Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 22.06.2020 – AN 18 K 17.30318
Titel:

Rückkehr alleinstehender, erwerbsfähiger und gesunder junger Männer nach Afghanistan trotz der aktuellen Covid-19-Pandemie

Normenketten:
AsylG § 3e Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Für alleinstehende, erwerbsfähige und gesunde junge Männer besteht im Fall der Rückkehr nach Afghanistan trotz der aktuellen Covid-19-Pandemie keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung, auch wenn diese weder über ein soziales Netzwerk in Afghanistan noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügen. (Rn. 33 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Gruppe der Sadat besteht keine Gruppenverfolgung, da insbes. nicht von einer Verfolgung der gesamten Volksgruppe ausgegangen werden kann. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Volksgruppe der Hazara besteht derzeit keine Gruppenverfolgung, da insbes. nicht von einer Verfolgung der gesamten Volksgruppe ausgegangen werden kann. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuerkennung Flüchtlingseigenschaft (verneint), subsidiärer Schutz (verneint), Abschiebungsverbot (verneint), Gruppenverfolgung der Sadat, schiitische Religionszugehörigkeit, Covid-19-Pandemie, Corona-Virus, interner Schutz, inländische Fluchtalternative, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19142

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Januar 2017 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote vorliegen.
2
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, geboren … 1999 in ..., Provinz P., Afg.. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischen Glaubens. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 06. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 02. Dezember 2015 einen Asylantrag.
3
Im Rahmen der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 10. Januar 2017 gab der Kläger an, dass er bis zu seiner Ausreise in der Provinz P. in … in dem Haus seiner Eltern mit zwei Schwestern, einem Bruder und seinen Eltern gelebt habe; dieses hätten nun die Feinde beschlagnahmt. Seine Eltern würden aktuell mit seinen Geschwistern in T. leben. Der Kläger habe keine Verwandten in Afg.. Er habe in Afg. vier Jahre eine Schule besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, er habe als Landwirt seinem Vater geholfen. Zu seinem Verfolgungsschicksal gefragt, gab der Kläger an, dass es andauernd Stress mit den Nachbarn gegeben habe. In dem Ort, in dem der Kläger gewohnt habe, habe es ungefähr 300 Häuser gegeben. Sein Urgroßvater habe schon in dem Ort gelebt. Zehn Häuser hätten zu der Religion des Klägers S. gehört. Dies sei eine religiöse Gruppierung. 50 Häuser seien von dem Hazaravolk bewohnt worden. Es habe Streitigkeiten mit dem Hazaravolk gegeben. Die Nachbarn hätten das Haus des Klägers angegriffen und es habe eine handgreifliche Auseinandersetzung gegeben. Sein Vater habe mit einem Taschenmesser den Sohn eines Gegners, ein Nachbarskind, verletzt. Bei dem Streit sei es um einen H1.-weg gegangen, also sei der Streit mit Nachbarn aus dem Nachbarhaus gewesen. Ein Junge von dem Nachbarhaus sei dann mit einem Messer hinter ihm her gewesen und wollte diesen mit dem Messer verletzen. Der Nachbarsjunge sei circa eine halbe Stunde hinter ihm her gewesen; nach 15 Minuten habe er ihn nicht mehr gesehen. Seine Familie sei in Richtung … geflohen. Der Kläger habe einen Ort namens … erreicht und sei von dort in einem Auto Richtung … gefahren. Auf halber Strecke seien sie von Taliban angehalten worden. Sie hätten seine Augen verbunden und seine Hände gefesselt. Die Taliban hätten ihn in ein Haus gebracht und in einem Zimmer fotografiert. Sie seien circa sechs Personen gewesen. Die Taliban hätten ihn geschlagen und gefoltert. Ein Gefangener habe seine Hände befreien können und habe auch anschließend die anderen von den Fesseln befreit. Der Kläger habe dann über Entlüftungslöcher, welche am oberen Teil des Fensters angebracht waren, fliehen können. Ein LKW-Fahrer habe den Kläger nach … mitgenommen und in ein Restaurant/Hotel gebracht. Dort habe er angefangen zu arbeiten, er habe Teller gewaschen. Die von seinem Vater verletzte Person sei an den Verletzungen erlegen. Die Familie des Klägers sei weiter von den Gegnern verfolgt worden. Ergänzend gab der Kläger an, dass er aufgrund der Schwierigkeiten mit den Nachbarn seine Schulausbildung habe nicht fortsetzen können. Er sei immer zu Hause geblieben und habe nicht allein das Haus verlassen dürfen. Der Nachbarsjunge habe vor den Kläger umzubringen und an diesem Rache zu üben. In K., M. Sh. und H. würden überwiegend Hazara und Schiiten leben, welche den Kläger kennen würden. Die Streitigkeiten mit dieser Familie habe es seit drei oder vier Jahren gegeben. Die Nachbarn hätten Kontakte mit den Taliban und dem Staat. An der Auseinandersetzung seien der Nachbar mit seinen drei Söhnen, der Vater des Klägers und er selbst beteiligt gewesen. Zu dem Vorfall mit den Taliban gefragt, gab der Kläger ergänzend an, dass eine Person bewaffnet vor dem Auto gestanden sei. Zwei bewaffnete Personen seien eingestiegen. Sie hätten die Augen und Hände des Klägers verbunden und hätten sie aufgefordert auszusteigen. Danach wisse der Kläger nicht mehr, was passiert sei. Er habe nichts mehr sehen können. Der Kläger wisse nicht, wie er in das Zimmer gekommen sei. Sie hätten sie durch eine Tür gebracht. Auf Nachfrage erläutert der Kläger, dass sie von dem einen Transporter ausgestiegen und in ein Auto gestiegen seien. Er wisse nicht, was die Taliban von ihm gewollt haben. Sie hätten Paschtu gesprochen, was er nicht habe verstehen können. Auch die anderen in dem Zimmer hätten es nicht verstanden; die seien alle Hazara gewesen. Auf Nachfrage gab der Kläger an, er könne jetzt nicht sagen, was ihn jetzt bei einer möglichen Rückkehr nach Afg. passieren würde. Er könne nicht in den Ort in … zurückkehren. In den anderen Städten K., H., M. Sh. würden auch Hazara wohnen die ihn kennen und seinen Feinden seine Anwesenheit verraten würden. Er könne nicht mit Muslimen, die Sunniten sind, leben; auch nicht mit Tadschiken und Paschtunen. Ergänzend erläuterte der Kläger, dass sein Vater noch die Hoffnung gehabt habe, dass wenn der Junge gesund werde, er wieder in den Ort zurückkehren könne.
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Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar 2017, Az. …, dem Kläger zugestellt am 18. Januar 2017, wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziff. 1), der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziff. 2), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziff. 3), es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), der Kläger wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung bzw. im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Ziff. 5), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 25. Januar 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhoben.
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Im Rahmen der Begründung wird auf die Angaben des Klägers im Rahmen der Vorprüfung verwiesen.
7
Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 25. Januar 2017,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar 2017, Az.: …, in den Ziffern 1 und 3 bis 6 aufzuheben und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass der Kläger international Schutzberechtigter gemäß § 3 AsylG i.V.m. der Genfer Flüchtlingskonvention ist, hilfsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass der Kläger subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG ist, weiter hilfsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass der Kläger humanitären Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG genießt.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 02. Februar 2017,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid.
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Mit Beschluss vom 10. März 2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Diese hat das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers mit Beschluss vom 31. März 2020 abgelehnt.
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In der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2020 wurde der Kläger ergänzend zu seinem Asylvorbringen angehört. Insoweit und auch hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.
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Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte, sowie hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Afg. auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 1 AsylG berufen ist, konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2020 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand zum Termin erschienen ist. Auf die Möglichkeit, auch in Abwesenheit von Beteiligten verhandeln und entscheiden zu können, wurde in der Ladung hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die innerhalb der zweiwöchigen Frist, § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG, erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dem Kläger steht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 1.), noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (dazu 2.), noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten (dazu 3.) zu. Zudem erweisen sich sowohl die Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung (dazu 4.) als auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot (dazu 5.) als rechtmäßig.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 Alt. 1 AsylG.
16
Flüchtling gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Erforderlich ist, dass die Verfolgung mit einem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32 und B.v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 - juris Rn. 8).
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Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Eine Verletzung von Grundrechten stellt demgemäß nur dann eine Verfolgung dar, wenn sie von einer bestimmten Schwere ist (EuGH, U.v. 7.11.2013 - C-199/12 bis C-201/12 - juris Rn. 53).
18
Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass bei verständiger Würdigung die geschilderte Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 - juris Rn. 8). Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel die Glaubhaftmachung. Erforderlich hierfür ist ein schlüssiger und in sich stimmiger Vortrag. Dabei kommt in der Regel dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2012 - 20 B 11.30468 - juris, m.w.N.).
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Bezüglich des Klägers liegt unter Berücksichtigung oben genannter Anforderungen keine flüchtlingsrelevante Verfolgung vor.
20
In Bezug auf den klägerischen Vortrag ist bereits das Vorliegen eines Verfolgungsgrundes (vgl. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG) und einer Verfolgungshandlung (vgl. § 3a AsylG) fraglich. Jedenfalls liegt keine flüchtlingsrelevante Verfolgung vor, da die vom Kläger geschilderten Umstände zum Teil nicht an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG anknüpfen (vgl. zum Erfordernis § 3a Abs. 3 AsylG) und der Kläger im Übrigen auf internen Schutz (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG) zu verweisen ist.
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1.1 Soweit der Kläger Probleme mit einer Nachbarsfamilie wegen einem (H2.-)Weg schildert, kann dies keine flüchtlingsrelevante Verfolgung begründen, da hier kein Verfolgungsgrund bzw. keine Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund vorliegt, da diese Streitigkeiten nicht wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorlagen. Es hat sich um eine rein privatrechtliche Streitigkeit wegen der Nutzung eines Weges gehandelt. So schildert der Kläger, dass die Nachbarn nicht wollten, dass sie diesen Weg benutzen und dass es diese Streitigkeiten mit diesen Nachbarn schon seit Jahren gebe wegen dem Weg. Auch auf Nachfrage des Gerichts, mit wie vielen Nachbarn es in dem Dorf Streit gegeben habe, gibt der Kläger an, dass es nur mit einer Familie Streit gab. Mit den anderen Nachbarn gab es keine Schwierigkeiten, lediglich kleinere Streitigkeiten. Aus diesen Äußerungen ist eindeutig ersichtlich, dass es sich um eine rein private Streitigkeit wegen eines Weges gehandelt hat.
22
Auch die Verfolgung mit einem Messer durch den Nachbarsjungen und dessen Äußerung, dass er ihn umbringen werde, wenn er den Kläger erwische, als konkret den Kläger betreffenden Vorfall ist nicht ausreichend die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Hier sind ebenso der Verfolgungsgrund bzw. die Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund fraglich. Der Kläger hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass der Junge wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hinter dem Kläger her war, sondern vielmehr wegen der erfolgten Auseinandersetzung wegen dem H1.-weg. Auch wenn der Kläger im Rahmen der Anhörung weiter vorträgt, dass die Nachbarn bzw. der Nachbarsjunge Rache üben wollen, kann dies an obiger Wertung nichts ändern, da auch hier höchst zweifelhaft ist, ob diese wegen eines Verfolgungsgrundes Rache wollen und nicht vielmehr wegen der erfolgten Auseinandersetzung aufgrund des Hausweges in Folge dessen der Vater des Klägers einen Jungen so schwer verletzt hat, dass dieser gestorben ist.
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Jedenfalls ist der Kläger auf internen Schutz, § 3e Abs. 1 AsylG, zu verweisen.
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Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
25
Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger in einer Großstadt wie beispielsweise K., H. oder M. Sh. keine Verfolgung droht, da es insbesondere keine Anhaltspunkte für eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers durch diesen Nachbarsjungen oder die Nachbarsfamilie gibt und etwas Derartiges seitens des Klägers auch nicht glaubhaft vorgetragen ist. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist in Bezug auf den Kläger auch geeignet und diesem zumutbar, sodass erwartet werden kann, dass er sich dort vernünftigerweise niederlässt. Insbesondere ist es dem Kläger, als arbeitsfähigem, gesundem und jungen Mann zumindest durch die Übernahme von Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten, möglich, sich sein Existenzminimum zu sichern (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32).
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Dem Kläger wird jedenfalls in oben genannten Großstädten keine Verfolgung drohen. Soweit der Kläger vorträgt, dass er nicht in einer anderen Provinz Afg.s, wie z.B. H., K. oder M. Sh. leben kann, weil viele Personen aus … ausgewandert sind, welche den Kläger und seinen Vater kennen, und wenn diese den Kläger sehen, werden es eine Feinde auch sofort wissen und den Kläger finden, kann dies das Gericht nicht überzeugen. Ebenso wenig, dass in diesen Städten überwiegend Hazara und Schiiten leben, welche den Kläger kennen. Auch die Angabe des Klägers im Rahmen der Anhörung, dass die Nachbarn Kontakte zu den Taliban und dem Staat haben, kann das Gericht nicht überzeugen. Dies stellen nur pauschale, nicht substantiierte Behauptungen des Klägers dar. Zunächst hat der Kläger weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass diese Nachbarsfamilie bzw. der Nachbarsjunge überhaupt nach ihm suchen. Etwas Derartiges scheint auch bei einer Ausreise des Klägers im Juli 2015 und damit nach nunmehr fast fünf Jahren nicht beachtlich wahrscheinlich. Jedenfalls eine landesweite gezielte Verfolgung kommt keinesfalls in Betracht und wurde von dem Kläger auch nicht glaubhaft gemacht. Hinzu kommt, dass in dem Ort in dem der Kläger gelebt hat, nach seinen Angaben in der Anhörung ungefähr 300 Häuser standen. Dass aus diesem Dorf so viele Leute ausgewandert sein sollen, dass diese in oben genannten Hauptstädten derart stark vertreten sind, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Darüber hinaus gab es die Probleme wegen dem H1.-weg nach eindeutiger Angabe des Klägers nur mit einer Nachbarsfamilie. Auch wenn der Kläger behauptet, dass sein Vater während der Besetzung Afg.s durch die Sowjetunion ein großer Kommandeur und eine bekannte Persönlichkeit gewesen war, kann dies nichts an obiger Wertung ändern, da der Kläger selbst angibt, dass sein Vater während die Taliban regiert haben nicht mehr mit der Regierung zusammengearbeitet hat, in das Dorf zurückgekehrt ist und dort als Landwirt gearbeitet hat. Geht man von einer Anwesenheit der Sowjetunion von 1979 bis 1989 (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018, S. 129) und von der Talibanherrschaft von 1996 bis 2001 (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S.112) aus, ist das Gericht nicht überzeugt, dass der Vater des Klägers aufgrund seiner früheren Tätigkeit nach fast 30 Jahren noch so bekannt ist, dass sein Sohn überall erkannt werden würde. Warum der Kläger überhaupt bei Hazaras und Schiiten, welche in K., H. oder M. Sh. leben, bekannt sein sollte, erschließt sich dem Gericht nicht, zumal in dem Dorf des Klägers nach seinen Angaben lediglich ca. 100 Hazara gelebt haben. Dieser Vortrag ist eine nicht glaubhafte, unsubstantiierte Behauptung des Klägers, wofür der Kläger keinerlei Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe vorgetragen hat oder sonst ersichtlich sind. Ebenso verhält es sich mit der Äußerung bzgl. der Nachbarn und Kontakten zu den Taliban und dem Staat. Zudem leben in der Provinz K. geschätzt 5.029.850 Menschen, in der Provinz H. geschätzt 2.095.117 Menschen und in der Provinz B. geschätzt 1.475.649 Menschen (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 35 ff., S. 99 ff., S. 58 ff.). Dass der Kläger in einer Provinz mit mehreren Millionen Einwohnern erkannt wird, kann das Gericht nicht feststellen. Zu berücksichtigen ist auch, dass in Afg. kein funktionierendes Meldewesen existiert, insbesondere kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten” oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 313 f.). Der Kläger wird daher jedenfalls in der Anonymität einer der genannten Großstadt ohne Verfolgung leben können.
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Die als inländische Fluchtalternative in Frage kommenden Städte K. in der Provinz K., H. in der Provinz H. und M. Sh. in der Provinz B. sind im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als inländische Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, liegt weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Zur Feststellung, ob eine solche Bedrohung gegeben ist, ist zum einen eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl erforderlich. Darüber hinaus ist neben dieser quantitativen Ermittlung auch eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 22, 23). In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko, verletzt oder getötet zu werden von 1:800 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 22 f.) bzw. 1:1.000 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 11.10 - juris Rn. 20 f.) so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag. Bei einer Einwohnerzahl von geschätzt 5.029.850 im Zeitraum 2019-2020 und 1.563 zivilen Opfern (261 Tote und 1.302 Verletzte) im gesamten Jahr 2019 in der Provinz K., einer geschätzten Einwohnerzahl für den Zeitraum 2019-2020 von 2.095.117 und 400 zivilen Opfern (144 Tote und 256 Verletzte) im Jahr 2019 in der Provinz H. und einer Einwohnerzahl für den Zeitraum 2019-2020 von 1.475.649 und 277 zivilen Opfern (108 Tote und 169 Verletzte) im Jahr 2019 in der Provinz B., lag die Wahrscheinlichkeit, in den genannten Provinzen in diesem Zeitraum ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,031% (K.), bei 0,019% (H.) und 0,019% (B.) (vgl. zu den Opfer- und Bevölkerungszahlen Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 35 ff., S. 99 ff., S. 58 ff., sowie UNAMA, Afg. - Protection of Civilians in an Armed Conflict, Annual Report 2019, Februar 2020, S. 94). Damit liegt in diesen Provinzen eine Gefahrendichte vor, die ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos liegt. Insoweit ist in der Rechtsprechung auch geklärt, dass eine annäherungsweise Ermittlung der entsprechenden, zueinander ins Verhältnis gesetzten Zahlen ausreichend ist (BayVGH, B.v. 17.1.2017 - 13a ZB 16.30182 - juris Rn. 6). Zudem ist auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt gegeben (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.33359 - juris Rn. 29; HessVGH, U.v. 27.9.2019 - 7 A 1923/14.A - juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 63). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers, aufgrund derer hier eine andere Einschätzung geboten wäre, sind jedenfalls bei einem Leben in einer Großstadt nicht ersichtlich (vgl. oben).
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Der Kläger kann darüber hinaus auch sicher und legal in oben genannte Provinzen reisen. Zum einen enden Abschiebungen in der Regel in K., wo es einen internationalen Flughafen gibt. Aber auch M. Sh. und H. verfügen über einen internationalen Flughafen und können daher legal und sicher vom Kläger, jedenfalls von K. aus, erreicht werden (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 220 ff.). Diese Einschätzung wird auch nicht durch die aktuelle Covid-19-Pandemie in Frage gestellt. Selbst wenn aufgrund der aktuellen Pandemielage bei einer Rückkehr des Klägers nach Afg. der Flugverkehr eingeschränkt sein sollte, gibt es keine Anhaltspunkte, dass dies für unbestimmte Zeit gelten könnte (vgl. auch VG München, U.v. 21.4.2020 - M 16 K 17.41340).
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Vom Kläger kann unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in den oben genannten Provinzen insbesondere in den Provinzhauptstädten niederlässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass Afg. zu den ärmsten Ländern der Welt zählt und im Jahr 2018 Platz 168 von 189 beim Index der menschlichen Entwicklung belegte (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 27). Der Bevölkerungsanteil derjenigen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, stieg im Vergleich zu den Jahren 2011/2012 von 38,3% auf etwa 55% in den Jahren 2016/2017 an (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20). Die Arbeitslosenquote wird in den verschiedenen Quellen unterschiedlich eingestuft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 28: 11,2% im Jahr 2017; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 20: 24% in den Jahren 2016/2017; Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 318: 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos). Besonders K. ist durch eine große Anzahl von Binnenflüchtlingen (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.037 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in H., Mezar-e Sharif und K., 7.12.2018, S. 15) und Rückkehrern (diese beliefen sich laut IOM im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 auf 9.912 Personen, vgl. ACCORD, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in H., M. Sh. (Provinz B.) und K., 7.12.2018, S. 22) überlaufen.
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Trotz oben genannter Umstände ist das Gericht nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls der Überzeugung, dass es dem jungen, gesunden, arbeitsfähigen und ledigen Kläger bei einer Rückkehr insbesondere in den Städten K., H. oder M. Sh. gelingen wird, zumindest durch Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zunächst hat der Kläger in Afg. vier Jahre eine Schule besucht und hat seinem Vater als Landwirt geholfen. In Deutschland hat der Kläger ein Jahr lang eine Sprachschule besucht und hat nach weiteren zwei Jahren seinen Abschluss zur mittleren Reife erfolgreich abgelegt. Seit 2018 absolviert der Kläger eine Ausbildung zum Maler bei der … GmbH, hat dort demnächst seine Zwischenprüfung und nächstes Jahr seine Abschlussprüfung. Aufgrund dieser schulischen und beruflichen Erfahrungen und erlangten Qualifizierungen ist das Gericht der Überzeugung, dass sich der Kläger gegenüber anderen Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt in Afg. durchsetzen kann. Auch hat der Kläger durch seine eigenständige Flucht als junger Mann und sein eigenständiges Leben in Deutschland bewiesen, dass er über ein großes Maß an Selbstständigkeit verfügt.
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Dem steht auch nicht die Zugehörigkeit des Klägers zu der Gruppe der Sadat oder der Volksgruppe der Hazara entgegen. Aus den Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass dem Kläger durch die Zugehörigkeit zu den genannten Gruppen in oben genannten Großstädten die Sicherung des Existenzminimums verwehrt bzw. unmöglich gemacht wird. Es liegt insbesondere keine Gruppenverfolgung der Sadat oder Hazara vor (siehe ausführlich unten). Der Kläger hat auch keine anderweitigen Umstände glaubhaft dargelegt. Für eine Möglichkeit der Sicherung des Existenzminimums spricht zusätzlich, dass der Kläger in der Anhörung selbst schildert, dass er nach seiner Ankunft in K. in einem Restaurant/Hotel untergekommen ist und dort angefangen hat zu arbeiten. Auch hat der Kläger hierbei Hilfe von einem fremden LKW-Fahrer erhalten, welcher ihn bis nach K. mitgenommen hat und bei dem Hotel mit dem Hotelier gesprochen hat.
32
Darüber hinaus kann der Kläger eine finanziell eventuell schwierige Anfangszeit zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt, was ihm zumindest helfen wird, anfängliche Schwierigkeiten zu überwinden. Es liegt an ihm, insoweit eine anfängliche Unterstützung durch eine freiwillige Rückkehr unter Inanspruchnahme von Start- und Reintegrationshilfen (z. B. im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms) und damit zumindest einen vorübergehenden Ausgleich zu erhalten (vgl. REAG/GARP-Programm, Stand Januar 2020; ERRIN-Programmflyer 06/2018-05/2020 zu Afg., Stand Mai 2019). Das „REAG/GARP-Programm 2020“ umfasst für einen alleinstehenden Mann neben der Übernahme der Beförderungskosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR sowie eine Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR. Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERRIN“. Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 2.000 EUR umfassen. Weiter haben Deutschland und Afg. am 2. Oktober 2016 eine Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit in Fragen der Migration abgegeben. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders bedürftige Flüchtlinge vor. Rückkehrer aus Deutschland werden außerdem über das BMZ-Rückkehrer Programm „Perspektive Heimat“ bei der Reintegration vor Ort unterstützt, insbesondere bei der Existenzgründung, Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 28 f. mit weiteren Einzelheiten). Aufgrund dieser Rückkehr- und Starthilfen und aufgrund der Arbeitsfähigkeit des Klägers steht es - selbst unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit des Klägers zu den Sadat bzw. Hazara - zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger in Afg. und auch in den genannten Provinzen ein Existenzminimum sichern wird.
33
Das Gericht folgt auch nicht der Einschätzung, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (so insbesondere Friederike Stahlmann, Asylmagazin 3/2017, 73 ff.). Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuesten Erkenntnismittel hält das Gericht weiterhin an der obergerichtlichen, ständigen Rechtsprechung fest, dass für alleinstehende, erwerbsfähige und gesunde junge Männer im Fall der Rückkehr nach Afg. keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung besteht, auch wenn diese weder über ein soziales Netzwerk in Afg. verfügen noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügen (aus neuerer Zeit etwa: BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.33359 - juris; B.v. 23.10.2019 - 13a ZB 19.32670 - juris Rn. 6; B.v. 3.9.2019 - 13a ZB 19.33043 - juris Rn. 6; B.v. 25.2.2019 - 13a ZB 18.32487 - juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 - 13a ZB 17.31203 - juris Rn. 6; U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 34; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 55; OVG NRW, B.v. 17.9.2018 - 13 A 2914/18.A - juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 924/17 - juris Rn. 336 ff.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015- 1 A 144/15.A - juris). Das Gericht schließt sich insbesondere dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 an. Dieser hat sich auch unter Bezugnahme auf verschiedene Einschätzungen der Gutachterin Stahlmann (so z.B. im Asylmagazin 3/2017 und insbesondere im schriftlichen Gutachten an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 28. März 2018) mit der wirtschaftlichen Situation in Afg. auseinander gesetzt und kam - wie bereits die oben genannten Gerichte - zu dem Schluss, dass sich aus den Erkenntnismitteln zu Afg. derzeit nicht ergebe, dass es insbesondere leistungsfähigen, erwachsenen Männern - soweit nicht besondere, individuell erschwerende Umstände festgestellt werden können - selbst ohne bestehendes familiäres oder soziales Netzwerk unmöglich sei, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland ihr Existenzminimum zu sichern (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris).
34
Auch aus den Erkenntnismitteln neueren Datums ergibt sich keine andere rechtliche Wertung, vgl. hierzu BayVGH, B.v. 17. Januar 2020 - 13a ZB 20.30107 - juris Rn. 13.
35
Auch der Bewertung von Frau St., die ausgehend von einer von ihr erst kürzlich durchgeführten Studie zum Verbleib und den Erfahrungen abgeschobener Afghanen vertritt, dass es Rückkehrern aus Europa in Afg. per se nicht möglich sei, ein menschenwürdiges Leben zu führen, da ihnen dort eine unmenschliche Behandlung infolge von Gewalt, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit drohe (vgl. Friederike Stahlmann, Asylmagazin 8-9/2019, 276 ff.), folgt das Gericht nicht. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass von den laut Frau St. 547 Männern, die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden, mit Stand Juli 2019 lediglich Informationen zu 55 Betroffenen dokumentiert werden konnten (Friederike Stahlmann, Asylmagazin 8-9/2019, 276/277), was gerade einmal ca. 10% ausmacht. Es kann gerade nicht darauf geschlossen werden, dass die nicht in die Untersuchung eingebundenen restlichen Rückkehrer vergleichbar schlechte Erfahrungen gemacht haben wie die interviewten Rückkehrer. Soweit dies in der Studie behauptet wird, beruht dies auf bloßen Mutmaßungen und eigenen Bewertungen ohne valide Tatsachengrundlage. Im Übrigen wären die geschilderten Einzelschicksale ohnehin ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Rückkehrer aus Europa und der Türkei zu setzen, nicht lediglich ins Verhältnis zu den aus Deutschland abgeschobenen Afghanen (vgl. NdsOVG, B.v. 12.12.2019 - 9 LA 452/19 - juris Rn. 15).
36
Auch aus der aktuellen Covid-19-Pandemie ergibt sich keine andere Bewertung des Gerichts. Bei Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Klägers gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft im Zuge der Pandemie derart verschlechtern, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Afg. sicherzustellen (vgl. zur Situation in Afg. UNHCR, COVID-19 vom 14.4.2020; OCHA, Brief COVID-19 vom 15.5.2020). Selbst wenn bei einer Rückkehr des Klägers nach Afg. noch Ausgangssperren gelten sollten oder eine Quarantäne nach Einreise notwendig sein sollte (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afg., Stand: 9.4.2020), die Einfluss auf die Arbeitsmöglichkeit sowie die Möglichkeit der Weiterreise von K. aus haben könnten, gibt es bereits angesichts der wirtschaftlichen Zwänge in Afg. keinen Anlass dafür, dass diese für unbestimmte Zeit gelten könnten und es dem Kläger nicht möglich wäre, diesen Zeitraum zu überbrücken. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der neuerlichen Stellungnahme von Frau St. vom 27. März 2020 im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie (Friederike Stahlmann: Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afg., besondere Lage Abgeschobener, 27.3.2020, abrufbar unter www.ecoi.net). Soweit darin dargelegt wird, dass Rückkehrer aus Europa aus Sicht lokaler Ärzte als besonders vulnerabel gelten, ist dies bereits fachlich nicht unterlegt bzw. auch nicht ersichtlich, ob und über welches medizinische Wissen der Gesprächspartner von Frau St. verfügt. Abgesehen davon ist auch nicht erkennbar, dass die in der Stellungnahme beschriebenen Gefahren und wiedergegebenen Eindrücke repräsentativ und belastbar sowie auf dem Kläger übertragbar sind (vgl. dazu auch VG München, U.v. 21.4.2020 - M 16 K 17.41340). Zudem läge es - wie bereits ausführlich dargestellt - am Kläger eine ggf. auch gerade wegen der Covid-19-Pandemie finanziell schwere Anfangsphase abzufedern und insoweit eine anfängliche Unterstützung durch Inanspruchnahme von Start- und Reintegrationshilfen (REAG/GARP- und ERRIN-Programm) und damit einen vorübergehenden Ausgleich zu erhalten (vgl. ausführlich oben).
37
1.2 Es ergibt sich auch keine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu der Gruppe der Sadat, welcher der Kläger nach seinem Vortrag angehören soll.
38
Es sind keine gegen den Kläger selbst gerichtete Maßnahmen von diesem glaubhaft vorgetragen oder sonst ersichtlich, die eine anlassgeprägte Einzelverfolgung begründen könnten. In der mündlichen Verhandlung schildert der Kläger lediglich, dass sie in dem Dorf diskriminiert wurden, dass die Hazara sie nicht mochten. Auf Frage des Gerichts, was dem Kläger außer dem oben geschilderten Vorfall mit den Nachbarn geschehen ist, schildert der Kläger lediglich, dass es außer diesem Vorfall auch früher Streitigkeiten gegeben habe, man aber die Probleme selbst gelöst habe. Im Übrigen hatte er als er klein war eine Auseinandersetzung mit dem besagten Nachbarsjungen, was aber eine Streitigkeit unter Kindern gewesen sei, also folglich nicht wegen der Zugehörigkeit zu den Sadat. Im Weiteren gibt der Kläger nur pauschal an, dass sein Volksstamm auch beleidigt wurde, schildert aber nichts Konkretes in Bezug auf seine Person. Auf die ausdrückliche Frage des Gerichts, was dem Kläger konkret in dem Dorf aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Sayed/Sadat passiert ist, gibt dieser an, dass er nichts Konkretes sagen kann, was ihm aufgrund dessen passiert ist. In der Schule hätten ihn die anderen Kinder beleidigt, weshalb er die Schule nur bis zur vierten Klasse besucht hat. Auch im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt schildert der Kläger lediglich, dass es Streitigkeiten mit dem Hazaravolk gegeben habe; dass sie verschwinden sollen und wo anders hingehen sollen. Der Kläger schildert jedoch in Bezug auf seine Person keine Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Etwas Derartiges wäre auch nach einer Rückkehr des Klägers nach Afg. nicht beachtlich wahrscheinlich.
39
Darüber hinaus ist der Kläger auch im Rahmen dieses Vortrags auf die inländische Fluchtalternative zu verweisen (vgl. hierzu ausführlich oben), da es keine Anhaltspunkte für eine landesweite gezielte Gruppenverfolgung der Sadat gibt, da insbesondere die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (s.u.). Eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers durch die im Dorf lebenden Hazara oder Dorfbewohner wegen seiner Zugehörigkeit zu den Sadat ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht glaubhaft vorgetragen. Der Kläger hat weder glaubhaft vorgetragen noch ist ersichtlich, dass Personen aus dem Dorf wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu den Sadat überhaupt nach dem Kläger suchen, geschweige denn gezielt nach ihm suchen. Im Übrigen wird auf obige Ausführungen des Gerichts verwiesen, insbesondere auch zu dem Vortrag des Klägers, dass er nicht in einer anderen Provinz Afg.s, wie z.B. H., K. oder M. Sh. leben kann.
40
Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung der Sadat liegen nicht vor.
41
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Die Annahme einer solchen Gruppenverfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn. 13; U.v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 7).
42
Für die Gruppe der Sadat besteht keine Gruppenverfolgung, da insbesondere nicht von einer Verfolgung der gesamten Volksgruppe ausgegangen werden kann.
43
Diese Volksgruppe findet sich auch unter dem Begriff Sayed. Sie sind traditionell ein Teil der religiösen und politischen Elite der Hazara. So nehmen diese für sich in Anspruch Nachkommen des Propheten Mohammed zu sein; sie bilden keine eigenständige ethnische Gruppe, unterscheiden sich jedoch von den Hazararn (vgl. zum Ganzen EASO, Afg. Security Situation, Juni 2019, S. 102 f.). Aus den Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass diese Gruppe verfolgt wird. Auch nach der Rechtsprechung ergibt sich keine Gruppenverfolgung der Sadat (vgl. VG Augsburg, U.v. 5.11.2018 - Au 5 K 16.31414 - juris Rn. 30 ff.; VG Augsburg, U.v. 1.10.2018 - Au 5 K 17.32950 - juris Rn. 29 ff.; VG Bayreuth, U.v. 5.5.2017 - B 1 K 16.31660 - juris Rn. 26; VG Karlsruhe, U.v. 6.4.2017 - A 2 K 2941/16 - juris Rn. 23 ff.; VG München, U.v. 7.3.2013 - M 15 K 12.30965 - juris Rn. 37 f.). Auch der Kläger konnte keine landesweite gezielte Gruppenverfolgung glaubhaft darstellen. Laut Angaben des Klägers in der Anhörung wollte der Vater des Klägers bei Genesung des Nachbarjungen wieder in das Dorf zurückkehren. Ebenso schildert der Kläger, dass auch schon sein Urgroßvater in diesem Dorf gelebt hat. Diese Umstände sprechen gegen eine Verfolgung der gesamten Gruppe der Sadat. So sollen nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch noch zwei Stiefschwestern in K. leben. Zusätzlich hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung angegeben, dass er nach der Auseinandersetzung mit den Nachbarn letztlich nach K. gekommen sei und zu einem Restaurant/Hotel gebracht worden sei, wo er angefangen habe zu arbeiten und wo er sich eine Woche aufgehalten habe. Auch dieser Vortrag spricht gegen eine Gruppenverfolgung der Sadat. Selbst wenn der Kläger schildert, dass die Hazara sie nicht mochten, gibt es keine Anhaltspunkte, dass dies landesweit der Fall sein sollte. In dem Dorf gab es lediglich 100 Hazara. Hinzu kommt, dass der Kläger und seine Familie nie woanders in Afg. gelebt haben, so dass der Kläger gar nicht wissen kann, ob die Gruppe der Sadat landesweit (von den Hazara) verfolgt wird. Der Kläger hat auch nicht geschildert, dass ihm derartige Berichte bekannt sind.
44
Hinzu kommt, dass - nach eigenen Angaben des Klägers - man als Sadat in Afg. wohl als Hazara bezeichnet wird. So erläutert der Kläger beispielsweise auch in der Anhörung, dass er Hazara sei, aber zwischen diesen gebe es auch Sayed; durch den Staat seien sie aber Hazara. Es gibt aus den Erkenntnismitteln keinerlei Anhaltspunkte, dass für diese Untergruppierung die (Verfolgungs-)Situation anders, das heißt derart gravierender einzuschätzen wäre als für die Gruppe der Hazara insgesamt (so auch VG Bayreuth, U.v. 5.5.2017 - B 1 K 16.31660 - juris Rn. 26).
45
Auch aus der Zugehörigkeit des Klägers zu der Volksgruppe der Hazara ergibt sich keine flüchtlingsrelevante Verfolgung.
46
Es sind keine gegen diesen selbst gerichtete Maßnahmen vorgetragen oder ersichtlich, die eine anlassgeprägte Einzelverfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des Klägers zu der Gruppe der Hazara begründen könnten.
47
Aber auch die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung (vgl. hierzu oben) liegen nicht vor.
48
Für die Volksgruppe der Hazara besteht derzeit keine solche Gruppenverfolgung, da insbesondere nicht von einer Verfolgung der gesamten Volksgruppe ausgegangen werden kann. In Afg. stellen die Hazara mit einem Anteil von etwa 9 bis 10% der Gesamtbevölkerung eine Minderheit mit zumeist schiitischem Glauben dar (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 276). Zwar wird weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung der Hazara durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung berichtet (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 106). Es fehlt aber an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 68, 76 ff.). Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft hat sich die Lage der Hazara grundsätzlich verbessert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 10). So bekleiden Hazara zwischenzeitlich mitunter prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, obgleich sie in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 10). Selbst wenn von einer gewissen Diskriminierung der Hazara am Arbeitsmarkt gesprochen wird, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 277). Im Durchschnitt sind die Hazara beispielsweise mit etwa 10% in der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei repräsentiert (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 278). Zwar sind immer wieder Anschläge auf schiitische Einrichtungen zu verzeichnen, so etwa am 15. August 2018 auf eine hauptsächlich von Schiiten genutzte Bildungseinrichtung in K. sowie am 18. August 2018 auf eine schiitische Moschee in der Provinz P.(vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 10). Selbst vor diesem Hintergrund kann jedoch keine über eine nur latente oder potenziell bestehende Gefährdungslage hinausgehende Bedrohung angenommen werden, die die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Volksgruppe der Hazara mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Anschlägen getroffen würde. Zu berücksichtigen ist auch, dass in vielen Fällen nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich teilweise schlicht um kriminelles Unrecht handelt, welches sich letztlich zufällig (auch) zum Nachteil von Hazara auswirkt oder diese aufgrund erhöhter Reisetätigkeit bzw. des überwiegenden Wohnens in den Stadtzentren betroffen sind (ebenso OVG NRW, U.v. 18.6.2019 - 13 A 3741/18.A - juris Rn. 167; VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 139). Eine vorwiegend ethnische Anknüpfung ist nicht belegt.
49
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Gruppenverfolgung der Hazara in Afg. bereits mehrfach obergerichtlich entschieden und verneint wurde (aus neuerer Zeit etwa: NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 83 ff.; VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 77 ff.; U.v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17 - juris Rn. 86 ff.; BayVGH, B.v. 14.8.2017 - 13a ZB 17.30807 - ju-ris Rn. 17 ff.; B.v 20.1.2017 - 13a ZB 16.30996 - juris Rn. 11 f.; B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris Rn. 6). Dieser obergerichtlichen Rechtsprechung schließt sich auch das erkennende Gericht an, zumal sich auch unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel keine andere rechtliche Bewertung ergibt.
50
1.3 Der Vortrag des Klägers bzgl. der Entführung kann selbst bei Wahrunterstellung keine flüchtlingsrelevante Verfolgung begründen. Zunächst gibt der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass er nicht genau sagen könne, ob es Taliban gewesen seien und benennt diese im Weiteren als bewaffnete Personen. Hinzu kommt, dass kein Verfolgungsgrund bzw. Anknüpfung an einen solchen ersichtlich ist, da auch der Kläger trotz entsprechender Nachfrage des Gerichts nicht angeben kann, was diese Personen von ihm wollten, da er diese nicht verstanden hat. Zusätzlich gibt der Kläger selbst an, dass dies nicht der Hauptgrund für das Verlassen Afg.s war. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung vermag das Gericht nicht zu erkennen. Auch an dieser Stelle wäre der Kläger ohnehin jedenfalls auf internen Schutz zu verweisen (vgl. oben). Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte für eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers durch (diese) bewaffnete Personen.
51
1.4 Des Weiteren ergibt sich keine flüchtlingsrelevante Verfolgung aus dem schiitischen Glauben des Klägers.
52
Der Kläger hat hierzu keine Umstände geschildert, die eine anlassgeprägte Einzelverfolgung begründen könnten.
53
Ebenso scheidet eine Gruppenverfolgung aufgrund der schiitischen Religionszugehörigkeit aus. Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 bis 19% geschätzt. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afg. selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen, obwohl Berichte zu lokalen Diskriminierungen existieren. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen sind seit 2001 gestiegen. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, beträgt die Quote schiitischer Muslime 25 bis 30%; auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten. Beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (vgl. zum Ganzen Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 264 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 11). Seit Anfang 2016 werden immer wieder Anschläge gegen schiitische religiöse Einrichtungen wie z.B. Moscheen ausgeführt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afg., Stand Juli 2019, 2.9.2019, S. 11). Die Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen. So wurden landesweit 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 29.6.2018, letzte Information eingefügt am 4.6.2019, S. 72). Nach dieser Auskunftslage kann auch für Personen mit schiitischer Religionszugehörigkeit im Allgemeinen keine Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt festgestellt werden (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.33508 - juris Rn. 32). Das Gericht ist daher auch aufgrund dieser Auskunftslage der Überzeugung, dass keine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte vorliegt (vgl. insbesondere aus neuerer Zeit VG Würzburg, U.v. 4.3.2020 - W 9 K 19.31811 - juris Rn. 35 f.; VG Cottbus, U.v. 21.2.2020 - 6 K 608/17.A - juris Rn. 59; VG Kassel, U.v. 8.8.2019 - 7 K 1442/17.KS.A - juris Rn. 48 ff.; VG Trier, U.v. 6.11.2017 - 6 K 10901/16.TR - juris Rn. 41).
54
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines ihm in seinem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden oder sonst ersichtlich sind.
55
2.1 Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger ein ernsthafter Schaden durch die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe drohen würde, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG, besonders da die im Einzelfall individuell drohende Todesstrafe aufgrund eines gerichtlichen Urteils maßgeblich ist, nicht also bei „extralegalen Hinrichtungen“ (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 Rn. 4).
56
2.2 Auch droht dem Kläger kein ernsthafter Schaden durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
57
Eine Behandlung wird als „unmenschlich“ angesehen, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend“ ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR (Große Kammer), U.v. 21.1.2011 − 30696/0 - NVwZ 2011, 413/414, Rn. 220). Entscheidend ist auch hier der Wahrscheinlichkeitsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 22). Aufgrund des in § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthaltenen Verweises auf § 3c AsylG muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung außerdem von einem der dort genannten Akteure ausgehen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 29).
58
Es ist fraglich, ob für die Person des Klägers, der Afg. bereits im Juli 2015 verlassen hat, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, begründet ist. Bezüglich des Vortrags mit den Nachbarn, dem Nachbarsjungen, den Hazaras aus dem Dorf bzw. den Dorfbewohnern und den bewaffneten Personen muss sich der Kläger auch hier jedenfalls auf die interne Fluchtalternative verweisen lassen, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG (vgl. ausführlich oben).
59
Auch aus der Zugehörigkeit zu der Gruppe der Sadat, der Volksgruppe der Hazara oder zum schiitischen Glauben - wie bereits ausführlich vom Gericht gewürdigt - folgt keine Gefahr einer landesweiten (Gruppen-)Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Daher kann aus diesem Grund auch kein ernsthafter Schaden durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen.
60
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afg. in Betracht. Selbst wenn eine solche anzunehmen wäre, könnte dies dennoch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes vermitteln, da es insoweit an einem erforderlichen Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG fehlen würde, von dem die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers ausgehen müsste (vgl. hierzu oben). Die humanitären Verhältnisse in Afg. beruhen gerade auf einer Vielzahl von Faktoren, zu de-en die allgemeine wirtschaftliche Lage, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen ebenso wie die Sicherheitslage gehören. Es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass der afghanische Staat, die in Afg. aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung tragen. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176; OVG NRW, U.v. 18.6.2019 - 13 A 3741/18.A - juris Rn. 71).
61
2.3 Auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Folge einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommt nicht in Betracht, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
62
Eine ernsthafte individuelle Bedrohung liegt vor, wenn im Rahmen eines Konflikts der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei wird der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, umso geringer sein, je mehr der Kläger darlegen kann, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 30.1.2014 - C-285/12 - juris Rn. 30, 31; U.v. 17.2.2009 - C-465/07 - juris Rn. 35, 43; VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 193). Solche Umstände können sich beispielsweise aus dem Beruf des Schutzsuchenden - etwa als Arzt oder Journalist - sowie aus dessen religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33; VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 193).
63
Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass in der Person des Klägers derartige gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Eine gezielte Verfolgung durch die Nachbarsfamilie, die Hazara aus dem Dorf bzw. die Dorfbewohner und den bewaffneten Personen steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest (vgl. ausführlich oben). Hinzu kommt, dass der Kläger bereits im Juli 2015 aus Afg. ausgereist ist, weshalb auch aufgrund dieses langen Zeitraums besondere gefahrerhöhende Umstände nicht angenommen werden können. Auch die Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Sadat bzw. der Hazara begründet keinen gefahrerhöhenden Umstand (vgl. oben). Die bloße schiitische Religionszugehörigkeit stellt ebenso keinen individuellen gefahrerhöhenden Umstand dar (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.33508 - juris Rn. 44.).
64
Liegen - wie hier - keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 19, 20; U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33). Zur Feststellung, ob das erforderliche hohe Niveau vorliegt, ist zum einen eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl erforderlich. Darüber hinaus ist neben dieser quantitativen Ermittlung auch eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 22, 23). In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung allerdings davon aus, dass - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko, verletzt oder getötet zu werden von 1:800 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 22 f.) bzw. 1:1.000 (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 11.10 - juris Rn. 20 f.) so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich eine im Übrigen unterbliebene wertende Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht mehr auszuwirken vermag. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 13). Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt (VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 100; U.v 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 202).
65
Zum einen kann in dem hier vorliegenden Fall auf K. abgestellt werden, da zwei Stiefschwestern des Klägers dort leben, der Kläger im Übrigen keine Familie in Afg. hat und die derzeit aus Deutschland durchgeführten Abschiebeflüge nach K. erfolgen.
66
Bezüglich der Sicherheitslage in K. wird vollumfänglich auf obige Ausführungen verwiesen.
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Zum anderen kann auf die Provinz P. abgestellt werden, da dies die Geburtsprovinz des Klägers ist und dieser auch bis zu seiner Ausreise dort gelebt hat. Hieraus ergibt sich ebenso keine andere rechtliche Wertung.
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Auch für die Provinz P. besteht derzeit keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger dort eine ernsthafte individuelle Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG wiederfährt. Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 246 zivile Opfer (65 Tote und 181 Verletzte) in der Provinz P.. Bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 724.561 Personen für den Zeitraum 2019-20 ergibt sich hier ein Opferrisiko von 0,034% und damit ein Risiko, welches erheblich unterhalb des Risikobereichs von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%) liegt, der nach der Rechtsprechung derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt liegt, dass selbst bei einer übrigen unterbliebenen wertungsmäßigen Gesamtbetrachtung nicht mehr von einer individuellen Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgegangen werden kann (vgl. zu den Opfer- und Bevölkerungszahlen Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afg., 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 179 ff., sowie UNAMA, Afg. - Protection of Civilians in an Armed Conflict, Annual Report 2019, Februar 2020, S. 94). Darauf, dass eine annäherungsweise Ermittlung der Zahlen ausreichend ist, wurde bereits oben hingewiesen. Zudem weist insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 14.11.2019 - 13a B 19.33359 - darauf hin, dass auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer bei einem sich in diesem Bereich bewegenden Gefahrengrad (dort 1:2.354 = 0,042%) noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt gegeben ist (vgl. auch HessVGH, U.v. 27.9.2019 - 7 A 1923/14.A - juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 63).
69
Im Ergebnis schließt sich das Gericht vollumfänglich der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wobei insbesondere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon ausgeht, dass für keine Region Afg.s die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen (vgl. U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 43 ff.; B. v. 25.2.2019 - 13a ZB 18.32203; B. v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 6; B. v. 3.11.2017 - 13a ZB 17.31228 - juris Rn. 9; B. v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Dies zuletzt bestätigt im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17.1.2020 - 13a ZB 20.30107 - juris Rn. 15, dass im Ergebnis unverändert davon auszugehen ist, dass in Afg. derzeit im Allgemeinen weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führte. Im Rahmen einer solchen umfassenden Beurteilung aller gefahrbegründenden Umstände würde sich bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände letztlich durchgreifend auswirken, dass sich das konfliktbedingte Schädigungsrisiko mit 1:2.458 (bei einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afg.s von nur etwa 27 Mio. Menschen) deutlich unter 1:800 und damit auf einem nicht hinreichend hohen Niveau befindet. Unabhängig davon erschließt sich dem Senat auch nicht, welche entscheidende Relevanz der Lebenssituation der Binnenvertriebenen und Rückkehrer bei der Ermittlung der Gefahrenlage infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zukommen sollte.
70
Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afg. nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletze (vgl. z.B. EGMR, U.v. 11.7.2017 - S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 - Rn. 53). Auch aus dem dem Gericht vorliegenden zusätzlichen Erkenntnismaterial mit neuerem Datum lässt sich nichts dafür entnehmen, dass hier zwischenzeitlich eine andere Einschätzung zur Sicherheitslage geboten wäre.
71
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes und zwar weder auf Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (dazu 3.1) noch auf Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (dazu 3.2).
72
3.1 Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen Verletzung der EMRK besteht weder mit Blick auf die Sicherheitslage in Afg. - hierzu wird vollumfänglich auf obige Ausführungen verwiesen - noch aufgrund der dortigen schlechten humanitären Bedingungen.
73
Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen, die der Kläger in Afg. insgesamt bzw. in den Provinzen K., H., B. oder P. zu erwarten hat, sind nicht derart schlecht, dass davon ausgegangen werden müsste, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Zwar können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat grundsätzlich eine unmenschliche Behandlung des Klägers im Sinne des Art. 3 EMRK begründen. Hierfür ist aber ein außergewöhnlicher Fall notwendig, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Dafür reicht es noch nicht aus, wenn im Fall einer Ausweisung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde (EGMR, U.v. 27.5.2008 - 26565/05 - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23). Ein solcher Ausnahmefall kann allenfalls dann vorliegen, wenn zu solchen schlechten humanitären Bedingungen ganz außerordentliche individuelle Gründe hinzutreten und humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen (siehe BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 10 unter Verweis insbesondere auf EGMR, U.v. 28.6.2011 - Sufi und El-mi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 und 11449/07 - Rn. 278). Auch hier gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 22; B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6). Für die Prüfung der humanitären Verhältnisse ist dabei grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, wobei zunächst die Umstände an dem Ort maßgeblich sind, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 26).
74
Ein solcher Ausnahmefall besteht vorliegend nicht. Auch diesbezüglich kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afg. eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte. Insbesondere ist das Gericht auch nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung und auch unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit des Klägers zu den Sadat bzw. Hazara der Überzeugung, dass es dem Kläger als arbeitsfähigen, gesunden und jungen Mann, der in Deutschland den Mittelschulabschluss erworben hat und eine Ausbildung zum Maler absolviert und daher berufliche Erfahrungen und Qualifikationen besitzt und auch bereits in Afg. seinem Vater als Landwirt geholfen hat, zumindest durch die Übernahme von Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten, möglich sein wird, sich sein Existenzminimum zu sichern (vgl. oben).
75
Auch aus der aktuellen Covid-19-Pandemie ergibt sich keine andere Bewertung (vgl. hierzu ausführlich oben).
76
Die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher nicht erfüllt.
77
3.2 Auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt in Bezug auf den Kläger nicht vor und zwar weder aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers noch wegen der allgemein vorherrschenden Lebensbedingungen in Afg..
78
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei gelten § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechend (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen wird nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, angenommen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein aus-gesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG).
79
Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger nicht erfüllt.
80
Dem Kläger droht keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen. Derartige Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
81
Auch aus allgemein vorherrschenden schlechten Lebensbedingungen in Afg. lässt sich ein Abschiebungsverbot nicht begründen.
82
Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die gesamte Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG grundsätzlich nur bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten - insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage - kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser im Abschiebungszielstaat herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann die vorherrschenden allgemeinen Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung des Ausländers in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Dazu müssen diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr drohen. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.33359 - juris Rn. 47; BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 - 10 B 47.07 u.a. - juris Rn. 3; vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31918 - juris Rn. 40 m.w.N; VGH BW, U.v. 26.6.2019 - A 11 S 2108/18 - juris Rn. 131 ff.; OVG NW, U.v. 18.6.2019 - 13 A 3930/18 - juris Rn. 313 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 188 ff.).
83
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein Abschiebungsverbot im Fall des Klägers nicht gegeben. Es sind keine Umstände ersichtlich, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr nach Afg. einer solchen extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insbesondere würde der Kläger nicht mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden. Das Gericht ist der Überzeugung, dass sich der Kläger sein Existenzminimum sichern wird (vgl. oben). Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
84
Es ergibt sich auch keine andere rechtliche Wertung aus der aktuellen Covid-19-Pandemie. Zunächst handelt es sich um eine Gefahrenlage, welche nicht nur dem Kläger, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Afg.s droht. Derartige Gefahren sind gem. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG grundsätzlich nur bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser im Abschiebungszielstaat herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (vgl. ausführlich oben).
85
Es sind weder Anhaltspunkte vorgetragen noch ersichtlich, dass der junge und gesunde Kläger in Afg. mit hoher Wahrscheinlichkeit so schwer an dem Virus erkranken könnte, dass er - auch aufgrund mangelhafter medizinischer Versorgung - in eine existentielle Gesundheitsgefahr bzw. extreme Gefahrenlage geraten könnte. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger zu dem gefährdeten Personenkreis (hohes Alter, Vorerkrankungen) gehört. Der Kläger zählt insbesondere nicht zur Altersgruppe der 40- bis 69-Jährigen, die in Afg. mehr als die Hälfte der durch COVID-19 bedingten Todesfälle ausmachen (vgl. dazu OCHA, Afg.: Covid-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report, 10.6.2020, S. 1). Eine besondere Vulnerabilität des Klägers in Bezug auf eine Ansteckung mit dem Corona-Virus kann schließlich nicht deshalb angenommen werden, weil dieser zur Gruppe der Rückkehrer aus Europa zählt. Die gegenteilige Stellungnahme Stahlmanns hat das Gericht bereits oben ausführlich gewürdigt.
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4. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Ziffer 5 des Bescheides) bestehen keine Bedenken, vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Nach § 38 Abs. 1 AsylG war dem Kläger eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen.
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5. Auch das auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6 des Bescheides) ist rechtmäßig. Auch unter Berücksichtigung des nunmehr geltenden § 11 Abs. 1 AufenthG, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung eintritt, sondern es hierfür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 71), bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ziffer 6 des Bescheides. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer wird in unionsrechtskonformer Auslegung regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 72). Eine solche hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid wirksam getroffen und in Ausübung des ihr nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung vorgesehen. Ermessensfehler, auf deren Überprüfung das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkt ist, sind nicht ersichtlich.
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6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.