Inhalt

VG München, Urteil v. 27.05.2020 – M 15 K 19.5222
Titel:

Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses

Normenketten:
GVG § 17a Abs. 2 S. 3
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
SGB XI § 121 Abs. 1 Nr. 6
OWiG § 68 Abs. 1, § 69 Abs. 3
Leitsatz:
Ein Verweisungsbeschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlerhafte Rechtswegverweisung, Unzulässigkeit der Klage wegen Versäumen der Klagefrist, Forderung (Bußgeld), Bußgeldverfahren, Ordnungswidrigkeit, private Pflegeversicherung, Beitragszahlung, Säumnis, Verweisung, Verwaltungsrechtsweg
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19489

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bußgeldbescheids vom *. Januar 2019 und Rücküberweisung des von ihr entrichteten Bußgeldes nebst Verfahrenskosten in Höhe von 328,50 €.
2
Die Bayerische Beamtenkrankenkasse AG teilte dem Bundesversicherungsamt durch Schreiben vom … Oktober 2018 mit, dass sich die Klägerin seit dem
*. Mai 2018 mit der Zahlung ihrer Beiträge zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 166,38 € im Rückstand befinde. Daraufhin leitete die Beklagte am
*. November 2018 ein Bußgeldverfahren gegen die Klägerin ein, da die Nichtzahlung der Beiträge zur privaten Pflegeversicherung den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 121 Abs. 1 Ziffer 6 SGB XI erfülle, die gemäß § 121 Abs. 2 SGB XI mit einer Geldbuße bis zu 2.500,00 € geahndet werden könne. Gleichzeitig wurde der Klägerin die Möglichkeit gegeben, sich innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens zu der erhobenen Anschuldigung zu äußern. Eine Äußerung der Klägerin erfolgte nicht.
3
Mit Bescheid vom *. Januar 2019 - der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 9 der Behördenakte) zugestellt am … Januar 2019 - wurde gegen die Klägerin ein Bußgeld in Höhe von 300,00 € festgesetzt, ferner wurden ihr die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) in Höhe von 28,50 € auferlegt.
4
Am *. Juni 2019 beantragte die Beklagte beim Amtsgericht München die Anordnung einer Erzwingungshaft gegen die Klägerin. Zur Begründung führte sie aus, dass der Bußgeldbescheid vom *. Januar 2019 seit dem … Januar 2019 rechtskräftig sei. Weiter habe die Klägerin weder die Geldbuße entrichtet noch Zahlungsunfähigkeit geltend gemacht. Auch sonst seien keine Umstände bekannt geworden, die eine Zahlungsunfähigkeit der Klägerin ergeben würden (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG). Aus den Akten der Beklagten seien keine diesbezüglichen Tatsachen ersichtlich, insbesondere habe die Klägerin im Bußgeld- bzw. Vollstreckungsverfahren keine Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht. Es sei daher davon auszugehen, dass die Klägerin zahlungsunwillig sei. Mit Beschluss vom … Juni 2019 ordnete das Amtsgericht München gegen die Klägerin gemäß § 96 OWiG eine Erzwingungshaft von sechs Tagen an.
5
Die Klägerin teilte der Beklagten am … Juni 2019 schriftlich mit, sie habe den Bußgeldbescheid vom 9* Januar 2019 nicht erhalten, woraufhin ihr am gleichen Tage eine Ausfertigung des Bußgeldbescheides übergeben wurde. Mit Buchungsdatum vom … Juni 2019 bezahlte die Klägerin das Bußgeld unter Vorbehalt.
6
Der Erzwingungshaftbeschluss des Amtsgerichts München wurde mit Beschluss vom … Juli 2019 aufgehoben.
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Am … Juli 2019 erhob die Klägerin Klage beim Amtsgericht München (Abteilung für allgemeine Zivilsachen) und beantragte die ersatzlose Aufhebung des Bußgeldbescheides vom *. Januar 2019 über den Betrag von 328,50 € sowie die Rücküberweisung des mit Buchungsdatum … Juni 2019 überwiesenen Betrages. Zur Begründung führte sie aus, dass sie ihre private Pflegeversicherung gekündigt habe und daher nicht mehr zur Leistung von Beiträgen verpflichtet gewesen sei. Zudem sei die Beklagte nicht für die Verfolgung der ihr zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit zuständig. Auch erfülle die Nichtzahlung von Beiträgen zur privaten Pflegeversicherung nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Weiter habe sie festgestellt, dass der Bußgeldbescheid vor der Mitteilung über die Einleitung eines Bußgeldverfahrens ergangen sei; der Bußgeldbescheid sei daher wohl nichtig. Als Finanzbeamtin des Freistaats Bayern sei sie nach § 6 SGB V versicherungsfrei. Nur wenn ein Vertrag über eine private Krankenversicherung bestehe, sei nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XI ein beihilfekonformer Pflegeversicherungsvertrag abzuschließen. Sie habe ihren Krankenversicherungsvertrag bei der Bayerischen Beamtenkrankenkasse AG am … September 2017 gekündigt, weshalb auch ihre Pflicht zum Abschluss einer privaten Pflegeversicherung entfallen sei.
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Das Amtsgericht München erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten durch Beschluss vom *. September 2019 für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München.
Die Beklagte stellte keinen Antrag, verwies aber darauf, dass nach ihrer Ansicht wegen §§ 68 Abs. 1, 69 Abs. 3 OWiG das Verwaltungsgericht nicht zuständig und die Verweisung nicht fachgerecht sei. Im Übrigen sei der Rechtsweg in dem gegenständlichen Verfahren bereits ausgeschöpft (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG). Die Zuständigkeit der Beklagten für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ergebe sich aus § 121 Abs. 1 Ziffer 6 SGB XI in Verbindung mit §§ 35 und 37 OWiG. Der Bußgeldbescheid sei am … Juni 2019 bezahlt worden und rechtskräftig, da ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen habe.
9
Die Klägerin stellte mit am … Dezember 2019 bei Gericht eingegangenem Schreiben einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Beklagte (Az. M 15 E 19.6158).
10
Mit gerichtlichem Schreiben vom *. Februar 2020 wurde die Klägerin unter Fristsetzung bis zum … Februar 2020 gebeten, mitzuteilen, ob angesichts der geringen Erfolgsaussichten die Klage zurückgenommen werde. Die Klägerin teilte mit bei Gericht am … Februar 2020 eingegangenem Schreiben mit, dass die Klage aufrechterhalten bleibe.
11
Im Eilverfahren teilte die Beklagte erstmals mit Schreiben vom … März 2020 mit, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom … Juni 2019 verspätet Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom *. Januar 2019 eingelegt habe, welcher am … März 2020 durch die Beklagte als unzulässig verworfen worden und seit dem *. April 2020 rechtskräftig sei.
12
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde mit Beschluss vom … April 2020 abgelehnt.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss der Kammer vom … April 2020 (Az. M 15 E 19.6158), die Gerichtsakten in diesem Verfahren, auf die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am … Mai 2020 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

14
Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung entschieden werden, obwohl die Klägerin nicht erschienen ist. Denn in der Ladung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens eines der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
15
1. Über die Klage war auf dem Verwaltungsrechtsweg zu entscheiden. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist der Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. Auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer vom … April 2020 wird insoweit verwiesen.
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2. Die Klage ist unzulässig, weil die Klagefrist im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen war.
17
Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Die Klagefrist endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Halbs. 1 BGB mit Ablauf des … Februar 2019, da der Klägerin der angegriffene Bußgeldbescheid vom *. Januar 2019 laut Postzustellungsurkunde am … Januar 2019 zugestellt worden war. Die am … Juli 2019 erhobene Klage ist damit verfristet.
18
Gründe für eine Wiedereinsetzung (§ 60 Abs. 1 VwGO), gegebenenfalls auch von Amts wegen (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO), wurden nicht vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO) und sind auch sonst nicht erkennbar.
19
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.