worden und hat mit allgemeiner Prozesserklärung auf den Nachweis der Ladungsfrist verzichtet.
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Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO, da den Klägern kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, eines subsidiären Schutzstatus oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots zusteht. Auch die Befristungsentscheidung des Bundesamtes ist nicht zu beanstanden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
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1. Hinsichtlich der Feststellung, ob den Klägern ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung nach § 3 AsylG bzw. auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG zusteht, verweist das Gericht auf die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid, der das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
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Eine Verfolgung oder ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ist bereits nicht vorgetragen worden.
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2. Ein Anspruch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzes steht den Klägern nicht zu. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.
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Ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt in der Stadt … bereits nicht vor; jedenfalls erreicht die willkürliche Gewalt gegen Zivilpersonen in der Heimatregion noch nicht die Dichte, die vorausgesetzt wird, um einen subsidiären Schutzstatus auszulösen (s. BayVGH, U.v. 25.1.2017, 13a ZB 16.30374, juris - Rn. 11). Im gesamten Gebiet des Iraks ist nach den aktuellen Zahlen bei weitem nicht die vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebene quantitative Gefährdungsschwelle von 1:800 Einwohnern erreicht, so dass eine Bewertung der qualitativen Merkmale dahinstehen kann (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Sicherheitslage, März 2019, S. 50 ff. (55); Accord, Irak Jahr 2019, Kurzübersicht über Vorfälle aus dem ACLED vom 23. Juni 2020; BVerwG, U. v. 17. 11. 2011 - 10 C 13.10 juris Rn 22f.). Die aktuellsten Erkenntnismittel zeigen, dass sich die willkürliche Gewalt gegenüber Zivilisten im Irak weiter abgeschwächt hat (https://www.iraqbodycount.org/database/). Die allgemein unsichere Sicherheitslage durch Anschläge des IS, Übergriffe krimineller Gruppen und/oder nicht kontrolliert agierender Milizen erreicht nicht das Ausmaß, dass von den Klägern nicht verlangt werden kann, sich wieder in … niederzulassen, dazumal sich die Sicherheitslage für Zivilisten seit Anfang 2019 noch einmal verbesserte (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Sicherheitslage, März 2019, S. 50 ff., 115 ff. (159 ff.); UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, S. 110 ff., EASO Country Guidance Iraq, Juni 2019, S. 45 f.; aktuelle Zahlen unter https://www.iraqbodycount.org/). Gefahrerhöhende individuelle Merkmale bei den Klägern sind nicht ersichtlich.
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3. Es wird festgestellt, dass der Abschiebung der Kläger kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entgegensteht. Auch ist das Vorliegen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung abzulehnen.
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3.1 § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn der Klagepartei im gesamten Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht (Heusch/Haderlein/Schönenbroich, Das neue Asylrecht, 1. Auflage 2016, Rnr. 119).
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Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2013 (Az. 10 C 15/12; NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 3 m.w.N. des EGMR) können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die grundlegenden humanitären Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzten. Nach Auffassung des EGMR wird die Schwelle des Art. 3 EMRK bei schlechten humanitären Lebensbedingungen nur in sehr seltenen Fällen erreicht werden, da die Intention der EMRK ist, den Schutz von bürgerlichen und politischen Rechten sicherzustellen, nicht jedoch sozio-ökonomische und humanitäre Lebensbedingungen zu schützen (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, Az. 10 C 15/12, Rz. 25). Diese Rechtsprechung basiert auf den Einzelfall eines Ausländers, der sich im Endstadium einer tödlichen Aidserkrankung befand, und in sein Herkunftsland, einem Entwicklungsland, in dem er aufgrund fehlender sozialer Bindungen mit großer Sicherheit obdachlos geworden wäre, abgeschoben werden sollte (EGMR, Urteil vom 2.5.1997, Az. 146/1996/767/964; NVwZ 1998,161). Ein derart spezieller Ausnahmefall liegt bei den Klägern nicht vor.
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Die allgemeine Versorgungslage stellt sich bei einer Rückkehr in den Irak wie folgt dar: Die humanitäre Lage im Irak ist angespannt, der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich gewährleisten. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig, was durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt wird. 22% der Kinder sind unterernährt und die Strom- und Wasserversorgung ist nur auf niedrigem Niveau gewährleistet (Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 24 f.; UNHCR Erwägungen, S. 66 ff). Nach dem Ende des militärischen Großeinsatzes gegen den IS Ende 2017 hat sich die humanitäre Lage zwar stabilisiert, immer noch sind jedoch ca. 18% der Bevölkerung von humanitärer Unterstützung abhängig. Mangelhafte Wohnbedingungen und drastische Mieterhöhungen wegen der durch Binnenmigration erhöhten Nachfrage und der in Teilen zerstörten Infrastruktur stellt eine große Herausforderung für die irakische Bevölkerung insgesamt, insbesondere aber in den Gebieten, die vom IS besetzt waren und in der Autonomieregion Kurdistan dar. (UNHCR Erwägungen, S. 54 ff). Die hohe Arbeitslosigkeit führte zu flächendeckender Armut und der Zugang zum Arbeitsmarkt ist in Fällen von Binnenvertriebenen und Rückkehrern trotz verbesserter Konjunkturprognose aufgrund des verbreiteten Nepotismus weiterhin schwierig. Besonders in ehemaligen vom IS besetzen Gebieten leiden über eine Million Iraker unter Nahrungsmittelknappheit (UNHCR, Erwägungen S. 59 f.). Die wirtschaftlichen Prognosen, die nach der Beendigung des Kriegs gegen den IS vorsichtig positiv ausfiel (EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak; Zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019, S. 31 f., 34 ff.), ist derzeit aufgrund des pandemiebedingten Ölpreisverfalles als verschlechtert anzusehen (OCHA, Humanitarian Bulletin, Juni 2020, S. 3). Allerdings gibt es sowohl nationale, als auch internationale Hilfsprogramme für steigende Zahl der in Armut lebenden Bevölkerungsteile (UNHCR Erwägungen, Fußnoten 745 f., 749; OCHA, Humanitarian Bulletin, Juni 2020, S. 2). Ein Großteil der in den kurdischen Autonomiegebieten während des Krieges gegen den IS angesiedelten Binnenflüchtlinge sind bereits wieder in ihre Herkunftsregion zurückgekehrt; diese Tendenz verstärkt sich zunehmend (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. Januar 2019, S. 24; UNHCR Erwägungen, Fußnote 744; OCHA Humanitarian Bulletin, Juni 2020, S. 1). Die Lebensmittelversorgung im Irak ist weiterhin sichergestellt und wird engmaschig überwacht (FAO u.a., Iraq COVID-19 Food Security Monitor, weekly update - issue 13 vom 14. Juli 2020; Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Kurzinformation des Staatenwesens, Naher Osten - Covid 19 - Aktuelle Lage vom 16. Juni 2020, S. 2 f.; OCHA Iraq, Humanitarian Bulletin, June 2020). Wegen der weltweit zu erwartenden wirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere auch in der Ölbranche, von der der Irak wirtschaftlich stark abhängig ist (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Kurzinformation des Staatenwesens, Naher Osten - Covid 19 -Aktuelle Lage vom 16. Juni 2020, S. 2 f.; FAO u.a., Iraq COVID-19 Food Security Monitor, weekly update - issue 13 vom 14. Juli 2020; OCHA Iraq, Humanitarian Bulletin, June 2020), ist trotz der Versuche des irakischen Staates und nationaler und internationaler Organisationen und NGOs wohl eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vulnerabler Personen prognostisch anzunehmen.
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Die wirtschaftliche Lage im Irak ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln zwar als schlecht anzusehen, jedoch ist davon auszugehen, dass die klägerische Familie unter Anstrengung der gesamten zur Verfügung stehenden, zumutbaren Arbeitskapazitäten bei Rückführung ein Existenzminimum verdienen können wird. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) auch vor der Ausreise der Familie und insbesondere von 2013 bis 2015 den Lebensunterhalt der Familie - auch wenn nur in bescheidenem Umfang - sichern konnte. Nach den Angaben der Klägerin zu 2) verdiente der Kläger zu 1) als Taxifahrer maximal 15.000 Irakische Dinar am Tag, was zwar um mindestens ein Viertel weniger als vor seinem Arbeitsunfall war, jedoch bei weitem die Armutsgrenze im Irak nicht erreicht. Die Kläger lebten danach von einem monatlichen Einkommen von geschätzt 360.000 Irakische Dinar (30 Tage mal 12.000 Dinar tägliches Einkommen). Die Armutsgrenze im Irak inkl. der kurdischen Autonomieregion wird nach den Standards der Weltbank bei 105.000 Irakische Dinar im Monat gesehen. 2018 lebten im Gouvernement … ein Viertel der Haushalte von einem monatlichen Einkommen von 250.000 bis 500.000 irakische Dinar und 8,2 Prozent der Haushalte von einem darunterliegenden Monatseinkommen (EASO, Sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019, S. 56). Unter Berücksichtigung, dass durchschnittliche Haushalte im Irak mehrere Kinder aufweisen, geht das Gericht von einer Vergleichbarkeit der o.g. Zahlen mit dem Einkommen der Kläger aus. Das auf Grundlage von 12.000 Dinar am Tag vorsichtig berechnete erwirtschaftete Einkommen des Klägers vor der Ausreise, das nach Ansicht des Gerichts bei einer Rückkehr wieder erwirtschaftete werden kann, liegt damit nicht unter der Armutsgrenze. Der Kläger zu 1) arbeiten in Deutschland nach einer erfolgreichen Rückenoperation an den Bandscheiben inzwischen als Koch in einer Pizzeria. Daraus lässt sich ersehen, dass er zu körperlichen Tätigkeiten imstande ist. Weiter ist es der Klägerin zu 2) zuzumuten, einfache Tätigkeiten zu übernehmen und so etwas zum Haushaltseinkommen beizutragen. Der Klägerin zu 2) ist nunmehr angesichts des fortgeschrittenen Alters der zwei älteren Kinder zuzumuten, eine teilweise Erwerbstätigkeit auszuüben. In … leben weitere Verwandte, so dass die inzwischen vierjährige, jüngste Tochter, die in Deutschland geboren wurde, bis zum Eintritt in die Schule mit sechs Jahren, von den Verwandten der Kläger für eine geringfügige Tätigkeit betreut werden oder in den Kindergarten gehen kann. Die Kläger verfügen im Irak auch über eine große Familienstruktur, die der Familie bereits früher (z.B. während der viermonatigen Krankheitsphase des Klägers nach seiner ersten Rückenoperation, nach Angaben der Klägerin zu 2) in der Anhörung auf finanziell) beistand und half, so dass von weitern Hilfen in der Zukunft auszugehen ist. Die von den Klägern für die Verwandtschaft vorgetragene Mittellosigkeit derselben ist unglaubhaft, da die gesamte Verwandtschaft weiterhin zur Miete wohnt. Die für die Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste sind teilweise veraltet (Attest des Ärzterings Chiemgau vom … … 2018 hinsichtlich orthopädischer Rückenbeschwerden des Klägers; MVZ … … … … vom … … 2019). Soweit die Kläger mit Attesten vom … … 2019 eine psychische Krise des Klägers zu 1) wegen familiärer Streitigkeiten und mit Attest des Neurozentrums … vom … … 2020 Kopfschmerzen mit intermittierender Migräne und anhaltenden depressiven Phasen der Klägerin zu 2) vorlegten, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Das Attest vom … … 2020 für die Klägerin zu 2) erfüllt bereits nicht die Anforderungen nach § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG. Die psychischen Probleme des Klägers waren nicht derart gravierend, dass er sich aktuell in ärztlicher Behandlung befindet. Der Kläger zu 1) widersprach sich bei der Nachfrage des Gerichts, ob er aktuell Medikamente nehme. Die Klägerin zu 2) gab zwar an, dass sie wegen ihrer Kopfschmerzen aktuell medikamentös behandelt wird. Allerdings sind keine derart gravierenden Einschränkungen ersichtlich, dass eine Behandlung mit handelsüblichen Schmerzmitteln nicht im Irak erfolgen könne. Eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit der Klägerin ist aus den Attesten nicht ersichtlich.
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In Anbetracht dieser Gesamtlage ist von einer Möglichkeit der Erwirtschaftung des Existenzminimums der Familie trotz der prekären wirtschaftlichen Lage auszugehen.
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3.2. Es wird festgestellt, dass der Abschiebung des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entgegensteht. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll festgestellt werden, wenn im Zielland für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine schwerwiegende Erkrankung der Kläger, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG begründet, wurde nicht substantiiert dargelegt, insbesondere Folgen der behaupteten Rückenoperation aus dem Jahr 2013 nicht mit Attesten belegt. Die mit Attesten belegte, akute psychische Krise des Klägers im Juni 2019 scheint abgeklungen, jedenfalls sind keine aktuellen Atteste hierzu vorgelegt worden und der Kläger widersprach sich bei der Frage, ob er medikamentös behandelt werde. Die Klägerin zu 2) legte mit einem fachärztlichen Attest vom … … 2020 dar, dass sie unter Kombinationskopfschmerzen, Migräne, Schwindel und schmerzbedingte Dyssomnie sowie einer Anpassungsstörung und einer langanhaltenden depressiven Episode leidet. Das vorgelegte Attest vom … … 2020 erfüllt jedoch nicht die Anforderungen nach §§ 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG.
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3.3 Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots aus einer verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor. Die Verwaltungsgerichte sind bei allgemeinen Gefahren im Zielstaat nur dann befugt die Sperrwirkung des § 60a AufenthG durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zu umgehen, wenn sich sonst eine verfassungswidrige Schutzlücke im Asylrecht eröffnen würde (BVerwG, Urteil v. 12.7.2001, Az. 1 C 2/01, 1. Leitsatz). Bei extremen Gefahrenlagen im Zielstaat, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Klagepartei zu einer Grundrechtsverletzung aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz führen, kann in extremen Ausnahmefällen Abschiebeschutz zu gewähren sein. Hierbei muss festgestellt werden, dass die Klagepartei durch die Abschiebung „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ werde (HessVGH, Urteil vom 30. Januar 2014, Az. 8 A 119/12 A - juris Rn. 47 m.w.N.). Unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten äußerst anspruchsvollen Maßstäbe für die Wahrscheinlichkeitsbetrachtung ist nicht davon auszugehen, dass die Klagepartei durch die Abschiebung in den Irak dem sicheren Tod ausgeliefert werde. Angesichts der persönlichen Umstände der klägerischen Familie kann davon ausgegangen werden, dass diese bei Rückkehr in den Irak ein Auskommen erwirtschaften können wird (vgl. I. 3.1).
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4. Bezüglich der Ziffern 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids sind nach Prüfung des Gerichts keine Rechtsfehler erkennbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.