Inhalt

VG München, Urteil v. 27.05.2020 – M 15 K 18.2513
Titel:

Anforderungen an die Anerkennung eines vermögensmindernden Darlehens der eigenen Eltern im Ausbildungsförderungsrecht

Normenkette:
BAföG § 28 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Ob ein behauptetes Darlehen als bestehende Schuld iSv § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG anzuerkennen ist, hängt davon ab, ob ein Darlehensvertrag zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen werden kann. Die Darlehensgewähr muss dabei klar und eindeutig auch anhand der tatsächlichen Durchführung aufgrund objektiver Anhaltspunkte von einer Unterhaltsgewährung oder einer verschleierten Schenkung abgrenzbar sein (VGH München BeckRS 2009, 33907). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Weil und soweit der für den Auszubildenden förderungsrechtlich günstige Umstand, ob und in welchem Umfang ihn vermögensmindernde Schulden aus einem mit einem nahen Angehörigen geschlossenen Darlehensvertrag treffen, seine Sphäre betrifft, hat dieser bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (BVerwG BeckRS 2010, 51162). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Eine Darlehensvereinbarung unter Angehörigen muss nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne standhalten, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden - insbesondere mit einem Kreditinstitut - Üblichen zu entsprechen haben. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Es kann für das Vorliegen eines ausbildungsförderungsrechtlich beachtlichen Darlehensverhältnisses während eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums sprechen, wenn das Darlehen bereits zu dem Zeitpunkt zurückgezahlt worden war, zu dem es der Auszubildende zum ersten Mal offenlegte und sich damit erstmals die Frage seiner ausbildungsförderungsrechtlichen Anrechnung stellte (VGH München BeckRS 2018, 23722). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Ausbildungsförderung, Vermögensanrechnung, Darlehensforderung, Darlehen unter nahen Verwandten, vermögensmindernde Darlehensschuld, Darlegungslast, Unterhaltsgewährung, verschleierte Schenkung, Indizien, Darlehensrückzahlung, Offenlegung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19490

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018 unter Anerkennung von Schulden der Klägerin gegenüber ihren Eltern in Höhe von 5.900,- Euro zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Höhe der der Klägerin zu gewährenden Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018, insbesondere um die Anerkennungsfähigkeit von Schulden der Klägerin gegenüber ihren Eltern.
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Die Klägerin erhielt vom Beklagten für die Bewilligungszeiträume …2016 bis …2017 und …2017 bis …2017 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für das Bachelorstudium Tourismus-Management an der Hochschule … Bei Antragstellung am 5. Februar 2016 gab die Klägerin unter anderem an, Lasten in Höhe von 10.000,- Euro zu haben (Bl. 28 ff. der Behördenakte - BA). Die Kopie einer datumslosen „Bestätigung“ des Onkels der Klägerin, wonach dieser ihr für die Renovierung und den am 25. Februar 2010 erfolgten Einzug in die neue Wohnung einen Betrag in Höhe von 10.000,- Euro geliehen habe und die Rückzahlung schnellstmöglich und in einer Summe erfolgen solle (Bl. 18 BA), wurde vorgelegt. Bei Folgeantragstellung am 23. Dezember 2016 erklärte die Klägerin, Schulden in Höhe von 5.900,- Euro und 185,49 Euro zu besitzen (Bl. 131 f. BA). Ein ebenfalls datumsloser „Darlehensvertrag“ zwischen der Klägerin und ihren Eltern, wonach die Eltern die Darlehenssumme von 10.000,- Euro gegenüber dem Onkel der Klägerin übernehmen würden, da die Summe aus gesundheitlichen Gründen zeitnah zurückbezahlt werden müsse, die Klägerin die bereits angesparte Summe von 4.800,- Euro auf das Sparbuch der Eltern überweise, die Restsumme vorläufig gestundet und in noch abzuklärenden Raten zurückbezahlt werde, wurde vorgelegt (Bl. 106 BA). Des Weiteren wurde eine datumslose „Ergänzung zum Darlehensvertrag“ eingereicht (Bl. 105 BA), wonach die Eltern der Klägerin zur Unterstützung und Begleichung von Arztkosten und für die Kosten einer Spirale insgesamt 700,- Euro überwiesen hätten und sich die Darlehenssumme nun auf 5.900,- Euro erhöht habe. Es werde vereinbart, dass die Klägerin nach Beendigung ihres Studiums die Summe in monatlichen Raten von 200,- Euro zurückzahlen werde und sich die Klägerin als Sicherung verpflichte, ihren Bausparvertrag bis zur Tilgung des Darlehens nicht aufzulösen und diesen bei Nichteinhaltung der Ratenzahlung auf die Eltern zu übertragen. Auf Nachfrage des Beklagten gab die Klägerin mit Schreiben vom 4. Februar 2017 (Bl. 107 BA) an, dass ihr Onkel ihr das Geld im Jahr 2010 gegeben habe, sie hierzu jedoch keine Unterlagen mehr habe. Sie könne keine Relevanz erkennen, ob es damals in bar oder per Überweisung erfolgt sei. Die Eltern hätten aufgrund der schweren Gehirnerkrankung des Onkels die Darlehenssumme übernommen.
3
Betreffend den Bewilligungszeitraum …2017 bis …2017 wurde der Klägerin von dem zwischenzeitlich aufgrund eines Auslandsstudiums zuständigen Studentenwerk … Ausbildungsförderung unter Anerkennung von Darlehensschulden bewilligt, nachdem die Klägerin die Kopie eines Kontoauszugs über die Überweisung eines Betrags in Höhe von 4.800,- Euro vom 9. Dezember 2015 an ihre Eltern mit dem Verwendungszweck „Rückzahlung aus Darlehensvertrag“ vorgelegt hatte (Bl. 236 BA).
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Am 27. Juni 2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 1/2018 bis 3/2019, wobei sie zu ihren Vermögensverhältnissen u.a. angab (Bl. 284 BA), Schulden in Höhe von 5.900,- Euro zu haben. Möbel- und Handwerkerrechnungen bzw. Angebote aus den Monaten März bis Mai 2010, teilweise ausgestellt auf den Namen der Klägerin, teilweise auf ihre Eltern und teilweise auf den Nachnamen „…“ bzw. „… …“, wurden nachgereicht (Bl 297 ff. BA).
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Mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 bewilligte der Beklagte Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018 in Höhe von monatlich 514,- Euro unter monatlicher Anrechnung von Vermögen der Klägerin in Höhe von 221,18 Euro. Auf die Berechnung des Vermögens der Klägerin durch den Beklagten wird verwiesen (Bl. 327 ff. BA).
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In dem hiergegen erhobenen Widerspruch führte die Klägerin aus, dass es sich bei dem Darlehen ihres Onkels um einen Vertrag handele, der keiner Form bedürfe. Außerdem würden viele Verträge mit Bargeld geschlossen. Sie habe alle Unterlagen vorgelegt, sogar Kopien eines Großteils der Rechnungen der Wohnungsrenovierung, die Grund für das Darlehen gewesen sei. Der Beklagte habe bereits am 14. Februar 2017 eine Stellungnahme der Klägerin zu den Darlehensverträgen sowie eine erneute Versicherung der Eltern der Klägerin erhalten.
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Mit Bescheid vom 10. Januar 2018 wurde der Bewilligungszeitraum auf …2018 bis …2018 geändert und der Klägerin infolgedessen Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 661,- Euro bewilligt, wobei ein Betrag von monatlich 73,72 Euro als Vermögen der Klägerin angerechnet wurde.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2018 stellte der Beklagte das Widerspruchsverfahren ein, soweit sich der Widerspruch gegen den durch den nachfolgenden Bescheid erledigten Bescheid vom 19. Dezember 2017 richte, und wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Januar 2018 zurück. Der Widerspruch sei nach den Interessen der Klägerin dahingehend auszulegen, dass er sich nun gegen den Bescheid vom 10. Januar 2018 richte, da sich die Frage der Darlehensberücksichtigung unverändert stelle. Nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG seien vom Vermögensbetrag die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden abzuziehen. Das Darlehen in Höhe von 5.900,- Euro sei nicht vermögensmindernd zu berücksichtigen. Vorliegend sei nicht zur Überzeugung dargelegt und nachgewiesen worden, dass die Klägerin von ihren Eltern ein Darlehen erhalten habe. Die Klägerin habe nicht plausibel erklären können, weshalb sie die vorgeblich als Darlehen in bar von ihrem Onkel erhaltenen 10.000,- Euro nun ihren Eltern zurückzahlen solle und teilweise zurückgezahlt haben wolle. Die Behauptung, der Onkel würde nur eine Zahlung in einer Summe wünschen, sei nicht nachvollziehbar, zumal vorgetragen worden sei, dass die Zahlung an den Onkel auch durch die Eltern noch nicht erfolgt sei. Die vorgelegten Rechnungen und Angebote anlässlich der Renovierung der von der Klägerin bewohnten Wohnung lauteten bis auf kleinere Beträge nicht auf den Namen der Klägerin, sondern seien an die Eltern der Klägerin gerichtet oder nur mit „…“ gekennzeichnet. Die Rechnungen ließen ohnehin keinen eindeutigen Rückschluss auf eine rechtsverbindliche Darlehensvereinbarung zwischen dem Onkel und der Klägerin zu. Einen Beleg über den Zufluss des Geldes gebe es nach Auskunft der Klägerin nicht. Dass ein Darlehensvertrag auch formlos wirksam geschlossen werden könne, führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar sei es zutreffend, dass ein Darlehensvertrag keiner besonderen Form bedürfe. Die materielle Beweislast bzw. das Risiko der Beweislosigkeit für das Bestehen von Schulden trage jedoch die Klägerin.
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Die Klägerin erhob durch ihre Bevollmächtigten am 24. Mai 2018 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München. Mit Schriftsatz vom 27. November 2018 wurde beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 zu verurteilen, der Klägerin Ausbildungsförderung für die Zeit …2018 bis …2018 unter der Maßgabe zu bewilligen, dass Vermögen nicht angerechnet werde.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin im Februar 2010 eine Genossenschaftswohnung, die erheblich renovierungsbedürftig gewesen sei, bezogen habe. Hierfür habe sie von ihrem Onkel ein Darlehen in Höhe von 10.000,- Euro erhalten. Zum Nachweis der erheblichen Aufwendungen für die Renovierungsarbeiten habe die Klägerin umfangreiche Unterlagen eingereicht. Nachdem der Onkel der Klägerin ernstlich erkrankt und auf eine rasche Rückzahlung der Darlehenssumme angewiesen gewesen sei, hätten die Eltern der Klägerin sich bereit erklärt, das Darlehen in Höhe von 10.000,- Euro an den Onkel zurückzuzahlen. Die Klägerin habe ihren Eltern eine bereits angesparte Summe von 4.800,- Euro überwiesen und mit den Eltern eine ratenweise Rückzahlung der noch offenen Darlehenssumme in Höhe von 5.200,- Euro vereinbart. Mit Ergänzung zum Darlehensvertrag habe sich die Darlehenssumme auf 5.900,- Euro erhöht. Es sei eine ratenweise Rückzahlung in Höhe von 200,- Euro monatlich vereinbart worden. Zur Sicherung des Anspruchs sei der Bausparvertrag der Klägerin angegeben worden. Der Beklagte habe zu Unrecht die Schulden aus dem Darlehensvertrag, welchen die Eltern vom Onkel der Klägerin übernommen und ergänzt hätten, vermögensmindernd ausgenommen. Unter Berücksichtigung dieser Verbindlichkeiten ergebe sich bei der Klägerin ein Reinvermögen von 6.032,31 Euro, welches den Freibetrag von 7.500,- Euro nicht übersteige. Die Klägerin habe somit Anspruch auf Ausbildungsförderung ohne Anrechnung von Vermögen.
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Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Unter Vertiefung des Vortrags wurde ausgeführt, dass die angegebenen Schulden in Höhe von 5.900,- Euro nicht vermögensmindernd zu berücksichtigen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 5 C 30/07) sei für die Frage, ob ein behauptetes Darlehen anzuerkennen sei, maßgeblich, ob ein Darlehensvertrag zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden sei und dies vom insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen werden könne. Ein Nachweis über die Erkrankung des Onkels und die damit einhergehende fällig werdende Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin lägen nicht vor. Es fehlten sowohl Belege über alle behaupteten Zahlungsflüsse als auch eine plausible Erklärung über die Darlehensgewährung einschließlich deren Rückzahlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2020, in der die Eltern der Klägerin als Zeugen einvernommen wurden, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da sie einen Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum …2018 bis …2018 unter Anerkennung von Schulden gegenüber ihren Eltern in Höhe von 5.900,- Euro hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 27. Juni 2017 bestanden Schulden der Klägerin in Höhe von 5.900,- Euro, die gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG vom Vermögen der Klägerin abzuziehen waren.
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1.1 Für die Frage, ob ein behauptetes Darlehen als bestehende Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG anzuerkennen ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07 - juris Rn. 24 ff.) maßgeblich, ob ein Darlehensvertrag zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen werden kann. Die Darlehensgewähr muss dabei klar und eindeutig auch anhand der tatsächlichen Durchführung aufgrund objektiver Anhaltspunkte von einer Unterhaltsgewährung oder einer verschleierten Schenkung abgrenzbar sein (BayVGH, B.v. 2.8.2006 - 12 C 06.491 - juris Rn. 6). Weil und soweit der für den Auszubildenden förderungsrechtlich günstige Umstand, ob und in welchem Umfang er vermögensmindernde Schulden aus einem mit einem nahen Angehörigen geschlossenen Darlehensvertrag hat, seine Sphäre betrifft, hat dieser bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2010 - 5 C 2/10 - juris Rn. 14; U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07 - juris Rn. 24; U.v. 4.9.2008 - 5 C 12/08 - juris Rn. 19; ebenso BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 12 ZB 16.2557 - juris Rn. 9; VG München, U.v. 10.12.2015 - M 15 K 14.1073 - juris Rn. 27; U.v. 4.12.2014 - M 15 K 13.2799 - juris Rn. 27; VG Augsburg, U.v. 15.12.2015 - Au 3 K 15.345 - juris Rn. 47). Um der Gefahr des Missbrauchs entgegenzuwirken, ist es geboten, an den Nachweis des Abschlusses und der Ernsthaftigkeit der Verträge strenge Anforderungen zu stellen. Zur Klärung der Frage, ob ein wirksamer Vertrag geschlossen worden ist und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat, sind alle Umstände des Einzelfalles sorgsam zu ermitteln und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung umfassend zu würdigen. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es gerechtfertigt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (vgl. BVerfG, B.v. 7.11.1995 - 2 BvR 802/90 - BB 1995, 2624/2625 m.w.N.).
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Eine Vereinbarung unter Angehörigen muss nicht zwingend einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne standhalten, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden - insbesondere mit einem Kreditinstitut - Üblichen zu entsprechen haben (zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vgl. BFH B.v. 25.6.2002 - X B 30/01 - BFH/NV 2002, 1303). Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten kann jedoch als ein Indiz für den Vertragsschluss gewertet werden. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden. Gleiches gilt, wenn ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden kann oder der bezeichnete Grund nicht dazu geeignet ist, eine genügende Abgrenzung gegenüber einer Schenkung oder einer freiwilligen Unterstützung bzw. Unterhaltszahlung zu ermöglichen. Zweifel am Vertragsschluss können ferner berechtigt sein oder bestätigt werden, wenn die Durchführung des Darlehensvertrages nicht den Vereinbarungen entspricht und die Abweichung nicht nachvollziehbar begründet werden kann. Ebenso lässt es sich als Indiz gegen einen wirksamen Vertragsschluss werten, wenn der Auszubildende eine etwaige Darlehensverpflichtung nicht von vornherein in seinem Antragsformular bezeichnet, sondern gewissermaßen zum Zwecke der Saldierung erst angegeben hat, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, anrechenbares Vermögen zu besitzen. Dagegen kann es für das Vorliegen eines beachtlichen Darlehensverhältnisses während eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums sprechen, wenn das Darlehen bereits zu dem Zeitpunkt zurückgezahlt worden war, zu dem es der Auszubildende zum ersten Mal offenlegte und sich damit erstmals die Frage seiner ausbildungsförderungsrechtlichen Anrechnung stellte (BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 30/07 - juris Rn. 27; vgl. a. BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 12 ZB 16.2557 - juris Rn. 9).
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1.2 Gemessen an diesen von der Rechtsprechung entwickelten hohen Anforderungen wurde nach umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen und der glaubhaften Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung, zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass zwischen der Klägerin und ihren Eltern ein Darlehensvertrag bestand und die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum Schulden in Höhe von 5.900,- Euro hatte.
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Zwar spricht gegen das Vorliegen eines wirksamen Darlehensvertrags, dass der ursprüngliche Geldfluss i.H.v. 10.000,- Euro vom Onkel an die Klägerin nicht mit Überweisungsbelegen o.Ä. nachgewiesen werden konnte und die Rechnungen bzw. Auftragsbestätigungen nur zum Teil auf die Klägerin persönlich ausgestellt waren. Letzteres konnte die Zeugin jedoch damit erklären, dass ihr Mann selber tätig geworden sei, um günstige Erwerbungen zu erreichen. Auch waren die Aussagen der Zeugen, ob sie selbst die Klägerin bei der Renovierung im Jahr 2010 finanziell unterstützt hätten, in einzelnen Punkten widersprüchlich, was jedoch aufgrund des lange zurückliegenden Zeitraums erklärlich ist und nicht dazu führt, dass die Aussagen der Zeugen insgesamt als unglaubhaft anzusehen wären.
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Im Übrigen wurde der Sachverhalt von den Zeugen in den wesentlichen Gesichtspunkten sicher und widerspruchsfrei und insbesondere von der Zeugin unter detailreicher Erläuterung der Motive und Hintergründe nachvollziehbar vorgetragen. So wurden die Umstände der ursprünglichen darlehensweisen Unterstützung der Klägerin durch ihren Onkel, um den Einzug in eine günstige, aber stark renovierungsbedürftige Genossenschaftswohnung zu ermöglichen, von den Zeugen überzeugend erläutert. Das gleiche gilt für die Schilderung der Hintergründe der Übernahme der Darlehensschuld durch die Eltern, wonach der Onkel nach einer Gehirn-Operation als vorübergehender Vollpflegefall das Geld möglicherweise schnell benötigt hätte - was letztlich doch nicht eingetreten sei - und wozu die in Ausbildung befindliche Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre. Auch die Vereinbarungen zur Sicherung und Rückzahlung, zur zwischenzeitlichen Erhöhung der Darlehenssumme insbesondere aufgrund medizinischer Aufwendungen der Klägerin, was sich auch aus den Angaben in der vorgelegten „Ergänzung zum Darlehensvertrag“ ergibt, und die entsprechende tatsächliche Durchführung des Darlehensvertrages wurden nachvollziehbar und ohne Widersprüche dargelegt. Überdies schilderten die Zeugen übereinstimmend ein vergleichbares Vorgehen in Hinblick auf den Bruder der Klägerin, dem sie ein Darlehen zur Finanzierung einer Küche gewährt hätten, welches derzeit in monatlichen Raten zurückbezahlt werde.
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits bei der Antragstellung für den Bewilligungszeitraum …2016 bis …2017 - und nicht erst auf entsprechende Aufforderung des Beklagten nach Feststellung von anzurechnendem Vermögen - angab, Schulden in Höhe von 10.000,- Euro gegenüber ihrem Onkel zu haben und eine entsprechende von der Klägerin und ihrem Onkel unterschriebene Bestätigung vorlegte. Auch bei den Antragstellungen für den Folgebewilligungszeitraum sowie den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum gab die Klägerin die Schulden von nunmehr 5.900,- Euro gegenüber ihren Eltern an und legte einen Darlehensvertrag nebst Ergänzung vor. Hierdurch konnte der zeitliche Ablauf nachvollzogen werden, obwohl die genannten Dokumente nicht mit einem Datum versehen waren. Überdies spricht auch die vor Offenlegung dieses Darlehensvertrags erfolgte - durch entsprechende Kontoauszüge nachgewiesene - Teilrückzahlung der Klägerin an ihre Eltern nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Vorliegen eines beachtlichen Darlehensverhältnisses.
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2. Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.