Titel:
Gefährdung der Verkehrssicherheit durch Werbeanlage
Normenkette:
BayBO Art. 14 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs wird bereits dann - konkret - gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder - anders ausgedrückt - „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Annahme einer Gefahrenlage genügt daher die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werbeanlage (zweiseitig, beleuchtet, auf Monofuß), Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Baugenehmigung, konkrete Gefahr, hinreichende Wahrscheinlichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19394
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung für eine Werbeanlage.
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Mit am 24. Mai 2019 unterschriebenem Formblatt beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Errichtung einer Werbeanlage für wechselnde Fremdwerbung“ auf dem Grundstück Fl.Nr., Gemarkung ... (...). Die Werbetafel soll auf einem 2,50 m hohen Monofuß, zweiseitig und beleuchtet errichtet werden. Die Werbefläche beträgt 2,56 m x 3,60 m (Innenmaße, H x B). Das Vorhabengrundstück liegt in unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BauGB.
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Mit Schreiben vom 12. August 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei. Eine faktische Baugrenze werde überschritten; zudem werde nach einer Mitteilung der Polizeiinspektion ... die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt.
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Darauf reichte die Klägerin einen geänderten Plan bei der Beklagten ein, wonach die Werbeanlage weiter Richtung Südwesten, näher beim Gebäude, errichtet werden soll.
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Mit Schreiben vom 14. November 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass auch für den veränderten Standort keine Baugenehmigung erteilt werden könne.
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Hierauf nahm der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 Stellung und führte im Einzelnen aus, dass eine faktische Baugrenze weder vorliege noch eine solche überschritten werde. Zudem würden Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt.
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Hierauf begründete die Polizeiinspektion ... mit Schreiben vom 15. Januar 2020 nochmals das Vorliegen einer Verkehrsgefährdung.
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Mit Bescheid vom 24. Januar 2020 lehnte die Beklagte die Erteilung einer Baugenehmigung ab.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Vorhaben hinsichtlich der Grundstückfläche, die überbaut werden solle, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB einfüge. Die für eine faktische Baugrenze nötige, verfestigte städtebauliche Situation liege entlang der ... Straße vor. Auf den Grundstücken westlich der ... Straße, Hausnummer ... bis, bzw. auf dem Vorhabengrundstück, die die maßgebliche nähere Umgebung bildeten, seien in den vorderen Grundstücksbereichen jenseits einer Bebauungstiefe von mindestens ca. 3,90 m durchgehend keine baulichen Anlagen vorhanden.
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Dem Vorhaben stünden auch bauordnungsrechtliche Belange entgegen. Entgegen Art. 14 Abs. 2 BayBO werde die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs gefährdet. Zwar seien in einem innerörtlichen Bereich Verkehrsteilnehmer an das Vorhandensein von Werbeanlagen gewohnt. Werbeanlagen würden aber insbesondere dann wahrgenommen, wenn der Verkehr stocke oder gar vollständig zum Erliegen komme. Zudem seien in den Jahren 2017 bis 2019 bereits drei Verkehrsunfälle mit Personenschäden aktenkundig geworden. Das Hinzutreten einer Werbeanlage im fraglichen Bereich lasse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Mehrung von Verkehrsunfällen mit Sach- und Personenschäden ernsthaft befürchten. Die ... fungiere gerade für Fahrradfahrer als eine Hauptachse in die M. Altstadt. Die ... Straße als Vorfahrtsstraße teile sich unmittelbar vor der Kreuzung in einen Linkssowie einen kombinierbaren Geradeaus-/Rechtsabbiegerstreifen, mit zwei Haltelinien direkt vor der lichtzeichengeregelten Fußgängerfurt. Die Werbeanlage solle unmittelbar neben dem westlichen Gehweg der ... Straße ca. 15 m vor der Ampelanlage zur kreuzenden ... in Fahrtrichtung Norden linksseitig quer zur Straße angebracht werden. Auf Grund dieses Standorts wirke die Werbeanlage in den Kreuzungsbereich nicht nur unerheblich ein. Auch nach der Umplanung sei die Werbeanlage nicht deutlich vom Kreuzungsbereich abgesetzt. Die Werbeanlage ziehe die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf sich und lenke vom eigentlichen Verkehrsgeschehen ab. Die Gefahr z. B. von Auffahrunfällen steige, da Fahrzeuge vor der auf gelb bzw. rot umschaltenden Ampel oft sehr scharf abbremsten oder abbremsen müssten, um kreuzende Fußgänger/Radfahrer auf der Straße oder Fußgängerfurt durchzulassen. Des Weiteren steige die Gefahr von Unfällen auf Grund des ablenkungsbedingten zu späten Erkennens des Rotlichts mit der Gefährdung des grün bekommenden Querverkehrs und der die ... Straße querenden Radfahrer und Fußgänger. Da im vorliegenden Fall Ampelanlagen und Fußgängerüberwege vorhanden seien, bestehe die Gefahr, dass Auffahrunfälle durch eine Minderung der Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers infolge einer Ablenkung nicht unwahrscheinlich erschienen. Bereits durch einen kurzen, nur zwei Sekunden langen Blick auf die Werbetafel würde ein Fahrzeugführer bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h ca. 28 m zurücklegen. Hinzu komme noch der Bremsweg von ca. 14 m bei trockener und ca. 24 m bei nasser Fahrbahn.
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Sowohl die ... Straße als auch die ... würden auf Grund der Nähe mehrerer Grund-, Mittel- und Berufsschulen auch als Schulweg von verkehrsschwächeren Kindern und Jugendlichen benutzt, die dort zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs seien. Insbesondere steige durch die Werbeanlage auch die ablenkungsbedingte Gefahr für Kinder und Jugendliche, die sich bekanntlich nicht immer verkehrsgerecht verhielten, weshalb hier eine besondere Aufmerksamkeit durch die Kraftfahrzeugführer gefordert sei. Vor dem Hintergrund bereits aktenkundiger Verkehrsunfälle mit Personenschaden sei im streitgegenständlichen Kreuzungsbereich die Schaffung einer weiteren nicht unerheblichen Gefahrenquelle in Form einer beleuchteten Werbeanlage nicht mit Art. 14 BayBO in Einklang zu bringen.
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Eine Würdigung im Lichte von Art. 12 GG auf Tatbestandseite führe zu keinem anderen Ergebnis.
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Die Klägerin ließ am 24. Februar 2020 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 24.1.2020 zu verpflichten, der Klägerin die mit Bauantrag vom 24.5.2019 beantragte Baugenehmigung für die Errichtung einer statischen, beleuchteten Werbetafel auf Monofuß in den im Bauantrag genannten Maßen am Standort, ..., zu erteilen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich das Vorhaben hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung einfüge. Die nähere Umgebung sei als faktisches Mischgebiet zu qualifizieren, so dass sich das Vorhaben gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO als zulässig erweise.
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Entgegen der Annahme der Beklagten liege eine faktische Baugrenze weder vor, noch sei eine solche überschritten. Unter Berufung auf bzw. Wiedergabe einschlägiger Rechtsprechung wurde ausgeführt, dass vorliegend die Bebauung in der Umgebung lediglich ein Zufallsprodukt ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert darstelle. In der gesamten Umgebung sei Bebauung bis an die Verkehrsflächen anzutreffen. Für die Annahme einer faktischen Baugrenze müssten wegen der einschränkenden Wirkung auf das Grundeigentum hinreichende Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation bestehen. Bei einer höchst unterschiedlichen Bebauung ohne gemeinsame vordere oder hintere Gebäudeflucht könne von einer faktischen vorderen bzw. rückwärtigen Baugrenze nicht gesprochen werden. Eine solche Situation liege hier vor. Die Beklagte habe den Rahmen für die Beurteilung des Vorliegens einer etwaigen faktischen Baugrenze deutlich zu eng gezogen. Die Festlegung der näheren Umgebung sei einzelfallabhängig durchzuführen. Vorliegend befänden sich in der näheren Umgebung diverse gewerbliche und weitere Hauptnutzungen, die sich bis an die Verkehrsflächen erstreckten. Eine trennende Wirkung zwischen den hier in Betracht kommenden Bereichen sei nicht anzunehmen. Die Bereiche hätten zudem zusätzlich eine prägende Sichtbeziehung.
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Auch werde die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gemäß Art. 14 Abs. 2 BayBO durch das beantragte Vorhaben nicht beeinträchtigt. In einem innerörtlichen, gewerblich geprägten Bereich wie hier seien die Verkehrsteilnehmer an das Vorhandensein von Werbeanlagen gewöhnt. Eine gewisse Ablenkungswirkung von Werbeanlagen für die Verkehrsteilnehmer bestehe letztlich immer. Insbesondere angesichts der erlaubten Fahrgeschwindigkeit innerorts von maximal 50 km/h sei die Sicherheit des Verkehrs grundsätzlich nicht merklich beeinträchtigt. Ein der StVO nicht entsprechendes Verhalten der Verkehrsteilnehmer könne der Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens nicht zu Grunde gelegt werden.
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Bei dem Bereich um den Vorhabenstandort handele es sich auch nicht um einen Unfallschwerpunkt oder um einen Unfallgefahrenpunkt. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte, dass die streitgegenständliche Werbeanlage die Verkehrssicherheit spürbar verschlechtern könne. Angesichts der ohnehin vorhandenen Werbungen, die auf den Straßenverkehr bereits einwirkten, erscheine es auch nicht als realistisch, dass die Verkehrssicherheit in diesem Bereich durch eine weitere Werbeanlage sinken würde.
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Schließlich seien auch die Verkehrsverhältnisse im Umgriff des Vorhabens nicht von einer derartigen Schwierigkeit, dass es die Verkehrssicherheit erfordern würde, die streitgegenständliche Werbeanlage abzulehnen. Die kreuzenden Straßen stellten sich als gerade Strecken ohne Kurvenführung dar, was es den Verkehrsteilnehmern ermögliche, den Verkehr über eine große Entfernung zu beobachten und sich auf die Gefahrensituation einzustellen. Es sei nicht zu erwarten, dass etwa die Sichtverhältnisse durch die Werbeanlage, die quer zur Straßenachse eingerückt errichtet werden solle, unzumutbar erschwert würden.
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Im hier beachtlichen Straßenabschnitt seien die verschiedenen Nutzungen der Straße zudem klar durch die Einrichtung verschiedener Fahrstreifen voneinander abgegrenzt. Der Kreuzungsbereich sei großzügig ausgebaut und gut einsehbar. Auch wenn im Kreuzungsbereich eine gewisse Sorgfalt der Verkehrsteilnehmer geboten sei, handle es sich keineswegs um eine völlig außergewöhnliche oder verkehrsmäßig besonders schwierige Situation. Hierbei sei vom durchschnittlichen Fahrzeugführer ohne weiteres zu verlangen, dass er seine Aufmerksamkeit in Kreuzungsbereichen auf andere Verkehrsteilnehmer richte, die die Kreuzungen in unterschiedlichen Formen passierten. Hinzu komme, dass sich die Verkehrsbelastung der sich kreuzenden Straßen in Grenzen halte. Über den üblichen Durchgangsverkehr hinaus liege keine übermäßige Frequentierung und starke Verkehrsbelastung der Straße vor. Die Ausstattung der Kreuzung mit Lichtzeichenanlagen beruhige das verkehrliche Umfeld weiter und führe zu einer Reduzierung der Geschwindigkeit des Verkehrsflusses, wodurch die Verkehrsteilnehmer ausreichend Zeit hätten, sich auf die verkehrliche Situation einzustellen und diese zu überblicken.
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Zu beachten sei auch, dass es sich um eine Werbeanlage ohne Bildwechsel handle, für die nur ausnahmsweise eine verkehrsgefährdende Wirkung angenommen werde. Verkehrsteilnehmer im modernen Stadtverkehr seien ständig Werbung aller Art ausgesetzt, es werde also von Werbeanlagen ohne Bildwechsel in der Regel keine Ablenkung und damit keine verkehrsgefährdende Wirkung ausgehen. Eine besondere Auffälligkeit der Gestaltung der Plakatanschlagtafel oder auch eine besondere verkehrliche Situation, die zu einer anderen Einschätzung zwingen würden, sei nicht feststellbar.
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Die Werbetafel sei deutlich vom Kreuzungsbereich abgesetzt geplant. Sie befinde sich in einem Bereich, der mehrere Meter deutlich von der Stelle abgerückt sei, an der der vorfahrtgewährende Verkehrsteilnehmer anzuhalten habe. Angesichts der erkennbaren Bevorrechtigung der jeweiligen Straßen und der dieses Verhältnis verdeutlichenden Vorfahrtsschilder sei in einem innerörtlichen Bereich regelmäßig anzutreffende Werbeanlage nicht geeignet, die Wirkung der Schilder zu mindern. Es handle sich um ein vollkommen durchschnittlich, wenn nicht gar weit unterdurchschnittlich anspruchsvollen Kreuzungsbereich, der dem Durchschnittverkehrsteilnehmer keine außerordentlichen Anforderungen abverlange. Nicht auf besonders bemittelte oder minderbemittelte Verkehrsteilnehmer sei abzustellen, sondern auf den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer, der sich nach den geltenden Verkehrsregeln richte. Eine allzu pessimistische Einschätzung im Hinblick auf das Wahrnehmungsvermögen der Bevölkerung sei nicht angezeigt, die im Übrigen insbesondere innerorts bereits an den Anblick von Wirtschaftswerbung in vielerlei Ausgestaltungsvarianten und erst recht an einfache, statische Plakatanschlagtafeln gewöhnt sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Klägervorbringen wird auf den am 24. Februar 2020 bei Gericht eingegangenen Klageschriftsatz (Datum 18.6.2019) Bezug genommen.
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Die Beklagte trat mit Schreiben vom 25. März 2020 der Klage entgegen; für sie ist beantragt,
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Im Wesentlichen wurden die Argumente aus dem Ablehnungsbescheid wiederholt und vertieft. Eine faktische Baugrenze liege vor, die auch überschritten werde. Auf den einschlägigen Grundstücken westlich der ... Straße Hausnr. ... - ... bzw. auf dem Vorhabengrundstück seien jenseits einer Bebauungstiefe von mindestens 3,90 m durchgehend keine baulichen Anlagen vorhanden. Auf dem Vorhabengrundstück selbst betrage die Entfernung zur ... Straße am engsten Punkt 4,90 m. In Richtung Süden sei auf dem Vorhabengrundstück die Bebauung noch weiter vom öffentlichen Straßenraum zurückversetzt. Im Ergebnis hielten alle Gebäude westlich der ... Straße im maßgeblichen Umgriff einen klaren Mindestabstand im öffentlichen Straßenraum ein. Die Werbeanlage überschreite die vorhandene Baugrenze, auch wenn sie nach der Umplanung in ca. 3 m Entfernung von der östlichen Grundstücksgrenze aufgestellt würde. Das Vorhaben löse darüber hinaus städtebauliche Spannungen aus und verletze das bauplanungsrechtliche Einfügensgebot. Wie sich aus der von der Klägerin vorgelegten Fotomontage ergebe, wirke die Werbeanlage als erstes Vorhaben dieser Art und Dimension als in der Umgebung vorbildloser Fremdkörper, der in keiner harmonischen Beziehung zur vorhandenen Bebauung trete und stattdessen die gegebene Situation nachhaltig in Bewegung bringen und bewältigungsbedürftige Spannungen auslösen würde.
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Zudem seien gem. Art. 14 Abs. 2 BayBO Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs gefährdet.
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Die Polizeiinspektion ... habe in ihren Stellungnahmen vom 2. August 2019, 8. November 2019 sowie 15. Januar 2020 eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bejaht. Hierzu wurde im Weiteren das Vorbringen aus dem Ablehnungsbescheid wiederholt und vertieft.
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Am 7. Juli 2020 fand ein Augenscheinstermin des Berichterstatters statt. Dort verzichteten Klägerin und Beklagte übereinstimmend auf mündliche Verhandlung. Auf die schriftsätzlich gestellten Anträge wurde verwiesen, seitens der Klägerin mit der Maßgabe, dass die am 17. September 2019 bei der Beklagten eingegangene Planzeichnung maßgeblich sei. Die Beklagte erklärte sich, wie bereits die Klägerseite, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 24. Juli 2020 ließ die Klägerin weiter vortragen. Hinsichtlich faktischer vorderer Baugrenzen sei entsprechend dem Rechtsgedanken des § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO die vorhandene Bebauungstiefe von der tatsächlichen Grenze der jeweils als Erschließungsstraße gewählten öffentlichen Straße aus in Orientierung an dem jeweiligen Straßenverlauf zu ermitteln. Das beantragte Vorhaben befinde sich auf einem Eckgrundstück zwischen ... und ... Straße. Bei Eckgrundstücken kämen u. U. mehrere Straßengrenzen in Frage. Bei einem Grundstück, das an eine Straße, im Übrigen aber lediglich an Fußwege angrenze, sei für die Bestimmung der tatsächlichen Straßengrenze im Sinne von § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO die Straße maßgebend, von der das Grundstück erschlossen und der es seiner Bezeichnung nach zugeordnet sei. Das Vorhabengrundstück sei in seiner Bezeichnung nach der ... zugeordnet und werde auch über diese erschlossen. In der ... erstrecke sich sämtliche Bebauung an die Grundstücksgrenze, sodass das Vorhaben den maßgeblichen Rahmen einhalte. Das Vorhaben halte aber auch den Rahmen der ... Straße ein. Vorliegend umfasse die nähere Umgebung auch den Bereich unmittelbar gegenüber vom Bauvorhaben. Zudem erstrecke sich die Bebauung auf dem Eckgrundstück ... Str. ... mit der Ecke des Gebäudes bis an die Grundstücksgrenze, so dass bereits von keiner Überschreitung einer faktischen Baugrenze durch das Vorhaben auszugehen sei. Die Entfernung des geplanten Standorts von dem Gebäude auf dem Eckgrundstück ... Str. ... betrage ca. 150 m; auch sei eine Sichtbeziehung vorhanden. Das auf dem Grundstück der Sparkasse befindliche Eckgebäude werde über die ... erschlossen. Der Eingang befinde sich auf der Nordseite des Gebäudes. Maßgeblich sei dementsprechend die Bebauung entlang der .... Das Gebäude erstrecke sich zudem mit einer Länge von ca. 40 m entlang der ... und nur mit einer Länge von ca. 15 m entlang der ... Straße. Die gesamten Gebäude im Kreuzungsbereich erstrecke sich bis an die Grundstücksgrenze, so dass der vorgegebene Rahmen eingehalten werde. Das Gebäude ... Straße erstrecke sich zudem bis an die Grundstücksgrenze zur ... Straße. Das Gebäude befinde sich in ca. 150 m Entfernung zum Bauvorhaben. Der Abstand des Gebäudes an der Ecke betrage Null Meter zur Grundstücksgrenze an der ... Straße.
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Das Vorhaben werde auch keine Verkehrsgefährdung hervorrufen. Die im Augenscheinstermin vorgebrachten Anmerkungen der Polizei rechtfertigten keine andere Bewertung. Die Polizei habe vorrangig andere Maßnahmen zu ergreifen, wie eine durchgezogene Linie, Zebrastreifen, Warnschilder, bevor durch Nutzungsverbote massiv in die Grundrechte der Grundstückseigentümer eingegriffen werde. Zudem habe auch der ...-Supermarkt ein Werbeschild, das auf der Seite der in ca. 60 m entfernten auf der anderen Straßenseite vom Vorhaben befindlichen Bushaltestelle unmittelbar an der Grundstücksgrenze stehe und bei dem augenscheinlich keine Bedenken bestünden. Das Vorhaben sei zudem deutlich vom Kreuzungsbereich abgesetzt und werde keine Ablenkung hervorrufen. Verkehrsteilnehmer seien im innerörtlichen Verkehr an Werbung entlang der Straßen gewöhnt und würden nicht in einer relevanten Art und Weise durch einfache statische Werbeplakate abgelenkt.
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Die Beklagte trug mit Schreiben vom 28. Juli 2020 weiter vor. In einem ähnlich gelagerten Fall habe der Bayerische Verwaltungsgerichthof eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs für eine Werbeanlage in unmittelbarer Nähe des Aufstellungsorts zu einer lichtzeichengeregelten Einmündung mit einem parallel verlaufenden Geh- und Radweg sowie zu einer (Schul-)Bushaltestelle bejaht. Zudem sei anders als im vorliegenden Fall die Werbeanlage nur mit einem Winkel von 45 Grad zur Verkehrsfläche aufgestellt worden. Eine besondere Gefahr der Ablenkung ergebe sich insbesondere für die Verkehrsteilnehmer der ... Straße in Richtung Norden, da sich die Werbeanlage nur wenige Meter von der Kreuzung linkseitig quer zur Straße stehe und dort - auf den Stellplätzen befindlich - sofort ins Auge steche.
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Des Weiteren wurden die bisherigen Argumente aus Ablehnungsbescheid und Klageerwiderung wiederholt und vertieft.
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Mit Schriftsätzen vom 5. August 2020 wiederholten und vertieften Klage- und Beklagtenpartei nochmals ihrer gegensätzlichen Standpunkte, insbesondere unter Auseinandersetzung mit den Argumenten der jeweiligen Gegenpartei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten insbesondere nochmals auf die gewechselten Schriftsätze, sowie die Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die gem. § 101 Abs. 2, § 87a Abs. 3. Abs. 2 VwGO angesichts der entsprechenden Zustimmungserklärungen der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Es kann offen bleiben, ob das Bauvorhaben Vorschriften des Bauplanungsrechts widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO). Denn das Vorhaben verstößt jedenfalls gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, auf die sich die Beklagte berufen hat (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 24. Januar 2020 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Der von der Klägerin beantragten Werbetafel steht Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf. Die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs wird nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 2 ZB 16.1288 - Rn. 4; B.v. 27.10.2011 - 15 ZB 10.2409 - juris Rn. 6; B.v. 24.2.2003 - 2 CS 02.2730 - juris Rn. 16; vgl. ferner U.v. 30.5.2018 - 2 B 18.681 - juris Rn. 24) bereits dann - konkret - gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder - anders ausgedrückt - „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. Zur Annahme einer Gefahrenlage genügt daher die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei - wie hier - um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen.
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Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt die verfahrensgegenständliche Werbeanlage bei der Gesamtwürdigung aller Umstände eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dar. Zu berücksichtigen waren dabei neben dem Vorbringen der Parteien insbesondere die Eindrücke der Augenscheinseinnahme, die mit dem Bauantrag eingereichten Lagepläne sowie der fachlichen Stellungnahmen der Polizeiinspektion, hier insbesondere vom 15. Januar 2020. Derartige Stellungnahmen sind zwar weder für die Genehmigungsbehörde noch für das Gericht bindend; sie haben jedoch namentlich angesichts der Sach- und Problemnähe der örtlichen (polizeilichen) Dienststellen eine nicht unerhebliche Aussagekraft (VG Augsburg, U.v. 31.1.2018 - Au 4 K 17.1683 - juris Rn. 25; U.v. 16.12.2015 - Au 4 K 15.869 - juris Rn. 41).
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Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass auf den ersten Blick keine sonderlich gefahrenträchtige Verkehrssituation vorzuliegen scheint: Die Straßenzüge (... von Osten und von Westen; ... Straße bzw. ... Straße von Süden bzw. von Norden) verlaufen weitgehend gerade auf den Kreuzungsbereich zu. Der Verkehr im Kreuzungsbereich ist lichtzeichengeregelt; die Frequentierung und die Verkehrsbedeutung der Straßenzüge ist nicht auffallend hoch.
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Gleichwohl liegen hier zahlreiche Umstände vor, die jedenfalls in einer Zusammenschau eine komplexe Verkehrssituation ergeben, aus welcher sich eine konkrete Gefährdung von Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bei Hinzutreten der beantragten Werbeanlage ergibt.
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Auszugehen ist zunächst davon, dass die Werbeanlage auf Grund ihres - wenn auch im Laufe des Bauantrags veränderten - Standorts und ihrer Ausrichtung in das Verkehrsgeschehen des gesamten Kreuzungsbereichs sowie zumindest der nördlich, östlich und südlich anschließenden Straßenbereiche hineinwirkt. Die Werbeanlage befindet sich nach dem klägerseits eingereichten Auszug aus dem Liegenschaftskataster (Eingang bei der Beklagten am 17.9.2019) lediglich ca. 20 m vom Schnittpunkt der ... mit der ... Straße entfernt. Zudem ist sie, praktisch senkrecht zum Straßenverlauf und erhöht auf einem Monofuß stehend, klar auf den Kreuzungsbereich ausgerichtet. Gerade die Wahrnehmbarkeit für eine möglichst große Zahl von Verkehrsteilnehmern ist offenbar auch - trotz der im Laufe des Baugenehmigungsverfahrens vorgenommenen Beantragung eines etwas weiter vom Straßenrand und von Straßenschnittpunkt versetzten Standorts - Ziel von Situierung und Ausrichtung der Anlage. Insofern muss auch berücksichtigt werden, dass einzelne Verkehrsvorgänge im hier bestehenden Kreuzungsbereich und den sich anschließenden Verkehrsbereichen nicht isoliert voneinander betrachtet werden können, sondern dass das Verkehrsgeschehen vorliegend, wie auch beim Augenschein erkennbar, miteinander verzahnt ist, so dass sich Komplexitäten und Gefahren, die in einem Teilbereich auftreten, auf angrenzende Bereiche auswirken können.
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Unter den vorliegenden Gegebenheiten ist hier insbesondere folgendes zu berücksichtigen: Die aus Richtung Norden (... Straße) kommenden Verkehrsteilnehmer haben ihre Aufmerksamkeit auf die Lichtzeichenanlage im Kreuzungsbereich zu richten; bereits auf diese Verkehrsteilnehmer wirkt die Werbeanlage auf Grund ihrer Nähe zum eigentlichen Kreuzungsbereich und ihrer Ausrichtung ein, so dass die Gefahr einer Ablenkung mit der Folge der nicht ausreichenden Beachtung der Lichtzeichenanlage besteht. In Ost-West-Richtung verläuft die ... als Fahrrad straße, welche auch zur Benutzung durch Kraftwagen und Krafträder zugelassen ist (vgl. Augenschein, Fotos 6, und 24). Dies hat zur Folge (Zeichen 244.3 der Anlage 2 zur StVO), dass für den Fahrverkehr eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gilt. Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern. Der Fahrradverkehr ist mithin dort die Regel, der Autoverkehr die Ausnahme. Schon daraus folgt, dass sich der Kraftfahrzeugverkehr in den vorherrschenden Fahrradverkehr einpassen muss (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 7.11.2006 - 2 Ss 24/05 - juris Rn. 5). Der die Fahrrad straße nutzende Kraftfahrzeugverkehr muss mithin besondere Rücksicht auf Fahrradfahrer als verkehrsschwächere Teilnehmer nehmen, was, zumal im Kreuzungsbereich, besondere Aufmerksamkeit erfordert. Dies gilt insbesondere für Abbiegevorgänge, weil diesbezüglich gesonderte Lichtzeichenregelungen vorliegend nicht vorhanden sind. Dieser besonders gebotenen Aufmerksamkeit steht die Ablenkungswirkung der geplanten Werbeanlage entgegen.
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Weiter hat die Beklagte - unter Wiedergabe der Stellungnahme der Polizeiinspektion ... vom 15. Januar 2020 - unwidersprochen vorgetragen, dass sowohl die ... Straße als auch die ... auf Grund der Nähe von mehreren Schulen als Schulweg von verkehrsschwächeren Kindern und Jugendlichen benutzt wird, die dort zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Auch dieser Umstand erfordert im Sicht- und Wirkungsbereich der fraglichen Werbeanlage eine besondere Aufmerksamkeit von den Verkehrsteilnehmern, weil bei Schulkindern nicht stets mit verkehrsgerechtem Verhalten gerechnet werden kann (BayVGH, B.v. 2.6.2020 - 2 ZB 19.220 - Rn. 5 zu VG Augsburg, U.v. 19.12.2018 - Au 4 K 18.953) und Fahrzeugführer sich gem. § 3 Abs. 2a StVO u.a. gegenüber Kindern, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten müssen, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
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Für aus Richtung Norden in die ... Straße einfahrende Verkehrsteilnehmer - sei es für die aus der ... Straße geradeaus fahrenden oder die aus der ... einbiegenden - ist zusätzlich wegen der sich auf dem Vorhabengrundstück zur ... Straße hin befindlichen Kfz-Stellplätze die volle Aufmerksamkeit vonnöten. Bei diesen Stellplätzen ist, da sich auf dem Grundstück eine Bankfiliale befindet, von öfter wechselnden Nutzern auszugehen. Ganz überwiegend fahren die Stellplatznutzer dabei rückwärts zur ... Straße aus (vgl. Augenscheinstermin, Foto 4), so dass auf der ... Straße fahrende oder in diese einbiegende Verkehrsteilnehmer auf diese Rückwärts-Ausparkvorgänge, welche sich in unmittelbarer Nähe der Werbeanlage abspielen, besonders zu achten haben. Für ab- bzw. einbiegende Verkehrsteilnehmer ist umso mehr umso mehr Aufmerksamkeit erforderlich, da - wie bereits erwähnt - die Abbiegevorgänge durch die Lichtzeichenanlage nicht gesondert geregelt sind.
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Eine komplexe Verkehrssituation ergibt sich ferner aus den Bushaltestellen in der ... Straße (vor Nr. 5 bzw. bei Nr. 4), welche sich direkt auf der Fahrbahn befinden. Zwar liegen diese unter Heranziehung des von der Klägerin eingereichten Auszugs aus dem Liegenschaftskataster ca. 40 - 50 m entfernt vom Standort der Werbeanlage. Gerade nach den beim Augenschein gewonnenen Erkenntnissen sind die Standorte der Haltestellen aber so gelegen, dass sie noch immer dem Verkehrsgeschehen im Kreuzungsbereich und dem Wirkbereich der Werbeanlage zuzuordnen sind. Ihre Situierung etwas vom eigentlichen Kreuzungsbereich weg beruht offenbar lediglich darauf, dass dort eine Behinderung des Verkehrsgeschehens (durch haltende Busse) und eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern im unmittelbaren Kreuzungsbereich nicht angenommen wurde. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass im Bereich der Bushaltestellen bereits wieder eine unproblematische Verkehrssituation vorliegen würde. Vielmehr ist die vorliegende Situation so zu bewerten, dass die Bushaltestellen in einer noch vertretbaren Entfernung zum Verkehrsgeschehen im Kreuzungsbereich situiert wurden, dass aber mit der Werbeanlage ein verkehrs- und aufmerksamkeitsbeeinflussendes Element hinzutreten würde, das geeignet ist, das Gefahrenpotenzial entscheidend zu erhöhen, zumal den Kraftfahrern im Bereich einer Bushaltestelle nicht nur zu den Zeitpunkten des Ein- und Aussteigens erhöhte Aufmerksamkeit abverlangt wird, sondern auch mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, dass Fußgänger an dieser Stelle auf die Fahrbahn treten oder die Straße queren (vgl. BayVGH, B.v. 2.6.2020 - 2 ZB 19.220 - Rn. 5). Dies gilt hier umso mehr, als die Querungsmöglichkeit an der Lichtzeichenanlage im Kreuzungsbereich bereits von den Bushaltestellen derart entfernt ist, dass es weder anzunehmen noch geboten ist, dass sämtliche Fußgänger die ... Straße an der Lichtzeichenanlage überqueren.
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Für die auf der ... Straße aus Süden kommenden Verkehrsteilnehmer ergibt sich vorliegend ein weiteres gefahrerhöhendes Potenzial aus der bereits auf Höhe der Bushaltestelle bei Nr. 5 beginnenden Linksabbiegerspur, so dass es in diesem Bereich, der ebenfalls zum Sicht- und Wirkungsbereich der Werbeanlage zu rechnen ist, zu Spurwechseln kommt, wobei für die Verkehrsteilnehmer angesichts des erst unmittelbar am Kreuzungsbereich auf der Fahrbahn angebrachten Linksabbiegerpfeils (vgl. Augenschein, Fotos 19 und 20) zu erkennen ist, dass es sich um eine solche eigene Abbiegerspur handelt. Mit Spurwechseln ist daher mit zunehmender Nähe zum Kreuzungsbereich und damit zur beantragten Werbeanlage in stärkerem Maße zu rechnen.
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In dieses Bild einer insgesamt betrachtet schon jetzt komplexen und gefahrenträchtigen Verkehrssituation fügt es sich, dass es nach der polizeilichen Stellungnahme vom 15. Januar 2020 im Kreuzungsbereich von 2017 bis 2019 zu drei registrierten Unfällen mit Personenschaden gekommen ist. Zwar weist die Klägerseite zuletzt (Schriftsatz vom 5.8.2020) nochmals auf die Aussagen der Polizei beim Augenscheinstermin hin, wonach es sich in diesem Bereich nicht um eine Unfallhäufungs- oder Unfallgefahrenstelle handelt. Für das Gericht ist jedoch nicht erkennbar, dass die Polizei damit von ihrer mehrfach begründeten und für das Gericht nachvollziehbaren Ablehnung der Werbeanlage (Stellungnahmen vom 2.8.2019, vom 8.11.2019 sowie - ausführlich - vom 15.1.2020) abgerückt ist; vielmehr handelt es sich um eine weiter differenzierende und die bisherigen Stellungnahmen einordnende Aussage der Polizei. Zudem ist nicht entscheidend, ob bereits bisher ein Unfallschwerpunkt vorliegt. Denn eine Art Probephase, ob sich bei einer Genehmigung einer Werbeanlage Unfälle mit schwerwiegenden Folgen ereignen können, verbietet sich angesichts der Gefährdung der hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit auch in Abwägung mit den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2011 - 15 ZB 10.2409 - juris Rn. 5; VG Regensburg, U.v. 17.10.2019 - RO 2 K 18.472 - juris Rn. 50).
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Ohne Erfolg wendet die Klägerseite ein, dass vorrangig andere Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit bzw. zur Absenkung der Gefahrenschwelle zu ergreifen wären, bevor ihr Bauantrag abgelehnt werden dürfe. Das Gericht kann dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 BayBO sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht entnehmen, dass zunächst das Verkehrsumfeld eines beantragten Bauvorhabens mit verkehrlichen Anordnungen und Einrichtungen derart aufbereitet werden müsste, dass bei Errichtung des Vorhabens keine nach Art. 14 Abs. 2 BayBO beachtliche Gefahr vorliegen würde. Zudem ist gem. § 45 Abs. 9 StVO die Anordnung von Verkehrszeichen und Einrichtungen an strenge Voraussetzungen geknüpft („zwingend erforderlich“); hierfür ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Hinzu kommt, dass Ansprüche Einzelner nach dieser Norm nur in Betracht kommen, wenn öffentlich-rechtlich geschützte Individualinteressen - insbesondere Gesundheit und Eigentum - als Schutzgüter der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs durch Einwirkungen des Straßenverkehrs in unzumutbarer Weise verletzt werden (vgl. Hühnermann in Burmann/Heß/ders./Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 45 StVO Rn. 4b). Auch insofern ist also ein Anspruch auf Tätigwerden der Verkehrsbehörden, um die baurechtliche Zulässigkeit der Werbeanlage zu ermöglichen, nicht gegeben.
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Vor diesem Hintergrund kann auch aus dem Umstand, dass bisher keine weiteren Maßnahmen zur Regelung des Verkehrsgeschehens ergriffen worden sind (z.B. durchgezogene Linie; Geschwindigkeitsbeschränkung) nichts zu Gunsten des klägerischen Vorhabens abgeleitet werden. Zudem steht vorliegend nicht in Rede, ob bereits eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bzw. eine Gefahrenlage vorliegt, die Anordnungen nach § 45 Abs. 9 StVO erlauben würde, sondern, ob eine solche Gefahr bei Hinzutreten der Anlage der Klägerin eintreten würde. Wie ausgeführt, braucht auch keine „Probephase“ durchgeführt werden, ob sich bei Errichtung der Anlage schwerwiegende Unfälle ereignen, auf die anschließend mit den Mitteln insbesondere des Straßenverkehrsrechts reagiert werden müsste.
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Das klägerseits weiter angeführte Werbeschild des ...-Supermarktes ist mit dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht vergleichbar. Es ist kleiner und niedriger als die beantragte Werbeanlage sowie unbeleuchtet. Zudem handelt es sich nicht um eine Anlage für wechselnde Fremdwerbung, sondern um ein dem Supermarkt zugeordnetes Hinweisschild. Vorsorglich ist weiter zu erwähnen, dass die im Bereich dieses Supermarkts befindliche Werbeanlage (vgl. Augenschein, Foto 17) mit der vorliegend beantragten ebenfalls nicht vergleichbar ist; sie ist niedriger, unbeleuchtet und zudem parallel zur Fahrbahn angeordnet, was ihre Wirkungsweise und ihren Wirkungskreis deutlich einschränkt. Vorsorglich ist schließlich zu den westlich der Kreuzung in der ... befindlichen Werbeanlagen (vgl. Augenschein, Foto 25) zu bemerken, dass auch diese niedriger, unbeleuchtet und parallel zur Fahrbahn errichtet wurden und insoweit ebenfalls nicht mit der streitgegenständlichen Anlage vergleichbar sind. Insbesondere aber befinden sich diese an einem anderen Standort, so dass hier auch nicht etwa entscheidend eine Vorbelastung durch andere Werbeanlagen vorliegt und die Ablenkungsgefahr durch die vorliegend beantragte Anlage nicht merklich gesteigert würde (vgl. dazu BayVGH, B.v. 30.7.2012 - 9 ZB 11.2280 - juris Rn. 12).
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Unter Berücksichtigung all dessen fällt bei der gebotenen Gesamtwürdigung hier nicht maßgeblich ins Gewicht, dass Verkehrsteilnehmer grundsätzlich in innerörtlichen, gewerblich geprägten Lagen an das Vorhandensein von Werbeanlagen gewöhnt sind und dass es sich um eine Werbeanlage ohne fortlaufenden Bildwechsel handelt. Die vorliegend in Rechnung stellenden Umstände, insbesondere hinsichtlich der Komplexität und Gefahrenträchtigkeit der Verkehrssituation, reichen aus, um auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte eine Gefährdung i.S.d. Art. 14 Abs. 2 BayBO anzunehmen.
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Ergänzend wird gem. § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des Ablehnungsbescheids vom 24. Januar 2020 betreffend die Ausführungen zu Art. 14 Abs. 2 BayBO (unter Nr. 6, S. 5 f.) Bezug genommen. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken, dass die dort (S. 6, unter Buchst. d) wiedergegebene - und beim Augenscheinstermin wiederholte - Angabe der Polizei aus der Stellungnahme vom 15. Januar 2020 betreffend den Fahr- / Bremsweg eines Kraftahrzeugs bei einem zwei Sekunden langen Blick auf die Werbeanlage lediglich - nachvollziehbar - der Veranschaulichung der Ablenkungswirkung der Anlage und der sich daraus vorliegend ergebenden Gefahren ergibt; die Aussage ist nicht so zu verstehen, als sei eine regelmäßige Ablenkungsdauer von zwei Sekunden rechtssatzartig anzunehmen.
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Die Klage war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.