Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 26.05.2020 – Au 4 K 20.30493
Titel:

Keine vollständige Verbescheidung eines Asylantrags wegen fehlender Entscheidung über Familienflüchtlingsschutz

Normenkette:
AsylG § 13, § 24 Abs. 1 S. 1, § 26 Abs. 1, Abs. 5, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
Leitsätze:
1. Die Gewährung von Familienasyl bzw. Familienflüchtlingsschutz nach § 26 AsylG setzt neben dem Asylantrag nach § 13 AsylG keinen weiteren Antrag voraus. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unzulässigkeitsgründe des § 29 Abs. 1 AsylG sind zwingendes Recht und vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht Syrien, Antrag nach § 26 AsylG zu Unrecht als Folgeantrag gewertet, ursprünglicher Asylantrag in Bezug auf § 26 AsylG bisher nicht verbeschieden, Asylantrag, Unzulässigkeitsgründe, Asylfolgeantrag, Familienasyl, Familienflüchtlingsschutz, Verbescheidung, Prüfungspflicht des Bundesamtes, Durchentscheiden, Herkunftsland Syrien
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19391

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 19.3.2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 AsylG als unzulässig.
2
Nach den Feststellungen der Beklagten ist die Klägerin syrische Staatsangehörige. Auf ihren am 18. März 2016 gestellten Asylantrag erkannte ihr die Beklagte mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 25. April 2016 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.
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Hierauf ließ die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erheben (zunächst Au 2 K 16.30708; später Au 4 K 17.34943). Im Laufe dieses Verwaltungsstreitverfahrens berief sich die Klägerin darauf, dass ihrem Ehemann ... zwischenzeitlich die Flüchtlingseigenschaft gewährt worden sei. Mit Urteil vom 19. Juli 2018 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. In dem Urteil ist unter anderem ausgeführt, dass ein Anspruch nach § 26 AsylG nicht streitgegenständlich sei, weil dies einen eigenständigen Antrag an das Bundesamt voraussetze.
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Mit Beschluss vom 12. Februar 2019 lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil ab (20 ZB 18.32221). In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, dass die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Anspruch auf Gewährung von Familienasyl im Rahmen eines gesonderten Verwaltungsverfahrens zunächst vom Bundesamt zu prüfen sei, unzutreffend sei. Da der Anspruch auf Familienasyl nach § 26 AsylG nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht Streitgegenstand und damit nicht Inhalt seiner Entscheidung gewesen sei, erstrecke sich die mit dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs eingetretene Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht auf den Streitgegenstand Familienasyl.
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Mit Schreiben vom 19. Februar 2020 ließ die Klägerin beim Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 AsylG beantragen. Sie verwies unter anderem darauf, dass ihrem am 25. Juni 2019 geborenen Sohn mittlerweile ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 19. März 2020 - zugestellt am 23. März 2020 - lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ab. In den Gründen ist im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich um einen Folgeantrag gem. § 71 AsylG handele. Ein weiteres Asylverfahren sei jedoch nicht durchzuführen, da die Voraussetzungen nach § 51 VwVfG nicht vorlägen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Die Klägerin ließ am 6. April 2020 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Zuletzt wurde für sie beantragt,
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den Bescheid vom 19.3.2020 aufzuheben.
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Eine nähere Begründung der Klage erfolgte nicht.
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Die Beklagte äußerte sich schriftlich nicht.
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Mit Beschluss vom 6. Mai 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Klägerin (Schriftsatz vom 18.5.2020) und Beklagte (allgemeine Prozesserklärung) haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
13
Hinsichtlich der ursprünglich ebenfalls begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde die Klage mit Schriftsatz vom 19. Mai 2020 zurückgenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16
Die Beklagte hätte den Antrag der Klägerin vom 19. Februar 2020 nicht als Folgeantrag werten und deshalb nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 VwGO als unzulässig ablehnen dürfen. In Bezug auf die von der Klägerin begehrte Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 26 AsylG fehlt es an der unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags der Klägerin i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
17
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 12. Februar 2019 (20 ZB 18.32221; dort Rn. 22) betreffend den Asylantrag der Klägerin vom 18. März 2016 klargestellt, dass sich die Rechtskraft des klageabweisenden verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 19. Juli 2018 nicht auf den Streitgegenstand Familienasyl erstreckt, weil ein Anspruch nach § 26 AsylG nicht Inhalt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gewesen sei.
18
Da die Gewährung von Familienasyl (bzw. Flüchtlingszuerkennung) nach § 26 AsylG neben dem Asylantrag nach § 13 AsylG keinen weiteren Antrag („Familienasylantrag“) voraussetzt (vgl. BayVGH, U.v. 16.10.2018 - 21 B 18.31010 - juris m.w.N.), ist damit über den („ursprünglichen“) Asylantrag der Klägerin, soweit er einen möglichen Anspruch nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 AsylG betrifft, bisher nicht unanfechtbar entschieden worden.
19
Da sich der streitgegenständliche Bescheid vom 19. März 2020 eindeutig auf den Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stützt, kann dieser Bescheid auch nicht als inhaltliche Ablehnung des Antrags auf Familienflüchtlingsschutz ausgelegt werden.
20
Dass die Unzulässigkeits-Entscheidung des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerseite in ihrem Schreiben vom 19. Februar 2020 und wohl auch sonst nicht darauf hingewiesen hat, dass die Entscheidung über den ursprünglichen Asylantrag in Bezug auf § 26 AsylG noch offen war, sondern mit dem Hinweis auf die Geburt eines weiteren Kindes der Anschein erweckt wurde, es werde eine nachträgliche Sachlagenänderung gem. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist es Sache des Bundesamts, den Sachverhalt zu klären und die erforderlichen Beweise zu erheben. Zwar bestehen Mitwirkungspflichten des Asylantragstellers, insbesondere nach §§ 15, 16 und 25 AsylG. Jedoch folgt daraus keine Pflicht, das Bundesamt auf einen bisher nicht vollständig verbeschiedenen Asylantrag hinzuweisen, zumal der Bayerische Verwaltungsgerichtshof offenbar bewusst Anlass gesehen hat, auf die begrenzte Rechtskraft des früher ergangenen Urteils zum Asylantrag der Klägerin aufmerksam zu machen; dieser Hinweis galt auch der Beklagten. Im Übrigen sind die Unzulässigkeitsgründe des § 29 Abs. 1 AsylG zwingendes Recht und vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 - 1 C 28/18 - juris Rn. 13). Daraus folgt aber gleichzeitig eine von Amts wegen bestehende Prüfungspflicht des Bundesamts, ob die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Unzulässigkeitstatbestands vorliegen; hier also, ob der Asylantrag i.S.d. § 71 AsylG insgesamt unanfechtbar abgelehnt wurde.
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Da dies vorliegend nicht der Fall ist, liegt kein Folgeantrag nach § 71 AsylG vor. Damit kommt es auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen, nicht an; diese Voraussetzungen sind erst zu prüfen, wenn feststeht, dass über einen Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG zu entscheiden ist.
22
Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2020 war daher, wie zuletzt beantragt, aufzuheben. Ein „Durchentscheiden“ des Verwaltungsgerichts in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 AsylG ist bei einer hier nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergangenen Unzulässigkeitsentscheidung nicht möglich (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - BVerwGE 157, 18 - juris Rn. 16 ff.).
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.