Inhalt

FG München, Urteil v. 29.05.2020 – 8 K 2529/19
Titel:

Lohnsteuerhaftung des Geschäftsführers einer insolventen GmbH

Normenketten:
InsO § 17 Abs. 2, § 22 Abs. 1 S. 1
EStG § 38, § 41a
Schlagworte:
Lohnsteuerhaftung der Geschäftsführerin einer insolventen GmbH, Anmeldung, Anspruch, Ermessen, Erstattung, Haftung, Insolvenzverwalter, Pflichtverletzung, private Nutzung, Verschulden, Zuziehung, Lohnsteuerhaftung, Geschäftsführer, Lohnsteuer
Rechtsmittelinstanzen:
BFH München vom -- – VII R 32/20
BFH München, Urteil vom 14.12.2021 – VII R 32/20
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2020, 1347
ZInsO 2020, 2107
GmbH-Stpr 2021, 25
StEd 2020, 591
DStRE 2021, 278
BeckRS 2020, 18852

Tenor

1. Der Haftungsbescheid (…) über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge sowie Säumniszuschläge für die Zeit vom September 2014 bis Juni 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) wird insoweit geändert, als die über (…) € hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge zur Lohnsteuer sowie die über (…) € hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer aufgehoben wird.
2. Der Haftungsbescheid (…) über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge sowie Säumniszuschläge für Dezember 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) wird insoweit geändert, als die über (…) € hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge zur Lohnsteuer aufgehoben wird.
3. Der Haftungsbescheid vom (…) über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge sowie Säumniszuschläge für Januar 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) wird insoweit geändert, als die über (…) € hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge zur Lohnsteuer sowie die über (…) € hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer aufgehoben wird.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu (…) % und der Beklagte zu (…) %.
6. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
7. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
8. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Haftung für Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge sowie Säumniszuschläge für den Zeitraum September 2014 bis Juni 2017, Dezember 2017 und Januar 2018.
2
Die Klägerin war seit Gründung (…) alleinige Geschäftsführerin der … GmbH. (…)
3
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH für den Zeitraum September 2014 bis Juni 2017 wurde festgestellt, dass für Juli 2015 bis Juni 2017 für die private Nutzung eines Firmen-KfZ durch die Klägerin keine Lohnsteuer angemeldet, einbehalten und abgeführt worden war. Ferner setzte der Prüfer für den Zeitraum Januar 2015 bis Juni 2017 einen geschätzten Anteil von an die Arbeitnehmer (…) der GmbH erstatteten Verpflegungsmehraufwendungen, die bisher in vollem Umfang als steuerfrei behandelt worden waren, als steuerpflichtig an (…).
4
Der Beklagte (das Finanzamt) führte in Umsetzung der Feststellungen des Prüfers im Einvernehmen mit der GmbH eine pauschale Nachversteuerung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) bzw. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 EStG durch und setzte mit Nachforderungsbescheid vom 9. März 2018 (…) Lohnsteuer in Höhe von (…) € bzw. Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer in Höhe von (…) € fest. Die Steuern waren am 12. April 2018 fällig.
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Für den Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum Dezember 2017 und Januar 2018 meldete die GmbH zwar zum Fälligkeitszeitpunkt (10. Januar bzw. 12. Februar 2018) noch Lohnabzugsbeträge an (…), führte diese jedoch für Dezember 2017 (teilweise) in Höhe von (…) € (Lohnsteuer) und (…) € (Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer) bzw. für Januar 2018 in voller Höhe (Lohnsteuer in Höhe von […] € und Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer in Höhe von […] €) nicht mehr ab.
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Mit berichtigter Lohnsteuer-Anmeldung vom 12. April 2018 für Februar 2018 wurde mitgeteilt, dass keine Lohnzahlung mehr durch die GmbH erfolgt sei (…).
7
Bereits mit Schreiben vom 21. Dezember 2017, beim Amtsgericht (…) am 27. Dezember 2017 eingegangen, war die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH (…) beantragt worden. Die Klägerin stellte am 25. Januar 2018 auch einen eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss des Amtsgerichts (…) vom 1. Februar 2018 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und bestimmt, dass Verfügungen der GmbH nur mehr mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam waren (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 Insolvenzordnung [InsO]). Das Insolvenzverfahren wurde am 30. April 2018 wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) eröffnet. Die vom Finanzamt zur Insolvenztabelle angemeldeten noch offenen Steuerforderungen für Dezember 2017 und Januar 2018, aufgrund des Nachforderungsbescheides vom 9. März 2018 sowie die bisher entstandenen Säumniszuschläge (für Dezember 2017 in Höhe von … €, für Januar 2018 in Höhe von insgesamt … € [davon … € Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und … € Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer] bzw. für die Nachforderungsschuld insgesamt in Höhe von … € [davon … € Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und … € Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer]) wurden widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt (…).
8
Nachdem die Forderungen von der GmbH nicht beigetrieben werden konnten, nahm das Finanzamt die Klägerin nach vorheriger Anhörung (…) nach §§ 69, 34 Abgabenordnung (AO) (…) in Haftung, und zwar
- für Lohnsteuer und steuerliche Nebenleistungen nach der Lohnsteuer-Außenprüfung in Höhe von (…) € (…),
- für Lohnsteuer und steuerliche Nebenleistungen für Dezember 2017 (…) sowie
- für Lohnsteuer und steuerliche Nebenleistungen für Januar 2018 (…).
(…).
9
Der gegen die Haftungsbescheide fristgemäß eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom (…) als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Klägerin verfolgt ihr Rechtsschutzziel nunmehr mittels Klage weiter.
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Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass sie bezüglich der Nachforderungen aufgrund der Lohnsteuer-Außenprüfung nicht schuldhaft gehandelt habe, da die Forderungen ihr erst zu einem Zeitpunkt (15. Februar 2018) bekannt geworden seien, als Verfügungen der GmbH nur mehr mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam gewesen seien. Zudem sei sie in den Zeiträumen, auf die sich die Lohnsteuer-Außenprüfung erstreckt habe, in Lohnsteuerfragen von der (…) Steuerberatungsgesellschaft (…) bzw. der Steuerkanzlei (…) betreut worden. Sie habe daher auf eine ordnungsgemäße Lohnsteuerabwicklung vertrauen können und dürfen. Es läge insoweit auch kein Auswahlverschulden vor. Was eine Haftung für Dezember 2017 und Januar 2018 betreffe, sei ebenfalls kein Verschulden gegeben, da Zahlungen für diese Zeiträume in Hinblick auf den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Dezember 2017 der Anfechtung unterlegen hätten. Die Steuerforderungen seien sämtlich zu einem Zeitpunkt fällig geworden, zu dem entweder bereits der Insolvenzantrag gestellt (27. Dezember 2017) oder der vorläufige Insolvenzverwalter (1. Februar 2018) bestellt gewesen sei. Ab 1. Februar 2018 sei es der GmbH, und damit auch ihr, schlichtweg nicht mehr möglich gewesen, Zahlungen ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters zu leisten. Aus einer E-Mail des vorläufigen Insolvenzverwalters (…) gehe hervor, dass im Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung keine Zustimmung zu einer Zahlung an das Finanzamt erteilt worden sei. Eine Zustimmung hätte auch dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens widersprochen. Letztlich entfalle eine Verpflichtung zur Abführung von Steuern bereits mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
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Die Klägerin beantragt,
- die Haftungsbescheide vom (…) über (…) € (für Dezember 2017), über (…) € (für Januar 2018) und über (…) € (für September 2014 bis Juni 2017), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…), aufzuheben, sowie
- die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
13
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung vom (…). Die Klägerin sei trotz vorläufiger Insolvenzverwaltung für die Lohnsteuerzahlung verantwortlich, insbesondere wenn und weil auch Löhne ausbezahlt worden seien. Sie habe zudem nicht belegen können, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nach einer Aufforderung zur Zahlung der konkret streitgegenständlichen Steuern diese verweigert habe. Seien im Zeitpunkt der (jeweiligen) Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, bestehe die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen werde.
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Für die Nachforderungsschuld komme es dabei zudem nicht auf den Fälligkeits- bzw. Zahlungszeitpunkt eines nach der Außenprüfung ergehenden Steuerbescheides an. Maßgeblich sei hier vielmehr der Zeitpunkt der den Steuernachforderungen zugrunde liegenden Pflichtwidrigkeiten, hier mit Bezug auf die Lohnsteueranmeldungszeiträume Januar 2015 bis Juni 2017. Mit Bezug darauf sei im Streitfall aber davon auszugehen, dass die Lohnsteuern bei pflichtgemäßer Anmeldung zu der Zeit noch hätten abgeführt werden können. Damit sei die Pflichtverletzung der Klägerin auch kausal für den Steuerausfall. Es habe im Streitfall nicht festgestellt werden können, dass zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten keine ausreichenden Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer vorhanden gewesen seien.
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Mit gerichtlicher Anordnung vom (…) wurde die Klägerin um Stellungnahme bzw. Vorlage von Unterlagen zu verschiedenen Punkten (unter anderem Stellungnahme zu dem Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO, Vorlage eines Insolvenzgutachtens, Stellungnahme zur Liquidität/zum Vorhandensein verwertbaren Vermögens bzw. der Verbindlichkeiten und eventueller Tilgung dieser im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderungsschuld, Stellungnahme zu Maßnahmen der Klägerin zur Zahlung der streitgegenständlichen Steuern am jeweiligen Fälligkeitstag) gebeten.
17
Die Klägerin hat sich dazu mit Schriftsatz vom (…) unter Vorlage des Insolvenzgutachtens geäußert. Danach könne ein konkreter Zeitpunkt, ab dem bei der GmbH Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO vorgelegen habe, nicht angegeben werden. Nach den Feststellungen des Insolvenzgutachters habe jedoch jedenfalls zum Zeitpunkt der Ausfertigung des Gutachtens vom (…) Zahlungsunfähigkeit bestanden. Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (…) zufolge, sei von einem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit allenfalls kurz vor Insolvenzantragsstellung im Januar 2018 auszugehen, zumal der Kontokorrentkredit der GmbH bis zuletzt nicht voll ausgeschöpft worden sei.
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Man gehe ferner davon aus, dass (…) ein Bankguthaben/freie Masse in Höhe von (…) € bestanden habe (…), dem im Wesentlichen Verbindlichkeiten in Höhe von (…) € (…) gegenüber gestanden haben dürften. Zahlungen dürften nur zur Aufrechterhaltung des Betriebs, nicht aber auf die Verbindlichkeiten geleistet worden sein, da letztere Insolvenzforderungen seien.
19
Nachdem der Bescheid im Nachgang zur Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH eingegangen sei, habe sich die Klägerin (…) an den (damals vorläufigen) Insolvenzverwalter gewandt und um Mitteilung gebeten, was diesbezüglich zu tun sei. Der Insolvenzverwalter habe um Übermittlung des Bescheides gebeten und mitgeteilt, dass sie sich nicht weiter darum kümmern müsse. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Insolvenzverwalter, den Zahlungen auf die fälligen Steuerforderungen zuzustimmen, habe es nicht gegeben (…).
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzgerichtsakte, (…), die Akten des Finanzamts sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
21
Die Klage ist teilweise begründet. Die Haftungsbescheide vom (…) über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge sowie Säumniszuschläge für die pauschale Lohnsteuer (nach Lohnsteueraußenprüfung) bzw. über Lohnabzugsbeträge für Dezember 2017 und Januar 2018 sowie Säumniszuschläge dafür, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…), werden insoweit geändert, als jeweils die über die Eintragung in die Insolvenztabelle hinausgehende Haftung für Säumniszuschläge aufgehoben wird (§ 100 Absatz 1 Satz 1 FGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
22
1. Zutreffend hat das Finanzamt die Klägerin für die Lohnsteuer und die weiteren Lohnabzugsbeträge im Wege der Haftung in Anspruch genommen, die für Dezember 2017 und Januar 2018 zwar angemeldet, jedoch nicht (in voller Höhe) abgeführt worden sind.
23
a) Nach § 191 Absatz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haftet ein Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
24
Als alleinige Geschäftsführerin der GmbH gehört die Klägerin zu dem in § 34 Abs. 1 AO genannten Personenkreis. Damit war sie verpflichtet, bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Voranmeldungszeitraums (Kalendermonat) für die ordnungsgemäße Anmeldung und Abführung der von der GmbH einzubehaltenden Lohnsteuer und weiterer Lohnabzugsbeträge zu sorgen (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung [GmbHG]; § 34 Abs. 1 AO, § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Pflicht hat die Klägerin durch Nichtabführung der Lohnsteuer und weiteren Lohnabzugsbeträge in der angemeldeten Höhe verletzt. b) Die Klägerin handelte insoweit auch schuldhaft.
25
aa) § 69 Satz 1 AO verlangt eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung. Bezugspunkt der Pflichtverletzung ist hierbei die Wahrnehmung steuerlicher Pflichten (vgl. dazu Bundesfinanzhof [BFH]-Urteil vom 28. November 2002 VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337; Rüsken, in: Klein, 14. Auflage 2018, § 69 AO Rz. 46). Hinsichtlich des Verschuldens ist nach der Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab abzustellen. Es ist daher auf die Sorgfalt abzustellen, die nach den Umständen und nach den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten des Betreffenden zu fordern ist und zu der er imstande ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 18. September 2018 XI R 54/17, BFH/NV 2019, 100 mit weiteren Nachweisen [m.w.N.]).
26
bb) Die hier gegebene objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber der Klägerin zu erhebenden Schuldvorwurf (BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556; vom 27. September 2017 XI R 9/16, BFHE 259, 221, BStBl II 2018, 515 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer (und der weiteren Lohnabzugsbeträge) zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar, weil der Geschäftsführer durch die Nichtabführung der Lohnsteuer in der Regel die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 27. Februar 2007 VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348). cc) Das schließt zwar nicht aus, dass besondere, von der Klägerin glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen können (vgl. dazu BFH in BFHE 259, 423, BStBl II 2018, 772). Solche Gründe sind jedoch im Streitfall nicht ersichtlich.
27
aaa) Die Klägerin kann sich nicht damit exkulpieren, dass sie Dritte (wie etwa einen Steuerberater etc.) für die Lohnbuchhaltung beauftragt hat, da es sich konkret bei der Abführung von Lohnsteuer bzw. der weiteren Lohnabzugsbeträge, deren Fehlen die Pflichtverletzung hier begründet, um eine nicht delegierbare Pflicht handelt.
28
bbb) Auch eventuelle Zahlungsschwierigkeiten der GmbH schließen im Streitfall ein Verschulden bei der Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten nicht aus. Reichen die dem Geschäftsführer zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne (einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht aus, so darf ein Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-) Löhne entfallende Lohnsteuer bzw. der weiteren Lohnabzugsbeträge an das Finanzamt abführen (BFH-Urteil vom 27. Februar 2007 VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348).
29
Es bedarf dabei hier keiner konkreten tatsächlichen Feststellungen dazu, dass, wann und in welchem Umfang tatsächlich die die hier streitgegenständlichen Lohnabzugsbeträge auslösenden Lohnzahlungen erfolgten. Insoweit muss sich die Klägerin die Tatbestandswirkung des Tabelleneintrags nach § 178 Abs. 3 InsO entgegenhalten lassen bzw. ist nach § 166 AO mit Einwendungen gegen die unanfechtbar festgestellten Forderungen, etwa hinsichtlich erfolgter Lohnzahlungen und deren Höhe, präkludiert. Da Klägerin und Finanzamt gemäß § 178 Abs. 3 InsO an die Eintragungen in die Insolvenztabelle gebunden sind, kommen weitere Ermittlungen zur Höhe des Steuerausfalls und damit zur möglichen Höhe der Haftungssumme nicht in Betracht. Dies gilt in sinngemäßer Anwendung des § 110 Abs. 2 FGO auch für das Gericht (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 2019 VII R 5/18, BFH/NV 2020, 287).
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ccc) Schließlich entschuldigt die Klägerin auch nicht der Verweis darauf, dass mit Eingang 27. Dezember 2017 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH beantragt bzw. am 1. Februar 2018 ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden war. Beides entbindet die Klägerin nicht von der Wahrnehmung der lohnsteuerlichen Pflichten, wozu auch die Abführung der Lohnsteuer bzw. der weiteren Lohnabzugsbeträge in zutreffender Höhe gehört.
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(1) Dies gilt insbesondere mit Bezug auf den Lohnzahlungszeitraum Dezember 2017 und die dafür am 10. Januar 2018 fällige Lohnsteuer sowie fälligen Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer. Die Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers ist mit Stellung des Insolvenzantrags nicht suspendiert (BFH-Urteile vom 23. September 2008 VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129; vom 26. September 2017 VII R 40/16, BFHE 259, 423, BStBl II 2018, 772; vgl. dazu auch BFH in BFH/NV 2020, 287 Rz. 23).
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(2) Die Klägerin war aber auch für Januar 2018 (mit Fälligkeit 12. Februar 2018) an der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflicht nicht durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, Alt. 2 InsO) gehindert (vgl. BFH-Urteil vom 16. Mai 2017 VII R 25/16, BFHE 257, 515, BStBl II 2017, 934 m.w.N.).
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i) Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, steht die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme eines Geschäftsführers der in Insolvenz geratenen Gesellschaft nicht entgegen. Denn im Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wie auch die Prozessführungsbefugnis beim Schuldner. Daran vermag auch ein Zustimmungsvorbehalt nichts zu ändern. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt kann nicht als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 1 AO angesehen werden. Infolgedessen wird der Schuldner nicht durch den vorläufigen Insolvenzverwalter aus seiner Pflichtenstellung verdrängt (BFH-Urteil vom 26. September 2017 VII R 40/16, BFHE 259, 423, BStBl II 2018, 772).
34
ii) Dass die Klägerin durch den vorläufigen Insolvenzverwalter gleichwohl in einer das Verschulden ausschließenden Weise an einer Zahlung gehindert worden wäre, hat sie nicht vorgetragen bzw. ist dies auch nicht anderweitig erkennbar.
35
Die Klägerin hat bereits, trotz ausdrücklicher Nachfrage, nicht substantiiert dargelegt bzw. sogar ausdrücklich verneint, dass sie konkret mit Bezug auf die hier streitgegenständlichen Zahlungen den Insolvenzverwalter um Zustimmung zur Zahlung dieser ersucht und dieser eine erbetene Zustimmung konkret zu den streitgegenständlichen Zahlungen versagt hätte. Da es sich hier um einen in der Sphäre der GmbH und der Klägerin liegenden Umstand handelt, hätte es der Klägerin oblegen, substantiiert darzulegen und ggf. nachzuweisen, welche Schritte sie zur Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet hatte, deren Weiterverfolgung sich jedoch wegen der Haltung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters als sinnlos darstellten (BFH-Urteile vom 16. Mai 2017 VII R 25/16, BFHE 257, 515, BStBl II 2017, 934; vom 26. September 2017 VII R 40/16, BFHE 259, 423, BStBl II 2018, 772). An einem solchen Vorbringen, das Anlass zu weiterer Sachaufklärung gegeben hätte, fehlt es hier jedoch. Der Verweis der Klägerin auf die E-Mail (…) des Insolvenzverwalters (…), dass keine Zustimmung zur Zahlung in der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt sei, ist insoweit nicht ausreichend. Die Klägerin wird auch nicht dadurch exkulpiert, dass der Insolvenzverwalter ihr auf ihre Anfrage hin mitgeteilt hat, dass sie sich darum nicht mehr kümmern müsse, was als wahr unterstellt werden kann. Auch dann war es (weiterhin) die Pflicht der Klägerin, die Lohnabzugsbeträge zu bezahlen, umso mehr als nach Angaben der Klägerin noch ein Bankguthaben (…) bestand bzw. der Kontokorrentkreditrahmen der GmbH - nach eigenem Vortrag - noch nicht ausgeschöpft war.
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ddd) Auch schließt eine mögliche Anfechtbarkeit von Zahlungen die Haftung nicht aus, da ein hypothetischer Sachverhalt für die Haftungsinanspruchnahme unbeachtlich ist (BFH-Urteil vom 26. Januar 2016 VII R 3/15, BFH/NV 2016, 893 m.w.N.; Rüsken, in: Klein, Kommentar zur AO, 14. Auflage 2018, § 69 AO Rz. 72).
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c) Die schuldhafte Pflichtverletzung der Klägerin ist auch kausal dafür, dass die Lohnsteuer und die weiteren Lohnabzugsbeträge nicht (rechtzeitig) an das Finanzamt abgeführt wurden. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung findet bei der Lohnsteuerhaftung keine Anwendung. Lohnsteuer und weitere Lohnabzugsbeträge sind als treuhänderisch verwaltete Fremdgelder stets vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das Finanzamt abzuführen (§§ 38, 41a EStG). Es besteht daher eine unbeschränkte Haftung des Geschäftsführers in Höhe der angemeldeten, nach den geschuldeten Bruttolöhnen berechneten Steuerabzugsbeträgen selbst bei unzureichender Liquidität der Gesellschaft (BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271).
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2. Unter Bezugnahme auf vorstehende Grundsätze zur Lohnsteuerhaftung wurde die Klägerin ferner zu Recht für die aufgrund der Lohnsteuer-Außenprüfung mit Nachforderungsbescheid vom 9. März 2018 festgesetzte pauschale Lohnsteuer sowie weitere Lohnabzugsbeträge im Wege der Haftung in Anspruch genommen. Die Klägerin hat auch insoweit ihre Pflichten als Geschäftsführerin schuldhaft verletzt, wodurch ein Steuerschaden eingetreten ist, nachdem die Steuern nicht rechtzeitig bzw. erst zu einem Zeitpunkt der GmbH gegenüber festgesetzt werden konnten, zu dem diese bereits zahlungsunfähig war und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt war.
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a) Wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 Satz 1 AO kann diese nicht weiterreichen, als dem Fiskus durch eine dem Vertreter - hier: der Klägerin - zuzurechnende Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678). Die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen haften gemäß § 69 Satz 1 AO für die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die infolge ihrer schuldhaften Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Voraussetzung für die Begründung des Haftungsanspruchs ist danach, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, für den gehaftet wird, vor Begehung der Pflichtverletzung entstanden, aber für den Steuergläubiger wegen der pflichtwidrig verspäteten Abgabe der Steuererklärung mangels zeitnaher Festsetzung nicht rechtzeitig realisierbar gewesen ist oder, dass der bereits festgesetzte Anspruch aufgrund einer Pflichtverletzung nicht erfüllt werden konnte und dadurch ein Schaden eingetreten ist. Eine vor Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis begangene Pflichtverletzung ist dagegen nicht ursächlich im Sinne des § 69 Satz 1 AO für einen erst nach Entstehung des Anspruchs infolge dessen Nichterfüllung entstandenen Schaden (BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271).
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aa) Im Streitfall liegen der pauschalen Steuer - wiederum bindend nach § 178 Abs. 3 InsO - nachzuversteuernde geldwerte Vorteile (private Nutzung eines Firmen-KfZ sowie Erstattung von Verpflegungsmehraufwendungen) zugrunde, die in den Lohnzahlungszeiträumen für Januar 2015 bis Juni 2017 zugeflossen sind. Darauf entfallende Lohnsteuer sowie weitere Lohnabzugsbeträge entstehen (materiell-rechtlich) nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG im Zeitpunkt des Lohnzuflusses. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, auch für den Fall, dass die geldwerten Vorteile später pauschal versteuert werden (BFH-Urteile vom 30. November 1989 I R 14/87, BFHE 159, 82, BStBl II 1990, 993; vom 6. Mai 1994 VI R 47/93, BFHE 174, 363, BStBl II 1994, 715; vgl. auch BFH-Urteil vom 21. September 2017 VIII R 59/14, BFHE 259, 411, BStBl II 2018, 163; Krüger, in: Schmidt, Kommentar zum EStG, 38. Auflage 2019, § 40 Rz. 10, 30; Küttner/Seidel, Personalbuch 2018, „Lohnsteuerpauschalierung“ Rn. 7). Die Klägerin war demgemäß in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH nach § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet, die Lohnsteuer bzw. die weiteren Lohnabzugsbeträge dafür in die monatlichen Lohnsteueranmeldungen für Januar 2015 bis Juni 2017 (zuletzt bis spätestens 10. Juli 2017 für Juni 2017) aufzunehmen, einzubehalten und abzuführen. Diese Pflicht hat sie nach Entstehung der Steuerschuld verletzt.
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bb) Die Pflichtverletzung erfolgte auch schuldhaft. Es wird dazu zunächst auf die Ausführungen unter II 1 b) verwiesen. Der - hiernach bestehenden - Indizwirkung für ein mindestens grob fahrlässiges Verschulden aufgrund eines nicht ordnungsgemäßen Lohnsteueranmeldungsverfahrens steht der pauschale, unsubstantiierte Verweis der Klägerin auf die Einschaltung eines Steuerberaters und des Vertrauens in dessen ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung nicht entgegen. Es hätte zudem jedenfalls eine Überwachung dahingehend erfolgen müssen, ob etwa insbesondere die ab Juli 2015 unmittelbar in der Person der Klägerin verwirklichten Sachverhalte (wie etwa die Überlassung eines Firmenwagens) überhaupt lohnsteuerlich berücksichtigt wurden (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278). Was den weiteren Sachverhalt der anteiligen Nachversteuerung erstatteter Verpflegungsmehraufwendungen betrifft, der noch Gegenstand der Nachforderungsschuld ist, fehlten hier - nach den Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung - bereits ordnungsgemäße Aufzeichnungen (…).
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cc) Die Verletzung der Pflicht nach § 41a Abs. 1 EStG mit Bezug auf Januar 2015 bis Juni 2017 ist auch kausal für die nicht rechtzeitige Festsetzung und Abführung der Steuern bzw. den Steuerausfall.
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aaa) Zwar bedarf es für die pauschale Versteuerung (nach § 40 EStG) noch einer Ausübung des Wahlrechts bzw. der Erteilung der Zustimmung des Arbeitgebers zu einer etwa von der Lohnsteuer-Außenprüfung vorgenommenen Pauschalierung. Letztlich handelt es sich aber bei der (nachträglichen) Pauschalierung nur um eine besondere Form der Steuerberechnung bzw. eine besondere verfahrensrechtliche Form der Geltendmachung der nachzufordernden Steuern, nicht aber um eine Steuer eigener Art (s. dazu BFH-Urteil vom 6. Mai 1994 VI R 47/93, BFHE 174, 363, BStBl II 1994, 715). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach § 40 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 EStG (allein) der Arbeitgeber Schuldner der pauschalen Lohnsteuer ist und der Arbeitnehmer erhebungstechnisch von „seiner Steuerschuld“ befreit wird (s. BFH in BFHE 159, 82, BStBl II 1990, 993).
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bbb) Bezugspunkt einer Haftung und damit auch der Pflichtverletzung bleiben somit weiterhin die mit Zufluss des Arbeitslohns - hier in den jeweiligen Lohnanmeldungszeiträumen Januar 2015 bis Juni 2017 - entstandene Lohnsteuer und die weiteren Lohnabzugsbeträge (Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 256. Lieferung 2.2020, § 69 AO, Rn. 21; Krüger, in: Schmidt, Kommentar zum EStG, 38. Auflage 2019, § 40 Rz. 30). Damit sind auch die Umstände, dass die Lohnsteuer-Außenprüfung erst am 15. Februar 2018 abgeschlossen bzw. die pauschale Steuer zu einer Zeit festgesetzt bzw. fällig wurde - hier: mit Nachforderungsbescheid vom 9. März 2018 zum 12. April 2018 -, zu der die GmbH bereits zahlungsunfähig war, unmaßgeblich. Das Verhältnis einer - hier nicht ordnungsgemäßen - Lohnsteueranmeldung zu einem - diese im Ergebnis punktuell korrigierenden - Nachforderungsbescheid ist vergleichbar dem einer Voranmeldung zur Jahresveranlagung. Für diesen Fall hat der BFH für die Frage der Haftung dann, wenn die Voranmeldungen oder Steuererklärungen nicht, nicht rechtzeitig oder mit falschem Inhalt abgegeben wurden, und dem Geschäftsführer diesbezüglich eine schuldhafte Verletzung von Sorgfaltspflichten vorzuwerfen ist, für die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner gerade nicht darauf abstellt, wann Steuernachforderungen (z.B. aufgrund von Jahresveranlagungen) festgesetzt oder fällig werden, sondern auf den Zeitpunkt der vorhergehenden Pflichtverletzung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776; Drüen, FR 2019, 1019, 1024 f.).
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dd) Zutreffend ist auch die Haftung der Klägerin für die pauschalen Steuern in voller Höhe. Da es sich bei der maßgeblichen Steuerschuld um Lohnsteuer (und sonstige Lohnabzugsbeträge handelt), findet der Grundsatz der anteiligen Tilgung keine Anwendung. Auf die Ausführungen unter II 1c) wird verwiesen. Die (nachträgliche) Pauschalierung rechtfertigt dabei keine andere Wertung. Durch die aus verfahrensökonomischen Gründen geschaffenen, optionalen Pauschalierungsmöglichkeiten kann keine Änderung des materiell-rechtlichen Kerns der Nachforderung - hier: Lohnsteuer und weitere Lohnabzugsbeträge aufgrund nicht ordnungsgemäßer Lohnsteueranmeldungen - begründet werden (in diesem Sinne auch BFH-Urteil vom 21. September 2017 VIII R 59/14, BFHE 259, 411, BStBl II 2018, 163 Rn. 38). Es ist hier zudem darauf zu verweisen, dass ein Bankguthaben (…) existierte bzw. der Kontokorrentkreditrahmen der GmbH - nach eigenem Vortrag der Klägerin - noch nicht ausgeschöpft war, eine Bezahlung der Nachforderungsschuld somit unter Liquiditätsgesichtspunkten im Zeitpunkt deren Fälligkeit (hier: 12. April 2018) damit auch möglich war.
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3. Unzutreffend ist die Höhe der Haftung für Säumniszuschläge für Lohnabzugsbeträge für Dezember 2017 und Januar 2018 sowie die Nachforderungsschuld, soweit diese jeweils über die zur Insolvenztabelle festgestellten Beträge hinausgehen. Danach erfolgte die Inanspruchnahme der Klägerin für Säumniszuschläge zu Unrecht in Höhe von insgesamt (…) €.
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a) Zwar erstreckt sich die Vertreterhaftung grundsätzlich auch auf die steuerlichen Nebenleistungen im Sinne des § 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 AO, wozu auch Säumniszuschläge gehören (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271). § 69 Satz 2 AO bestimmt zudem ausdrücklich, dass die Haftung auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge, unabhängig von einer unmittelbaren Verantwortlichkeit für das Entstehen dieser, umfasst (Rüsken, in: Klein, Kommentar zur AO, 14. Auflage 2018, § 69 Rz 15).
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b) Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner steht aber nach § 191 Abs. 1 AO im Ermessen des Finanzamts. Dieses hat hier von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht, indem es nicht erkennbar berücksichtigt hat, dass die Säumniszuschläge für die Lohnabzugsbeträge für Dezember 2017 und Januar 2018 bzw. für die Nachforderungsschuld, jedenfalls soweit über den bindenden Inhalt des Tabelleneintrags vom (…) hinausgehend, entstanden sind, nachdem die GmbH zahlungsunfähig geworden war, so dass eine Reduzierung der Säumniszuschläge (regelmäßig um die Hälfte) zu prüfen gewesen wäre. Dies gilt mit Bezug auf den Anmeldungszeitraum Dezember 2017 auch, soweit hier eine Zahlungsunfähigkeit erst nach Fälligkeit der Lohnabzugsbeträge zum 10. Januar 2018 eingetreten ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 7. Mai 1993 III R 43/89, BFH/NV 1994, 144). Das Bestehen einer Zahlungsunfähigkeit (jedenfalls) ab dem Fälligkeitszeitpunkt 12. Februar 2018 ergibt sich für das Gericht hinreichend aus der Tatsache, dass im Februar 2018 keine Löhne mehr gezahlt wurden und nach den Feststellungen des Insolvenzgutachtens vom (…) die Agentur für Arbeit einer Insolvenzgeldvorfinanzierung (…) zugestimmt hat. Auch die Klägerin selbst hat ausgeführt, dass eine Zahlungsunfähigkeit allenfalls kurz vor der eigenen Insolvenzantragsstellung - hier am 25. Januar 2018 - eingetreten sei.
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c) Trotz bestehender Zahlungsunfähigkeit der GmbH wurden bei der Inanspruchnahme der Klägerin im Haftungswege hier nicht die Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt, die bei der Erhebung der Säumniszuschläge bei dem Steuerschuldner nach § 227 AO zu einem Billigkeitserlass führen können und unter Umständen führen müssen. Denn bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners fehlt es wegen des durch § 191 Abs. 1 AO der Finanzbehörde eröffneten umfassenden Ermessens an der das Verfahren gegenüber dem Steuerschuldner kennzeichnenden Zweistufigkeit, d.h. der Unterscheidung zwischen der Feststellung der verwirkten Säumniszuschläge und dem unter Umständen vorzunehmenden Erlass der verwirkten Säumniszuschläge nach § 227 AO. Die Rechtssätze, die in der Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, für die Anwendung des § 227 AO im Hinblick auf die Erhebung von Säumniszuschlägen beim Steuerschuldner aufgestellt worden sind, sind deshalb bei Erlass eines Haftungsbescheides im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 Abs. 1 AO zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217; Rüsken, in: Klein, Kommentar zur AO, 14. Auflage 2018, § 69 Rz 16). Dies ist hier unterblieben und kann auch nicht durch das Gericht nachgeholt werden, da es das Ermessen nicht an Stelle des Finanzamts ausüben kann (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 41/00, BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124).
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d) Entsprechende Ermessenserwägungen konnten nur insoweit zu Recht unterbleiben, als Säumniszuschläge - hier: in Höhe von (…) € mit Bezug auf Dezember 2017, in Höhe von (…) € mit Bezug auf Januar 2018 sowie in Höhe von (…) € mit Bezug auf die Nachforderungsschuld - widerspruchslos zur Tabelle festgestellt worden sind. Die insoweit begründete Bindungswirkung nach § 178 Abs. 3 InsO führt dazu, dass die festgestellten Beträge nicht mehr im Rahmen des Entscheidungsermessens zu prüfen sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 17. September 2019 VII R 5/18, BFH/NV 2020, 287). Die Haftung ist daher nur für den restlichen Betrag (… € Säumniszuschläge insgesamt für Dezember 2017 abzüglich … €, … € Säumniszuschläge insgesamt für Januar 2018 abzüglich … € bzw. … € Säumniszuschläge insgesamt für die Nachforderungsschuld abzüglich … €) mangels insoweit erforderlicher Ermessensausübung aufzuheben.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Absatz 1 Satz 1 FGO. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird nach § 139 Absatz 3 Satz 3 FGO antragsgemäß für notwendig erklärt.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1, Absatz 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nummer 10, 711 Zivilprozessordnung.
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6. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 FGO zugelassen. Die Frage, ob die Pauschalierung einer Lohnsteuer haftungsrechtlich dazu führt, dass als weitere Folge einer materiell-rechtlichen Maßgeblichkeit der Entstehung der Lohnsteuer im Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns und nicht im Zeitpunkt der Pauschalierung, auch die weiteren Grundsätze der Lohnsteuerhaftung zum Tragen kommen, wie etwa hier eine Nichtanwendbarkeit des Grundsatzes der anteiligen Tilgung, scheint höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Die dazu bisher ergangene Entscheidung des BFH vom 3. Mai 1990 (VII R 108/88, BFHE 160, 417, BStBl II 1990, 767) beruht noch auf einer Einordnung der pauschalen Lohnsteuer als Unternehmenssteuer eigener Art. Diese Einordnung bezeichnete der BFH in seiner Entscheidung vom 6. Mai 1994 (VI R 47/93, BFHE 174, 363, BStBl II 1994, 715), als überholt, ohne sich konkret zu der vorstehenden Frage zu äußern.